Jerry Cotton 3350 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3350 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Auf dem morgendlichen Weg zum Dienst wurde ich an einer Tankstelle von einer jungen Frau, die einen auffälligen Cadillac fuhr, um meine Brieftasche erleichtert. Im Büro hörte ich, dass ein Mann namens Ted Pitillo die Entführung seiner Tochter gemeldet hatte. Angeblich war ein Fremder in Pitillos Auto gesprungen und hatte den Wagen mitsamt Tochter gestohlen. Die Beschreibung von Frau und Auto passte haargenau auf die Diebin meines Portemonnaies. An der Tankstelle hatte allerdings kein Entführer im Wagen gesessen. Als sich dann noch herausstellte, dass Pitillo als Kurier für den mächtigen Mafiaboss Arnold Rossio arbeitete, war ich mir sicher: An diesem Fall war etwas ganz und gar faul!


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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der aschgraue Cadillac

Vorschau

Impressum

Der aschgraue Cadillac

Hektisch kramte er im Handschuhfach. Nein, die Mappe mit dem Führerschein war definitiv nicht da. Er hatte sie wohl zu Hause liegen gelassen. Ausgerechnet heute! Wenn er in eine Polizeikontrolle geriet, sollte er so unauffällig wie möglich bleiben.

Er atmete tief durch und wendete den Wagen. Die kostbare Fracht musste pünktlich abgeliefert werden, aber er lag gut in der Zeit. Als er bei dem Bungalow eintraf, den er mit seiner Familie bewohnte, ließ er den Motor seines aschgrauen Cadillac laufen. Die Mappe fand er auf dem Esstisch in der Küche. Zum Glück liefen ihm weder Vicki noch Gaia über den Weg.

Doch als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, erwartete ihn ein Anblick, der sein Herz beinahe zum Stillstand brachte. Sein Wagen bog mit quietschenden Reifen um die Ecke und verschwand aus seinem Blickfeld!

»You are the sunshine of my life«, summte Phil vor sich hin, als er an der üblichen Ecke in meinen Jaguar stieg.

»Das freut mich, Partner«, begrüßte ich ihn lächelnd. »Ich wusste gar nicht, dass ich diese Wirkung auf dich habe.«

Phil zog leicht die Brauen nach oben. »Ich dachte dabei auch eher an Paula, von der ich mich vor zehn Minuten verabschiedet habe.«

»Paula? Doch nicht etwa die hübsche Brünette aus dem Fitnesscenter?«

»Genau die.«

»Glückwunsch, Phil! Damit bist du jetzt vermutlich der meistgehasste Mann beim FBI. Sämtliche Junggesellen und auch einige Familienväter aus dem Field Office sind seit Monaten hinter ihr her. Sogar der dicke Al treibt plötzlich dreimal die Woche Sport. Wie hast du sie erobert?«

Phil schüttelte lachend den Kopf. »Keine Chance, Jerry. Das verrate ich nicht mal dir. Ein Gentleman genießt schweigend.«

Ich fragte nicht weiter. Phils Glück bei Frauen war legendär. Doch im Gegensatz zu vielen Kollegen neidete ich es ihm nicht. Mir wäre das aufreibende Liebesleben meines Partners zu anstrengend gewesen. Wenn ich mich auf eine Frau einließ, hielt es dafür meist länger. Am Ende scheiterte jede Beziehung allerdings an unserem Job. Die Arbeit beim FBI schloss ein normales Familienleben weitgehend aus.

Ich seufzte und trat fester aufs Gaspedal. Eine anspruchsvolle Aufgabe und ein schneller Wagen. Das war so schlecht auch wieder nicht. Man konnte eben nicht alles haben.

»Du hast die Abfahrt verpasst«, riss mich Phil aus den Gedanken.

»Nein«, beruhigte ich ihn. »Die Wildkatze braucht bloß ein bisschen Sprit.«

Meine Stammtankstelle lag nur ein paar Häuserblocks vom Field Office an der Federal Plaza entfernt. Langsam ließ ich den Jaguar zur Zapfsäule rollen und hatte sie auch schon fast erreicht, als plötzlich ein grauer Wagen in hohem Tempo an mir vorbeizog und kurz hinter der Säule abrupt zum Stehen kam.

Ich pfiff unwillkürlich durch die Zähne. Es war ein nagelneuer Cadillac CT5-V Blackwing, aschgrau mit pinkfarbenen Sitzbezügen. Er glänzte wie ein Diadem und funkelte in der Morgensonne. Sein Besitzer musste ihn täglich polieren, um eine solche Strahlkraft hinzubekommen. Aber das Schmuckstück war den Aufwand allemal wert.

Der Cadillac blockierte den Zugang zu beiden Zapfsäulen, und ich drückte auf die Hupe. Am Steuer saß eine Person mit einer Basecap auf dunklem Haarschopf. Es dauerte einige Zeit, bis sie begriff, was ich von ihr wollte. Schließlich ließ sie den Wagen weiter nach vorn rollen, sodass ich die hintere der beiden Säulen erreichen konnte. Ein Mitarbeiter eilte herbei und betankte den Jaguar.

Dem Cadillac entstieg die junges Mädchen in zerrissenen Jeans und einem formlosen schwarzen Shirt mit der Aufschrift Fuck you. Die Basecap zierte ein Totenschädel mit gekreuzten Knochen darunter. Ich schätzte das Mädchen auf vierzehn oder fünfzehn Jahre. Definitiv zu jung zum Autofahren.

Nachdem mein Jaguar voll betankt war, wandte sich der Mitarbeiter der jungen Frau zu, und ich konnte die beiden halblaut diskutieren hören. Nach einiger Zeit zog der Tankwart schulterzuckend ab, und das Mädchen schlenderte zum Laden hinüber. Ich fuhr meinen Wagen zur Seite, um die Zapfsäule freizugeben.

»Donuts gefällig, Phil?«, fragte ich.

»Gute Idee. Ich hatte heute noch kein Frühstück.«

Ich verkniff mir die Frage, wie er stattdessen mit Paula den Morgen verbracht hatte, und betrat die Bäckerei. Vor mir am Verkaufstresen stand das Mädchen aus dem Cadillac.

»Das ist viel zu teuer!«, sagte sie. »Die Bagels sind nicht frisch. Ich zahle den halben Preis und keinen Cent mehr.«

»Das kannst du gern bei der Konkurrenz so machen«, erwiderte der Verkäufer gelassen. »Aber nicht bei mir. Und jetzt verschwinde. Du hältst den Betrieb auf.«

»Arschloch!« Das Mädchen drehte sich schwungvoll um.

Instinktiv riss ich in einer Abwehrbewegung den Arm nach oben, sonst wären wir schmerzhaft aneinander gerempelt. Die junge Frau geriet ins Straucheln, als sie gegen meinen Arm prallte. Ich fing sie auf und erntete dafür einen wütenden Blick aus feurigen dunklen Augen.

»Können Sie nicht aufpassen?«, fauchte sie. »Was stehen Sie auch so dicht hinter mir! Sind Sie ein Perverser, oder was?«

Sie wartete keine Antwort ab, sondern stapfte leise vor sich hin fluchend zu ihrer Nobelkarosse.

»Kennen Sie die Lady?«, fragte ich den Verkäufer, der ihr kopfschüttelnd hinterher sah.

»Nee. An den Wagen könnte ich mich erinnern. Und Lady würde ich das freche Gör auch nicht gerade nennen.«

Ich ließ mir acht Donuts einpacken und griff in meine Jackentasche, um das Portemonnaie zu zücken.

Es war weg. Das Mädchen musste es mir bei dem Zusammenstoß geklaut haben!

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Ich hatte mich überrumpeln lassen wie ein unerfahrener Tölpel! Und ich konnte nicht einmal verschämtes Stillschweigen darüber bewahren, sondern musste Phil bitten, die Donuts zu bezahlen.

Mein Partner sagte nichts, als er eine Zehndollarnote auf den Tresen blätterte. Mit einem angedeuteten belustigten Gesichtsausdruck. Und das war vielleicht das Allerschlimmste an der ganzen Angelegenheit.

Ted Pitillo zitterte am ganzen Leib. Wie festgewachsen stand er vor seinem Bungalow und starrte auf die Stelle, an der sein Cadillac mit der Stieftochter am Steuer verschwunden war. Das Bild brannte sich wie ein Horrorfilm auf seine Netzhaut ein. Das durfte einfach nicht wahr sein!

Endlich löste sich seine Starre und machte einem neuen Gefühl Platz: Wut. Grenzenloser Wut!

Wie ein verwundeter Stier stürmte er in die Garage. Er musste sofort etwas kaputtschlagen, um wieder zu Sinnen zu kommen. Das Erstbeste, das ihm unter die Finger kam, würde dran glauben müssen. Er konnte nur hoffen, dass es nicht Hannibal Lecter, sein Labrador, war.

In der Garage lagen ein paar alte Winterreifen. Auf die drosch er ein. Die Fäuste schmerzten, und das tat gut. Ted Pitillo war ein großer, starker Mann, und seine unkontrollierbare Aggressivität hatte ihn schon als Teenager in so manche Schwierigkeit gebracht. Im Jugendknast hatte ihm der Psychologe einen Punchingball zum Abreagieren verordnet. Aber Pitillo wollte nicht einfach auf einen Sack einschlagen. Erst wenn etwas zu Bruch ging, wenn etwas unwiderruflich zerstört war, flaute seine Wut allmählich ab.

Die Autoreifen genügten nicht. Pitillos Blick wanderte zu zwei großen Bodenvasen aus bruchfestem Glas, die seine Frau hier abgestellt hatte. Mit einem lauten Aufschrei stürzte er sich auf die Vasen und schmetterte sie auf den Zementboden. Trotz seiner beachtlichen Kräfte benötigte er drei Anläufe, bis eine tatsächlich zerschellte. Die Scherben erfüllten schließlich ihren Zweck. Ted Pitillo beruhigte sich ein wenig.

Schwer atmend ließ er sich auf den Reifen nieder.

Verflucht noch mal, was sollte er nur tun? Dieser verdammte Auftrag war sein wichtigster seit Langem! Der Boss hatte ihm mehr als deutlich gemacht, was passieren würde, wenn er ihn vermasselte. Auf Gnade brauchte er dann nicht zu hoffen.

Denk nach, zwang er sich. Was ist jetzt zu tun? Pitillo zog die Stirn kraus und versuchte sich zu konzentrieren. Planen, Taktieren und kluge Entscheidungen treffen waren nun mal nicht sein Ding. Er spürte, wie die Wut zurückzukehren drohte.

Es hatte keinen Zweck, den Wagen zu suchen. Der konnte inzwischen überall sein. Ted Pitillo kannte seine Stieftochter einfach nicht gut genug, um zu erraten, was sie vorhatte. Vielleicht wollte sie nur ziellos herumfahren, um ihn zu ärgern. Gut möglich. Aber sie musste doch wissen, dass er sie dafür totschlagen könnte!

Vicki würde irgendwann mit dem Cadillac wiederkommen. Das nützte allerdings nichts. Die Fracht im Wagen musste pünktlich geliefert werden.

Sollte er seinen Boss informieren?

Pitillo verzog gequält das Gesicht. Dann konnte er genauso gut gleich Zyankali schlucken.

Nichts tun und abwarten? Nein. Das kam auf das Gleiche hinaus. Denk nach, Teddy! Wie lässt sich der geklaute Wagen am schnellsten wieder auftreiben? Wenn es ihm innerhalb der nächsten paar Stunden gelang, den Cadillac wiederzufinden, könnte er die Katastrophe vielleicht noch abwenden.

Eine unerhörte Idee schoss ihm durch den Kopf. Eine Idee, die völlig abwegig war. Vielleicht war sie dennoch seine einzige Chance.

Ted Pitillo stand auf und zog sein Handy aus der Hosentasche.

Auf unseren Schreibtischen stapelten sich Aktenberge. Wir hatten in den letzten Wochen drei ältere Fälle geklärt, für die noch ein paar Abschlussberichte geschrieben werden mussten.

Die Donuts überließ ich Phil, mir war der Appetit vorerst vergangen. Seufzend machte ich mich an die Arbeit. Ich hatte jedoch noch keine drei Sätze geschrieben, als ein mir unbekannter junger Mann in unser Büro stürmte.

»Mister High möchte euch sprechen, Guys!«, rief er.

Bevor ich ihn fragen konnte, wer, zum Teufel, er überhaupt sei, war er verschwunden.

Wir trafen ihn im Vorzimmer des Chefs wieder. Da fiel mir ein, dass Helen im Urlaub war. Der coole Jüngling musste ihr Vertreter sein.

»Bringen Sie uns einen Kaffee, Zach?«, bat ihn Mr. High und forderte uns auf, Platz zu nehmen.

Wir folgten seiner Aufforderung.

»Sind Sie derzeit sehr beschäftigt?«, erkundigte sich unser Chef.

»Nein«, antworteten Phil und ich wie aus einem Mund. Berichte schreiben gehörte nicht gerade zu unseren Lieblingstätigkeiten.

»Gut.« Mr. High lächelte. »Denn ich möchte Sie bitten, einen etwas merkwürdigen Entführungsfall zu untersuchen. Sagt Ihnen der Name Ted Pitillo etwas?«

Ich kramte in meiner Erinnerung, Phil war schneller.

»Arbeitet der nicht als Kurier für Arnold Rossio?«, fragte er.

»Exakt, Phil. Drogengeschäfte vor allem. Pitillo ist nicht gerade die hellste Kerze auf Rossios Torte, aber als Kurier scheint er zuverlässig zu sein. Wir haben schon länger ein Auge auf ihn, um an die Hintermänner heranzukommen. Bislang leider erfolglos.«

»Und nun betätigt er sich als Entführer?«, hakte ich verwundert nach.

»Nein, Jerry. Im Gegenteil. Heute Morgen hat er selbst eine Entführung gemeldet. Angeblich wurde seine Stieftochter gekidnappt.«

»Wie bitte?« Ich traute meinen Ohren nicht. Ein Mafioso alarmierte die Polizei? Das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Die ehrenwerte Gesellschaft löste solche Probleme in der Regel ohne das FBI.

»Ist das ein Ablenkungsmanöver?«, überlegte Phil laut. Auch er sah skeptisch drein.

Bevor Mr. High antworten konnte, öffnete sich die Tür, und der junge Zach betrat mit drei dampfenden Kaffeebechern das Büro. Er stellte sie etwas unbeholfen vor uns ab, sodass der Inhalt überschwappte und die Unterlagen auf dem Schreibtisch des Chefs verschmutzte.

»Danke«, sagte Mr. High, ohne auf das Missgeschick einzugehen. »Klopfen Sie das nächste Mal bitte an, bevor Sie mein Büro betreten.«

»Aye, Sir!« Zach salutierte und knallte im Scherz die Hacken aneinander.

Unser Chef runzelte die Stirn.

»Wir haben noch keine Ahnung, was hinter der merkwürdigen Meldung steckt«, fuhr er dann fort. »Deshalb möchte ich, dass Sie beide hinfahren und dem Kerl auf den Zahn fühlen.« Er schob uns das Protokoll der Anzeige zu.

Ich überflog es. Angeblich war die Stieftochter des Mafiakuriers vor seinem Haus gekidnappt worden – in seinem eigenen Auto. Er hatte den Wagen noch entschwinden sehen, die Entführer aber nicht erkennen können.

»Gibt es Lösegeldforderungen?«, fragte ich.

»Bislang nicht.«

»Das ist völlig lächerlich«, kommentierte Phil. »Vielleicht hat sich die Tochter den Wagen nur ausgeliehen.«

»Ich sehe das genauso, Phil. Finden Sie heraus, was Pitillo im Schilde führt.«

Unser Chef reichte uns zwei Fotos. Auf dem einen war ein aschgrauer CT5-V Blackwing abgebildet, auf dem anderen ein etwa vierzehnjähriges Mädchen.

Ich riss die Augen auf und griff nach dem Kaffeebecher. Phil entfuhr ein überraschter Aufschrei.

»Das ist doch ...!«, rief ich.

Weiter kam ich nicht. Ein grässlicher Hustenanfall schüttelte mich. Er war nicht der Tatsache geschuldet, dass mich vom Foto das Gör angrinste, das mein Portemonnaie geklaut hatte. Der Kaffee hatte den Husten verursacht. Wenn man die Brühe überhaupt Kaffee nennen konnte. Nie zuvor hatte ich ein solch widerliches Gesöff zu mir genommen. Ich hatte nicht einmal geahnt, dass man ein Getränk derart verhunzen konnte.

»Teddy ist nicht hier.« Die Frau war drauf und dran, uns die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

Schnell zückte ich meinen Dienstausweis, Phil schob einen Fuß nach vorn.

»Dann unterhalten wir uns eben mit Ihnen«, sagte er freundlich.

Sie warf uns einen desinteressierten Blick zu und ließ uns ins Haus. Ihr Name war Gaia Pitillo. Seit acht Jahren war sie Pitillos Ehefrau.

Der Bungalow in Queens war mäßig geräumig und nicht sonderlich erlesen eingerichtet. Die Pitillos waren offensichtlich nicht arm, schwammen aber auch nicht in Geld. Als Mafiakurier hatte man ein Auskommen, gehörte jedoch nicht zur Oberschicht.

»Wo steckt Ihr Mann, Mrs. Pitillo?«, begann Phil. »Warum ist er nicht zu Hause?«

»Na, Sie sind vielleicht lustig, Agent. Teddy arbeitet wie jeder anständige Bürger.«

Sie warf mit einer selbstbewussten Bewegung die schwarzen Locken nach hinten, auf die sie offenkundig sehr stolz war. Vor ein paar Jahren musste sie ziemlich gut ausgesehen haben. Jetzt war ihre Haut teigig, und um die Augen lagen dunkle Ringe. Ein bisschen Make-up würde wohl das Schlimmste übertünchen, doch im Moment war sie ungeschminkt.

Ihre lapidare Antwort verblüffte mich. »Wollen Sie damit sagen, Ihr Mann ist einfach zur Arbeit gegangen, als wäre nichts geschehen?«

Jetzt blitzte Misstrauen in ihren Augen auf. »Ist ihm etwas zugestoßen? Sind Sie deswegen hier?«

Ich wechselte einen irritierten Blick mit Phil. Irgendetwas stimmte nicht.

»Wo arbeitet Ihr Gatte denn?«, erkundigte ich mich.

»Bei einer Spedition.« Sie musterte mich abwartend. »Als Fahrer.«

Einige Sekunden lang herrschte Stille. Gaia Pitillo verhielt sich, als wüsste sie gar nichts über die Entführung ihrer Tochter. War das möglich?

»Wann ist Ihr Mann heute morgen aufgebrochen?«, übernahm Phil das Gespräch.

»Sehr früh. Ich habe noch geschlafen, deshalb kann ich Ihnen die genaue Uhrzeit nicht sagen. Und als ich um sechs kurz wach war, war er schon weg.«

»Und wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen?«

»Vicki?« Gaia Pitillo zog die Stirn kraus. »Hat sie etwas ausgefressen?«

Nein, Mrs. Pitillo wusste ganz offensichtlich nichts über eine Entführung.

»Ich habe Vicki heute noch gar nicht gesehen«, erklärte sie. »Vielleicht schläft sie noch. Oder sie treibt sich irgendwo herum. Seit ihrem zwölften Lebensjahr hält sie es nicht mehr für nötig, sich bei mir abzumelden. Sie ist ein eigensinniges Mädchen, wissen Sie? Das hat sie von ihrem Vater. Der war Profiboxer.« Sie hielt kurz inne und besann sich. »Aber sie hat das Herz am rechten Fleck«, schob sie nach. »Auch wenn sie manchmal ein bisschen impulsiv ist.«

»Mrs. Pitillo, Ihr Mann hat Vicki vermisst gemeldet«, ließ ich die Katze aus dem Sack. »Er sagte uns, sie sei heute morgen vor seinen Augen gekidnappt worden.«

Gespannt verfolgte ich Gaia Pitillos Reaktion. Zunächst zog sie überrascht die Brauen nach oben. Dann fielen ihre Mundwinkel ab. Sie ballte die Hände zu Fäusten, ließ sie jedoch schnell wieder locker. Schließlich begann ihr Körper zu beben, und ein Lachkrampf schüttelte sie. Bald rannen ihr Tränen aus den Augen, so sehr amüsierte sie meine Aussage.

Wir warteten geduldig, bis sie sich wieder beruhigte.

»Sie scheinen sich keine allzu großen Sorgen zu machen«, stellte Phil nüchtern fest.

»Bitte entschuldigen Sie meine Reaktion«, sagte sie. »Vermutlich halten Sie mich nun für eine Rabenmutter. Nur es ist so absurd. Ich bin mir sicher, dass Vicki nicht gekidnappt wurde. Gestern Abend hat sie sich mal wieder fürchterlich mit Teddy gestritten. Die beiden geraten ständig aneinander. Wenn sie können, gehen sie sich aus dem Weg, doch das klappt nicht immer. Für mich ist das alles andere als leicht, müssen Sie wissen.« Sie wischte sich mit dem Handrücken eine letzte Lachträne von der Wange. »Ich vermute, Vicki hat den Cadillac geklaut. Nun ja, ausgeliehen sozusagen. Weil sie genau weiß, wie sehr sie Teddy damit zur Weißglut treibt.«

»Und warum hat Ihr Mann dann eine Entführung gemeldet?«, wollte ich wissen.

»Da kann ich nur Mutmaßungen anstellen. Damit sie Ärger mit den Behörden bekommt? Nehmen Sie mir das nicht übel, Agent Cotton, aber wenn tatsächlich jemand Vicki kidnappen würde, wäre die Polizei Teddys letzte Anlaufstelle. Eher wäre er bereit, viel Geld zu zahlen, damit sie nie wiederkehrt. Ich sage das nicht gern, es ist nur leider die Wahrheit.«

Auf den Straßen New Yorks

Sie ließ das Fenster herunter und sog die laue Luft ein, sobald sie die Tankstelle hinter sich gelassen hatte. Das geklaute Portemonnaie lag auf dem Beifahrersitz und verhieß einen Hauch von Zukunft. Ein zufriedenes Lächeln überzog Vickis Gesicht.

O Mann, der Typ im Jackett hatte sich ganz schön plump von ihr überrumpeln lassen! Sicher war er so ein langweiliger Banker, der in seinem ganzen Leben noch nie mit einem Gangster in Berührung gekommen war. Obwohl er einen schnittigen Wagen fuhr, das musste sie ihm lassen. Fast noch cooler als ihr Cadillac.

Vicki drehte das Radio auf volle Lautstärke. Ein berauschendes Gefühl von Freiheit überkam sie. Yeah! Sie war jung und grenzenlos glücklich. Sie war ein Gangster und hatte ein schnelles Auto. Sie hatte sogar Kohle.