1,99 €
Im Hudson River stießen Taucher auf einen Wagen. Das war nicht die einzige Überraschung, denn im Kofferraum lag eine Leiche. Es handelte sich um den berüchtigten Gangster James Murphy. Vor fast drei Jahrzehnten hatte Murphy den Behörden belastendes Material gegen seinen damaligen Partner Gavin Price zugespielt. Kurz darauf war Murphys Leiche gefunden worden - jedenfalls dachte man das. Phil und ich wurden mit den Ermittlungen beauftragt. Gleichzeitig schickte jemand der TV-Reporterin Sandy Bellman, der Tochter von Murphys Witwe Edda, ein Video. Es zeigte James Murphy, der eine verblüffende Botschaft für Sandy hatte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Mann, der zweimal starb
Vorschau
Impressum
Der Mann, der zweimal starb
»Was wirst du jetzt tun?«
»Was denkst du wohl?«
»Ich bin nicht wegen dir hier. Nimm die Waffe runter und verschwinde.«
»O nein, mein Freund. Mich kannst du nicht für dumm verkaufen. Ich weiß genau, was du willst.«
Zu dieser späten Stunde war der Parkplatz irgendwo im New Yorker Hafen verlassen. Die Arbeiter, die tagsüber ihre Autos abstellten, waren längst zu Hause. Das fahle Licht zweier Laternen erleuchtete die Szenerie. Die beiden Männer standen sich gegenüber. Der mit der Pistole in der Hand lehnte lässig am Heck eines über fünfundzwanzig Jahre alten, mit Beulen und Schrammen übersäten silberfarbenen Ford Probe. Der andere schien wie zur Salzsäule erstarrt, die Hände hatte er in Brusthöhe erhoben. Kaum drei Schritte trennten sie voneinander.
Dann krachte der Schuss.
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte der Mann mit der Pistole.
Polizeitaucher Doug Hanson schob sich das Mundstück zwischen die Lippen, sog den Sauerstoff ein und ließ sich in die graugrünen Fluten des Hudson River gleiten. Das eiskalte Wasser umschloss seinen Körper. Ohne den Neoprenanzug hätte er es keine fünf Minuten hier unten ausgehalten. Er schaltete seine leistungsstarke Taucherlampe ein. Der grellweiße Strahl durchschnitt die triste, trübe Unterwasserwelt. Sie hatte so gar nichts mit den mit beeindruckenden Korallenriffen und bunten Fischschwärmen angefüllten Landschaften gemein, die er von seinen jährlichen Tauchausflügen vor den Amerikanischen Jungferninseln kannte.
Ein paar kräftige Schläge mit den Flossen und er sank, umgeben von unzähligen Schwebeteilchen, zum Grund. An dieser Stelle des Hafens war der Hudson nur etwa zwölf Fuß tief. Und da war er auch schon. Der blau-rote Bell 407 lag auf der Seite, ein Rotorblatt war abgeknickt, das Sichtfenster der Pilotenkanzel wies einen gewaltigen Riss auf. Ein Wunder, dass sie noch intakt war. Es war keine drei Stunden her, dass der Helikopter nur wenige Minuten nach dem Start zu einem Rundflug über den Big Apple abgestürzt war. Die drei schwedischen Touristen an Bord hatten das Unglück überlebt. Sie hatten sich aus der Maschine befreien und an die Oberfläche schwimmen können, wo sie von einem Schlepper aufgenommen worden waren. Der Pilot wurde vermisst.
Hanson hatte keinen Zweifel daran, dass er den Mann gleich zu Gesicht bekommen würde. Da er es nicht nach oben geschafft hatte, musste er entweder beim Aufprall auf die Wasseroberfläche das Bewusstsein verloren haben oder tödlich verletzt worden sein. Oder er war in dem Wrack eingeklemmt worden.
Dieser Absturz würde die Diskussionen um die zahlreichen Hubschrauberflüge, die Tag für Tag über den Dächern der Metropole durchgeführt wurden, wieder befeuern, davon war Hanson überzeugt. Nicht wenige New Yorker hatten die Nasen voll davon. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Die Dinger waren laut und nicht ungefährlich. Nicht auszudenken, wenn eine solche beinahe anderthalb Tonnen schwere Maschine in eine der Straßenschluchten stürzen würde.
Was war das?
Unter seiner Taucherhaube runzelte Hanson die Stirn. Im Schein der Lampe hatte er etwas gesehen, etwas Klobiges, Eckiges. Etwa drei Fuß über dem Hubschrauberwrack verharrte er und richtete den Strahl in die Richtung, in der er das Objekt bemerkt hatte.
Seine scharfen Augen hatten ihn nicht getäuscht. Keine zehn Yards von dem Helikopter entfernt stand ein Auto auf dem Grund des Hudson. Es stand tatsächlich auf allen vier Rädern, als hätte jemand es dort geparkt. Die Türen waren geschlossen, die Fenster hochgekurbelt.
Hanson schwamm näher heran. Das war ein Ford, er konnte das Emblem auf der Kühlerhaube erkennen. Allerdings hatte er keine Ahnung, um welches Modell es sich handelte, er bevorzugte Toyota. Auf jeden Fall befand sich der Wagen noch nicht allzu lange hier unten. Er arbeitete bereits seit über zehn Jahren als Polizeitaucher und hatte in dieser Zeit schon mehrere Autos aus dem Hudson oder dem East River geborgen. Abgesehen von den über die Karosserie verteilten Dellen und den Kratzern im Lack sah der Ford aus, als hätte er erst vor Kurzem Bekanntschaft mit dem Fluss geschlossen.
Die Kollegen würden zwei Wracks aus dem Hudson ziehen müssen.
Drei Stunden später stand der silberfarbene Wagen auf dem Parkplatz, von dem aus das NYPD die Bergungsaktion gestartet hatte. Hanson hatte die Schwimmflossen gegen robuste Sportschuhe getauscht und die schwere Pressluftflasche in seinem Dienstfahrzeug verstaut. Der Kollege, der sich ihm als Detective Todd Shriver vorgestellt hatte, öffnete gerade die Fahrertür und schaute ins Innere. Ein paar uniformierte Beamte neben ihm sahen dem Kollegen neugierig zu. Shriver hatte einen gelben Lolli im Mund und trug einen schwarzen Mantel sowie eine dunkle Sonnenbrille, obwohl sich die Sonne schon den ganzen Tag nicht hatte blicken lassen. Hanson fragte sich, ob der Mann in seiner Jugend zu viele Folgen der Fernsehserie Kojak gesehen hatte.
»Der ist so blank wie mein Teller, wenn ich mir im Lombardi's die Peperonipizza gegönnt habe«, sagte Shriver mit seiner etwas heiseren Stimme, nachdem er die Inspektion des Innenraums abgeschlossen hatte. »Die Seitenfächer und das Handschuhfach sind vollkommen leer. Werfen wir mal einen Blick in den Kofferraum, was meinen Sie?«
Hanson nickte und trat neben Shriver, der nach der Entriegelung langte. Mit einem durchdringenden Knarren öffnete sich die Wagenklappe.
Hansons Augen wurden groß. Shriver fiel der Lolli aus dem Mund.
Im Kofferraum lag eine Leiche.
»Setzen Sie sich, Jerry«, forderte Mr. High mich auf.
Ich nahm vor dem Schreibtisch unseres Chefs Platz, in der Hand hielt ich eine dampfende Tasse Kaffee, die ich von Helen ergattert hatte. Phil, der bereits vor mir eingetroffen war, hob eine Braue.
»Mir hat Helen gesagt, der Kaffee sei noch nicht fertig«, murrte er.
»Du warst zwei Minuten zu früh dran, mein Freund.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Phil, ich bin mir sicher, Helen hat nach unserem Gespräch noch eine Tasse für Sie übrig«, schaltete sich Mr. High ein. »Lassen Sie uns zur Sache kommen.«
Ich nickte und nahm einen Schluck von dem dampfenden Gebräu. Wie immer schmeckte es köstlich.
»Gestern Nachmittag ist ein Touristenhubschrauber in den Hudson River gestürzt«, begann Mr. High. »Haben Sie zufällig davon gehört?«
Ich verneinte.
»Ich habe in den Abendnachrichten einen Bericht darüber gesehen«, bestätigte Phil dagegen und legte die Stirn in Falten. »Hat es sich etwa um einen Anschlag gehandelt?«
Mr. High schüttelte den Kopf. »Der Absturz selbst hat mit Ihrem neuen Fall nichts zu tun. Bei den Bergungsarbeiten hat ein Polizeitaucher nur ein paar Yards neben dem Wrack einen Wagen auf dem Grund des Hudson entdeckt. Die Kollegen haben das Auto aus dem Wasser gezogen. Und jetzt, Gentlemen, kommen wir ins Spiel. Im Kofferraum lag eine Leiche, mit einer Kugel in der Brust.«
Phil pfiff durch die Zähne. »Das nennt man mal einen Zufallsfund.«
»Wurde der Tote schon identifiziert?«, wollte ich wissen.
»Ja, noch gestern Nacht. Die fleißigen Kollegen von der Gerichtsmedizin haben Fingerabdrücke genommen und sie durch den Computer gejagt. Bei dem Toten handelt es sich um einen Mann namens James Murphy. Schon mal von ihm gehört?«
Phil und ich schauten uns an und schüttelten dann die Köpfe.
»Dann will ich Sie aufklären. Murphy war eine große Nummer in der organisierten Kriminalität in New York, allerdings ist das schon beinahe dreißig Jahre her. Ich habe mir seine Akte mit den alten Fotos von ihm kommen lassen. Über die Jahre hat er sich natürlich verändert, aber auch dem Augenschein ist es James Murphy.«
»Hatte er sich irgendwann zur Ruhe gesetzt?«, fragte ich.
»Nein, Jerry. Er wurde ermordet.«
Wieder tauschten Phil und ich einen Blick.
»Natürlich, Sir«, erwiderte Phil vorsichtig. »Er wurde doch in dem Kofferraum gefunden.«
»Sie verstehen mich falsch. Er wurde vor siebenundzwanzig Jahren ermordet. Den James Murphy aus dem Hudson River hat der Täter vor höchstens zwei Tagen erschossen. Wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der zweimal starb.«
Ich nahm noch einen Schluck von meinem Kaffee. »Erzählen Sie weiter, Sir.«
»James Murphy war seinerzeit der Vertraute und Partner von Gavin Price, einem berüchtigten Gangsterboss, der in unserer Stadt sein Unwesen getrieben hat. Die beiden galten als kongeniales Team, mit den Augen eines Kriminellen gesehen. Murphy hatte die Ideen, Price sorgte dafür, dass die dafür geeigneten Leute sie umsetzten. Auf diese Weise haben sie eine ganze Menge großer Nummern abgezogen, ohne dass das NYPD oder das FBI ihnen etwas nachweisen konnte. Dann wurde ihre Freundschaft schwer erschüttert, um nicht zu sagen pulverisiert.«
»Was ist passiert?«, fragte Phil.
»Eines Tages wurde dem FBI ein dicker Umschlag zugespielt. Darin befand sich haufenweise belastendes Material über Gavin Price. Brisante Papiere, mit deren Hilfe er der Steuerhinterziehung und Geldwäsche in mehrfachen Fällen überführt werden konnte, ähnlich wie damals bei Al Capone. Price wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Zwei Jahre später starb er im Gefängnis an einem Herzanfall. Nach all den Jahren im Luxus hat er die Zeit in der Zelle nicht gut weggesteckt und baute von Monat zu Monat körperlich immer mehr ab.«
»Und James Murphy hatte etwas mit der Sache zu tun?«
Mr. High nickte. »Gut kombiniert, Jerry. Price war gerade erst verhaftet worden, da gab es die ersten Gerüchte, dass es Murphy gewesen wäre, der dem FBI das Belastungsmaterial zugespielt hätte. Angeblich, weil er nicht mehr länger die Nummer zwei sein wollte. Das kam bei dem Rest der Bande gar nicht gut an. Price war bei seinen Leuten sehr beliebt gewesen, er galt als charismatisch und großzügig, wohingegen Murphy trotz seiner Kreativität eher der Typ nüchterner Buchhalter war. Mit Menschen konnte er wohl nicht besonders gut umgehen.«
Er griff nach einer Mappe auf seinem Schreibtisch, öffnete sie und zog ein großformatiges Schwarz-Weiß-Foto heraus. Darauf sahen wir etwas, was einmal ein Mensch gewesen war. Die Haut des Toten war pechschwarz und spröde, die nur noch ansatzweise zu erkennenden Gesichtszüge wirkten verzerrt. Es war nicht das erste Mal, dass sich uns ein solcher Anblick bot, doch daran würde ich mich nie gewöhnen können. Das Foto zeigte eine bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche.
»Nur wenige Tage, nachdem die Behörden Gavin Price aus dem Verkehr gezogen hatten, verschwand James Murphy spurlos«, fuhr Mr. High fort. »Zwei Tage später fand man auf einem Feld in der Nähe von Woodbury in New Jersey diesen Toten. Das Opfer war erschossen, mit Benzin übergossen und angezündet worden. Wie Sie sehen, ist von seinem Gesicht nicht mehr viel zu erkennen, dennoch glaubten die Ermittler eine Ähnlichkeit zu James Murphy festzustellen. Außerdem hatte er noch seinen Ehering am Finger. Der Ring bestand aus purem Gold. Sie wissen ja, Benzin brennt nicht heiß genug, um Gold zum Schmelzen zu bringen.«
Mr. High zog ein zweites, kleineres Foto aus der Mappe. Darauf war ein Mann in den Dreißigern zu sehen. Seine dunklen Haare waren straff nach hinten gekämmt und betonten den kantigen Schädel. Die Augen lagen tief in den Höhlen und blickten ausdruckslos in die Kamera. Die markante Schädelform war tatsächlich die gleiche wie die der Brandleiche.
»Und jetzt sehen Sie sich das hier an.« Mr. High förderte ein drittes Bild zutage.
Das Farbfoto zeigte das Totengesicht eines Mannes, den ich anhand der Schwarz-Weiß-Aufnahme sofort als James Murphy erkannte. Die Augen waren geschlossen, er hatte mehr Falten, und die Haare waren grau geworden, doch er war es eindeutig.
»Das ist die Leiche, die man in dem Kofferraum gefunden hat«, vermutete Phil.
Unser Chef nickte. »Exakt. Offensichtlich hat man sich vor siebenundzwanzig Jahren in die Irre führen lassen. Wer immer auf diesem Feld verbrannt wurde, es war nicht James Murphy.«
Ich lehnte mich zurück. Das klang nach einem interessanten Rätsel. »Aber wer war es dann? Und wo hat Murphy all die Jahre gesteckt?«
»Das müssen Sie und Phil herausfinden, Jerry«, antwortete Mr. High.
»Wissen wir, wem das Auto gehört?«, erkundigte ich mich.
Der Chef schüttelte den Kopf. »Die Fahrgestellnummer ist weggefeilt, die Nummernschilder waren gestohlen. Die Arbeit eines Profis. Wo Murphy auch gesteckt haben mag, er ist scheinbar erst vor Kurzem wieder in New York aufgetaucht. Im Kofferraum wurde nämlich eine Reisetasche mit Kleidung und Papieren gefunden. Die Papiere werden gerade ausgewertet, sobald es hier Erkenntnisse gibt, lasse ich sie Ihnen zukommen. Ich schlage vor, Sie statten zunächst Murphys Witwe Edda Bellman einen Besuch ab, ihre Adresse finden Sie auf Ihren Computern. Möglicherweise hat auch Gavin Prices Sohn Tom etwas Erhellendes zu dem Fall beizutragen. Nachdem klar geworden war, dass sein Vater nicht so schnell aus dem Gefängnis zurückkehren würde, ist er im zarten Alter von achtundzwanzig Jahren in seine Fußstapfen getreten und wurde der neue Boss, was er bis heute geblieben ist. Seine Akte habe ich Ihnen bereits zugeschickt. Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
Wir erhoben uns, verabschiedeten uns von Mr. High und verließen sein Büro. Im Vorzimmer steuerte Phil zielsicher Helen an.
»Ich habe gehört, hier gibt's frischen Kaffee?« Er lächelte sie erwartungsvoll an.
»Tut mir leid, Phil«, antwortete Helen, und das Lächeln meines Partners erstarb augenblicklich. »Steve und Zeery waren gerade hier, jetzt ist die Kanne wieder leer.«
Ich legte meinem Freund eine Hand auf die Schulter. »Komm schon, Phil, ich spendiere dir auf dem Weg in unser Büro einen Kaffee aus dem Automaten.«
Er verzog das Gesicht. »Du bist zu großzügig.«
Edda Bellman wohnte in einem kleinen, aber schmucken Einfamilienhaus in Queens. Phil hatte sie angerufen, und sie hatte sich, wenn auch mit hörbarem Widerwillen, einverstanden erklärt, mit uns zu sprechen. Während wir mit meinem Jaguar auf dem Weg zu Mrs. Bellman durch die 174th Avenue gefahren waren, hatte ich darüber nachgedacht, wie unser Besuch wohl verlaufen würde. Immerhin hatten wir ihr eine Todesnachricht zu überbringen. Eine Todesnachricht, die sie vor über einem Vierteljahrhundert schon einmal erhalten hatte.
Ich hatte meinen Wagen in ihrer Auffahrt geparkt, jetzt standen wir vor der Haustür. Phil hatte kaum den Klingelknopf berührt, als schon geöffnet wurde. Vor uns stand eine magere Frau Ende fünfzig. Sie hatte ein schmales, verkniffenes Gesicht, war etwa einen Kopf kleiner als ich und trug eine schlichte weiße Bluse und eine dunkle Jeans. Das lange graue Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Aus kühlen grünen Augen musterte sie uns misstrauisch.
»Sind Sie die Gentlemen vom FBI?«, fragte sie mit einer heiseren Stimme, die auf zu viele Zigaretten seit zu vielen Jahren hindeutete.
»Guten Tag, Mrs. Bellman. Ich bin Agent Cotton, das ist Agent Decker«, stellte ich uns vor.
Sie fixierte uns, als wollte sie sich unsere Gesichter genau einprägen, dann nickte sie. »Kommen Sie rein. Der Letzte macht die Tür zu.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand im Haus.
Wir folgten ihr auf dem Fuß und nahmen auf ihren Wink hin an einem großen Wohnzimmertisch Platz. Edda Bellman setzte sich zu uns, griff nach einer Schachtel Zigaretten, die auf dem Tisch lag, und zündete sich einen Glimmstängel an.
»Was kann ich für Sie tun?«, wollte sie wissen, nachdem sie einen tiefen Zug genommen hatte.
»Wir kommen wegen Ihres Mannes, James Murphy«, antwortete Phil.
Sie lachte trocken auf. »James ist nicht mehr mein Mann, seit siebenundzwanzig Jahren nicht. Er ist nämlich tot. Ich bin aber wieder verheiratet, daher der Name Bellman. Eigentlich heiße ich Raffelston. Na ja, ist schon sehr lange her, dass mich jemand so genannt hat.«
»Sie haben damals bestimmt eine schwere Zeit durchgemacht.« Ich behielt sie genau im Auge, um mir keine ihrer Reaktionen entgehen zu lassen.
Wieder das trockene Lachen. »So sicher, wie's in der Wüste Sand gibt, Agent Cotton. James hat seinen Boss verraten und sich dann aus dem Staub gemacht. Die anderen Gangster sind gekommen und haben jeden Winkel unseres Apartments durchsucht, wir haben damals noch in Brooklyn gewohnt. Das war nicht gerade angenehm, das kann ich Ihnen sagen. Ein paar Tage später haben sie ihn dann gefunden, irgendwo in Woodbury. Einerseits habe ich getrauert, andererseits hat's mir nicht leidgetan. Hört sich vielleicht komisch an, war aber so. Er hätte das nicht machen sollen. War ihm scheißegal, was aus mir wurde.«
»Was hätte er nicht machen sollen?«, hakte ich nach.
»Na, das mit Gavin Price. Er hat ihn den Cops praktisch ausgeliefert. So etwas tut man nicht. Zumal Gavin sein Freund gewesen ist.«
»Wie ging es für Sie weiter?«
Edda Bellman nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und schaute durch das große Terrassenfenster. Draußen war Wind aufgekommen und pflückte die schon braun gewordenen Blätter von den Bäumen.
»Tom, der Sohn von Gavin, ist ein guter Junge«, antwortete sie nach einer Weile. »Als er davon überzeugt war, dass ich mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte, beschloss er, mich zu unterstützen, und ließ mir etwas Geld zukommen. Ein paar Monate später habe ich meinen zweiten Mann Rupert geheiratet. Da war ich bereits von ihm mit unserer Tochter schwanger. Wie das Leben so spielt. James wollte auch Kinder, sehr sogar, doch es hat nicht funktioniert. Jedenfalls habe ich so wieder Halt gefunden.«
Mein Blick fiel auf die Fotografie, die hinter ihr in einem blauen Rahmen an der Wand hing. Die junge Frau darauf hatte lange, gelockte blonde Haare und lächelte fröhlich in die Kamera. Vermutlich war sie die gerade erwähnte Tochter. Die überbordende Lebensfreude, die von ihr ausging, stand in einem auffallenden Gegensatz zu der ernsten, ja, beinahe verbitterten Ausstrahlung ihrer Mutter.
»Warum sind Sie hier?«, richtete sie das Wort wieder an mich. »Das liegt alles beinahe dreißig Jahre zurück.«
Ich beschloss, die Katze aus dem Sack zu lassen. »Mrs. Bellman, gestern wurde im Hudson River ein Wagen entdeckt und kurz darauf geborgen. Im Kofferraum hat man eine Leiche gefunden. Es handelt sich um James Murphy, Ihren Mann. Zum Zeitpunkt des Auffindens war er erst seit etwa zwei Tagen tot.«
Auf ihrem Gesicht war nicht abzulesen, was sie in diesem Moment dachte. Die Sekunden vergingen, und ich wollte gerade etwas sagen, irgendetwas Tröstliches, da verzogen sich ihre dünnen Lippen zu einem freudlosen Lächeln. »Ihr möchtet mich auf den Arm nehmen, ja? Ihr wollt eine alte Lady verscheißern. Habt ihr Jungs vom FBI nichts Besseres zu tun?«