Jerry Cotton 3364 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3364 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Innerhalb kürzester Zeit wurden gleich zwei Mitarbeiterinnen der New Yorker Modelagentur Beauty Faces ermordet. Agenturchef Brian Bernstein vermutete seinen ärgsten Konkurrenten Kevin Landry als Täter. Der Mann habe vor, ihn zu ruinieren, als Rache dafür, dass sich Bernstein beim Rennen um das angesagte neue Model Paula Mercer durchgesetzt habe. Wir vom FBI fanden bald heraus, dass Beauty Faces seine Models nicht nur für Modeschauen und Fotoshootings, sondern auch für sexuelle Dienste an reiche Kunden vermittelte ...


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Schön, aber tot

Vorschau

Impressum

Schön, aber tot

Sie konnte nicht aufhören, das rote Sofa anzustarren. Sie hatte sich in das Möbelstück verliebt, kaum, dass sie das Zimmer betreten hatte. Die hohe, leicht gebogene Rückenlehne wirkte ein wenig extravagant, was sie nicht störte. Außerdem war es nicht nur schön, sondern auch unheimlich bequem. Sie hatte es genossen, eine Weile auf dem weichen Polster ihren Gedanken nachzuhängen.

Jetzt lag sie auf dem Teppich. Nachdem sie aus dem Bad zurückgekehrt war, hatten ihre Kräfte sie so schnell verlassen, dass sie es nicht mehr zurück aufs Sofa geschafft hatte. Die Krämpfe waren plötzlich gekommen und schlimm gewesen. Sie schmeckte und roch ihr eigenes Erbrochenes und glaubte zu spüren, dass sich ihr Herzschlag mit jeder Minute verlangsamte. Eine neue Welle der Übelkeit überkam sie, doch sie behielt die kümmerlichen Reste ihres Mageninhalts bei sich.

Schlug ihr Herz noch?

Wie schön dieses Sofa war!

Sie schloss die Augen.

»Guten Morgen, Gentlemen«, begrüßte Mr. High uns, als wir sein Büro betraten. »Hatten Sie ein angenehmes Wochenende?«

»Ich kann nicht klagen, Sir.« Ich ließ mich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch nieder.

»Ich habe die Memoiren von diesem Supermodel gelesen«, sagte Phil, der neben mir Platz nahm. »Der dicke Schinken, der seit Monaten auf der Bestsellerliste steht.«

»Du überraschst mich immer wieder, Phil. Ich wusste gar nicht, dass ausgerechnet du dich für Mode interessierst.«

Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Phils heutiges Outfit war wie häufig etwas gewagt. Er trug ein grasgrünes Jackett und dazu eine dunkelrote Krawatte.

»Soll das eine Anspielung sein?«, brummte er und hob eine Braue.

»Nicht doch.« Ich musste mir ein Lachen verbeißen.

»Ich finde das Leben von anderen Menschen eben interessant, auch wenn sie keine krummen Dinger drehen.«

»Jerry, ich finde, Sie hätten sich an Phil ein Beispiel nehmen können«, schaltete sich Mr. High in unseren kleinen Disput ein.

Jetzt war es an mir, eine Braue zu heben. »Wie meinen Sie das, Sir?«

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen unseres Chefs. »Weil Phil seine neu erworbenen Kenntnisse in Ihrem nächsten Fall vielleicht nützlich sein werden.«

»Ha«, machte Phil.

»Ich bin gespannt, Sir«, erwiderte ich.

»Sagt Ihnen der Namen Brian Bernstein etwas?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«

Phil zuckte mit den Schultern.

»Mister Bernstein ist Inhaber der Modelagentur Beauty Faces, drüben in Brooklyn. Vor zwei Wochen kam Monica Wright, eines seiner Models, in Los Angeles ums Leben. Sie war dort für einen Job unterwegs und wurde tot in ihrem Hotelzimmer aufgefunden. Die Obduktion hat ergeben, dass sie an einem Drogencocktail gestorben ist. Vorgestern wurde Kate Allison, seine persönliche Assistentin, bei einem Autounfall in Hell's Kitchen getötet. Sie befand sich gerade auf dem Nachhauseweg, als sie von einem Wagen überfahren wurde.«

Ich schürzte die Lippen. »Wie kommen wir da ins Spiel?«

Mr. High griff nach einer Mappe auf seinem Schreibtisch und zog ein großformatiges Foto hervor. Es zeigte eine Frau Anfang dreißig mit kurzen blonden Haaren. Im Leben musste sie sehr attraktiv gewesen sein, jetzt verunzierten blaue Flecke und Kratzspuren ihr ebenmäßiges Gesicht. Ihre offenen Augen blickten ins Nichts.

»Das ist Monica Wright«, erläuterte er. »Als sie das Hotel betreten hat, hatte sie diese Verletzungen noch nicht. Die Detectives in Los Angeles haben den Rezeptionisten befragt. Sie hatte sich bei dem Mann erkundigt, ob eine Nachricht für sie eingegangen sei, und er ist sich hundertprozentig sicher, dass er nicht einen Kratzer an ihr bemerkt hat. Keine Stunde später war sie tot. Sie hatte ihr Dinner aufs Zimmer bestellt. Der Kellner hat sie gefunden.«

»Sie glauben, sie hat den tödlichen Cocktail nicht freiwillig geschluckt?«, mutmaßte Phil.

»Sofern sich der Angestellte nicht doch geirrt hat, ist das eine naheliegende Vermutung. Ähnlich mysteriös sind die Umstände im Fall von Kate Allison. Es gab einen Zeugen, der beobachtet haben will, dass der Unfallfahrer Gas gab, als sie auf die Straße trat. Als hätte er es auf die Frau abgesehen. Nachdem er sie erwischt hatte, ist er einfach weitergefahren. Der Wagen wurde später in einer Seitengasse gefunden. Er war am Abend zuvor gestohlen worden. In einem Café war ein Mann zur Toilette gegangen und hatte seine Schlüssel auf dem Tisch liegen gelassen. Als er zurückkehrte, waren sie verschwunden. Vielleicht war der Unfall tatsächlich Absicht, vielleicht war der Fahrer auch nur betrunken.«

Phil pfiff durch die Zähne. »Auf jeden Fall hört sich das nicht nach einem Zufall an.«

»Mister Bernstein ist derselben Meinung. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass ein Mann namens Kevin Landry dahintersteckt, ein Konkurrent von ihm. Er betreibt ebenfalls eine Agentur, sie nennt sich Extravagance und hat ihren Sitz in Midtown Manhattan.«

»Warum ausgerechnet Landry?«, fragte ich. »In New York gibt es sicher eine Menge Modelagenten.«

»Mister Bernstein glaubt, dass sich Landry an ihm rächen will, weil er kürzlich ein neues Model unter Vertrag genommen hat, an dem der ebenfalls interessiert war.«

»Ich wusste gar nicht, dass es in der Modelbranche mit solch harten Bandagen zugeht.«

»Darüber stand auch nichts in dem Buch«, merkte Phil an.

Mr. High steckte das Foto der Toten zurück in die Mappe. »Mister Bernstein ist, so haben es die Kollegen vom NYPD ausgedrückt, ein Mann von der leicht erregbaren Sorte. Jedenfalls verlangt er, dass sich das FBI um den Fall kümmert.«

Ich runzelte die Stirn. »Er verlangt es?«

Unserem Chef entfuhr ein leiser Seufzer. »Das sei sein Recht als Bürger, und wir haben die Pflicht, ihn zu schützen und so weiter. Eine ziemliche Nervensäge. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass an dieser Rachegeschichte etwas dran ist. Fahren Sie zu seinem Büro und unterhalten Sie sich mit ihm. Anschließend fühlen Sie Kevin Landry auf den Zahn. Viel Erfolg. Und gute Nerven. Die Adressen der Agenturen und alle Informationen finden Sie auf Ihren Computern.«

»Ein bisschen mehr Begeisterung, Kleines. Du musst das Zeug lieben.«

Sarah Delanys Lächeln wurde breiter. Sie schaute auf die kleine Plastikflasche in ihrer Hand und versuchte sich vorzustellen, dass die rote Flüssigkeit darin das leckerste Getränk wäre, das sie jemals gekostet hatte. Es fiel ihr so schwer. Denn tatsächlich schmeckte dieser neue Gesundheitsdrink wie ein Laborunfall, den man mit saurer Tomatensuppe aufzupeppen versucht hatte.

Dan, der Fotograf, zwinkerte ihr zu. Er hatte das Zeug probiert und war zu einer ähnlichen Meinung gekommen, woraus er keinen Hehl machte. Aber das spielte in diesem Moment keine Rolle, wie sie sehr wohl wusste. Der Hersteller investierte in das Werbeshooting eine Menge Geld. Ganz sicher wollte er auf den Fotos kein Model sehen, das mit einem Würgereiz zu kämpfen hatte.

»Besser, Sarah, viel besser«, kommentierte Dan ihren neuen Versuch, Begeisterung aufzubringen.

Obwohl er nett und geduldig war, war der große Mann mit den schulterlangen Haaren und dem graublonden Vollbart ihr ein wenig unheimlich. Vielleicht lag es daran, dass es in ihrer Heimatstadt Banks in Colorado solche Leute nicht gab. Männer mit langen Haaren.

»Okay, wir machen zehn Minuten Pause.« Dan reichte seine Kamera einem Assistenten. »Du kannst die Flasche austrinken, wenn du magst, wir haben noch zwei Kisten davon.« Sein breites Grinsen reichte ihm von Ohr zu Ohr.

»Danke, Dan, lieber nicht. Ich schau mal nach, was Marcy macht.«

»Geht klar, Sarah.« Er wandte sich ab und schlurfte zu dem großen Monitor, der in einer Ecke aufgebaut worden war. Vermutlich würde er die Pause damit verbringen, mit seinem Assistenten die Ergebnisse der vergangenen zehn Minuten zu begutachten.

Hoffentlich gefällt ihm eines der Fotos, dachte Sarah und schalt sich gleich darauf dafür. Ihre Ängstlichkeit und ihre Selbstzweifel gingen ihr auf die Nerven. Als Model, gerade als Neuling, musste sie Selbstbewusstsein zeigen.

»Du musst von dir überzeugt sein. Immer. Dann meisterst du jeden Job.«

Paula Mercer hatte ihr das vor zwei Tagen eingeschärft. Paula war nett. Wie Sarah stand sie erst seit ein paar Wochen bei Beauty Faces unter Vertrag. Doch im Gegensatz zu ihr, die mit ihren neunzehn Jahren außer einigen gewonnenen lokalen Schönheitswettbewerben und Aufnahmen für Werbeanzeigen von Kleinstadtzahnärzten und Sonnenstudios wenig vorzuweisen hatte, war Paula ein Profi. Für sie mochte ihr Engagement bei Beauty Faces nur eine Zwischenstation auf der Treppe nach ganz oben sein. Sarah dagegen hatte gerade erst einen Fuß auf die unterste Stufe dieser Treppe gesetzt. Das Shooting für dieses schreckliche Zeug war ihr erster ernstzunehmender Job.

Umso mehr wusste sie es zu schätzen, dass sich Paula mit ihr abgab. Sie hatte sie regelrecht unter ihre Fittiche genommen. Vor fünf Wochen hatte Sarah in New York ihr erstes eigenes Apartment bezogen, und ohne ihre erfahrene Kollegin hätte sie sich in der großen Stadt so verloren gefühlt wie auf dem Mars. Was für ein Vergleich zu Banks, in der das kleine Theater in der Old House Street den Mittelpunkt des kulturellen Lebens darstellte. Im Big Apple schien es eine Million Theater zu geben.

Ihre Eltern waren über ihre Entscheidung, in die große Stadt zu ziehen, nicht besonders glücklich. Ihr einziges Kind war nun über tausendsechshundert Meilen von zu Hause entfernt, in einer Metropole, in der es ihrer Meinung nach vor Typen, denen man nicht über den Weg trauen durfte, nur so wimmelte. Männer, die nichts anderes taten, als darüber nachzugrübeln, wie sie jungen Mädchen Drogen verkaufen oder am schnellsten den Slip ausziehen konnten. Und dann auch noch in dieser Branche ...

Sarah hatte vor einigen Jahren mit einer Schülergruppe eine Woche in New York verbracht. Zwar war das etwas völlig anderes gewesen, als auf sich allein gestellt hier zu leben. Doch schon damals war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sich ihre Eltern in diesem Punkt auf dem Holzweg befanden. Jedenfalls hatte sie in New York bis jetzt niemanden wie Mr. Harding getroffen, den spindeldürren Verkäufer aus dem kleinen – und einzigen – Supermarkt in Banks, der ihr bei jedem Einkauf auf die Brüste starrte.

Nein, ihre Entscheidung war richtig gewesen. Sie lebte ihren Traum, den sie verfolgte, seit sie mit sechs Jahren im Fernsehen eine Dokumentation über eine Modenschau gesehen hatte. Sie war sofort Feuer und Flamme gewesen. Irgendwann würde sie in den Modemetropolen dieser Welt auf den Laufstegen stehen, und ihr Konterfei würde auf den Titelblättern der berühmten Modemagazine zu sehen sein. Das war besser, als früh zu heiraten, Kinder zu bekommen und das Leben an sich vorüberziehen zu sehen, wie es so viele der jungen Frauen in Banks taten. Sehr viel besser. Und am Ende würden ihre Eltern stolz auf sie sein.

Nur musste sie dafür damit aufhören, sich bei jeder neuen Herausforderung wie ein gehetztes Reh zu benehmen.

Sie hoffte, dass Marcy die Kanne Kaffee in ihrer Garderobe nicht leer getrunken hatte. Mit einer schönen Tasse Milchkaffee würde sie den widerlichen Geschmack dieses Safts bestimmt herunterspülen können.

Marcy Dimes gehörte ebenfalls zu Beauty Faces. Sie war mit am Set, weil der Kunde für seine Kampagne zwei Gesichter haben wollte. Nach den Einzelshootings stand heute noch ein Gemeinschaftsshooting an. Marcy war schon länger bei der Agentur und eine erfahrene Kollegin, aber nicht so nett wie Paula. Obwohl sie es nicht aussprach, spürte Sarah, dass Marcy sie für ein Landei hielt. Damit hatte sie nicht unrecht, unhöflich war es trotzdem.

Ohne anzuklopfen, betrat Sarah die Garderobe, die in einem kleinen Konferenzraum eingerichtet worden war. Das Shooting fand in einem Hotel in der Nähe des Times Square statt, der Kunde hatte einen Raum für die Aufnahmen und zwei weitere als Garderobe für die Models und für das Produktionsteam gemietet. Marcy saß an einem der Tische und wandte ihr den Rücken zu. Ihr Kopf war so stark nach vorne geneigt, dass Sarah für einen Augenblick glaubte, sie wäre eingeschlafen. Dann hörte sie ein schniefendes Geräusch, und im nächsten Moment warf Marcy den Kopf in den Nacken und stieß ein wohliges Stöhnen aus.

»Was tust du da?«, fragte sie.

Marcy drehte sich um. Sarah blickte in ihr blasses, aber hübsches Gesicht, das von schwarzen Locken umrahmt war. Als Kind hatte sie sich so Schneewittchen vorgestellt. Nur hatte sie nie gesehen, dass unter Schneewittchens Nasenlöchern weißes Pulver klebte.

War das etwa ...?

»Na, schon fertig?« Marcys Stimme war tief und rau, was einen exotischen Kontrast zu ihrer filigranen Erscheinung darstellte.

»Marcy, bitte sag mir, dass das kein Kokain ist.« Ihre Stimme zitterte vor Empörung. Die Vorstellung, Drogen zu nehmen, war für sie ungeheuerlich. Sie hatte darüber gelesen, ein Teil ihrer umfangreichen Vorbereitung auf ihre Zukunft in New York. Kokain war ein weißes Pulver, das geschnupft wurde.

Marcy lachte auf. »Was ist los mit dir? Kommst du gerade aus der Kirche, oder was?«

Sarah schloss die Tür hinter sich, setzte sich auf einen Stuhl – so weit von Marcy weg wie möglich – und griff nach der Kanne. Leer.

»Ich finde es nicht gut, Drogen zu nehmen«, sagte sie und vermied es dabei, ihrer Kollegin ins Gesicht zu sehen. Die Situation war ihr unangenehm. Am liebsten hätte sie den Raum gleich wieder verlassen. Warum war sie überhaupt reingekommen?

»Ich finde es nicht gut, Drogen zu nehmen«, äffte Marcy sie nach. »Ich sag dir mal was, Miss Colorado. In dieser Branche greifen eine ganze Menge Leute zu Drogen. Koks, Speed, Heroin. Gewöhn dich besser dran.«

Paula nicht, dachte Sarah. Jedenfalls hoffte sie das.

»Wenn du künftig jedes Mal die Heilige rauskehren willst, wirst du dir eine Menge Ärger einhandeln«, fuhr Marcy fort. Ihre Stimme war schneidend geworden.

In Sarah wuchs der Wunsch aufzuspringen und hinauszustürmen. Nein, sie würde nicht zurückweichen. Aus den Augenwinkeln sah sie eine kleine Rasiermesserklinge und ein gelbes Blatt Papier vor Marcy liegen. Ein paar weiße Krümel klebten darauf.

Marcy griff nach einer der Plastikflaschen mit dem furchtbaren Drink, die überall auf dem Tisch verteilt waren, schraubte den Deckel ab und stürzte den Inhalt in einem Zug herunter.

»Miss Colorado«, sie schnaufte verächtlich, »kommst aus dem Nirgendwo, wo man im Bett noch das Licht ausmacht, und willst mir eine Moralpredigt halten.«

Ihre Miene hatte sich vor Wut und Verachtung verzerrt. Sarah fragte sich, wie jemand mit einem so hübschen Gesicht so hässlich werden konnte.

»Ich sag dir mal was. Wenn du schon vor ein paar Jahren hier gewesen wärst, dann würdest du deine Nase nicht so verdammt hoch tragen. Damals ging es bei Beauty Faces noch anders zu. Ganz anders, Schätzchen.« Sie kicherte.

Sarah wandte den Blick ab. Was meinte sie damit?

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet.

Dan trat in den Raum. »Okay, Ladys, wir machen weiter mit ...«

Marcy hatte sich zu ihm umgedreht. Sarah sah in seinen Augen etwas aufblitzen.

»... mit Sarah«, vollendete er den Satz.

Sie sprang auf, drückte sich an ihm vorbei und stand im nächsten Moment im Flur. Sie glaubte, Marcys Blicke wie glühende Dolche in ihrem Rücken zu spüren.

Brian Bernstein erinnerte mich an den Schauspieler Tim Curry. Hohe Stirn, breiter Mund, leicht vorstehende Augen. In seinem Gesicht prangte ein sorgfältig gestutzter Bart, gekleidet war er in einen perfekt sitzenden marineblauen Anzug. Das schwarze Haar, in dem die weißen Strähnen allmählich die Oberhand gewannen, war penibel nach hinten gekämmt. Irgendwie hatte ich mir den Inhaber einer Modelagentur extravaganter vorgestellt. Bernstein hätte mir genauso gut an einem Bankschalter gegenüberstehen können. Nur hätte er in dem Fall wahrscheinlich nicht diesen hochmütigen Ausdruck im Gesicht gehabt.

»Haben Sie Landry schon verhaftet?«, wollte er wissen, kaum dass Phil und ich vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten, einem futuristisch wirkenden Möbelstück aus Metall, das vollkommen leer war. Nicht einmal ein Kugelschreiber lag auf der Arbeitsfläche.

»Mister Bernstein ...«, begann ich.

»Ich höre.«

Neben mir versteifte sich Phil. Wir hatten noch kein Dutzend Worte miteinander gewechselt, und schon jetzt war mir Bernstein unsympathisch. Der Mann schien das FBI mit einem Dienstleistungsunternehmen zu verwechseln. Ich beschloss, höflich zu bleiben. Vorläufig jedenfalls.

»Ich darf Sie bitten, mir nicht ins Wort zu fallen, Mister Bernstein. Es ist ungeheuer tragisch, was Miss Allison und Miss Wright zugestoßen ist. Die Umstände deuten darauf hin, dass in der Tat ein Verbrechen vorliegen könnte. Sicher ist das jedoch noch nicht. Und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Kevin Landry darin verwickelt sein könnte.«

Bernstein schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Ich konnte nicht verhindern, dass ich vor Überraschung leicht zusammenzuckte.

»Sie haben ihn also nicht verhaftet. Das ist ungeheuerlich.«

»Mister Bernstein«, schaltete sich Phil ein. »In diesem Land wird man nicht aufgrund einer bloßen Behauptung verhaftet, und das ist auch gut so. Es braucht etwas Handfestes, um jemanden hinter Gitter zu bringen.«

»Er war es. Ich weiß es genau. Ich ...«

»Genau darüber möchten wir mit Ihnen reden«, fiel jetzt ich ihm ins Wort. »Was macht Sie so sicher, dass Mister Landry etwas mit den Vorfällen zu tun hat?«

Wortlos griff Bernstein in eine Schublade und zog ein großformatiges Foto hervor, das er uns vor die Nasen hielt. Das Bild zeigte eine Frau mit langen, glatten braunen Haaren, einer schmalen, ebenmäßigen Nase, dünnen Lippen und grünen Augen, die ihrem Gesicht einen besonderen Ausdruck verliehen. Sie war sehr attraktiv und verfügte schon auf dem Foto über eine außergewöhnliche Ausstrahlung. Ich fragte mich, wie stark diese Ausstrahlung sein mochte, wenn man ihr persönlich begegnete.

»Paula Mercer«, sagte Bernstein knapp, als würde das alles erklären.

»Und?« Ich ertappte mich dabei, dass ich immer noch auf das Foto starrte.

»Ich habe sie erst kürzlich unter Vertrag genommen. Sie ist auf dem besten Weg, eine internationale Laufbahn einzuschlagen. Diese Woche findet die New York Fashion Week statt. Paula wird am Mittwoch die Show von Gene Simmora eröffnen. Gene Simmora, verstehen Sie?«

»Der Designer, der mit seinen Kreationen das Prinzip Mode auf eine neue Ebene transferiert hat«, sagte Phil.

Der Hauch eines Lächelns glitt über Bernsteins Züge. Ich hoffte, dass er mir meine Verblüffung nicht ansah. Phil hatte dieses Buch offenbar sehr gründlich gelesen.

»Genau der«, sagte er. »Ich sehe, Sie sind ein Mann vom Fach.«