Jerry Cotton 3366 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3366 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

An einem Sonntagmorgen wurde die Besatzung eines Polizeiboots Zeuge, wie ein Unbekannter von der Verrazano-Narrows Bridge in das Wasser der New York Bay stürzte. Obwohl das Boot keine hundert Yards vom Ort des Geschehens entfernt war, verschwand der Mann in Sekundenschnelle. Der Grund: ein paar Steine, die seinen Körper beschwert und ihn sofort in die Tiefe gerissen hatten. Ein Suizid konnte nicht ausgeschlossen werden. Doch viel wahrscheinlicher war es, dass die Mafia hinter dem grausamen Tod steckte. Wir vom FBI traten auf den Plan. Als ein Amateurvideo auftauchte, das binnen kürzester Zeit viral ging, entwickelten sich unsere Nachforschungen in eine völlig neue Richtung.


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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Sie schickten ihn zu den Fischen

Vorschau

Impressum

Sie schickten ihnzu den Fischen

Der Mann, den ihm seine südamerikanischen Geschäftspartner empfohlen hatten, war allgemein nur unter dem Namen Capitano bekannt. Es gehörte zu den Sicherheitsmaßnahmen, dass sich Lloyd Dillon und er bisher nicht im Büro getroffen hatten, und dabei sollte es auch bleiben. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, am Strand hielt sich zu dieser frühen Stunde niemand auf außer Dillon und dem Capitano.

Der Capitano war allein nach New York gereist. Für die kleinen Aufgaben, für die er Helfer brauchte, hatte Dillon vor Ort entsprechende Leute rekrutiert. Das war unproblematisch, wenn es zum Beispiel nur darum ging, irgendetwas zu fotografieren, etwa wie jemand von einer Brücke stürzte. Es war nicht verboten, so etwas aufzunehmen, wenn man zufällig gerade im richtigen Moment seine Kamera dabeihatte, und es war auch nicht verboten, ein solches Foto ins Internet zu stellen.

Alex Bray würde zum vorgesehenen Zeitpunkt von der Verrazzano-Narrows Bridge stürzen. Das war beschlossene Sache. Dillon hätte am liebsten die übrigen Mitwisser gleich auf diese Weise ebenfalls sterben lassen. Das ging nicht. Sie mussten anders ausgeschaltet werden. Sie mussten einfach verschwinden und durften nie wieder auftauchen, das war alles.

»Wann?«, fragte der Capitano.

»Jetzt«, sagte Dillon.

Das Polizeiboot der NYPD Harbor Unit war auf dem Weg zurück zur Zentrale auf Randall's Island. Stan Baker und seine Mannschaft waren eine Kontrollrunde rings um Staten Island gefahren, hatten aber keine Besonderheiten festgestellt. Gleich war ihre Schicht zu Ende. Es war kurz vor Mittag, der leichte Dunst, der noch bis vor wenigen Minuten über dem Wasser gelegen hatte, hatte sich aufgelöst. Es war ein schöner Tag, und Baker freute sich darauf, ihn zusammen mit seiner Familie genießen zu können. Um ein Uhr war Schluss. Er hatte den Rest des Tages frei. Nur noch das kleine Stück unter der Brücke hindurch und dann bis zum Anleger.

Die Verrazzano-Narrows Bridge verband Staten Island mit dem Rest von New York. Es war eine doppelstöckige Autobahnbrücke, und aus der Entfernung, vom Wasser her, wirkte sie elegant. Wenn man sie im Auto passierte, machte sie einen eher plumpen Eindruck. Sie war in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gebaut worden, und Geld war knapp gewesen. Nach dem Einsturz der Hängebrücke über die Tacoma Narrows 1940 hatten sich manche Menschen Sorgen gemacht, dass diese so viel größere Brücke das gleiche Schicksal ereilen würde. Es wäre nicht auszudenken gewesen, was dann passiert wäre. Wenn diese Brücke einstürzte, würde es Hunderte von Autos treffen. Doch die Brücke stürzte nicht ein.

Sein Kollege riss Baker aus den Gedanken.

»Da steht einer.« Er deutete auf die Brücke. »Obere Ebene.«

Bevor Baker entdeckt hatte, wo der Mann stand, war er bereits gesprungen.

»So ein Mist!«, rief Baker.

Es gab nichts, was sie tun konnten. Der Aufprall war hart. Etwas anderes war nicht zu erwarten, wenn man aus einer Höhe von zweihundertdreißig Fuß auf das Wasser traf.

»Vorsichtig ranfahren, dann fischen wir ihn raus«, bestimmte Baker. »Vielleicht lebt er noch.«

Sie kamen zu spät. Als sie den Fleck erreichten, an dem der Mann auf das Wasser aufgeprallt war, war nichts mehr von ihm zu sehen. Er war untergegangen wie ein Stein.

»Ich verstehe das nicht.« Baker schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das einfach nicht. Der Mann war sofort weg.«

Der Mann hatte um Amtshilfe gebeten, weil ihm sein Instinkt sagte, dass etwas an dem Vorfall seltsam war. Wir trafen ihn in der Zentrale der NYPD Harbor Unit auf Randall's Island.

»Ist es nicht das Übliche«, fragte Phil, »wenn jemand ins Wasser springt, um sich umzubringen, dass er dann untergeht und erst nach Tagen wieder an die Oberfläche kommt, wenn sich durch die Verwesung genügend Gase in seinem Körper gebildet haben?«

»Das ist die Theorie, Agent Decker, aber es ist eben nur eine Theorie. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das ist zwar nicht die Golden Gate Bridge, sondern eine deutlich kleinere Brücke, dennoch haben wir hier eine ganz erkleckliche Zahl von Leuten, die sich diesen Ort für ihren Abschied von der Welt aussuchen. Einige davon haben wir springen sehen. Keiner von ihnen ist sofort untergegangen. Wenn ein Boot in der Nähe ist, dann ist immer noch Zeit, den armen Teufel aus dem Wasser zu ziehen, und manchmal lebt er dann noch, meistens nicht. Die Brücke ist zu hoch.«

»Ich dachte, auf der Verrazzano-Narrows Bridge sind keine Fußgänger zugelassen«, sagte Phil.

»Nein. Radfahrer auch nicht. Das hilft allerdings nicht gegen potenzielle Suizidanten.«

»Da gibt es doch sicher eine gute Chance, dass irgendjemand sie aufhält, wenn sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf die Brücke hinaufwollen.«

Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Wer sollte sie aufhalten? An der Auffahrt auf die Brücke sitzt niemand. Die Kennzeichen aller Fahrzeuge, die die Brücke passieren, werden automatisch registriert. Der Brückenzoll wird dann per Post eingefordert. Das ist sowieso nicht der normale Weg der Suizidanten, dass sie zu Fuß auf die Brücke gehen. Wenn sie wirklich springen wollen, kommen sie mit dem Auto. Natürlich dürfen sie auf der Brücke nicht anhalten, es gibt nur niemand, der sie daran hindern könnte. Sie halten also an, steigen aus, gehen an das Geländer und springen. Ganz einfach.«

»Wie viele Menschen springen denn im Jahr von dieser Brücke?«, fragte ich.

»Das wissen wir nicht. Es gibt irgendjemand, der darüber eine Statistik führt, die Daten werden nur nicht veröffentlicht. Es soll ja schließlich keine Reklame für diese Form des Suizids gemacht werden.«

»Und die Größenordnung?«

Baker überlegte. »In den letzten zwei Jahren hatten wir vierzehn Suizidversuche von dieser Brücke. Sieben davon sind geglückt, sieben sind gescheitert. Nicht etwa, weil wir die Springer lebend mit dem Polizeiboot herausgefischt hätten, sondern weil diejenigen zu lange gezögert haben. Und dann sind Psychologen gekommen und haben sie überzeugt, dass es doch besser sein könnte, noch ein kleines bisschen weiterzuleben.«

»Alles Männer?«, fragte Phil.

Der Polizist schüttelte den Kopf. »Männer und Frauen. Wie die genaue Verteilung ist, weiß ich nicht.

»Es gibt keine direkte Nachrichtensperre, oder?«

»Nein. Die Presse berichtet schon darüber. Da die Polizei keine Details bekannt gibt, keine Namen, keine Berufe, gar nichts, sind derartige Nachrichten nur wenige Zeilen wert. Ein fünfundvierzigjähriger Mann aus New Jersey, hieß es beim letzten Mal. Damit können die Reporter nicht viel anfangen. Aber wenn in der Öffentlichkeit bekannt würde, dass jetzt demnächst der Hundertste oder gar der Tausendste von der Brücke springt, gäbe es genügend Menschen, die genau dieses Jubiläum für sich beanspruchen wollen.«

»Wie dumm«, murmelte ich.

Der Cop sah mich traurig an. »Es ist immer dumm, so etwas zu tun. Einer derjenigen, die von der Golden Gate Bridge gesprungen sind und der gerettet worden ist, hat später gesagt: ›Unmittelbar nach meinem Absprung war mir plötzlich klar, dass alle Probleme, die ich im Leben hatte, behoben werden konnten – außer dem einen, dass ich gerade gesprungen war.‹«

»Gibt es keine konstruktiven Schutzmaßnahmen wie bei der Golden Gate Bridge?«, fragte ich.

»Nein. Bisher nicht. Seit vielen Jahren wird von der Öffentlichkeit verlangt, irgendetwas einzubauen. Und entsprechende Schutzmaßnahmen sind tatsächlich in Planung. Aber was auch immer sie einbauen, es wird niemals in der Lage sein, einen wirklich entschlossenen Suizidanten vom Sprung abzuhalten. Ein typisches Beispiel ist die Frau, die vor ein paar Wochen von der Bayonne Bridge gesprungen ist. Die Brücke ist genauso hoch wie die Verrazzano-Narrows Bridge. Das muss sein, damit die großen Containerschiffe Port Newark anlaufen können. Und die Brücke hat einen Fußweg. Da gibt es einen gut mannshohen Sicherheitszaun. Da ist sie drüber geklettert, die Frau, und dann ist sie gesprungen.«

»Lassen Sie uns zu diesem konkreten Fall zurückkommen«, bat ich. »Sie sagen, die meisten Menschen, die von der Brücke springen wollen, kommen mit dem eigenen Auto. Ist denn ein herrenloser Wagen auf der Brücke gefunden worden?«

»Nein.«

»Dann ist dieser spezielle Springer also tatsächlich zu Fuß auf die Brücke gegangen?«

»Das wissen wir nicht, Agent Cotton. Es gibt keine Videoüberwachung. Zumindest keine vollständige Überwachung der ganzen Brücke, und die Daten werden nicht aufgezeichnet. Die Bilder dienen nur zur Verkehrsregulierung, damit man sofort reagieren kann, wenn es einen Stau gibt.«

»Das heißt, im Augenblick weiß niemand, ob es sich in diesem Fall um Suizid oder um Mord gehandelt hat?«

»Nein, das weiß noch niemand. Ungewöhnlich ist, dass der Mann auf der falschen Seite gesprungen ist.«

»Auf der falschen Seite?«, echote ich.

»Ja. Fast alle, die von der Brücke springen, wählen dafür die Außenseite, also die Seite, die zum Meer hin gerichtet ist. Unser Mann ist dagegen auf der Innenseite gesprungen.«

Hatte das irgendeine Bedeutung?

»Und dann gibt es noch eine andere Merkwürdigkeit«, ergänzte Baker. »Der Kerl ist ungeheuer schnell im Wasser versunken. Das ist kein Beweis für irgendetwas. Unsere Taucher sind unten. Sie werden den Mann bergen, hinterher wissen wir hoffentlich mehr.«

Die Bergung der Leiche verzögerte sich um ein paar Stunden, da die Taucher des NYPD aus Sicherheitsgründen nicht bei auflaufendem Wasser arbeiten durften. Die Flutströmung betrug bei der Brücke ungefähr einen Yard pro Sekunde. So wurde es später Nachmittag, bis die Leiche geborgen war.

Die Todesursache war Ertrinken. Eigentlich wäre damit alles klar gewesen und die ganze Angelegenheit mit Sicherheit kein Fall fürs FBI, aber es gab ein paar Besonderheiten, die uns der Gerichtsmediziner im OCME in Brooklyn erläuterte.

»Das erste Rätsel ist gelöst«, sagte er. »Der Mann ist so schnell untergegangen, weil er sich Betonsteine um den Leib gebunden hat.«

Es waren zwei große Rasengittersteine, die mit Spanngurten festgezurrt gewesen waren.

»Sie nehmen also an, dass sich der Mann die Steine selbst um den Leib gebunden hat?« fragte ich. »Wie kommen Sie darauf?«

»Es ist noch immer die wahrscheinlichste Lösung.«

»An einen Mafiamord glauben Sie nicht?«

»Das lässt sich nicht ausschließen.«

»Würde sich jemand, der sich selbst töten will, tatsächlich solche Betonsteine um den Leib binden?«, fragte Phil.

Der Mediziner zuckte mit den Schultern. »Die Menschen sind alle verschieden. Und wenn es darum geht, aus eigenem Antrieb aus dem Leben zu scheiden, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten. Normalerweise sollte man annehmen, dass es ausreicht, wenn man von dieser Brücke springt. Manche Leute gehen auf Nummer sicher. Einen haben wir mal gehabt, der hat sich an die Kante gestellt, mit dem Rücken zum Wasser, und sich dann eine Kugel in den Kopf gejagt. Er war tot, bevor er unten aufgeprallt ist.«

»Das hat unser Mann heute jedenfalls nicht gemacht.«

»Nein, Agent Decker. Es gibt keine Spuren irgendwelcher äußeren Gewalteinwirkung. Der Mann hat ziemlich viel Alkohol getrunken, bevor er gesprungen ist, aber das ist keine Seltenheit bei jemand, der sich selbst töten will.«

»Haben wir irgendwelche Hinweise darauf, um wen es sich handelt?«, fragte ich.

»Ja, das haben wir. Der Mann hatte seinen Führerschein bei sich.«

Es war einer der fälschungssicheren Führerscheine, die der Staat New York vor einigen Jahren eingeführt hatte. Ein Blick auf das Foto bewies, dass das Dokument tatsächlich dem Toten aus der Bay gehörte. Der Mann hieß Alex Bray, er war vierunddreißig Jahre alt und wohnte in Flushing, 160th Street.

»In Flushing?« Phil zog die Brauen hoch.

Flushing war ein Stadtteil mit teuren Einzelhäusern in unmittelbarer Nähe der Innenstadt. Die meisten Kunden, mit denen wir es zu tun hatten, wohnten in wesentlich bescheideneren Verhältnissen.

»Ist der Führerschein echt?«, fragte mein Partner.

Die Frage war berechtigt. Immerhin konnte man gut gefälschte Führerscheine und sogar Pässe völlig legal im Internet bestellen. Diese Dokumente waren praktisch wertlos, da bei jeder Polizeikontrolle nachgeprüft wurde, ob der Inhalt mit den gespeicherten Daten übereinstimmte. Dieser Führerschein war inzwischen überprüft worden. Er war echt.

Das zweigeschossige Haus in der 160th Street machte einen noblen Eindruck. Der Garten war gepflegt, der Rasen frisch gemäht. Wir läuteten an der Haustür. Niemand meldete sich. Wir läuteten noch einmal. Die meisten Häuser in dieser Straße stammten noch aus einer Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, als es nicht selbstverständlich war, dass jeder ein Auto besaß. Garagen waren selten. Jetzt, am späten Sonntagnachmittag, parkten die meisten Wagen entweder auf der Straße oder auf den Auffahrten vor den Häusern. Dieses Haus hatte eine Garage.

Eine Nachbarin sprach uns an. »Wollen sie zu den Brays?«

»Ja. Aber es sieht so aus, als wäre dort niemand zu Hause«, antwortete ich und stellte uns vor.

»Das wundert mich nicht. An einem Wochenende wie diesem fährt doch jeder, der es sich leisten kann, aus der Stadt raus. Ans Meer oder in die Berge.«

»Am Wochenende?«, fragte Phil. »Heute ist Montag.«

»Ja sicher. Nur wenn man mit seiner Familie einen größeren Ausflug unternehmen will, bietet es sich an, einen oder zwei Tage extra freizunehmen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Alex Bray ist nicht in die Berge gefahren. Mister Bray ist tot.«

»Tot? Mein Gott! Ein Unfall?«

»Wir wissen nicht genau, was passiert ist«, sagte ich. »Fest steht jedenfalls, dass Alex Bray heute früh von der Verrazzano-Narrows Bridge in die Bay gestürzt ist.«

Die Frau starrte mich an. »Von der Brücke gestürzt? Entschuldigen Sie, aber das klingt vollkommen irrsinnig. Ich kenne die Brays sehr gut. Und Alex Bray ist ein selbstbewusster, lebenslustiger junger Mann. Ganz und gar nicht der Typ, der sich von irgendeiner Brücke stürzen würde. Niemand, der irgendeinen Grund hätte sich umzubringen. Denn das ist es doch, worauf Sie hinauswollen, oder? Er ist kein Selbstmörder, ganz sicher nicht.«

»Wir wissen nicht, ob er sich selbst getötet hat«, sagte ich. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen. Wir haben einen Toten und müssen herausfinden, wie der Mann ums Leben gekommen ist. Im Augenblick ist noch viel wichtiger, dass wir seine Familie informieren. Wissen Sie, wie wir mit seinen Angehörigen in Kontakt treten können?«

»Seine Angehörigen – da ist zunächst einmal seine Frau. Und die gemeinsame Tochter. Seine Frau heißt Bernardine. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt. Nein, warten Sie, sie hatte ja letzte Woche Geburtstag. Also neunundzwanzig. Und dann ist da noch die Tochter Lynda. Acht Jahre. Ein ganz süßes Mädchen. Wir haben diese Schaukel in unserem Garten. Aus der Zeit, als unser Thomas noch klein war, der ist inzwischen ja längst ausgezogen. Und Lynda ist ganz schüchtern bei uns angekommen und hat gefragt, ob sie vielleicht bei uns schaukeln darf. Natürlich darf sie bei uns schaukeln.«

»Und Sie glauben, dass Mutter und Tochter vielleicht übers Wochenende einen Ausflug unternommen haben?«

»Das weiß ich nicht, Agent Cotton. Normalerweise ist es so, dass sie alle zusammen irgendwohin fahren. Einmal waren sie an den Niagarafällen. Die kleine Lynda hat ganz begeistert davon erzählt.«

»Wissen Sie, wo Alex Bray gearbeitet hat?«, fragte Phil.

»Bei einem Pizzaservice«, erwiderte die Frau. »New York Pizzas, so heißt die Firma.«

»Ist das nicht etwas ungewöhnlich?«, wollte Phil wissen.

Die Frau hob die Schultern. »Ungewöhnlich? Wieso? Weil er in diesem teuren Haus wohnt und solch eine primitive Arbeit hat? Das ist nur vorübergehend. Er kommt aus Detroit, und bei der schwierigen Lage der Autoindustrie, da hat er nicht erst abgewartet, bis sie ihm gekündigt haben, sondern da hat er selbst gekündigt und ist nach New York gezogen, um sich eine neue, bessere Arbeit zu suchen. Das ist inzwischen schon ein paar Jahre her.«

»Und seine Frau?«

»Bernadine? Die arbeitet in der Bibliothek. Ich glaube, sie hat Literaturwissenschaft studiert oder Anglistik oder irgend so etwas, an der University of Michigan in Ann Arbor. Sie hat hier sofort eine neue Stelle gefunden. ›Ich bin nicht anspruchsvoll‹, hat sie gesagt. ›Ich kann überall arbeiten.‹ Sie ist eine ganz bescheidene Frau.«

Ich überlegte. Der Pizzabäcker und die Bibliothekarin – irgendwie passte das nicht richtig zusammen. »Wissen Sie, ob Alex Bray auch studiert hat?«

»Nein, das weiß ich nicht. Möglich wäre es. Er ist ja ein sehr, sehr intelligenter Mann. Er war ein sehr intelligenter Mann. Mein Gott, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er jetzt auf einmal tot ist.«

»Haben Sie eine Telefonnummer von den Brays?«

»Ja. Das heißt, normalerweise telefonieren wir nicht miteinander, sondern wenn wir irgendetwas wollen, gehen wir rüber und klingeln an der Haustür. Bernadine hat gesagt, es ist besser, wenn man auch die Handynummern austauscht. Es kann immer sein, dass es irgendetwas gibt, weswegen man sofort in Verbindung treten muss, und dann braucht man die Nummer. Ich habe sie im Kalender notiert. Warten Sie, ich sehe mal nach.«

Sie gab uns die Telefonnummern. Sie wusste nicht, welche die Nummer von Alex Bray und welche von seiner Frau war. Ich wählte beide, laut Bandansage waren beide Anschlüsse zurzeit nicht erreichbar. Das gefiel mir nicht. Ich fragte die Nachbarin, zu welcher Schule Lynda gehe. Sie nannte mir die Public School 32, State Street.

»Die Giraffenschule«, sagte sie.

Das half uns im Augenblick nicht weiter, es war ja später Nachmittag, und in der Schule war niemand.

»Kennen Sie irgendwelche Verwandten der Brays?«, erkundigte ich mich.

Die Nachbarin schüttelte bedauernd den Kopf.

»Ist das nicht ungewöhnlich?«, fragte Phil.