Jerry Cotton 3367 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3367 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der grausame Mord an einem New Yorker Klubbesitzer versetzte das FBI in höchste Alarmbereitschaft. Drohten im Big Apple neue Verteilungskämpfe im organisierten Verbrechen? Kaum waren Phil und ich an einem verdächtigen Konkurrenten des toten Inhabers dran, zeigte sich, dass der Fall ungeahnte Kreise zog. Denn wir hatten es mit einem erschütternden Familiendrama zu tun, das eine Spur der Gewalt auslöste ...


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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der schwere Weg der Rache

Vorschau

Impressum

Der schwere Weg der Rache

Kenny Williams lenkte seinen knatternden Motorroller in die verlassene Straße von Long Island City. Im Schein einer Straßenlaterne erkannte er die Beschilderung. Crane Street. Das war der Straßenname, den er aufgeschrieben hatte. Ein Stück weiter begann auch schon der Schrottplatz, hinter dem sich sein Ziel befand.

Kenny stellte den Roller in einer dunklen Ecke ab und schloss den Helm fest. Dann huschte er den Zaun entlang und fand eine Einfahrt. Jenseits der matten Schrottberge lag ein flaches Gebäude. Plötzlich gab es ein knirschendes Geräusch. Bevor Kenny reagieren konnte, spürte er eine Pistole im Rücken.

Kenny Williams schoss der Schreck durch die Glieder. Als Afroamerikaner hatte er es schon oft erlebt, von der Polizei an eine Wand gestellt und durchsucht zu werden. Doch der Mann, der hinter ihm stand, war kein Polizist.

»Wen haben wir denn da?«, sagte eine Stimme hinter Kenny. Gleichzeitig bohrte sich der harte Lauf noch fester gegen die Rückenwirbel. »Deine Hautfarbe wäre ja die perfekte Tarnung, deine Schrottmühle, mit der du hergekommen bist, hat dich allerdings schon verraten, als du noch Meilen entfernt warst. Was willst du hier, Kleiner?«

Kenny war klar, dass es nicht leicht werden würde, und das hier war erst der Anfang. Alles in ihm drängte danach sich umzudrehen, zu seinem Roller zu rennen und nach Hause nach Queens zu fahren. Nur dann wäre alles verloren. Er dachte an seine Eltern und an seine kleine Schwester, die jetzt zusammen den Abend verbrachten. Wie immer in stiller, nicht ausgesprochener, aber umso schmerzhafter Verzweiflung. Weil sie nicht wussten, wie sie die monatlichen Kosten bezahlen sollten.

»Bist du Marc Shapiro?«, fragte Kenny und versuchte zu verhindern, dass die Angst seine Stimme zittern ließ.

»Wer hat dich geschickt?«, kam es von hinten.

»Es war Red. Ich soll sagen, dass er mich geschickt hat.«

Der Druck des Pistolenlaufs wurde schwächer, doch die Waffe blieb, wo sie war.

»Warum sagst du das nicht gleich, Kleiner? Wie heißt du?«

Er nannte seinen Namen.

»Ihr Schwarzen heißt alle Williams, was? Ihr scheint eine einzige große Familie zu sein.«

Kenny hatte durchaus mitbekommen, dass das schon die zweite rassistische Bemerkung war, die Shapiro von sich gab. So etwas war er gewohnt. In der Schule hätte er sich dagegen gewehrt, hier war nicht der richtige Ort dafür.

»Okay, Kleiner. Red wird dich gecheckt haben. Ich kann mir vorstellen, was du willst. Geh den Weg weiter. Ich folge dir.«

Es gefiel Kenny nicht, dass er seinen Gesprächspartner bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. War das überhaupt Shapiro?

»Keine Angst«, sagte der Mann hinter ihm. »Das sind reine Vorsichtsmaßnahmen. Wir gehen jetzt rüber in meine Wohnung, und dann sagst du mir, was du auf dem Herzen hast. Ich bin mir sicher, dass wir dein Problem lösen können. Shapiro weiß immer eine Lösung. Egal für welches Problem.«

Kenny tat, was von ihm verlangt wurde. Langsam lief er den Weg weiter, der am Zaun entlangführte. Das flache Gebäude, das Kenny gesehen hatte, wurde immer deutlicher. Es sah aus wie eine lange Garage oder eine Baracke. In einem der quadratischen Fenster brannte funzeliges Licht.

Sie gelangten an eine Metalltür.

»Mach auf, und geh rein«, sagte der Mann hinter ihm.

Kenny folgte auch dieser Anweisung.

Direkt hinter dem Eingang lag ein länglicher Raum mit Schlafsofa, einer Musikanlage und einem niedrigen Tisch, auf dem ein überquellender Aschenbecher stand. Das funzelige Licht kam von einem schiefen Deckenfluter, der in der Ecke neben einem Fernseher stand. Außerdem gab es einen aufgeklappten Laptop, halb volle und leere Getränkeflaschen und Verpackungen von Fertiggerichten. Auf der Stirnseite gegenüber dem Sofa erkannte Kenny ein schmutziges Waschbecken. Über der ganzen Szenerie lag der Geruch von vielen gerauchten Joints. Er hing in dem fleckigen Bettzeug, das sich auf der einen Seite des Sofas drängte, und sicher auch in dem dunklen Teppich, mit dem der Boden ausgelegt war.

»Ich bin leider nicht zum Aufräumen gekommen«, sagte der Mann. »Setz dich.«

Kenny ließ sich auf der freien Seite des Sofas nieder. Shapiro entpuppte sich als rothaariger Mittzwanziger mit Piercings in den Lippen und grünlichen Tattoos auf den nackten Armen. Er trug eine fleckige Jeans und eine gesteppte Weste. Noch immer hielt er die Pistole in der Hand. Er machte keine Anstalten sich hinzusetzen, sodass Kenny zu ihm aufschauen musste.

»Du brauchst also Geld. Oder ist es was anderes?« Shapiro fixierte Kenny mit stechend grünen Augen.

Kenny nickte nur.

Shapiro wartete eine Weile, dann wurde er locker, griff in die Weste und holte eine fertig gedrehte Zigarette heraus. Er steckte die Pistole in ein Holster, das er am Gürtel trug und hatte plötzlich ein Feuerzeug in der Hand. Kenny sah zu, wie er ein paar Züge nahm.

»Woher weißt du, dass ich welches habe?«, fragte er und stieß Rauch aus. Es war offenbar kein reines Gras, das er rauchte. Doch er musste dem Tabak etwas beigemischt haben.

»Ich dachte, du hast Jobs.« Kenny ekelte der Geruch, aber er riss sich zusammen.

Shapiro fixierte ihn noch eine Weile. Dann griff er hinter sich und holte die Pistole heraus. Er stellte irgendetwas daran ein. Kenny fragte sich, was das sollte. Im nächsten Moment sah Shapiro ihn an.

»Hepp«, rief er und warf die Pistole Richtung Sofa. Kenny streckte unwillkürlich die Hände aus. Fast wäre ihm die Waffe hinuntergerutscht, es gelang ihm jedoch, sie zu fangen. Sie fühlte sich schwer und mächtig an.

»Reaktionsvermögen hast du«, stellte Shapiro fest. »Kannst du mit so einem Ding umgehen?«

Kenny hatte mit seinen siebzehn Jahren zweimal kurz eine Pistole in der Hand gehabt. Es war kein gutes Gefühl gewesen. »Soll ich jemanden erschießen?«

»Bleib cool.« Shapiro tat einen Schritt nach vorne und nahm die Waffe wieder an sich. »Darum geht's nicht. Es reicht, wenn du jemandem Angst einjagst.«

Kenny wäre am liebsten hinausgerannt. Doch was hatte er erwartet? Dass Shapiro ihm einen Job als Kellner oder Zeitungsausträger anbot? Es war klar, dass es auf etwas anderes hinauslief. Dafür würde er seinen Eltern so viel Geld geben können, dass sie ihr Haus behalten konnten. Mindestens.

»Du muss mit so einem Ding umgehen können. Wenigstens ansatzweise«, sagte Shapiro. »Wir probieren das aus. Wenn du dich nicht allzu dämlich anstellst, habe ich einen Job für dich.«

Endlich fiel ein Stück der Beklemmung von Kenny ab. Er war einen Schritt weiter. Er würde seiner Familie helfen können.

Shapiro schraubte etwas auf den Lauf. Kenny wusste es nicht genau, aber er glaubte, dass es sich um einen Schalldämpfer handelte.

»Drüben können wir ein paar Übungen machen«, sagte Shapiro. »Komm mit.«

Kenny stand auf, und so verließen sie das kleine Gebäude. Er fühlte sich ganz leicht.

Es war spät, aber an Feierabend war nicht zu denken.

Ich lenkte den Jaguar durch das nächtliche Manhattan. Phil saß auf dem Beifahrersitz. Die Warnlichter waren eingeschaltet. Auf die Sirene hatte ich wegen der schlafenden Mitbürger verzichtet.

Unser Ziel war ein Hinterhof an der Amsterdam Avenue, wo heute Nachmittag eine männliche Leiche gefunden worden war. Sie hatte in einem Müllcontainer gesteckt. Die ersten forensischen Untersuchungen der Crime Scene Unit zeigten, dass der Mann bereits seit zwei Tagen tot war. Die Todesursache war ein Schuss in den Kopf.

Die Fotos der Leiche hatten unseren Computerexperten Dr. Ben Bruckner dazu gebracht weiterzuermitteln. Er checkte routinemäßig alle Fälle des Police Department, um eventuelle Verbindungen zum organisierten Verbrechen zu finden.

Und bei dem Toten von der Amsterdam Avenue war er fündig geworden. Der Mann hatte keine Papiere bei sich. Doch er ähnelte verdächtig einem gewissen Ted Razor. Er war ein New Yorker Klubbesitzer, dessen Etablissements wir ständig im Auge hatten. Denn dort wurde nicht nur getrunken, geflirtet oder getanzt. Immer wieder deckten die Ermittler Fälle von illegaler Prostitution, Drogenhandel und anderen unschönen Dingen auf, hinter denen ganze Banden standen, die ihr schlimmes Treiben perfekt organisierten. Wenn so etwas herauskam, landete der jeweilige Fall sofort auf unserem Schreibtisch.

Der Tote lag noch in dem Container, als wir den Hof betraten. Es war alles abgesperrt, der zuständige Detective Lieutenant, der mit ein paar Kollegen die Stellung hielt, ließ uns durch.

»Eigentlich bin ich ganz froh, dass der Mist hier nun an euren Schuhen klebt«, sagte er. »Manchmal hat man das Gefühl, wir versinken in dem Sumpf, statt ihn auszutrocknen.«

»Wir übernehmen das gerne«, sagte Phil sarkastisch. »Wir sind ja entsprechend ausgebildet.«

Ein Blick in den Container zeigte uns, dass der Tote Ted Razor war. Wir hatten genug Fotos von ihm gesehen.

»Seid ihr auch darin ausgebildet, mit den New Yorker Banden Krieg zu führen?«, fragte der Detective Lieutenant. »Wenn ich das hier richtig sehe, läuft das nämlich auf so was hinaus. Eigentlich dachten wir ja, die Verteilungskämpfe in New York wären einigermaßen abgeschlossen.«

Mir ging seine negative Haltung auf die Nerven. Wenn man so eingestellt war, konnte man sich gleich frühpensionieren lassen. Oder sich einen anderen Job suchen.

Ich ging ein Stück zur Seite und rief Ben an. Ich informierte ihn, dass es sich bei dem Toten um Tote Razor handelte.

»Ich habe schon alles für diesen Fall vorbereitet, der ja zu mehr als neunundneunzig Prozent vorhersehbar war, Jerry«, sagte er. »Eigentlich ist euer Besuch dort in dem Hinterhof unnötig. Wenn man in Betracht zieht, welche Genauigkeit die Auswertung der Fotos hatte, und wenn man bedenkt, dass das Crime Lab noch eine Genanalyse ...«

»Ich schaue mir die Sachen gerne genauer an«, unterbrach ich ihn. »Was hast du für uns?«

»Wenn es keine weiteren Spuren am Fundort der Leiche gibt, habe ich eine Kontaktperson«, sagte er. »Ted Razors Freundin. Sie heißt Lora Bishop. Sie wohnt in einem Apartment am nördlichen Broadway.«

Ich ließ mir die genaue Anschrift geben und informierte Phil. Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach halb zwölf.

»Wenn sie schon schläft, gibt's für diese Lora ein böses Erwachen«, sagte er. »Aber wir können nicht bis morgen warten, Jerry.«

So fuhren wir den Broadway hinauf bis weit in den Norden, wo die berühmte Straße, die in Central Manhattan immer im Zusammenhang mit berühmten Theatern genannt wurde, kaum noch Glamour besaß. Trotzdem waren die Apartments teuer genug.

Lora Bishop hatte noch nicht geschlafen. Sie empfing uns in dunkelblauer Hose und Pullover an der Tür. Der dunkle Ton bot einen großen Kontrast zu ihrem langen goldblonden Haar. Wir wiesen uns aus. In der Wohnung hinter ihr lief der Fernseher. Nachdem sie uns hereingebeten hatte, schaltete sie ihn aus und drehte sich zu uns um.

»Wenn das FBI um diese Zeit kommt, haben Sie Ted gefunden, stimmt's? Ist er tot?«

Wir bestätigten ihr die Nachricht so schonend wie möglich.

»Eigentlich habe ich es mir schon gedacht«, sagte sie. »Ich glaube, er hat so was befürchtet. Ted hat immer mal davon gesprochen, dass es einen neuen Verteilungskampf in der Szene gibt. Klubs als Schauplätze für illegale Nebengeschäfte. Sie wissen schon. Ted wollte damit nichts zu tun haben.«

»Es könnte also ein Konkurrent dahinterstecken«, stellte Phil fest. »Hätten Sie da einen Namen für uns?«

Sie nahm ein Glas, das auf dem Tisch vor dem Fernseher stand und trank einen Schluck. Nach meiner Einschätzung enthielt es Rotwein.

Sie schüttelte den Kopf. »Er hat nie viel über Geschäfte gesprochen. Wir sahen uns auch gar nicht so oft. Ich habe mich nur gewundert, warum ich ihn seit vorgestern nicht mehr auf dem Handy erreichen konnte. Wirklich ungewöhnlich war das auch nicht. Er ist gelegentlich spontan verreist. Geschäftlich. Er suchte immer nach Ideen für die Klubausstattung und so was.«

Wir stellten noch ein paar Routinefragen, die uns nicht weiterbrachten. Dann verließen wir die Wohnung.

»Sie scheint nicht besonders traurig zu sein«, meinte Phil, als wir im Aufzug standen. »Ob sie uns etwas verschweigt?«

Kaum waren wir unten ausgestiegen, klingelte mein Handy. Es war Ben.

»Ich habe Razors Telefonkontakte analysiert«, sagte er.

»Wann hat er zuletzt mit seiner Freundin telefoniert?«, wollte ich wissen.

»Das ist ein paar Tage her. Sie hat versucht, ihn anzurufen, als er bereits tot war. Ich habe aber was anderes. Ein häufiger Telefonpartner war ein Anwalt namens Michael Bannister. Es sieht danach aus, dass es da um etwas Geschäftliches ging. Nach Razors Tod gab es von Bannister keinen Anruf mehr.«

»Vielleicht weil er wusste, dass Razor tot ist«, schloss ich messerscharf.

»Dann hätte es euch dieser Bannister sehr leicht gemacht«, gab Ben zurück.

»Ein Grund mehr, jetzt immer noch keinen Feierabend zu machen.«

Ben gab mir Bannisters Nummer. Er war trotz der späten Stunde in seiner Kanzlei zu erreichen. Er schien erstaunt darüber zu sein, dass ihn das FBI anrief.

»Wir müssten sehr dringend mit Ihnen sprechen«, sagte ich. »So schnell wie möglich.«

Er zögerte. Als ich ihm noch einmal klarmachte, wie wichtig die Sache war, willigte er ein und gab uns die Adresse seines Büros.

Kenny fuhr auf seinem Roller durch das nächtliche Brooklyn. Sein Ziel war Jamaica, der Ortsteil von Queens, wo er mit seiner Familie lebte.

Während der Fahrtwind an seiner Jacke zerrte, ratterten die Bilder von den Ereignissen der letzten halben Stunde durch seinen Kopf.

Shapiro hatte Kenny die Waffe erklärt. Dann forderte er ihn auf, damit auf ein Holzbrett zu schießen, das unter der Beleuchtung auf dem Schottplatz an einer Mauer lehnte. Es war ein seltsames Gefühl zu spüren, wie in seiner Hand die Pistole losging. Diese plötzliche, überraschend wuchtige Explosion. Der Rückstoß. Und die Erkenntnis, wie leicht das im Grunde alles war. Kenny schoss dreimal. Zweimal traf er. Er wollte Shapiro die Pistole zurückgeben, aber der winkte nur ab. Kenny würde sie noch in dieser Nacht brauchen, hatte er gesagt. Und ihn aufgefordert, sie gleich mitzunehmen. Jetzt hing sie schwer in seiner Jackentasche.

Als er an dem kleinen Haus in South Jamaica eintraf, war alles dunkel.

Kenny stellte den Roller in die Einfahrt neben den kleinen Nissan Van, holte den Schlüssel heraus und schlich ins Haus. Aus dem Schlafzimmer seiner Eltern drang kein Geräusch. Auch Linda schien zu schlafen.

Er hatte gerade sein Zimmer betreten und Licht gemacht, da schrak er zusammen. Sein Vater saß auf dem Bett. Kenny hatte das Gefühl, von heißem Wasser übergossen zu werden. Zum Glück steckte die Pistole noch in der Jackentasche.

»Wo kommst du jetzt so spät noch her?« Die Stimme war nicht streng, eher traurig. Enttäuscht.

Kenny war klar, dass er sich auf keine Diskussionen einlassen durfte.

»Es tut mir leid. Ich war bei Freunden, und dann habe ich die Zeit vergessen.« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Auf dem Rückweg hatte der Motor von der Vespa immer wieder Aussetzer.«

Sein Vater nickte und stand auf. Seltsamerweise kam er gar nicht darauf, dass Kenny ja ein Handy hatte, mit dem er hätte Bescheid sagen können. Er schien in Gedanken zu sein.

»Wir können morgen nachschauen, was mit dem Roller ist, Junge. Wenn ich meine Termine erledigt habe und du aus der Schule zurück bist.«

Kenny wusste, was das für Termine waren. Sein Vater suchte Arbeit. Das ging schon seit Monaten so, aber er hatte keinen Erfolg.

»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte er, als hätte er Kennys Gedanken gelesen. »Und auf keinen Fall dürfen wir deine Ausbildung aufs Spiel setzen. Wir werden da schon durchkommen. Ich habe Mister Callahan um weiteren Aufschub gebeten, und er hat ihn uns gewährt.«

Callahan war der Vermieter. Und wenn er Aufschub gewährte, klang das zwar gut. Eigentlich hieß es, dass ihre Schulden nur weiterwuchsen.

»Also gute Nacht.« Sein Vater machte sich auf den Weg zur Tür. Es fiel ihm nicht leicht, denn seit einem Unfall vor zwei Jahren hatte er ein steifes Bein. Es war einer der Gründe, warum er keinen Job fand. »Schlaf jetzt.«

Kenny sah erleichtert zu, wie er den Raum verließ.

Doch Kenny durfte nicht schlafen. Er hätte es gar nicht gekonnt. Er hing seine Jacke an einen Haken an der Tür. Die schwere Pistole ließ er darin. Er legte sich angezogen aufs Bett und sah auf die Uhr. Gegen halb drei musste er noch mal los. Dann würde er Shapiro treffen. Sie würden durchziehen, was er mit ihm geplant hatte. Und dann würde Kenny seinem Vater morgen, wenn sie völlig unnütz an dem Roller herumbastelten, eine großartige Überraschung bieten. Er würde das Geld für die Mietrückstände verdient haben. Und vielleicht sogar noch etwas mehr ... Er stellte sich die Szene wieder und wieder vor.

Ein Geräusch ließ ihn hochfahren. Er hatte das Gefühl, kurz eingeschlafen zu sein. Ein Blick zur Uhr sagte ihm, dass nur knapp zehn Minuten vergangen waren.

Das Geräusch wiederholte sich. Es kam vom Hinterhof, wo Kennys Vater in einem Gartenhäuschen eine kleine Werkstatt hatte.

Kenny erhob sich und blickte aus dem Fenster. In der Werkstatt brannte Licht. Wollte sich sein Vater etwa jetzt schon mit der alten Vespa befassen? Kämpfte er an Schlaflosigkeit?

Kenny konnte seinen Vater hinter dem kleinen Fenster sehen. Und jetzt beobachtete er, wie sich der alte Herr bückte und etwas vom Boden aufzuheben schien. Das musste ihm wegen seines steifen Beins schwerfallen. Dann hatte er einen kleinen Karton in der Hand. Er betrachtete etwas, das sich darin befand. Es war so klein, dass Kenny es nicht erkennen konnte. Schließlich legte sein Vater den Karton wieder zurück auf den Boden.

Kenny ging vom Fenster weg, legte sich wieder hin und sah auf die Uhr. Jetzt waren zwanzig Minuten vorbei.

Bannister war ein großer, schlanker Mann mit Vollglatze. Seine Brille hatte kleine runde Gläser, durch die er uns aufmerksam ansah.

»Was kann ich denn für Sie tun, Gentlemen?«, fragte er, nachdem er uns in seine Kanzlei geführt hatte. Es war eine recht noble Büroetage in der First Avenue.