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Nachts wurde vor einem drittklassigen Hotel in Harlem ein afrikanischer Junge erschossen. Die Schusswunden in Bauch- und Brustbereich bildeten ein kreisförmiges Muster, offensichtlich die Visitenkarte des Mörders. Fieberhaft ermittelten Phil und ich gegen einen afroamerikanischen Menschenhändlerring, der sowohl in New York als auch in Harrisburg aktiv war. Zur selben Zeit meldete sich ein alter Bekannter zurück. Bill Saccomo war vor Jahren FBI Agent gewesen. Inzwischen verdiente er sein Geld als Privatdetektiv und hatte eine Menge Ärger am Hals. Er hatte sich nämlich mit einem der Menschenhändler angelegt und bangte nun um sein Leben. Wir standen ihm bei und riskierten dabei Kopf und Kragen!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Der tiefe Fall des Agent Bill Saccomo
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Impressum
Der tiefe Fall des Agent Bill Saccomo
»Wirst du mich jetzt erschießen?«, fragte der Junge.
Das Fauchen des Schneesturms riss die Worte von seinen Lippen. Sie standen unter dem zerbeulten Vordach eines heruntergekommenen Hotels, in dem der Junge vorübergehend Unterschlupf gefunden hatte.
Das gelbliche Licht der Straßenlaterne ließ sein Gesicht hohl und unwirklich erscheinen. Für seine zwölf Jahre sah er eindeutig zu abgeklärt aus, als könnte ihn nichts mehr erschrecken.
Der Mann im schwarzen Kleppermantel, der mit einer stählernen Brünner-Pistole auf die Brust des Jungen zielte, stellte eine Gegenfrage: »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
Der Junge zuckte müde mit den Schultern.
»Also, bringen wir es hinter uns«, sagte der Mann mehr zu sich selbst.
Dann jagte er in schneller Folge sechs Projektile aus dem Lauf der schallgedämpften Waffe.
Phil und ich verspürten an diesem Montagmorgen wenig Lust, uns mit Bill Saccomo zu unterhalten. Wir hatten ihn über Jahre nicht mehr gesehen und wussten nicht so recht, was wir mit ihm anfangen sollten. Außerdem war der gute Bill immer schon ein anstrengender Kerl gewesen, der ein belangloses Gespräch unnötig in die Länge zu ziehen verstand. Doch Bill hatte sich nun einmal Zutritt zu unserem Office verschafft und saß jetzt bei uns mit der Miene eines vorsorglich gekränkten Menschen, der sich nicht so leicht würde abwimmeln lassen.
Wir kämpften mit der bleiernen Müdigkeit einer durchwachten Nacht. Gegen zwei Uhr waren wir zu einem drittklassigen Hotel in Harlem gerufen worden, vor dessen baufälligem Eingangsportal ein erschossener schwarzer Junge gelegen hatte. Seither hatten wir kein Auge zugetan.
Wir vermuteten, dass der Mord im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität stand. Es ging dabei um die Black Guerilla Family, eine afroamerikanische Straßen- und Knastgang, die seit einiger Zeit unter ihrem Boss Aaron Dunbee stetig an Einfluss gewann. Es gab Grund zu der Annahme, dass sie in den Nachbarstaaten New Jersey und Pennsylvania Menschenhandel betrieb. Die Opfer sollten aus dem Kongo stammen. Bislang blieben die Hinweise vage und lieferten keine Anhaltspunkte für konkrete Maßnahmen.
Vor zwei Wochen hatte man frühmorgens in Pennsylvania die Leiche einer etwa fünfzig Jahre alten schwarzen Frau in der Nähe des Bahnhofs von Harrisburg entdeckt. Sie war auf dieselbe Weise getötet worden wie der Junge. Mit fünf Kugeln im Bauch- und Brustbereich, deren Einschusslöcher ein kreisförmiges Muster ergaben.
Weder der Junge noch die Frau trugen Papiere bei sich, die ihre Identität dokumentierten. Sie wiesen am ganzen Körper Anzeichen von Gewaltanwendung auf – blaue Flecke, Hämatome und Brandwunden, wie sie sich häufig bei Opfern von Menschenhändlern fanden. Vielleicht führten die Ermittlungen in den beiden Fällen uns ja auf die Fährte der Black Guerilla Family und ihres Bosses Aaron Dunbee.
»Ehrlich«, sagte Bill und faltete seine großen weißen Hände über einem beachtlichen Bauchansatz »ihr beide seht ziemlich fertig aus. Habt ihr mal über Urlaub nachgedacht?«
Bills jovialer Spott erschien mir unpassend angesichts seines eigenen Zustands.
Er musste jetzt Mitte dreißig sein. Früher war er ein durchtrainierter Sonnyboy mit jungenhafter Ausstrahlung gewesen. Nun bot er das Bild eines heruntergekommenen, abgehetzten Menschen, dessen schüttere blonde Haare unfrisiert wirkten und dessen großporige aschfarbene Haut von Akne befallen war. Lediglich die blauen Augen hatten ihren stählernen Glanz nicht eingebüßt.
Bills nachlässige Kleidung erstaunte mich dennoch. Bill hatte stets größten Wert auf elegante Garderobe gelegt. Jetzt gab es nur noch Bruchstücke dieser früheren Pracht zu besichtigen, einen violetten Seidenschal mit Valentino-Logo und eine paar ungeputzte burgunderfarbene Lederschuhe. Kombiniert mit einem abgenutzten mausgrauen Wollmantel und zerbeulten Jeans erweckten sie den Eindruck, dass ihrem Träger geschmacklich einiges durcheinandergeraten war.
»Ich weiß nicht«, entgegnete Phil trocken, »ob es dir schon aufgefallen ist, aber du bist auch nicht in bester Form.«
Bill lachte glucksend, wobei sein Bauch in heftige Bewegung geriet. Wenn es etwas an ihm gab, das sich besonders in mein Gedächtnis eingegraben hatte, dann war es dieses kindliche, überfallartige Gelächter, das er jederzeit aus sich herauskitzeln konnte.
Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, sagte er: »Es tut gut, wieder bei euch zu sein. Du meine Güte, das ist es, was mir all die Jahre gefehlt hat, dieser großartige Humor. Der ist etwas Besonderes. Wäre wohl vernünftiger gewesen, euch nicht so überstürzt zu verlassen, was?«
Phil zwinkerte mir belustigt zu, ehe er erwiderte: »Ja, dein Abgang kam etwas überhastet.«
Die Dreistigkeit, mit der Bill die Wahrheit zu seinen Gunsten umbog, war bewundernswert. Nach seiner Ausbildung in Quantico hatte Bill als Special Agent seinen Dienst im New Yorker Field Office angetreten. Zwei Jahre später endete seine Karriere abrupt. Mr. High warf ihn hinaus, weil er einer ebenso hübschen wie neugierigen Journalistin interne Informationen geliefert und dadurch die Ermittlungen in einem Mordfall erschwert hatte.
Bill Saccomo bestritt zunächst alle Vorwürfe. Als er kapierte, dass ihm das nichts half, sann er auf Rache und versorgte die Journalistin noch mit einigen belanglosen Klatsch-und-Tratsch-Geschichten aus dem New Yorker Field Office. Dann verschwand er von heute auf morgen von der Bildfläche.
Später machten Gerüchte die Runde, Bill habe sich eine Lizenz als Privatdetektiv besorgt und bereits einige Aufträge von Black-Guerilla-Boss Aaron Dunbee angenommen. Phil und ich mochten das nicht glauben. Bill war fraglos eine problematische Persönlichkeit. Niemand beim FBI war mit ihm zurechtgekommen – außer Phil und mir. Alle anderen nervte er, weil er sich ständig prahlerisch in Szene setzte und für den Mittelpunkt der Welt hielt. Doch Phil und ich mochten ihn, weil wir an sein gutes Herz glaubten. Und Bill Saccomo mochte uns, weil er das wusste.
Vermutlich verdankten wir diesem Umstand, dass er nun bei uns aufgetaucht war. Mein Instinkt sagte mir, dass es sich um keinen Höflichkeitsbesuch handelte.
»Was führt dich zu uns, Bill?«, fragte ich.
»Ihr seid meine Freunde.«
Das war übertrieben, ich sagte es Bill jedoch nicht. Ein Mann wie er konnte sehr empfindlich auf Zurückweisung reagieren.
Phil übernahm die Antwort. »Klingt so, als hättest du Sehnsucht nach uns gehabt. Gibt es einen weniger romantischen Anlass?«
Bill grinste verlegen. »Freunde helfen sich, oder?«
»Kommt darauf an.«
»Also schön, ich habe Mist gebaut.«
»Soll das heißen, du hast dich strafbar gemacht?
»Aber nein, dazu wäre ich gar nicht fähig, ich bin ein Mann des Gesetzes.« Bill hob theatralisch die geöffneten Hände, als riefe er eine höhere Instanz zur Beglaubigung seiner Worte an. »Ich habe mich bloß in meiner Naivität mit den falschen Leuten abgegeben.«
»So was kann schlimme Folgen haben«, bemerkte Phil sarkastisch. »Um wen handelt es sich denn?«
Bill schwieg einige Sekunden mit zusammengepressten Lippen. Dann gab er sich einen Ruck. »Ich rede von den Typen der Black Guerilla Family.«
Phil warf mir einen erstaunten Blick zu. Die Gerüchte stimmten also.
»Das musst du uns erklären«, sagte ich. »Was, um Himmels willen, hat dich dazu gebracht, dich mit denen einzulassen?«
Bill seufzte herzzerreißend. »Offen gestanden, ich brauchte das Geld. Vielleicht wisst ihr's ja. Ich zog damals weg von New York und habe mich in Harrisburg als Privatschnüffler versucht. Leider war ich zu Beginn ziemlich erfolglos, habe im Auftrag Eifersüchtiger ihren Frauen nachspioniert, was nicht viel brachte. Irgendwann war ich hoch verschuldet. Dann erschien plötzlich Aaron Dunbee in meiner Bude und versprach mir das Blaue vom Himmel. Ich könnte einen Haufen Kohle verdienen, ganz legal, wenn ich in seine Dienste träte. Keine Ahnung, wie er auf mich kam.«
Phil gab sich verständnisvoll. »Du meine Güte. Und du in deiner Unschuld hast alles für bare Münze genommen, stimmt's?«
Bill nickte, als hätte ihn Phils Anteilnahme zutiefst ergriffen.
»Seitdem«, stellte ich fest, »arbeitest du also für diesen Gangster.«
Sein Blick war voller Reue, als er antwortete. »Leider, Jerry. Dunbee finanzierte meine glorreiche Rückkehr nach New York.«
»Und, was musst du für Dunbee tun?«
»Na ja, wie viel wisst ihr über ihn?«
»Weniger als du vermutlich«, sagte Phil.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte Bill. »Über seine kriminellen Aktivitäten hat er mich komplett im Dunkeln gelassen. Was er will, sind Informationen über Leute, mit denen er ganz normale Geschäfte abwickelt.« Er schüttelte den Kopf, als fiele es ihm schwer, seinen eigenen Gedanken über den Weg zu trauen. »Stellt euch vor, dieser Gangboss handelt im großen Stil mit Immobilien und Rohstoffen. Seine Partner sind nicht selten vornehme Wichtigtuer aus New Yorks Oberliga. Sie ließen sich mit ihm ein, weil er genügend Geld besitzt, um mit ihnen gleichzuziehen. Natürlich verachten sie ihn heimlich und halten ihn trotz seines Reichtums für einen ausgemachten Idioten. Sie glauben, ihn über den Tisch ziehen zu können.«
Er hatte sehr schnell gesprochen, was er bereits früher getan hatte, um zu verhindern, dass Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkamen. Nun hielt er inne, vermutlich, um die Spannung zu erhöhen. Ein hintersinniges Grinsen hellte sein Gesicht auf.
»In Wirklichkeit ist Dunbee ihnen überlegen«, fuhr er fort. »Er ist ein intelligenter Spieler, der immer drei Züge vorausdenkt und davon profitiert, dass sie ihn unterschätzen.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, ermahnte ich ihn.
»Du wolltest wissen, was mein Job ist. Kannst du es dir nicht denken?«
»Ich vermute, du versorgst Dunbee mit Informationen über seine noblen Geschäftspartner.«
»Genau das, Jerry.«
»Wusste Dunbee, dass er sich einen ehemaligen Special Agent geangelt hat?
»O ja, er meinte, damit sei er auf der sicheren Seite. Er hat jemand gesucht, der zu den Guten gehört.«
»Und du unterstützt ihn nie bei krummen Sachen?«
»Beim Tod meiner seligen Mutter, Jerry, niemals!«
»Ich nehme an, du kennst die Gerüchte, dass Dunbee Menschenhandel betreibt.«
Die Frage war Bill unangenehm. Er knabberte an seiner Unterlippe herum. »Ja, das ist ein wunder Punkt. Also, wenn das rauskäme, würde es mein Gewissen belasten. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich mit diesem Gangster abgebe. Aber«, er schüttelte unwillig den Kopf, »ich glaub's nicht. Ich hätte doch was bemerken müssen, oder?«
»Du hättest eine Menge Dinge bemerken müssen, Bill. Wenn du mit uns kooperieren willst, wirst du darüber reden müssen.«
»Ich sagte ja, Dunbee spricht nicht mit mir über seine illegalen Aktivitäten. Ich werde mich anstrengen müssen, um diesbezüglich etwas herauszufinden, Jerry.«
»Was verdienst du eigentlich mit den Jobs, die du für Dunbee erledigst?«, wollte Phil wissen.
Bill blickte ihn verdutzt an. Diese Frage hatte er offensichtlich nicht erwartet.
»Sorry, aber ich habe nicht den Eindruck«, sagte mein Partner, »dass du an Dunbees Seite ein reicher Mann geworden bist.«
»Ich kann mich nicht beklagen, Dunbee zahlt gut«, antwortete Bill. »Allerdings habe ich eine Menge Geld an der Börse verloren und in der Folge angefangen, mich mit dem guten alten Johnnie Walker darüber hinwegzutrösten. Inzwischen bin ich Gott sei Dank trocken.«
So war das also. Bill hatte sich kaufen lassen und damit ein Stück seiner Seele eingebüßt. Wie groß dieses Stück war, blieb vorerst sein Geheimnis. Ich schlug eine kurze Unterbrechung vor, in der wir uns am Automaten einen Kaffee ziehen konnten.
Danach kehrten wir in unser Büro zurück und tranken eine Weile schweigend. Es war, als spürte jeder von uns noch einmal der Zeit nach, in der wir gute Partner gewesen waren und gegenseitige Sympathie unsere Beziehung geprägt hatte.
»Also gut«, wandte ich mich schließlich an Bill, »wie passen Phil und ich in deine Geschichte?«
Bill setzte die ernste Miene eines Mannes auf, der einem Problem sachlich und kompetent zu Leibe rücken wollte. Ich erkannte die Angst hinter dieser Maske.
»Dunbee hat einen Partner, Leroy Willson. Er ist der Boss der Black Guerilla Family in Harrisburg. Dieser dämliche Nigger hat einen schlechten Einfluss auf Dunbee. Zettelt einen Straßenkrieg mit Rockern an und lenkt damit die Aufmerksamkeit der Medien auf die Gang. Einer von Willsons Leuten arbeitet als Spitzel für Dunbee und füttert ihn regelmäßig mit Berichten über Willsons Aktivitäten. Auf die Weise kann Dunbee eine gewisse Kontrolle über Willson ausüben. Ich weiß nicht, warum, aber noch hält Dunbee an Willson fest, obwohl der den Ruf der Black Guerillas ruiniert.«
»Dein Boss«, sagte Phil belustigt, »ist vermutlich ein mieser Killer, und du weißt das. Sein guter Ruf ist keinen Penny wert.«
»Klar«, stimmte Bill ihm unumwunden zu. »Nur du glaubst nicht, wer alles auf ihn hereinfällt. Er hat zum Beispiel eine Affäre mit Paulette Fortier, einer klugen und kultivierten Frau. Sie ist die Psychologin, die er bezahlt, damit sie für sein Seelenheil sorgt. Er kann ungemein überzeugend sein. Du musst Dunbee mal zuhören, wenn er einen seiner politischen Vorträge hält. Du würdest staunen, wie gut er sich darauf versteht, die Black Guerilla Family als revolutionäre Truppe zu verkaufen, die gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit kämpft. Ich glaube sogar, dass er sich das selbst abnimmt.«
»Man könnte auf die Idee verfallen«, sagte Phil, »dass du befürchtest, Willson könnte Dunbee schaden.«
»Irre, was? Auf eine bestimmte Art ist das so. Und deswegen habe ich Dunbee vor Willson gewarnt.«
»Was dem«, mutmaßte ich, »zu Ohren gekommen ist.«
»Ja, Jerry, da liegst du richtig. Einige Leute haben mir geflüstert, dass er ganz scharf darauf ist, mich zu erledigen. Schlimm genug, doch er hat mir indirekt auch damit gedroht, sich an Roothie zu vergreifen.«
»Roothie?«
Bill sah mich verdutzt an, dann begriff er. »O Mann, natürlich, ihr kennt sie ja nicht. Roothie Davis ist meine Lebensgefährtin.«
Er schnappte sich seinen Kaffeebecher und hob ihn zum Mund. Dabei zuckte seine Hand plötzlich so heftig, dass die Flüssigkeit überschwappte und sein Kinn benetzte. Bill stellte den Becher fluchend ab und wischte sich mit dem Ärmel übers Kinn.
»Was hält ihn bisher davon ab, seine Drohungen wahrzumachen?«, fragte ich.
»Dass Dunbee es ihm übelnehmen könnte. Dunbee ist Gott, er allein entscheidet über Leben und Tod. Außerdem mag er es, wenn seine Leute untereinander streiten, weil er sie dann gegeneinander ausspielen kann.«
»Du und Leroy Willson, ihr seid so was wie Rivalen?«, fragte Phil ungläubig.
»Um Gottes willen«, Bill winkte ab, »so wichtig bin ich nicht für Aaron Dunbee.«
»Nur ein bisschen wichtig?«, hakte Phil ironisch nach.
»Ja richtig.«
Phil blickte stirnrunzelnd zu mir herüber. Ich zuckte unauffällig mit den Schultern. Was sollten wir bloß mit Bill Saccomo anfangen? Ihn mit warmen Worten zurückstoßen in die harte Realität da draußen, in die Misere, die er sich selbst eingebrockt hatte?
Oder sollten wir unseren ehemaligen Kollegen fürsorglich unter unsere Fittiche nehmen, damit der böse Leroy Willson ihm kein Messer zwischen die Schulterblätter drückte?
Dann war da noch die Frage, inwieweit wir Bills Geschichte Glauben schenken konnten. Und, falls wir das taten, was dabei für uns heraussprang.
»Wenn Phil und ich dich vor Willson schützen«, sagte ich, »brauchen wir einen handfesten Grund.«
Er nickte eifrig. »Den werdet ihr haben, ich liefere euch im Gegenzug exklusive Informationen über Dunbee und die Black Guerilla.«
»Bedeutet das«, wollte Phil wissen, »du wechselst wieder mal die Seiten?«
»Unsinn!«, entrüstete sich Bill. »Ich war nie auf Dunbees Seite, ich habe mich nur nicht gegen ihn gestellt. Das war falsch, und ich bereue es. Ich werde euch helfen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Der reuige Sünder kehrt heim«, spottete Phil.
»Das bringt es so ziemlich auf den Punkt«, bestätigte Bill mit ernster Miene.
»Und was sollten wir deiner Meinung nach unternehmen, um dich vor Leroy Willson zu schützen?«
»Ihm ein bisschen auf den Zahn fühlen, um ihn zu verunsichern.«
»Dafür müssten wir etwas gegen ihn in der Hand haben.«
»Es gibt da was, womit man Willson drankriegen könnte«, verriet Bill grinsend. »Einige Leute behaupten, er sei ein verkappter Filmfreak und produziere extrem abgefahrene Sado-Maso-Streifen.«
»Wie abgefahren?«, fragte Phil.
»Na ja, so wie darüber geredet wird, vermute ich, es handelt sich um die ganz üblen Sachen.«
»Vielleicht lügen diese Leute«, sagte ich.
»Möglich, Jerry, aber Willson ist ein schmieriger Drecksack. Was da erzählt wird, würde zu ihm passen.
Es fiel mir immer schwerer, mir einen Reim auf Bills unverhoffte Wiederauferstehung als rechtschaffener Kämpfer für Recht und Ordnung zu machen. Das meiste, was er vortrug, war fadenscheinig oder nicht schlüssig. Nur eines war glasklar – Bill suchte verzweifelt nach einem Rettungsanker. Der Tod hing ihm an den Fersen, und er konnte ihn nicht ohne Hilfe abschütteln.
Im Grunde genommen bot Bill Saccomo nur noch ein Zerrbild des Mannes, der einmal Phils und mein Kollege gewesen war.
Zweifellos tat er mir leid. Und damit hatte er mich am Haken.
»Was denkst du, Phil?«, fragte ich.
»Ich finde«, antwortete er lächelnd, »wir sollten Bill nicht im Regen stehen lassen.«
Bill atmete tief durch. Ich konnte förmlich sehen, wie ein großes Gewicht von seinen Schultern wich.
Ich stand auf. »Phil und ich werden das alles mit Mister High besprechen, Bill.«
Kurz darauf verließ er das Office, nachdem er uns mit überschwänglichen Dankesbekundungen bedacht und seine Visitenkarte überreicht hatte.
»Merkwürdiger Zufall«, meinte Phil. »Ausgerechnet nach der Entdeckung des erschossenen Jungen heute Nacht taucht Bill bei uns auf.«
Ich nickte zustimmend. »Falls Dunbee hinter dem Mord steckt und Bill davon Kenntnis hat, könnte es sein, dass er sich von der Black Guerilla Family abzusetzen versucht. Die Nähe zu den Gangstern droht, zu einer Gefahr für ihn zu werden.«
»Glaubst du, die Geschichte mit Leroy Willson ist erfunden?«
»Keine Ahnung, Bill tanzt wie früher auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Lüge.«
»Womöglich«, fügte Phil hinzu, »stürzt er mittlerweile häufiger ab.«