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Vor einem Auswärtsspiel der Footballmannschaft New York Wings in Philadelphia wurde im Hotelzimmer des Spielers Warren Cold die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Cold, ein waschechter New Yorker, wurde verhaftet, gab jedoch an, das Opfer überhaupt nicht zu kennen. Der Wide Receiver soll vor seiner Karriere die Finger im Drogenhandel gehabt und auch selbst Drogen konsumiert haben. Hatte Cold die Frau im Drogenrausch getötet? Phil und ich flogen nach Philadelphia und erlebten dort eine Überraschung nach der anderen ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Touchdown für den Tod
Vorschau
Impressum
Touchdown für den Tod
Als die Frau aus der Haustür trat, huschte ein Grinsen über sein Gesicht. Durch die getönte Heckscheibe des weißen Transporters beobachtete er, wie sie mit schnellen Schritten die Straße überquerte. Sie steuerte auf den Parkplatz gegenüber dem Gebäude zu, in dem sie ein Apartment bewohnte.
Er hatte den gemieteten Transporter neben ihrem Auto abgestellt, einem kleinen roten Flitzer irgendeines japanischen Herstellers. Die Schnauze befand sich neben seinem Heck. Sie würde an ihm vorbei müssen, um an die Fahrertür zu gelangen.
Keine Chance für sie, ihm zu entkommen.
Im Laufen zog sie den Zündschlüssel aus der Jackentasche. Ihre langen blonden Locken, die ihr bis über die Schultern fielen, wippten bei jedem Schritt. Sie war eine große, schlanke Frau in den späten Dreißigern und hatte eine selbstsichere Ausstrahlung. Das dezent aufgelegte Make-up betonte ihre natürliche Schönheit.
Sie ist wirklich attraktiv, dachte er.
Zu schade, dass sie sterben musste.
Maria Perez fluchte in sich hinein. Sie wagte es nicht, ihrem Ärger mit Worten Luft zu machen, schließlich konnte jeden Moment ein Gast sein Zimmer verlassen. Die Ladys und Gentlemen, die hier zu nächtigen pflegten, wären über eine fluchende Reinigungskraft auf dem Hotelflur sicher irritiert gewesen. Das Rittenhouse Hotel war immerhin eine der exklusivsten Adressen in Philadelphia.
Bitte nicht stören.
An jeder Türklinke baumelte dieses verwünschte Schild, das sie davon abhielt, ihre Arbeit zu erledigen. Betten beziehen, Handtücher wechseln, Staub wischen, das Bad putzen und den kaffeebraunen Teppich saugen, Zimmer für Zimmer, Flur für Flur. Maria arbeitete schnell und gründlich, sie war eine der Besten in ihrem Team. Nur wenn die Gäste länger schlafen wollten, geriet sie aus ihrem Rhythmus. Sie konnte schlecht den Staubsauger anwerfen, wenn sie noch in den Federn lagen.
Gäste, die nicht aus den Betten kamen, gab es immer mal wieder, das gehörte dazu. Aber gleich der ganze Trakt? Wer nächtigte hier? Die Teilnehmer am Kongress der Vereinigten Langschläfer?
In diesem Augenblick fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Hier waren die Footballspieler untergebracht. Die New York Wings, die heute Nachmittag gegen die Philadelphia Phantoms antreten würden. Lucy, ihre Kollegin, hatte ihr gestern früh davon erzählt. Lucy war ein riesiger Footballfan und ganz aus dem Häuschen gewesen. Sie hatte gehofft, aus nächster Nähe einen Blick auf die großen, starken Jungs erhaschen zu können.
Allerdings war sie dafür heute Morgen im falschen Trakt unterwegs. Wahrscheinlich hatte Barbara sie absichtlich woanders eingeteilt. Maria wusste, dass ihre Chefin Lucy nicht leiden konnte, weil die junge Frau zur Aufsässigkeit neigte und sich auch mal beschwerte, wenn ihr etwas nicht passte. Barbara konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihre Mitarbeiterinnen nörgelten, wie sie es zu nennen pflegte. Sie konnte wirklich ein Miststück sein, was das anging.
Maria machte sich nichts aus Football und wäre nicht beeindruckt gewesen, wenn ihr der Quarterback der Wings persönlich über den Weg gelaufen wäre. Sie mochte lieber Soccer, eine Sportart, die in ihrer brasilianischen Heimat nahezu kultisch verehrt wurde. Hin und wieder sah sie sich mit ihrem Mann Jamiro ein Match im Fernsehen an.
Offenbar brauchten Footballspieler viel Schlaf.
Sie fuhr sich durch ihr Haar, das ihr bis knapp über die Ohren reichte. Es half nichts, hier und jetzt konnte sie nicht loslegen. Sie musste woanders mit der Arbeit beginnen.
Sie wollte gerade umkehren, als ihr Blick auf die Zimmertür am Ende des Flurs fiel.
Das übliche Bitte-nicht-stören-Schild fehlte.
Stirnrunzelnd trat sie näher und schob dabei ihren mit Arbeitsutensilien bestückten Putzwagen vor sich her. Ihre Miene hellte sich auf. Offenbar gab es einen Frühaufsteher im Team.
Sie zog die Schlüsselkarte aus der Tasche ihres Arbeitskittels. Damit konnte sie sich Zutritt zu jedem Zimmer verschaffen, und sie hütete das Stück Plastik wie ihren Augapfel. Sie hielt die Karte vor die kleine goldfarbene Platte, die in Hüfthöhe an der Tür angebracht war. Ein kurzes Summen ertönte, ein grünes Lämpchen leuchtete auf, dann drückte sie die Klinke hinunter.
»Hallo?«, rief sie.
Als niemand antwortete, trat sie ein. Das war eine Routine, die sie sich im Laufe der Jahre angeeignet hatte. Manchmal vergaßen Gäste nämlich, das Schild außen an die Klinke zu hängen, und sie legte keinen Wert darauf, ins Zimmer zu platzen, während sie sich gerade im Bett vergnügten. In ihrem ersten Jahr im Rittenhouse Hotel war ihr das einige Male passiert, und sie hatte sich mehr als einmal gefragt, ob es die Leute in Wahrheit nicht darauf angelegt hatten, vom Zimmermädchen »überrascht« zu werden.
Hier rührte sich nichts.
Es klackerte und rumpelte, als sie den Putzwagen in die Diele und von dort ins Wohnzimmer schob. Die Jalousien waren hinuntergelassen, die Morgensonne warf ein Streifenmuster auf die teuren Möbelstücke. Sie wollte gerade nach einem Wischtuch greifen, als sie das Geräusch hörte.
Ein leises Schnarchen.
Vorsichtig schlich sie zur Schlafzimmertür und spähte hinein.
Im Bett lag jemand.
Ihr Herz sank. Das durfte nicht wahr sein.
Von wegen Frühaufsteher. Da hatte wohl jemand schlicht das Schild vergessen.
Auf Zehenspitzen schlich sie zurück zur Tür, als sie im Halbdunkel einen großen Schatten auf dem Sofa bemerkte. Was war das? Lag da etwa ein Hund auf dem feinen Stoff? Wenn, dann handelte sich um ein besonders gewaltiges Exemplar.
Vorsichtig trat sie näher heran.
Das war kein Hund.
Maria begann zu schreien.
Die Fahrt vom Philadelphia International Airport bis zum Field Office hatte nur eine Viertelstunde gedauert. Jetzt saßen Phil und ich im Büro unserer Kollegin Maggie Diver und nippten an unseren Kaffeetassen. Sie selbst hatte ihn für uns zubereitet. Ihre Kochkünste kamen nicht an die von Helen heran, aber sie spielte definitiv in derselben Liga.
Special Agent Diver trug einen modischen auberginefarbenen Hosenanzug und eine weiße Bluse. Ihr brünettes Haar fiel ihr bis knapp über die Schultern, ihr Gesicht, in dem besonders die großen braunen Augen herausstachen, war scharf geschnitten. Sie hatte eine schlanke Figur und war nicht besonders groß, sie reichte mir gerade bis zu den Schultern. Doch sie hatte die Ausstrahlung einer Frau, die sich durchzusetzen wusste und mit der man sich besser nicht anlegen sollte.
Dazu passte ihr forscher Fahrstil. Als sie uns am Flughafen abgeholt hatte, hatte ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen, und mehr als einmal hatte ich während der Fahrt meinen Fuß ins Bodenblech gerammt, weil ich instinktiv hatte bremsen wollen.
»Schmeckt er Ihnen?«, fragte sie mit der für ihre zierliche Erscheinung überraschend dunklen Stimme.
»Schön stark. Kann ich nach der Höllenfahrt gut gebrauchen«, antwortete Phil gallig.
Maggie Diver lachte auf. »Wollen Sie etwa andeuten, dass ich zu rasant gefahren bin, Phil?«
»Wenn ich ehrlich bin, kurz bevor Sie dieses Taxi überholt haben, dachte ich für einen Moment, Sie wollten durch den Wagen hindurchfahren.«
Sie lächelte schelmisch. »Sie übertreiben maßlos, Kollege.«
»Phil hat's nicht so mit dem Autofahren.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Was soll das denn heißen?«, protestierte er. »Ich steuere zwar nicht gerne selbst, doch du kannst nicht abstreiten, dass ich ein hervorragender Beifahrer bin.«
»Ganz im Gegensatz zu Ihnen, Jerry«, sagte Maggie Diver trocken.
Phil lachte.
Schlagfertig war sie also auch.
»Ich wollte Sie nur ein bisschen foppen, Jerry. Ich weiß, dass mein Fahrstil gewöhnungsbedürftig ist. Ich habe mich aber schon sehr gebessert, glauben Sie mir. Zumindest, wenn andere Leute im Auto sitzen.«
»Da habe ich ja Glück gehabt«, unkte ich.
»Lassen Sie uns zur Sache kommen, Agents.«
Sie griff nach einer Akte auf ihrem Schreibtisch und schlug sie auf, sodass wir den Inhalt sehen konnten. Wir blickten auf das großformatige Foto eines gut aussehenden, muskulösen Schwarzen, der verwirrt in die Kamera schaute.
»Dieser Gentleman ist Warren Cold«, erläuterte Maggie Diver. »Er ist Wide Receiver bei den New York Wings und der Grund dafür, warum Sie hier sind.«
»Mister High hat uns heute früh bereits instruiert«, erwiderte ich.
Unser Chef hatte uns in sein Büro gebeten, kurz nachdem wir im New Yorker Field Office eingetroffen waren. Eine Stunde später waren wir bereits auf dem Weg nach Philadelphia gewesen.
Maggie Diver schob das Bild beiseite. Darunter kam ein weiteres Foto zum Vorschein. Es zeigte eine attraktive Frau Ende Dreißig mit blonden Locken. Sie war auch auf dem dritten Foto zu sehen, nur bot sie diesmal einen schrecklichen Anblick. Ihre Augen starrten ins Leere, an ihrem Hals waren deutliche Würgemale zu erkennen.
»Claire Brooks«, sagte sie. »Siebenunddreißig Jahre alt, ledig, keine Kinder. Sie arbeitet ebenfalls im Footballbusiness, und zwar im Presseteam der Philadelphia Phantoms. Eine Reinigungskraft hat sie am Sonntagvormittag in Colds Hotelzimmer aufgefunden. Sie lag auf dem Sofa.«
»Und wo war er zu diesem Zeitpunkt?«, wollte ich wissen.
Maggie Diver schürzte die Lippen. »Im Bett. Schlief tief und fest, ist nicht mal aufgewacht, als die Putzfrau schreiend rausgerannt ist. Die Kollegen vom Philadelphia Police Department mussten ihn aufwecken.«
»Hm«, machte Phil. »Er hat sie erwürgt und sich danach seelenruhig schlafen gelegt?«
»Sieht fast so aus. Cold streitet alles ab und behauptet, die Frau nicht zu kennen. Er hat keine Ahnung, wie sie in sein Zimmer gekommen ist. Sagt er jedenfalls.«
»Ist er schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten?«, fragte ich.
Maggie Diver nickte. »Es ist über zehn Jahre her, da stand er wegen Drogenhandel und Drogenbesitz vor Gericht, wurde aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Damals hat er ausgesagt, er sei an falsche Freunde geraten, die ihn in die Sache hineingezogen hätten. Anschließend konzentrierte er sich auf seinen Sport, und das mit Erfolg. Kennen Sie sich mit Football aus?«
»Ich interessiere mich eher für Baseball«, gab ich zu.
»Ich schaue mir gelegentlich im Fernsehen ein Spiel an«, antwortete Phil. »Über Cold habe ich tatsächlich schon einmal etwas gelesen. Die klassische Geschichte eines Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der sich nach oben gearbeitet hat. Er ist seit drei oder vier Jahren bei den Wings und gehört zur Stammformation.«
Unsere Kollegin schmunzelte. »Ich sehe auch gerne Football. Die New Yorker waren bisher nicht gerade besonders erfolgreich, oder?«
»Nun, aktuell stehen sie immerhin in den Playoffs, Maggie«, erwiderte Phil. »Aber zugegeben, das erste Mal seit zehn Jahren. Mindestens.«
Maggie Diver schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.
»Also, Gentlemen!«, rief sie enthusiastisch. »Dann schlage ich vor, wir unterhalten uns mit Mister Cold. Er wartet in einem Vernehmungszimmer auf uns.«
»Wäre es möglich, dass Cold in der Tatnacht unter Drogen gestanden hat?«, fragte ich sie, als wir zum Aufzug gingen.
»Den Gedanken hatte ich auch, Jerry, schon wegen seiner Vorgeschichte. In seinem Blut wurden Spuren eines sehr starken Schlafmittels gefunden, allerdings kein Kokain oder etwas in der Art.«
»Ein Schlafmittel? Leidet er unter Schlafstörungen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Am besten fragen Sie ihn.«
Wir fuhren ins Untergeschoss des FBI-Gebäudes in der Arch Street. Dort wartete Warren Cold in einem kahlen, weiß gestrichenen Raum, in dem sich nur ein Tisch aus Metall und drei Stühle befanden. Auf einem davon hatte er Platz genommen. Er trug ein weißes T-Shirt, seine Hände waren mit Handschellen gefesselt. Als wir eintraten, musterte er uns misstrauisch.
»Mister Cold, ich bin Special Agent Diver«, stellte sie sich ohne Umschweife vor. »Diese beiden Gentlemen sind die Special Agents Cotton und Decker vom FBI in New York. Wir möchten uns mit Ihnen unterhalten.«
Cold nickte, sagte jedoch nichts. Maggie Diver und ich nahmen auf den Stühlen ihm gegenüber Platz, Phil lehnte sich hinter uns an die Wand.
Eine Weile starrten wir uns schweigend an, dann ergriff ich das Wort.
»Sie wissen, worüber wir mit Ihnen reden möchten?«
»Natürlich.« Seine Stimme klang dünn, beinahe brüchig. »Ich soll die Frau ermordet haben. Doch ich war es nicht.«
»Sie wurde tot in Ihrem Hotelzimmer gefunden«, schaltete sich Maggie Diver ein.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe die Frau noch nie in meinem Leben gesehen, das schwöre ich.«
»Erzählen Sie uns etwas über den Tag davor«, bat ich. »Wann sind Sie in Philadelphia angekommen, was passierte dann?«
»Wir sind am Nachmittag im Hotel eingetroffen, sind direkt vom Flughafen hingefahren. Eine Stunde nachdem wir unsere Zimmer bezogen haben, gab es Abendessen und anschließend eine Besprechung. Alles wie immer, reine Routine. Danach hatten wir Freizeit. Ich bin jedoch nicht um die Häuser gezogen, wenn das Ihre nächste Frage sein sollte. Das macht keiner von den Jungs, wir sind schließlich Profis. Ich bin auf mein Zimmer gegangen und habe ferngesehen. Da kam so ein alter Godzilla-Film, da steh ich drauf. Gegen halb elf bin ich eingeschlafen. Als ich wieder aufgewacht bin, standen die Cops neben meinem Bett.«
»Sie haben ein starkes Schlafmittel eingenommen«, meldete sich Phil zu Wort. »Können Sie schlecht einschlafen?«
Cold schnaufte. »Ich bin Footballspieler, Agent. Wenn Sie sich ein paar Jahre lang von den wandelnden Kühlschränken aus der Defense in den Boden haben rammen lassen, kann ein Leben ohne Medikamente echt unangenehm werden. Mein rechtes Knie macht mich gerade fertig, und eigentlich müsste ich zwei Monate Pause einlegen. Aber wir spielen in den Playoffs, und das lasse ich mir nicht nehmen, außerdem braucht mich mein Team. Vor dem Spiel gibt mir der Doc eine Spritze, damit geht's. Und damit ich nachts Ruhe finde, werfe ich mir die Schlaftabletten ein.«
»Wie erklären Sie sich, dass die Frau auf Ihrem Sofa lag?«, fragte Maggie Diver scharf.
Mit einem Seufzen warf Cold den Kopf in den Nacken. »Ich sage Ihnen doch, ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung.«
»Könnte das etwas mit Ihrer Drogenvergangenheit zu tun haben?«
Er sah sie an, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Kommen Sie mir nicht so, Lady.«
»Für Sie Agent Diver.«
»In Ordnung, Agent Diver, entschuldigen Sie. Doch mit dieser Sache damals hatte ich nichts zu tun. Jemand wollte mich reinreiten. Wie Sie garantiert wissen, wurde ich freigesprochen. Wenn man freigesprochen wird, bedeutet das, dass man unschuldig ist. Das gilt auch für einen schwarzen Jungen aus der Bronx, oder ist das in Philadelphia anders?« Er stützte seine Arme auf die Tischplatte und barg den Kopf in den Händen. »Ich habe nichts mehr zu sagen«, beschied er uns nach einer Weile.
Drei Stunden später waren wir wieder auf dem Weg zum Flughafen. Maggie Diver würde die Ermittlungen in Philadelphia fortführen, wir würden von New York aus dem Fall nachgehen.
Mein Eindruck war, dass Cold uns die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte verzweifelt, aber aufrichtig gewirkt.
Natürlich war es möglich, dass er einfach nur ein guter Schauspieler war.
Terry Ross lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Das Geräusch eines fahrenden Autos näherte sich, wurde laut und entfernte sich wieder. Stille breitete sich aus. Balsam für seine vom Stress geplagte Seele. Einmal mehr war er froh über seine Entscheidung, vor acht Jahren das Haus in Queens gekauft zu haben.
Moira war zunächst skeptisch gewesen, denn es lag in einer sehr ruhigen Gegend, und seine Frau mochte es eher lebhaft. Vorher hatten sie in einem großen Apartment mitten in Manhattan gewohnt. Sehr zentral und auch sehr laut, sobald man vor die Tür trat.
Zum Glück hatte er sich damals durchgesetzt. Für ihn war das Haus zu einer Oase geworden, einem Rückzugsort, an dem er alles vergessen konnte.
Er war jetzt dreiundsechzig Jahre alt. Die Zeiten, in denen er nach einem gewonnenen Spiel die Puppen hatte tanzen lassen, schienen ewig her zu sein. Und genau genommen waren sie das auch.
Am Ende der Saison lief sein Vertrag als Headcoach der New York Wings aus. Es würde sein letzter gewesen sein, das hatte er bereits beschlossen. Die Aussicht auf den Ruhestand erschien ihm in diesen Tagen verlockender als je zuvor. Er fühlte sich noch fit, doch nach all den Jahren im hektischen und lärmenden Footballzirkus sehnte er sich danach, nichts und niemandem mehr verpflichtet zu sein außer Moira und sich selbst.
Vor allem jetzt.
Er öffnete die Lider und warf einen Blick aus dem Terrassenfenster. Ein graues Eichhörnchen flitzte über seinen sorgsam gepflegten Rasen und verschwand zwischen den Büschen. In der Abenddämmerung konnte er sein Gesicht im Fensterglas sehen. Sein Haar war beinahe komplett ergraut, aber noch voll. In seinem schmalen Gesicht stach die spitze Nase zwischen seinen blauen Augen wie ein Erker hervor. Augen, die gütig und aufmunternd oder eiskalt und fordernd blicken konnten, je nachdem, was die Situation gerade erforderte. Nach über dreißig Jahren als Coach beherrschte Ross die gesamte Klaviatur, die notwendig war, um ein Team auf Vordermann zu bringen.
Die Früchte all der harten Arbeit waren nun zum Greifen nah. Sie mussten nur noch das Spiel gegen die Minnesota Horses am kommenden Sonntag gewinnen, um in den Superbowl einzuziehen. Das Endspiel, auf das jeder hin fieberte, egal ob Fan, Spieler, Trainer oder die Leute, die das Stadion putzten. Weltweit rund achthundert Millionen Menschen verfolgten jedes Jahr dieses gigantische Sportereignis, und er würde diesmal mittendrin sein. Als ultimative Krönung seiner Karriere.
Nur noch ein Spiel.
Für die Aussicht, den Siegerring am Finger tragen zu können, hatte er eine Menge geopfert.
Vielleicht zu viel.
Bei dem Gedanken daran verzog er das Gesicht. Es fühlte sich an, als hätte er herzhaft in einen warmen Schokoladenkuchen gebissen, unter dessen dünner Kruste sich eine Zitrone verborgen hatte.
»Terry?«
Moira stand in der Tür. Sie trug ein schlichtes graues Baumwollkleid, unter dem sich ihre Formen deutlich abzeichneten. Sie war fünf Jahre jünger als er und hatte sich auch dank ihrer täglichen Einheiten auf dem Crosstrainer im Dachgeschoss ihre gute Figur bewahrt. Ihr glattes schwarzes Haar fiel ihr über die Schultern und umrahmte ihr von regelmäßigen Besuchen auf der Sonnenbank gebräuntes Gesicht.
Kurz stieg Verlangen in ihm auf.
Es wurde von den Gewissensbissen zurückgedrängt, die zu seinen ständigen Begleitern geworden waren.
»Was tust du, Schatz?«, fragte sie, trat neben ihn und fuhr ihm durchs Haar.