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Edward, der Bruder des Gangsterbosses Sam Gilroy, wurde in seinem Haus überfallen und gekidnappt. Es gab im Vorfeld keinerlei Drohungen und nun auch keine Lösegeldforderung. Steckte die Konkurrenz, die Gang von Albert Allen, dahinter? Während Phil und ich ermittelten, suchte Sam Gilroy seinen Bruder auf seine Weise und ging dabei nicht gerade zimperlich ans Werk. Da meldete sich ein anonymer Anrufer beim FBI und teilte mit, all jene zu bestrafen, die es seiner Meinung nach verdienten. New York müsse endlich sauber werden. Und mit Edward Gilroy habe er den Anfang gemacht ... Wir verdoppelten unsere Anstrengungen, denn wir mussten uns ab sofort um mehrere Fronten gleichzeitig kümmern.
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Dein Feind ist mein Feind
Vorschau
Impressum
Dein Feind ist mein Feind
Er hätte das Geräusch, ein leises Knirschen und Knacken, vielleicht nicht überhört, wenn er nicht gerade mit Demii Carlitto, seiner Freundin, telefoniert hätte.
Die feurige Cosa-Nostra-Braut hatte eine Menge Pfeffer im ... Na ja, eben da, wo er hingehörte, und sie säuselte ihm ziemlich pikante Sachen ins Ohr, die ihn ganz schön kribbelig machten, während sich eine schwarz gekleidete Gestalt unerlaubt Einlass in sein Haus verschaffte ...
Sie wollte Sex.
Das wollte sie eigentlich immer, und normalerweise gefiel ihm das auch. Sehr sogar. Heute war er müde und deshalb im Moment noch wenig begeistert von ihrer Idee, sie würde jetzt – nackt, wie sie war – nur rasch einen Trenchcoat überziehen, in ihr Auto steigen, zu ihm fahren und gleich in der offenen Haustür über ihn herfallen.
Man muss dazu ja schließlich auch in Stimmung sein. Demii ging mit ihrer schlüpfrigen, ganz und gar undamenhaften Schilderung aber so sehr ins Detail, dass er verrückt gewesen wäre, dazu Nein zu sagen.
»Okay«, sagte Edward Gilroy, der Bruder des umtriebigen Gangsterbosses Sam Gilroy – und auch selbst kein Heiliger –, lachend. »Okay, okay, okay. Ich nehme noch schnell eine Dusche und stehe dir dann voll und ganz zur Verfügung.«
Er legte auf und ging ins Bad. Gilroy zog sich aus und stieg in die etwas erhöhte Duschkabine.
Wasser plätscherte und rauschte. Gilroy drückte reichlich Bodyshampoo, dessen Duft Demii so gerne an ihm roch, aus der knallroten Kunststoffflasche, die ein goldenes Fantasiewappen zierte.
Er seifte sich gründlich ein.
Die Dusche belebte Gilroy, als er sie allmählich auf kühl, aber nicht auf ganz kalt drehte. Seine Müdigkeit verflog.
Er freute sich auf Demii Carlitto, deren Vater – ein Erzgauner, der in Mafiakreisen viel zu sagen hatte – nicht gerade besonders begeistert war, dass sich seine schöne, nymphomanische Tochter für einen Mann interessierte, in dessen Adern kein einziger Tropfen italienisches Blut floss.
Gilroy summte einen alten Bruce-Springsteen-Song. Er merkte nicht, dass die dreiteilige Tür hinter ihm mehr und mehr aufgeschoben wurde.
Erst als er sich völlig ahnungslos umdrehte, sah er, dass er nicht allein war.
Doch da war es zu spät – für alles.
Es stimmte, was Demii Carlitto gesagt hatte. Sie trug unter ihrem hellen Trenchcoat wirklich nichts weiter als sündhaft nackte Haut.
Rocco Carlitto konnte nicht verstehen, dass seine fünfundzwanzigjährige Tochter ihr schwarzes Haar blond färbte und alles tat, um nicht wie eine Frau mit italienischen Wurzeln auszusehen.
Wieso war sie nicht stolz auf ihre Herkunft? Er konnte vieles nicht verstehen, was Demii betraf, und er fragte sich – und manchmal auch seine Tochter –, was er wohl falsch gemacht hatte, dass sie so geworden war, wie sie war: mannstoll, sittenlos und unmoralisch.
Sie ging von Hand zu Hand, von Mann zu Mann. Und es waren immer nur Amerikaner, mit denen sie sich abgab. Ein Italiener hatte – trotz ihrer Veranlagung – keine Chance bei ihr.
Zurzeit hatte sie mit Edward Gilroy Spaß. Gilroy nahm in der Gang seines Bruders Sam Platz zwei ein, und man sagte ihm viel Übles nach.
Die Brüder waren skrupellos und gefährlich für jeden, der sich weigerte, mit ihnen auf krimineller Basis gemeinsame Sache zu machen.
Dass sie jederzeit bereit waren, eiskalt über Leichen zu gehen, war zwar allgemein bekannt, aber niemand war in der Lage, es ihnen nachzuweisen.
Der Anruf erreichte Demii, als sie die Hälfte des Weges zu Edward Gilroy zurückgelegt hatte. Sie wollte sich zunächst nicht melden, tat es dann doch.
»Hallo, Daddy.«
»Wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst mich papá nennen«, grummelte er.
»Was hast du gegen Daddy?«
»Es ist mir zu amerikanisch.«
»Wir leben in Amerika.«
»Im Herzen sind und bleiben wir Italiener.«
»Du hast dir dieses Land als neue Heimat ausgesucht«, sagte Demii nüchtern. »Warum stehst du nicht dazu?«
Ihr Vater ging nicht darauf ein. »Wo bist du?«
»Unterwegs.«
»Zu diesem ... diesem ...«
»Zu Edward Gilroy«, gab sie unumwunden zu. Sie liebte ihren Vater zwar, sie ließ sich jedoch von ihm schon lange keine Vorschriften mehr machen, lebte ihr Leben so, wie sie es wollte und wie es ihr am meisten Spaß bereitete.
Er seufzte geplagt. »Warum kannst du nicht die Finger von ihm lassen?«
»Warum sollte ich?«
»Er ist nicht gut für dich.«
»Weil er nicht aus Sizilien, Neapel, Rom oder Mailand stammt?«
»Er und sein Bruder sind ...«
»Ich will das nicht hören, Daddy«, fiel Demii ihrem Vater schnippisch ins Wort. Er war ja selbst nicht gerade ein Chorknabe. »Was die beiden beruflich tun, womit sie ihr Geld verdienen, interessiert mich nicht. Außerdem sollte man immer zuerst vor der eigenen Tür kehren, bevor man über andere schlecht redet. Das hat Mom immer gesagt.«
»Mama war eine gute Frau«, sagte er dunkel. »Brav. Fromm. Anständig. Ich wünschte, du hättest mehr von ihr geerbt.«
Sie könnte noch leben, dachte Demii verbittert. Sie starb an einem Blinddarmdurchbruch, weil du mal wieder nicht zu Hause warst, sondern bei deinen Mafiafreunden herumgehangen hast. Als du heimkamst, war es für sie schon zu spät.
»Möchtest du etwas Bestimmtes von mir, Dad? Oder rufst du nur so an?«
»Nur so.«
»Ich lasse morgen wieder von mir hören«, versprach Demii und legte auf.
Sie warf einen Blick auf die Armaturenbrettuhr. Noch zehn Minuten, dann war sie bei Edward und würde – wie angekündigt – gleich beim Eintreten den Trenchcoat abwerfen.
Der Unbekannte schlug mit seinem stumpfnasigen Smith-&-Wesson-Revolver zu. Edward Gilroy war chancenlos. Er brach wie vom Blitz getroffen zusammen und fiel wie eine Marionette, deren Fäden gekappt worden waren, aus der Duschkabine.
Da der Eindringling ihn nicht auffangen wollte, trat er rasch zur Seite. Gilroy kippte an ihm vorbei und knallte mit dem Gesicht hart auf den Boden.
Der schwarz Gekleidete kümmerte sich zunächst nicht weiter um ihn. Er verließ das Bad und begann, das Haus des Gangsters zu verwüsten.
Er zerschnitt teure Gemälde, zertrümmerte wertvolle Skulpturen, zerschlug kostbare Kristallvasen und stieß einen Zimmerspringbrunnen aus Carrara-Marmor mit einem kräftigen Fußtritt um. Erst danach wollte er sich wieder dem Mann im Bad widmen.
Aber der war verschwunden.
Wasser und Blut glänzten auf den hellen Fliesen.
»Verdammt!«, entfuhr es dem Eindringling. Es ärgerte ihn über die Maßen, dass er nicht hart genug zugeschlagen hatte. Dadurch war Edward Gilroy zu früh zu sich gekommen. So war das nicht geplant gewesen.
Er musste den Mann suchen. Sein finsterer Blick heftete sich auf den Boden. Edward Gilroy hatte nasse Fußspuren hinterlassen. Es war nicht schwierig, ihnen zu folgen.
Das Haus war im Bungalowstil gebaut. Es gab keinen Keller und kein Obergeschoss. Sämtliche Räume befanden sich auf derselben Ebene.
Gilroy hatte sich gleich nach dem Aufwachen tropfnass und splitternackt mit starken Kopfschmerzen und erheblichen Gleichgewichtsstörungen torkelnd und taumelnd ins Schlafzimmer geschleppt.
Er verzichtete darauf sich anzuziehen. Dafür war jetzt keine Zeit. Jemand trachtete ihm offensichtlich nach dem Leben. Wenn er es behalten wollte, brauchte er ganz schnell eine Waffe. Er hatte mehrere im Haus – im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, in der Diele, ja, sogar in der Küche.
Gilroy riss eine Lade auf. Er musste sich beeilen. Die Zeit drängte. Der Unbekannte würde gleich in der Tür stehen und dann ...
Gilroy wühlte sich mit beiden Händen durch seine sorgfältig zusammengelegte Unterwäsche. Blut tropfte von seinem Kinn in die Lade.
Seine zitternden Finger fanden die Pistole, die er suchte. Aber ... Die Waffe hatte kein Magazin. Das lag in einer anderen Lade.
Und das Magazin war nicht geladen. Die Patronen befanden sich in der Lade darunter. Verdammt! Würde die Zeit reichen, wenigstens ein paar Patronen ins Magazin zu drücken? Die Tür flog hinter ihm auf.
Sie knallte laut gegen die Wand. Edward Gilroy fuhr herum. Der Unbekannte hatte ihn gefunden. Gilroy stand mit der Pistole und dem noch leeren Magazin in Händen da. Nass, nackt und plötzlich frierend.
Hatte er den Tod vor Augen?
»Wer sind Sie?«, krächzte er. Er litt nach wie vor an starken Gleichgewichtsstörungen und hatte pochende Kopfschmerzen.
Der Fremde grinste. »Wie möchtest du mich nennen? Captain America? Wolverine? Terminator? Such dir was aus.«
»Was willst du von mir?«
»Du bist ein widerliches Stück Scheiße, Edward Gilroy. Genau wie dein Bruder. Ihr seid dreckige Bastarde. Parasiten, die sich vom Blut armer Schweine ernähren und auf deren Kosten ein gutes Leben führen.«
»Wer schickt dich?«
»Niemand.«
»Arbeitest du für Allen?«, fragte Gilroy –rechts die nutzlose Pistole, links das Magazin ohne Patronen. Sein Schädel hörte nicht auf zu brummen, und die Platzwunde, die ihm der verfluchte Kerl geschlagen hatte, hörte nicht auf zu bluten.
»Für wen?«, fragte der Unbekannte.
»Für Albert Allen«, sagte Gilroy. Es handelte sich hierbei um den unangenehmsten Konkurrenten der Gilroy-Brüder. »Hat er dich ...«
»Ich arbeite für niemanden.«
»Du musst doch einen Grund haben, weshalb du hier ...«
»Ende der Fragestunde!«, blaffte der Unbekannte widerwillig. »Pfoten hoch!«
Gilroy gehorchte.
»Umdrehen!«
»Was hast du vor?«, krächzte Gilroy nervös.
»Umdrehen!«
Gilroy gehorchte trotzdem nicht. Seine Benommenheit hatte an Intensität verloren. Er befürchtete, dass der Fremde ihm einen Genickschuss verpassen würde, wenn er sich umdrehte, und meinte deshalb, es wäre besser, alles auf eine Karte zu setzen und zu hoffen, dass es gut ging.
Sein Angriff würde zwar etwas linkisch ausfallen, aber mit ein wenig Glück müsste der Unbekannte dennoch zu schaffen sein. Er war schließlich mit zweiunddreißig Jahren ein Mann, der im besten Saft stand.
Gilroy katapultierte sich kraftvoll und unvermittelt vorwärts, konnte den Gegner dennoch nicht überraschen. Er flog in einen sehr brutalen Schlag, der ihm augenblicklich den Boden unter den Füßen wegriss.
Noch einmal verlor er die Besinnung. Diesmal gründlicher und für längere Zeit.
Demii Carlitto sprang erwartungsvoll und kribbelig aus ihrem Wagen. Gleich würde sie den Trenchcoat, ihre einzige Hülle, fallen lassen und sich Edward Gilroy übermütig an den Hals werfen. Sie lief auf die offen stehende Haustür zu. Aha, sie wurde erwartet. Sie trat ein und löste gespannt den Gürtel.
»Haloo-ho!«, rief sie aufgekratzt. »Ist jemand zu Hause?«
Niemand antwortete.
»Ich habe ein süßes Päckchen für Mister Gilroy. Bin ich hier richtig?«
Sie wollte den Trenchcoat abstreifen. Plötzlich stutzte sie. Was herrscht denn hier für ein Chaos?, fragte sie sich irritiert.
Sie sah die zerstörten Bilder an den Wänden und die Glasscherben und Skulpturteile auf dem Boden.
Und ... Blut!
Demii ließ den Trenchcoat an. Ihre Freude auf Edward verwandelte sich in Angst um ihn. Als sie auch noch nasse Schleifspuren und Blut auf dem Boden entdeckte und einen Wagen hinter dem Haus wegfahren hörte, drängte sich ihr eine schlimme Befürchtung auf.
Sie rief Edward noch einige Male, gab dann auf. Panik drohte, von ihr Besitz zu ergreifen. Was soll ich tun?, fragte sie sich. In einer solchen Situation wählt man für gewöhnlich 911, die Notrufnummer der Polizei. Da es ihr – sie war immerhin die Tochter einer Mafiagröße –widerstrebte, die Polizei zu kontaktieren, holte sie ihr Handy hervor und setzte sich mit ihrem Vater in Verbindung.
»Papá ...« Ihre Stimme zitterte und klang weinerlich.
Er schwieg. Wenn sie ihn papá nannte, und dann auch noch auf diese Weise, musste er sich vermutlich auf große Unannehmlichkeiten gefasst machen.
»Was gibt's, Kleines?«, erkundigte er sich schließlich vorsichtig.
»Ich bin in Edwards Haus.«
»Und?«, fragte er kühl.
»Es ist etwas passiert, papá«, sagte sie gepresst.
»Was denn?«
»Das weiß ich nicht, papá.«
Er brummte unwillig. »Hör mal ...«
»Ich weiß es nicht genau, Papa«, unterbrach sie ihn seufzend. »Ich kam an ... Die Haustür stand offen ... Ich trat ein ...«
»Das interessiert mich alles nicht, Demii!«, sagte er schneidend. »Komm zur Sache!«
»Edward ... Er ... er ist nicht da ...«
»Was heißt, er ist nicht da?«, fragte Rocco Carlitto unwirsch.
»Es befindet sich außer mir niemand in seinem Haus.«
»Vielleicht ist er schnell mal weg, um irgendwas zu holen.«
»Das glaube ich nicht, papá. Jemand hat hier einigen Schaden angerichtet. Er hat Gemälde zerschnitten, Skulpturen zertrümmert, Kristallvasen zerschlagen, einen Zimmerbrunnen umgestoßen ...«
»Da scheint einer mächtig sauer auf deinen Freund zu sein.« Die Stimme ihres Vater klang so, als würde er sich freuen. »Vielleicht hat er noch eine Braut. Und die hat einen eifersüchtigen Freund ...«
»Ich habe Schleifspuren entdeckt, papá«, sagte Demii besorgt. »Vielleicht auch Kampfspuren und ... und ... und Blut. Ich glaube, Edward wurde in seinem Haus überfallen, niedergeschlagen und verschleppt. Ich habe einen Wagen wegfahren gehört.«
»Demii Carlitto, Rocco Carlittos Tochter, in einen Kidnappingfall verwickelt ...« Er stöhnte. »Santa madre ... Das hat mir gerade noch gefehlt.«
»Wieso verwickelt? Ich bin doch nur ...«
»Kind. Kind. Warum nur machst du deinem alten Herrn immer so großen Kummer?«
»Was kann ich denn dafür ...?«
»Du hättest dich von Anfang an von diesem Mann fernhalten müssen«, schnitt er ihr mürrisch das Wort ab. »Das habe ich dir oft genug gesagt. Aber du hörst ja nie auf deinen papá. Es muss ja immer alles nach deinem Kopf gehen. Was weiß denn schon der alte Esel? Jetzt siehst du, wohin das führt.«
»Ich habe mir von dir Rat und Hilfe erhofft, keine Vorwürfe, papá«, sagte Demii.
»Hast du was angefasst?«
»Nein, papá.«
»Bist du dir sicher?«
»Ja, papá. Ich habe ja eben erst das Haus betreten.«
»Hat dich jemand gesehen?«, wollte er wissen.
»Nein, papá. Das heißt ...«
»Was jetzt? Ja oder nein?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Demii Carlitto unglücklich. »Mir ist niemand aufgefallen.«
»Du hast einen Wagen wegfahren gehört.«
»Ja, papá.«
»Hast du ihn auch gesehen?«
»Nein, papá.«
»Hör zu«, sagte ihr Vater mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Du verschwindest jetzt auf der Stelle und kommst nach Hause. Das heißt: Du kommst hierher! Zu mir! In deinem Apartment lässt du dich so lange nicht mehr blicken, bis ich es dir erlaube. Hast du verstanden?«
»Ja, papá«, sagte sie entmutigt. Eine andere Antwort hätte er nicht akzeptiert.
Ich hatte den Eindruck, ich würde mit einem Papagei sprechen. Die Stimme des Anrufers hörte sich jedenfalls so an. Der Mann verwendete einen raffinierten Voice Changer, weil er unerkannt bleiben wollte.
»Eigentlich geht mich die Sache überhaupt nichts an, Agent Cotton«, sagte er mit verzerrter Stimme. »Aber man ist sich schließlich als aufrechter, vaterlandstreuer, unbescholtener Amerikaner seiner staatsbürgerlichen Pflichten bewusst und ...«
Ich befand mich allein in unserem Büro. Phil hatte eine Besprechung mit Dr. Iris McLane, unserer attraktiven Profilerin. »Was haben Sie auf dem Herzen, Mister ...?«
»Ich möchte meinen Namen nicht nennen«, krächzte der Papagei.
»Warum nicht? Wenn Sie nichts zu verbergen haben ...«
»Das habe ich ganz bestimmt nicht, Agent Cotton.«
»Warum benutzen Sie dann einen Stimmenverzerrer?«, wollte ich wissen.
»Weil ich keinen Ärger kriegen und in nichts hineingezogen werden möchte«, erklärte der Papagei. »Sehen Sie, ich bin ein einfacher, anständiger Bürger, dessen stressgeschwächtes Herz keine Aufregung verträgt. Aber ich möchte nicht, dass man irgendwann – man weiß ja nie – behauptet, ich hätte wichtige Informationen zu einem Kapitalverbrechen für mich behalten und damit indirekt polizeiliche Ermittlungen be- oder verhindert.«
»Was haben Sie zu melden?«, wollte ich wissen.
»Eine Entführung, Sir.«
»Wer wurde entführt?«
»Sie kennen bestimmt die Gilroy-Brüder.«
O ja, die kenne ich, dachte ich. Das sind zwei üble Schurken, die ich lieber heute als morgen im Gefängnis sehen würde.
»Die wurden entführt?«, fragte ich.
»Nicht beide. Nur Edward.«
»Woher wissen Sie das?«
»Kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete der Papagei.
»Warum nicht?«
»Aus Gründen, die ich für mich behalten möchte«, erklärte der Papagei.
»Haben Sie etwas mit der Sache zu tun?«
»Um Himmels willen, nein. Sehen Sie. Genau das ist der Grund, weshalb ich meinen Namen für mich behalte. Es gibt zu viele Missverständnisse, wenn zwei Menschen miteinander reden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sehr häufig falsch verstanden wird – und schon ist man kein Zeuge mehr, sondern ein Verdächtiger. Das möchte ich mir ersparen.«
»Okay, Edward Gilroy wurde entführt ...«
»Sehr richtig«, bestätigte der Papagei. »Er wurde in seinem Haus überfallen und verschleppt.«
»Von wem?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wann ist es passiert?«, fragte ich.
»Vor ein paar Stunden.« Eine genauere Zeitangabe machte der Papagei nicht. »Da ist Blut in Edward Gilroys Haus.«
»Woher wissen Sie das? Waren Sie drinnen?«
»Ich meine, Sie sollten sich darum kümmern«, sagte der Papagei und legte auf.
Er öffnete die Augen und hatte sofort mit einer bösen Übelkeit zu kämpfen. Sein Mageninhalt stieg in der Speiseröhre hoch, überschwemmte sauer und brennend die Mundhöhle, schoss aus seinen Nasenlöchern und rann ihm über die nackte Brust. Bräunlich, bröckelig, stinkend.
Er war mit Ketten gefesselt und hing in einem kahlen, kalten Raum am dicken Haken einer Laufkatze, die mit einem leistungsstarken Flaschenzug kombiniert war, sodass man ihn mithilfe eines Elektromotors per Knopfdruck mühelos vor und zurück befördern konnte.
Angewidert spuckte er das, was ihm hochgekommen war, auf den Boden und versuchte sich zu sammeln. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder wie er hierhergekommen war, wusste nur mit absoluter Bestimmtheit, dass er hier noch nie gewesen war. Wer ist der Kerl, der mich in meinem Haus niedergeschlagen und hergebracht hat?, ging es ihm durch den Sinn. Jemand, der nicht will, dass ich mit Demii Carlitto zusammen bin? Ist Eifersucht oder Rache sein Motiv? Ich habe vielen Menschen wehgetan, sie ins Unglück gestürzt oder beseitigt. Die meisten haben Letzteres verdient. Aber nicht alle. Es gab auch welche, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren.