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Raff Blocker war ein vielfacher Frauenmörder, der seit Jahren in der Todeszelle in Ohio saß. Bald war seine Hinrichtung. Auch ein Gnadengesuch änderte nichts daran, denn der Gouverneur lehnte es ab. Da erreichte eine erpresserische verschlüsselte E-Mail das FBI. Blocker sollte nach New York überstellt und freigelassen werden. Andernfalls würde im Big Apple eine Bombe explodieren - mit unzähligen Menschen als Opfer. Als Phil und ich den Fall übernahmen, zeigte sich schnell, dass Blocker einen unbekannten Komplizen hatte. Uns blieben vierundzwanzig Stunden Zeit, ihn und die Bombe zu finden. Der Wettlauf gegen den Tod begann!
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Wir und der Bombenleger
Vorschau
Impressum
Wir und der Bombenleger
Mit schweren Schritten folgte Alfred Rosenberg dem Gefängnisaufseher. Das Klirren des Schlüssels hallte von den grün gestrichenen Wänden wider, als der Mann eine weitere Gittertür aufschloss. Nun waren sie in der Death Row angekommen. Raff Blocker, ein zum Tod verurteilter mehrfacher Frauenmörder, saß in der Zelle Nummer 431.
Rosenberg war seit vielen Jahren Anwalt mit zahlreichen Schwerverbrechern unter seinen Mandanten. Der Job hätte reine Routine sein können. Aber das, was jetzt folgte, fiel ihm nicht leicht. Er begrüßte Blocker, der dösend auf seiner Pritsche gesessen hatte, und holte Luft.
»Ich habe leider keine guten Nachrichten«, sagte er dann. »Das Gnadengesuch wurde abgelehnt. In ein, zwei Wochen wird Ihre Hinrichtung sein.«
Wie oft hatte Rosenberg schon solche Nachrichten überbracht? Fünf- oder sechsmal. Und jedes Mal waren die Reaktionen unterschiedlich gewesen. Manche der Verurteilten waren vor Enttäuschung wie betäubt. Andere hatten nicht damit gerechnet, dass der Antrag durchkam. Sie starrten vor sich hin und nickten wissend. Wieder andere erlitten einen Nervenzusammenbruch. Sie weinten, schrien und griffen Rosenberg tätlich an. Als wäre es seine Schuld, dass der Gouverneur dem Gnadengesuch seine Unterschrift verweigert hatte.
Raff Blockers Reaktion war für Rosenberg neu. Der Frauenmörder schwang die Beine von der Pritsche und bewegte die Schultern, als würde er ein paar Lockerungsübungen machen. Dabei strahlte er nicht die geringste Aufregung aus.
»Kein Problem«, sagte er.
Er kratzte sich an dem dichten, fettigen Haar und lachte. »Glauben Sie, ich bin auf diesen Wisch angewiesen, den wir dem Gouverneur geschickt haben? Glauben Sie das wirklich?«
»Es war unsere letzte Chance, Mister Blocker«, sagte Rosenberg.
»Das sehen Sie so. Ich habe ganz andere Mittel. Mittel, die mir nicht nur die Todesstrafe ersparen, sondern das alles.«
Rosenberg hob eine Braue. Jetzt hatte er verstanden. Blocker reagierte auf die schlechte Nachricht nicht mit Resignation. Nicht mit Verzweiflung. Er hatte eine andere Strategie. Er reagierte mit Wahnsinn. Mit Allmachtsfantasien. Er weigerte sich einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Spiel verloren war. Er bildete sich ein, dass er noch irgendwelche geheimen Möglichkeiten besaß, die Todesstrafe zu verhindern und hier herauszukommen.
Was unmöglich war. Das war ein sogenanntes Supermax-Gefängnis mit außergewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen. Hier konnte nicht einmal eine Stubenfliege fliehen.
Rosenberg hätte gehen und seinen Mandanten seinen seltsamen Fantasien überlassen können. Aber er beschloss, das Spiel ein wenig mitzuspielen. Er setzte sich auf den Hocker, der neben dem Waschbecken an der Wand der kleinen Zelle stand.
»Sie machen mich neugierig«, sagte er. »Welche Mittel wären das?«
Blockers Blick hatte sich verändert. Er schien auf einmal durch Rosenberg und die Wand hinter ihm hindurchzusehen. Es dauerte zehn, zwanzig Sekunden, bis er wieder wahrzunehmen schien, dass Rosenberg überhaupt vorhanden war.
»Sie haben Ihren Job gemacht«, sagte er dann. »Der Rest ist meine Sache. Sie werden sehen ...«
»Ich wollte nur mal anmerken, dass wir seit zwei Stunden Feierabend haben«, sagte Phil. Er saß mir gegenüber an seinem Computer und starrte auf den Bildschirm.
»Und es sieht nicht so aus, als würde das irgendjemanden interessieren«, meinte ich gelassen.
Ich hatte auch seit ein paar Stunden am Rechner gearbeitet und war dann dazu übergegangen, mir Akten auf dem guten alten Papier zu besorgen. Statt mit der Maus zu klicken und auf die Tastatur einzuhämmern, musste ich nun blättern. Mal was anderes.
»Die Bemerkung war nur fürs Protokoll«, gab mein Partner zurück. Er rollte auf seinem Bürostuhl nach hinten und rieb sich die Augen.
»Und? Hast du was gefunden?«
Phil schüttelte den Kopf. Was wir hier machten, war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Unser Kollege Dr. Ben Bruckner hatte mit seinen digitalen Möglichkeiten herausgefunden, dass mal wieder ein Treffen der Mafiabosse von New York bevorstand. Er las das aus komplizierten Statistiken ab, die irgendetwas mit den Handydaten der betreffenden Personen zu tun hatten. Leider hatte er keine Ahnung, wo es zu dieser Versammlung kommen würde und wer genau daran teilnahm. Für uns hieß das nichts anderes, als dass die Ermittlungsdaten der einschlägigen Familienmitglieder auf den neuesten Stand gebracht werden mussten.
Die Tür unseres Büros ging auf, und Helen kam herein. Sie hatte uns den ganzen Tag mit ihrem fantastischen Kaffee versorgt. Diesmal hielt sie keine Kanne in der Hand.
»Ihr sollt zu Mister High«, erklärte sie.
»Will er etwa wissen, welche Informationen wir zusammengetragen haben?« Phil stöhnte. »Wir sind noch lange nicht fertig.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Anweisung lautet, diese Arbeit bis auf Weiteres abzubrechen. Der Chef hat mit Director Fuller telefoniert. Da ist eine Riesensache im Gange, wenn ihr mich fragt.«
»Na also«, sagte ich mit ironisch gefärbter Begeisterung. »Statt Feierabend mal eine kleine Abwechslung, Phil.«
Ich bedankte mich bei Helen.
Mr. High strahlte hinter seinem Schreibtisch wie immer Konzentration und Ruhe aus. Als wir eingetreten waren, stand er auf und deutete auf die Sitzgruppe. Das war das Zeichen, dass uns tatsächlich eine ausführlichere Besprechung bevorstand. Dazu passte, dass er bei Helen frischen Kaffee orderte.
»Gibt es einen neuen Fall Sir?«, fragte ich.
Der Chef zog die Brauen hoch. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Director Fuller ist der Ansicht, dass es ein Fall für uns ist.«
»Wir sind ganz Ohr«, sagte Phil.
»Das FBI wird erpresst«, erwiderte Mr. High. »In der Zentrale traf eine anonyme E-Mail ein. Darin wird verlangt, dass ein Häftling aus einer Todeszelle in Ohio nach New York gebracht werden soll. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden soll er freigelassen werden. Dieses Ultimatum läuft seit rund drei Stunden. Kurz vor Ablauf sollen weitere Hinweise folgen.«
»Was haben die Erpresser in der Hand?«, fragte ich. »Ist jemand entführt worden?«
Der Chef schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist ja das Seltsame. In der Nachricht wird behauptet, dass irgendwo in New York eine Bombe tickt. Wenn sie hochgeht, wird sie einen ganzen Block zerstören. Angeblich ist sie mit der Gasversorgung verbunden. Wir wissen nicht, wo sie sich befindet.«
»Und niemand weiß, ob diese Drohung überhaupt der Wahrheit entspricht«, ergänzte ich. »Ob es die Bombe überhaupt gibt. Es könnte eine Finte sein.«
»Das ist die Frage, Jerry. Sollen wir das ernst nehmen oder nicht?«
Helen trat ein und brachte ein Tablett mit Kaffee in einer Kanne, dazu frische Tassen sowie Milch und Zucker.
Mr. High bedankte sich. Seine Sekretärin spürte den Ernst der Lage und zog sich schweigend zurück.
»Wer ist der Häftling, um den es geht?«, fragte ich, nachdem wir uns bedient hatten.
»Sein Name ist Raff Blocker. Ein mehrfacher Frauenmörder. Er hat illegale Bordelle in der Gegend von Cleveland betrieben. Darin hat er Frauen aus Mexiko beschäftigt, die ohne Papiere über die Grenze gekommen sind. Er hat sie behandelt wie Vieh. Wenn sie nicht gehorchten, wenn sie schwanger wurden oder wenn er sie nicht mehr gebrauchen konnte, hat er sie ermordet. Es gehen mindestens zwanzig Morde auf sein Konto. Auch Minderjährige waren dabei. Sein jüngstes Opfer war dreizehn Jahre alt.«
Phil atmete geräuschlos aus. Schon diese Aufzählung konnte einem Magenschmerzen verursachen.
»Die Chancen, innerhalb von vierundzwanzig Stunden in Manhattan eine Bombe zu finden, sind gleich null«, sagte ich. »Vielleicht haben wir die Möglichkeit, an denjenigen heranzukommen, der die Mail geschrieben hat.«
»Ich habe Ben gebeten, sich darum zu kümmern«, sagte Mr. High. »Er müsste jeden Moment erscheinen. Bis er da ist, kann ich Ihnen die Nachricht in ausgedruckter Form vorlegen.«
Er holte zwei Blätter von seinem Schreibtisch, die er uns übergab. Oben stand der Absender, der keinen Namen hatte, sondern nur aus einer komplizierten Zeichenfolge bestand. Der Empfänger war die FBI-Zentrale. In der Betreffzeile war der Name des Häftlings Raff Blocker eingetragen. Die eigentliche Nachricht bestand nur aus wenigen Sätzen, die genau das wiedergaben, was der Chef uns mitgeteilt hatte. Natürlich gab es keine Signatur oder eine elektronische Unterschrift.
Phil schüttelte den Kopf. »Für mich sieht das nach einer Falle aus. Wir können diesen Verbrecher unmöglich freilassen.«
»Warten wir, was Ben zu sagen hat«, sagte Mr. High und setzte sich wieder zu uns.
Ich betrachtete das Papier und schüttelte nachdenklich den Kopf. Ich sagte nichts, aber es hatte uns leider noch nie geholfen, nur auf das Prinzip Hoffnung zu vertrauen.
Martin Davids zog den Schlüssel aus der Tasche, den ihm der Eigentümer überlassen hatte. Gerade wollte er aufschließen, da klingelte sein Handy. Es war Lena, die sich erkundigte, wie lange er noch brauchte.
»Es hat ein bisschen gedauert«, sagte er, während er mit seiner Hausmeistertasche in der Hand in den Hausflur trat. Das Licht ging an, und gleich erkannte Davids die Tür zum Keller. »Jetzt brauche ich höchstens noch eine Viertelstunde. Ich muss Schluss machen, da unten ist schlechter Empfang.«
Davids verabschiedete sich, behielt das Telefon jedoch griffbereit, denn er musste es notfalls als Taschenlampe verwenden. Außerdem machte er Fotos. Der Besitzer des Hauses wollte den Hausmeisterservice beauftragen, für den Davids arbeitete. Für den Kostenvoranschlag musste das Gebäude überprüft werden. Was den Zustand von Immobilien betraf, konnte man im Big Apple die tollsten Überraschungen erleben.
Während er die Treppe hinunterging, drückte er immer wieder den Auslöser. Er fotografierte über dem Putz liegende Leitungen und Schalter, dazu Türen und die Wände.
Unten erwartete ihn ein wahres Labyrinth aus Tunneln. Zuerst waren da die Gänge, die zu den Kellereinheiten der Mieter führten. Davids' Ziel waren die Räume, in denen die Heizung untergebracht war und wo die Gas-, Strom- und Wasserleitungen ins Haus führten.
So mancher hätte hier unten Angst bekommen, aber für Davids waren Besuche in fremden Kellern nichts Besonderes.
Er hatte die Lagerräume hinter sich gelassen und folgte weiter einem Gang, der nur aus rohen Betonwänden bestand. Alle acht bis zehn Yards war an der Decke eine trübe Lampe befestigt.
Schließlich erreichte er einen Durchgang zu einem größeren Raum. Davids wusste aus Erfahrung, dass sich dort die Heizung befand. Ein leises Brummen drang ihm entgegen und ein Rauschen aus den Wasserleitungen. Die übliche Geräuschkulisse. Kaum hatte Davids den Raum betreten, kam etwas anderes hinzu. Schritte auf dem Beton. Ein Geräusch, als würden Metallteile aneinanderstoßen.
Davids riss die Augen auf. Der Raum war ebenso schlecht beleuchtet wie die Gänge. Außerdem versperrten das Gewirr aus Leitungen und der Klotz der Heizungsanlage die Sicht. Dahinter gab es plötzlich eine Bewegung.
War da ein Monteur am Werk? Das war durchaus möglich. Umso besser. Er konnte sich dann gleich mit einem Fachmann über den Zustand des Hauses unterhalten. Sein Bericht würde fundierter werden. Und das würde Simon Stone, Davids' Boss und Inhaber von Stone Facility Services, sicher gefallen. Außerdem wäre er schneller bei Lena.
Wie immer wenn er technische Anlagen in Augenschein nahm, schaltete Davids die Kamera seines Handys von der Foto- auf die Videofunktion um. Und während er seine Aufnahmen machte, ging er auf die Stelle zu, wo der Unbekannte etwas installierte. Er machte sich gar nicht an der Heizung zu schaffen, wie Davids zuerst gedacht hatte. Er stand direkt neben der Gasleitung.
Jetzt konnte Davids den Mann besser erkennen. Wie ein Techniker sah er nicht aus. Auch nicht wie jemand von den städtischen Versorgungswerken.
Eher wie jemand, der hier nichts zu suchen hatte.
Und schon gar nicht an der Gasleitung.
»He, was tun Sie da?«, rief Davids.
Im selben Moment drehte sich der Mann um. Er hielt eine Waffe in der Hand. Davids hatte vor Schreck das Handy sinken lassen. Jetzt ließ er mit der anderen die Tasche fallen und hob beide Arme nach oben. Der Mann ging einen Schritt zur Seite und gab etwas frei, was er an der Leitung installiert hatte. Es war ein Kästchen mit Drähten und einem elektronischen Zählwerk. Die Ziffern änderten sich im Sekundentakt. Davids war sich nicht sicher, aber die Zahlen schienen abwärts zu zählen.
Eine Bombe, dachte er. Der Typ hat tatsächlich eine Bombe an die Gasleitung angebaut.
Seine Beine schienen von selbst loszulaufen. Zurück in die Gänge. Die Tasche musste er zurücklassen, doch das war egal. Das Handy hatte er instinktiv wieder eingesteckt.
Davids rannte und rannte.
Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall.
Etwas verpasste ihm von hinten einen harten Stoß. Davids' Füße versagten ihren Dienst. Er knallte auf den Beton. Ein paar Sekunden lang spürte er einen stechenden Schmerz im Rücken.
Dann wurde alles dunkel.
Zwei Minuten später betrat Dr. Ben Bruckner Mr. Highs Büro. Mit seinem blassen Milchgesicht hätte man ihn für einen Teenager halten können. Dabei war der Supervisory Special Agent einundzwanzig Jahre alt. Der Kollege versuchte, wenigstens durch seine Kleidung den Eindruck eines älteren Menschen zu erwecken. Allerdings machte sein konservativer Anzug, zu dem er stets Krawatte trug, das Missverhältnis nur noch deutlicher.
Er nahm bei uns in der Sitzgruppe Platz und klappte seinen Laptop auf. Dann tippte er etwas ein und betrachtete stirnrunzelnd den Monitor.
»Und?«, fragte ich ungeduldig. »Hast du herausfinden können, woher die Erpressermail stammt?«
Normalerweise war Ben aufgrund seiner unglaublichen Fähigkeiten in solchen Dingen extrem schnell. Nun schüttelte er den Kopf. Auf seinen Wangen erschienen wie so oft die roten Flecke, die dort immer auftauchten, wenn er nervös oder unsicher war.
»Leider nicht«, gab er zurück, ohne aufzusehen. »Die Mail kam von einem verschlüsselten Server in Asien. Wahrscheinlich China.«
»Soll das heißen, Chinesen stecken hinter der Erpressung?«, fragte Phil.
Ben sah ihn verwundert an. »Natürlich nicht. Es heißt nur, dass dieser Server verwendet wurde. Man kann so etwas von jedem Punkt der Welt aus machen. Entscheidend ist die Qualität der Verschlüsselung, die alle weiteren Informationen über den Absender verbirgt.«
»Aber Sie waren bisher immer in der Lage, so etwas zu knacken«, schaltete sich der Chef ein. »Das war nie ein Problem.«
»Ist es auch nicht«, erklärte Ben. Die roten Flecke auf seinem Gesicht wurden dunkler. Wahrscheinlich schüchterte ihn die Tatsache ein, dass er sich vor Mr. High rechtfertigen musste. »Doch die Art der Verschlüsselung ist so beschaffen, dass ich mehr als vierundzwanzig Stunden brauche. Das ist alles.« Er holte Luft, bevor er weitersprach. »Und es gibt noch etwas. Raff Blocker hat bei der Organisation seines Menschenhandels mit den mexikanischen Frauen seine Nachrichten mit demselben Server verschlüsselt.«
»Das heißt, es ist nicht irgendjemand, der dem FBI droht«, schlussfolgerte ich. »Er muss ein Komplize von Blocker sein.«
Ben nickte. »Und man darf nicht vergessen, dass es in dem Fall noch einige Rätsel gibt.«
»Welche Rätsel?«, fragte Mr. High. »Klären Sie uns bitte auf, Ben.«
Unser junger Kollege wandte sich wieder seinem Computer zu. Ich konnte von meinem Platz aus sehen, dass er Dokumente aufrief.
»Ich habe mir die Akten des Falls angeschaut. Nur Raff Blocker hat in dem damals ziemlich spektakulären Fall von Menschenhandel, Prostitution und Morden vor Gericht gestanden. Und nur er ist verurteilt worden. Dabei ist klar, dass er nicht alleine gehandelt haben kann. Es gibt mindestens einen zweiten Täter oder, was ja auch möglich ist, eine zweite Täterin. Diese Person wurde nicht ermittelt. Und auch nicht vor Gericht gestellt, geschweige denn verurteilt.«
Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Mir war klar, dass uns in diesem Moment alle der gleiche Gedanke durch den Kopf ging. Es sah danach aus, als wäre die E-Mail mit der Ankündigung eines Bombenanschlags mit einer unkontrollierbaren Anzahl von Toten und Verletzten mitten in New York keine Täuschung. Die Gefahr war real.
»In Ordnung, wir haben verstanden«, sagte Mr. High. »Ich muss zugeben, Director Fuller hatte recht. Die Sache ist ernst zu nehmen. Als Erstes werden wir auf die Forderung so weit eingehen, dass wir Blocker nach New York bringen lassen. Wir werden ihn auch selbst befragen.«
»Glauben Sie, er wird uns verraten, wer ihn freipressen will, Sir?«, fragte Phil. »So dumm wird er nicht sein.«
»Das glaube ich auch nicht«, sagte Mr. High. »Vielleicht erhalten wir dennoch einen Hinweis. Wir werden Iris hinzuziehen. Sie ist womöglich in der Lage, zwischen den Zeilen zu lesen, wenn wir ihn verhören.«
Ich nickte zustimmend. Das war eine gute Idee. Dr. Iris McLane war die Psychologin in unserer Abteilung. Sie besaß eine immense Menschenkenntnis und hatte sich intensiv mit dem seelischen Innenleben von Serienkillern befasst.
»Das ist nicht alles«, fuhr der Chef fort. »Gleichzeitig fahnden wir nach dem zweiten Mann oder der zweiten Frau. Jerry und Phil, Sie übernehmen das bitte.«
Ich zog die Brauen hoch. »Sir, sind Sie sich sicher, dass wir da in New York fündig werden? Blocker war in Cleveland aktiv, nicht bei uns.«
»Es muss einen Grund haben, dass der Erpresser verlangt, Blocker nach New York zu bringen, Jerry«, widersprach der Chef. »Und wahrscheinlich liegt der Grund darin, dass sich hier der Komplize aufhält.« Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht am Abend. »Die Zeit läuft. Wir haben noch knapp einundzwanzig Stunden.«
»Verdammter Mist!«, schimpfte Phil, als er sich in unserem Büro in seinen Stuhl fallen ließ. »Wo sollen wir ansetzen? Was können wir überhaupt tun? Da tickt in New York irgendwo eine Bombe, und wir sind vollkommen machtlos.«
Ich hatte mich schon in meinen Computer eingeloggt. Blockers Akte lag in einem aktuellen Arbeitsordner elektronisch bereit. Dafür hatte Ben gesorgt.
»Ganz ruhig«, sagte ich. »Wir sind nicht machtlos, Phil. Wir werden etwas finden, davon bin ich überzeugt.«
»Hast du nicht das Gefühl, die Sekunden rinnen wie Körner in einer Sanduhr? Immer weiter und weiter?«
»Mach dich nicht verrückt. Schauen wir uns den Papierkram an. Wir suchen eine Verbindung zwischen Blocker und New York. Es muss irgendwas geben ...«
Phil beruhigte sich wieder. Letztlich siegte auch bei meinem Partner die Professionalität, der meistens mehr auf sein Bauchgefühl hörte als ich.