Jerry Cotton 3396 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3396 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ein mysteriöser Serienkiller machte die Straßen, Plätze und Parks New Yorks unsicher. Er tötete Obdachlose, indem er sie mit einer leicht entflammbaren Flüssigkeit besprühte und mit einer Fackel in Brand setzte. Nachdem er zum dritten Mal zugeschlagen hatte, landete der Fall auf unseren Schreibtischen. Im Zuge unserer Ermittlungen kristallisierte sich heraus, dass es drei Tatverdächtige gab. Wir hatten keine Zeit zu verlieren, denn der Fackelmann war uns immer einen Schritt voraus!


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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Der Fackelmann

Vorschau

Impressum

Der Fackelmann

Glücklich und zufrieden, selig in einen breit angelegten Fuselrausch versunken, eingerollt wie ein Igel und zugedeckt mit der Wochenendausgabe der New York Times, lag Rudy Beckett auf seiner Parkbank und schlummerte seinem nahen Tod entgegen. Er hörte nichts, sah nichts, spürte nichts, bekam nicht mit, dass ihn jemand mit einer Flüssigkeit besprühte, die einen sehr niedrigen Flammpunkt hatte.

Er hatte sich ohne jeden Zwang für dieses entschleunigte Leben entschieden. Hinter jedem Dollar herzujagen, um damit Dinge zu kaufen, die man im Grunde genommen gar nicht brauchte, war nicht sein Ding.

Er fand das idiotisch. Es ging schließlich auch anders. Wenn man seine Bedürfnisse vernünftig auf ein vertretbares Minimum zurückschraubte und nicht immer alles haben musste, was andere hatten, kam man ohne Hast und Hetze wunderbar über die Runden. Brauchte man Geld für eine warme Mahlzeit oder eine Pulle Schnaps, lag der Zaster jederzeit und allerorts in ausreichendem Maß zur freien Entnahme auf der Straße.

Man musste nur mit offenen Augen durchs Leben gehen und den Mut aufbringen, sich ohne Skrupel am Eigentum seiner oft allzu sorglosen Mitmenschen zu vergreifen, die zum Glück niemals ausstarben.

Hier ein Fotoapparat. Da eine Videokamera. Dort ein teures Handy, eine Brieftasche, ein goldener Armreif, eine Krawattennadel aus Platin, eine Pistole oder ein Revolver.

Was immer sich auf die Schnelle zu Geld machen ließ – und schon war man wieder ohne Arbeit und ohne sich dafür besonders angestrengt zu haben liquid.

Heute hatte Rudy Beckett einen dicken, schweren Siegelring »gefunden«. Der Mann, dem er gehört hatte, hatte ihn beim Händewaschen abgenommen und auf den Waschbeckenrand gelegt. Ein schwerer, ein geradezu unverzeihlicher Fehler, wenn jemand wie Beckett in der Nähe war.

Der Ring hatte in nur einer Stunde gleich zweimal den Besitzer gewechselt. Einmal vom rechtmäßigen zum unrechtmäßigen Eigentümer und von diesem zu einem Hehler in der 45th Street West. Nach dieser kurzen Stafette hatte Rudy Beckett ein wenig Geld in seiner Tasche gehabt und einen Teil davon für einen preiswerten, doppelt gebrannten Schnaps ausgegeben.

Jetzt war die Bottle leer und Beckett hinüber.

Er schmatzte leise und kam dösig zu sich. Irgendetwas irritierte ihn. Doch er wusste nicht, was. Vielleicht war es die flackernde Helligkeit, die nicht hierher gehörte.

Seine Bank stand in einer dunklen Ecke des Cunningham Park. Deshalb hatte er sie zu seiner Schlafstätte gewählt. Fernab von allen Laternen.

Ein stilles dunkles Plätzchen, wo man sich ziemlich sicher sein konnte, dass einen niemand störte. Das Licht machte Rudy Beckett mehr wach, als ihm lieb war.

Er hob die Hände und brummte missmutig. »He, was soll das?«

Sein Gegenüber, das er nicht genau erkennen konnte, schwieg.

»Ist das eine Fackel?«, fragte Beckett mit schwerer Zunge.

»Wie hast du das so schnell erkannt?«, gab der andere höhnisch zurück.

Er setzte sich auf. »Hast du irgendein Problem, Mann?«

»Ich nicht«, erwiderte der Fackelmann gelassen. »Aber du.«

»Ich darf hier sein. Es gibt kein Gesetz, das mir das verbietet.«

»Sag bloß, du kennst dich mit Gesetzen aus.«

»Ich weiß auf jeden Fall ...«

»Wie heißt du?«, fiel der Fackelmann Beckett ins Wort.

»Rudy Beckett. Warum hast du mich geweckt, verdammt?«, fragte er unwirsch. »Geh. Mach dich vom Acker. Hau ab. Lass mich allein. Verschwinde. Lass mich in Ruhe. Ich bin müde. Ich will schlafen.«

Der Fackelmann lachte abgehackt. »Weißt du, dass Tote besonders lang schlafen?«

»Was soll der Schwachsinn? Was willst du von mir?«

»Ich will, dass du brennst, Rudy Beckett«, knurrte der Fackelmann beängstigend aggressiv.

Beckett setzte sich erschrocken auf. »Hol mich der ... Was bist'n du für einer?«

Der Unbekannte beugte sich vor, stieß ihm die Fackel gegen die Brust und trat gleich wieder zurück. Rudy Beckett ging augenblicklich in Flammen auf.

Er schnellte brüllend hoch, vollführte, mit roten Feuerzungen gespickt, einen grotesken Tanz und bewegte hektisch die brennenden Arme auf und ab – wie ein großer Vogel, der mit erheblichen Startschwierigkeiten zu kämpfen hat, weil er zu schwer ist. Der Fackelmann rührte sich nicht vom Fleck.

Rudy Beckett warf sich zuckend und zappelnd auf den Boden. Er strampelte verzweifelt, schlug um sich und wälzte sich heulend, kreischend und wimmernd hin und her, erreichte damit aber überhaupt nichts.

Die Flammen taten unbeirrt ihr tödliches Werk, und Rudy Beckett starb unter unsäglichen Qualen.

Ich aß meine lauwarme, in vier gleiche Stücke geteilte Pizza Capricciosa so, wie es Sophia Loren im Film Hausboot Cary Grant, der als Archibald Leach niemals Karriere gemacht hätte, beigebracht hatte, und trank dazu alkoholfreies Ingwerbier. Irgendein Fernsehsender hat den alten Streifen, eine brillante Mischung aus Humor, Gefühl, Wortwitz und Romantik, immer im Programm.

Vor mir lag ein Exemplar des New York Shark. Ein reißerisches Gratisblatt, das sich bei Jung und Alt großer Beliebtheit erfreute.

Erstens deshalb, weil es nichts kostete. Zweitens, weil es die Sensationsgier seiner Leser gut zu bedienen verstand. Und drittens, weil auf Seite fünf immer eine bedauernswerte, arme junge Frau zu sehen war, die nichts anzuziehen hatte. Virgin Long, der für den Inhalt verantwortliche Herausgeber, stand fast permanent wegen irgendwelcher bewusster Falschaussagen vor Gericht, wurde zu unterschiedlich hohen Geldstrafen verurteilt und musste an gut sichtbarer Stelle von den Klägern geforderte Entgegnungen bringen.

Was ihn nicht daran hinderte, schon bald wieder neue aus dem Finger gesaugte Unwahrheiten in Umlauf zu bringen. Er brauchte das nicht extra von seinen Mitarbeitern zu verlangen. Sie wussten, was zu tun war, lagen haargenau auf seiner Linie und wurden von ihm für jede Lüge, die die Volksseele zum Kochen brachte, geadelt und mit Lorbeer gekränzt.

Während ich mir meine Mahlzeit schmecken ließ, blätterte ich den Shark durch, den mir jemand auf dem Heimweg in die Hand gedrückt hatte.

Auf der Titelseite wurde scharf gegen den Bürgermeister geschossen. Er wurde sogar zwischen den Zeilen der Trunksucht bezichtigt.

Auf Seite zwei bekam die Leitung einer gemeinnützigen Organisation wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe ganz dick ihr Fett weg.

Auf der dritten Seite wurden höchst kompromittierende und abstoßend untergriffige Behauptungen über eine Boygroup, die gerade die Spitze der Charts erklommen hatte, in den Raum gestellt.

Und darunter stand ein Bericht über zwei grausame, absolut verabscheuungswürdige Morde an Obdachlosen. Verfasst hatte ihn Tom Hopkins, ein Journalist, dem man nachsagte, er wäre bissiger als zehn tollwütige Ratten.

Es wurde von ihm auch behauptet, dass er sein Keyboard jedes Mal, bevor er zu schreiben begann, in Salzsäure tauchte. Dementsprechend las sich auch sein neuestes Traktat – ätzend, aggressiv und voller Rundumschläge.

Aber in einem musste ich ihm recht geben: dass niemand, aus welchen Gründen auch immer, einfach losziehen und schlafende Stadtstreicher mit einer leicht entflammbaren Flüssigkeit besprühen und anzünden durfte.

Nach vollbrachter Tat schlenderte Rudy Becketts Mörder, von großer Genugtuung erfüllt, gemächlich durch den dunklen Park. Das Licht der blakenden Fackel leuchtete ihm den Weg. Sobald er das Streulicht der ersten Laterne erreichte, warf er die Fackel weg.

Er brauchte sie nicht mehr, hatte genug davon daheim. Dutzendware, die geduldig auf ihren Einsatz wartete. Er hatte sich reichlich damit eingedeckt.

Schließlich hatte er noch viel vor. Sein Rachefeldzug hatte erst vor Kurzem begonnen, und ein Ende – sollte es jemals eines geben – war noch lange nicht in Sicht.

Er würde für jeden weiteren Mord eine neue Fackel verwenden. Wenn man zum Arzt geht, wird man ja auch nicht mit einer gebrauchten, sondern mit einer unbenutzten Nadel geimpft. Er schob die Hände in die Hosentaschen, kickte eine achtlos weggeworfene Energydrinkdose zur Seite und bedauerte, dass Rudy Beckett so schnell gestorben war.

Rufus Newman und Oscar Peel, die beiden Obdachlosen, die der Fackelmann davor angezündet hatte, hatten ihm die Freude gemacht, etwas länger zu leiden.

Er hasste diese schäbigen, zotteligen und stinkenden Herumtreiber aus tiefster Seele und aus gutem Grund. Sie waren nicht nur ein Schandfleck für die ganze Stadt. Damit hätte er leben können. Was ihm sehr viel unangenehmer aufstieß und in seinen Augen wesentlich verachtenswerter war, war die Tatsache, dass diese gewissenlosen Kreaturen alles klauten, was nicht niet- und nagelfest war, um ihr nutzloses Leben und ihre widerliche Gier nach Schnaps, Koks, Heroin, Crystal Meth und weiß der Geier, wonach sonst noch, ausreichend finanzieren zu können. Aber sie stahlen nicht nur.

Sie raubten und plünderten auch. Und überfielen in finsteren Ecken der Stadt Passanten. Was noch viel verwerflicher war. Deshalb war es auch überhaupt nicht schade um diese wertlosen Kakerlaken.

Je weniger es von ihnen gab, desto sicherer konnte man sich auf New Yorks Straßen und in den Parks fühlen und brauchte weniger Angst um seine Barschaft – und manchmal auch um seine Gesundheit – zu haben.

»He, Kumpel«, sprach ihn jemand an, als er im Begriff war, den Park zu verlassen.

Er reagierte nicht, ging weiter.

»Kumpel! Warte! Warte doch!«

Noch so einer, dachte der Fackelmann. Sie sind überall. Verdammt. Er blieb stehen.

»Haste mal Feuer?« Ein spindeldürrer, ungewaschener Junkie hielt eine verbogene Zigarette hoch.

Der Klassiker, dachte der Fackelmann. Wenn du ihm welches gibst, setzt er dir ein Messer an die Kehle und will deine Brieftasche haben.

»Bin Nichtraucher«, sagte er.

»Glaube ich nicht.«

»Schadet der Gesundheit.«

Der Junkie grinste dümmlich.

»Wer will schon ewig leben?« Er kam langsam näher, bewegte sich, als wären seine Gelenke komplett ausgeleiert. »Bisschen Kleingeld könnte ich auch vertragen.«

»Normalerweise arbeitet man dafür.«

»Wer ist heutzutage noch normal? Komm schon, Kumpel, gib dir 'nen Ruck.«

Der Fackelmann zauberte eine Pistole hervor und richtete sie auf den Lästigen. »Keinen Schritt näher, sonst knallt's!«

Der Dünne blieb stehen und hob ein wenig die Hände. »Meine Güte, wer wird denn gleich ...? Entspann dich, Mann ... Ich habe nur höflich gefragt ...«

»Verdammt, warum lege ich dich nicht um?«

Der Junkie lächelte. »Weil ich dein Bruder bin. Alle Menschen sind Brüder und Schwestern. Adam und Eva könnten das bestätigen, wenn sie noch am Leben wären.«

Der Fackelmann zielte auf die linke Kniescheibe seines Gegenübers.

Der Junkie riss entsetzt die Augen auf. »Du wirst doch nicht ...?«

»Bring deine Kniescheibe in Sicherheit, Kumpel, sonst ist sie hin!«, knurrte der Fackelmann.

Der Ausgemergelte nahm den wohl gemeinten Rat umgehend an. Er fuhr herum und rannte so weit in den Park hinein, bis die Dunkelheit ihn verschluckte.

»Beim nächsten Mal zünde ich dich an«, sagte der Fackelmann leise und steckte seine Pistole wieder ein.

Ich holte Phil an unserer Ecke ab. Er schwang sich in meinen roten Jaguar F.

»Einen wunderschönen hygienischen guten Morgen, Partner«, sagte er aufgekratzt.

»Hast du Alkohol zu dir genommen?«

»Den Spruch habe ich aus einer uralten Krankenhaus-TV-Serie. Ich habe mir gestern zwei Folgen reingezogen. Mit diesem Spruch tritt der Klinikchef immer auf.«

Ich fuhr weiter. »Ich dachte schon ...«

»Hast du schlechte Laune?«

»Kein bisschen.«

»Dann ist es ja gut«, sagte Phil. »Ich habe eine grandiose Nacht hinter mir.«

»Mit wem durftest du das Kopfkissen teilen?«

»Mit niemandem. Ich war allein.«

»Und das war grandios?«

»Ich habe schon lange nicht mehr so gut geschlafen.« Phil sprach von Tiefschlaf-‍, Leichtschlaf-‍, REM-Phasen und optimaler Atmungsqualität. Wo hatte er sich bloß so schlau gemacht? »Der REM-Schlaf wird auch als paradoxer Schlaf bezeichnet, weil da die Träume zu Hause sind.«

Ich nickte. »Alles klar.«

Damit war das Thema vom Tisch. Als wir wenig später unser Büro im Field Office an der Federal Plaza betraten, läutete mein Telefon. Ich meldete mich.

»Guten Morgen, Jerry«, sagte Helen, die Sekretärin unseres Chefs.

»Guten Morgen.«

»Ich habe bereits zweimal angerufen.« Das klang nicht nach Vorwurf, war lediglich eine Feststellung.

»Tut mir leid«, gab ich zurück. »Wir sind eben erst eingetroffen. Was hast du auf dem Herzen?«

»Mister High möchte euch sehen.«

»Wir kommen.« Ich legte auf.

Als wir Helens Vorzimmer betraten, sagte Phil: »Einen wunderschönen hygienischen guten Morgen, meine Beste.«

Helen sah zuerst ihn und dann mich irritiert an. »Wie war das?«

Ich winkte ab. »Vergiss es. Er spielt heute den lustigen Chefarzt einer alten Krankenhaus-Fernsehserie.«

Wir betraten Mr. Highs Büro, bekamen von Helen einen köstlichen Kaffee und von unserem Vorgesetzten einen neuen Fall umgehängt. Was uns Mr. High an Tatortfotos zeigte, drehte mir den Magen um. Der Obdachlosenkiller, von dem ich im New York Shark gelesen hatte, hatte wieder zugeschlagen.

Gestern Nacht zum dritten Mal. In Queens. Im Cunningham Park. Und für Serienmorde ist das FBI zuständig. Drei Opfer innerhalb weniger Tage. Das hieß für uns, dass wir von Anfang an Gas geben mussten, weil damit zu rechnen war, dass es bald ein viertes Opfer geben würde.

Wer hasste diese Stadtstreicher so sehr, dass er sie alle brennen sehen wollte? Eine Frage, auf die wir so bald wie möglich eine Antwort finden mussten.

So ein Feuertod ist extrem schmerzhaft. Jeder, der sich schon mal die Finger verbrannt hat, kann sich das wahrscheinlich sehr gut vorstellen.

Wir stürzten uns sogleich in die Arbeit. Als Erstes besuchten wir die Tatorte. Hannah Fields, eine zahnlose, aufgeschwemmte Obdachlose, die ihr Hab und Gut in einem dreckigen Kinderwagen, der nur drei Räder hatte, vor sich herschob, hatte Rufus Newman, das erste Opfer, sterben sehen.

»Es war grauenvoll«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Er war mein Lebensmensch, mein Partner, mein Freund. Er war mein ... mein Alles. Er hat einen Tag vor seinem Tod um meine Hand angehalten.« Sie sah mich ernst an. »Wieso gucken Sie so? Es ist wahr. Er wollte mich heiraten. Nicht so richtig mit Orgel, Amt und Priester. Aber wir wären in die Trinity Church gegangen, hätten zwei Blechringe ins Weihwasser getaucht, sie uns gegenseitig an den Finger gesteckt und einander ewige Treue versprochen ...« Sie senkte den Kopf und weinte mit zuckenden Schultern. »Warum? Warum? Ich verstehe es nicht. Rufus war ein herzensguter Mensch. Er konnte keiner Fliege was zuleide tun. Wieso geht einer her und zündet so jemanden an? Wie kann man nur so grausam sein?«

Wir wollten wissen, was in Rufus Newmans Leben schiefgelaufen, weshalb er abgestürzt und auf der Straße gelandet war.

»Er hat zuerst seinen Job, dann sein Haus und schließlich seine Frau verloren«, erzählte Hannah Fields. »Die charakterlose Bitch wollte nicht mit ihm untergehen, deshalb hat sie sich von ihm scheiden lassen und schleunigst das Weite gesucht, obwohl sie wusste, dass sie ihm damit das Herz brechen würde. Er hat sie geliebt. Auf den Hausbau und auf die damit verbundenen hohen Schulden hat er sich nur ihretwegen eingelassen. Und dann rennt sie weg, anstatt ihm Halt zu geben, zu sagen: ›Wir schaffen das – gemeinsam. Mit vereinten Kräften kommen wir über alle Hürden, selbst wenn sie noch so hoch sind.‹ Er kam lange nicht darüber hinweg. Erst als er mir begegnete, fasste er neuen Lebensmut und konnte sich vorstellen, wieder auf die Beine zu kommen.«

Sie schwieg, legte eine Trauerminute ein.

Dann fuhr sie fort.

»Rufus hat geschrien. Um Hilfe gebrüllt hat er. Ganz laut. Verzweifelt. Entsetzt. Unter unsäglichen Schmerzen.« Sie legte die Hände auf ihre Ohren, als hörte sie ihn noch immer brüllen. »Es war so schlimm. So schlimm. So furchtbar schlimm.«

»Haben Sie nicht versucht, ihm zu helfen?«, fragte ich.

»Ich wusste nicht, wie«, antwortete Hannah Fields ehrlich. »Er stand ja von oben bis unten in Flammen, und ich hatte nichts, womit ich das Feuer hätte löschen können.«

»Haben Sie gesehen, wer ihn angezündet hat?«, wollte ich wissen.

»Leider nein.«

»Wieso nicht?«, fragte Phil.

»Ich war drüben – auf der Frauentoilette.« Hannah Fields zeigte auf ein schmales, längliches Gebäude, das mit hässlichen Graffiti »verziert« war. »Als ich zurückkam, stand Rufus in Vollbrand.«

»Hatte er Feinde?«, erkundigte ich mich.

»Rufus? Nein.«

»Hatte er in jüngster Vergangenheit mal mit jemandem Streit?«, fragte mein Partner.

Hannah Fields schüttelte den Kopf. »Davon wüsste ich.«

»Vielleicht ging es nur um eine Nichtigkeit – für ihn«, bemerkte Phil. »Aber in den Augen des anderen war es keine Bagatelle. Er nahm es ihm so krumm, dass er ihn in Brand setzte.«

Die Frau wischte sich mit schmutzigen Fingern die Tränen aus den Augen. »Ich glaube, der Mörder hat wahllos und grundlos zugeschlagen. Einfach so. Vielleicht aus Lust am Töten. Oder weil er Obdachlose ganz generell hasst und am liebsten alle ausrotten würde. Es hat ja nicht lange gedauert, bis der zweite Stromer brannte.«

»Haben Sie Oscar Peel ebenfalls gekannt?«, fragte ich.

»Nur vom Wegsehen.«

»Wieso das?«, fragte ich.

»Er war mir nicht sympathisch«, antwortete Hannah Fields. »Man soll ja über Tote nicht schlecht reden, aber Oscar war eine linke Bazille. Das war er. Ist nun mal eine Tatsache. Warum soll ich lügen? Er hat jeden bestohlen und an so manchem Coup teilgenommen, der nicht ganz koscher war. Vielleicht hat er damit jemanden gegen sich und alle anderen Obdachlosen aufgebracht.«

»Hatte Oscar Peel Freunde?«, erkundigte ich mich.

Hannah Fields zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. »Die ticken alle nicht ganz sauber.«

»Hätten Sie einen Namen für uns?«

Sie brauchte nicht lange nachzudenken. »Ricky Noon. Der ist wie Oscar Peel. Er stiehlt, lügt, betrügt, haut jeden übers Ohr, plündert Lagerhallen, überfällt alte Frauen, Touristen und Paketboten. Dem geht man besser aus dem Weg.«