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Auf Long Island im Stadtteil Queens wurden zwei Models der Agentur Modellisa tot aufgefunden. Unique Beers war die Kehle durchgeschnitten worden, Mira Young war im East River ertrunken. Auch in Allentown war das Entsetzen groß. Ein Besucher des Trexler Memorial Park hatte auf dem Parkplatz eine erschossene Frau in ihrem Wagen entdeckt. Im Handschuhfach stellten die Cops Flyer von Modellisa sicher. Kayla Ken war kein Model gewesen, sondern Talentsucherin. Phil und ich ermittelten und stießen schon bald auf mehr als zwielichtige Geschäftspraktiken.
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Tödliches Casting
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Impressum
Tödliches Casting
Brianna Miles tappte am Morgen schlaftrunken durch ihre Wohnung in Yorkville und trat in eine Pfütze. Der Hund konnte nichts dafür. Wenn sie Nachtschicht hatte, musste ihre einundzwanzigjährige Tochter Mira spätestens um zehn Uhr abends zu Hause sein und mit ihm rausgehen. So war die Abmachung. Sie wollte sich darüber beschweren und öffnete Miras Zimmertür. Hier stimmte etwas nicht. Das Bett wirkte unbenutzt, als hätte ihre Tochter die Nacht nicht darin geschlafen.
Miras Handy klingelte. Brianna zuckte zusammen und suchte danach, fand es unter der Decke. Mira musste es vergessen haben. Es konnte etwas Wichtiges sein. Brianna nahm das Gespräch entgegen.
»Hör zu, du Topmodel, entweder du bewegst deinen süßen Arsch ins Gym, oder ich sorge dafür, dass du großen Ärger bekommst. Bring das Geld mit.«
Brianna wusste weder, dass Mira ein Model war, noch, dass sie der Aufforderung nicht mehr folgen konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.
Nichts ahnend gingen Phil und ich in unser Büro an der Federal Plaza. Wir waren wie immer überpünktlich und dachten, der Tag könnte ruhig mit einem privaten Gespräch bei einer Tasse Kaffee beginnen. Alle Mitarbeiter, denen wir auf dem Flur begegneten, hatten gute Laune und begrüßten uns mit einem Lächeln auf den Lippen oder scherzten mit uns. Nur Ben, unser junger IT-Experte, der sein Büro auf derselben Etage hatte wie wir, wirkte müde. Unter den Augen zeichneten sich tiefe Ringe ab. Er schien sich wieder mit einem Spezialauftrag die Nacht um die Ohren geschlagen zu haben.
Kaum hatte Phil die Bürotür hinter sich geschlossen und ich unsere vollen Kaffeetassen auf den Schreibtisch gestellt, klingelte das Telefon.
Wir sahen uns an.
»Mr. High!«, kam es wie aus einem Mund.
»Guten Morgen, Jerry, guten Morgen, Phil«, begrüßte uns der Chef wenig später in seinem Büro, »obwohl ich das besser nicht sagen sollte, denn er ist alles andere als gut.«
Das sorgenvolle Gesicht unterstrich seine Worte. Da er kein Mann der Übertreibungen war, machten wir uns auf das Schlimmste gefasst. Aber es kam schlimmer.
»Auf Long Island in Queens wurden fast gleichzeitig die befreundeten Models Unique Beers und Mira Young tot aufgefunden. Sie waren beide bei der Modelagentur Modellisa unter Vertrag. Laut den Chatnachrichten auf Uniques Handy, die Ben dem Telefon entlockt hat, hatten sich die beiden am Pier des alten Industriehafens verabredet und wollten sich dort aussprechen. Unique Beers weist am Hals mehrere Schnittwunden auf, die vermutlich mit einem Messer verursacht wurden. Es sieht so aus, als hätte jemand unprofessionell versucht, ihr die Kehle durchzuschneiden. Mira Young ertrank im East River und blieb beim Treiben im Wasser an den Ästen eines umgekippten Baums hängen.«
Ich versuchte, mir einen Reim auf den Tod der beiden Frauen zu machen. »Gab es Anzeichen von sexuellem Missbrauch?«
Mr. High sah kurz auf seinen Bildschirm, wo er die Akte aufgerufen hatte. »Das bleibt zu klären. Die Obduktionen erfolgen noch. Leider sind das nicht die einzigen Todesfälle. Kurz darauf entdeckte ein Besucher auf dem Parkplatz des Trexler Memorial Park in Allentown eine erschossene Frau in ihrem Wagen. Das Kaliber der Schusswaffe ist noch unbekannt. Die Kugeln werden im Rahmen der Obduktion entfernt und dann sofort mit den Patronenhülsen, die am Tatort gefunden wurden, zu einem Experten geschickt. Der Grund, warum Sie sich als um alle drei Todesfälle kümmern müssen, ist folgender: Es gibt eine Gemeinsamkeit der drei Frauen. Im Ablagefach des Wagens der toten Kayla Ken fand die Crime Scene Unit einen Stapel Flyer der ...«
»... Modellisa-Agentur«, riet ich.
»Korrekt. Finden Sie heraus, ob jemand aus der Modelagentur zur Aufklärung der Fälle beitragen kann oder womöglich selbst etwas damit zu tun hat.«
Mr. Highs Sekretärin Helen trat ins Büro. Sie legte dem Chef ein paar Unterlagen vor und begrüßte uns.
»Einen schönen guten Morgen. Leider kann ich euch heute keinen Kaffee kochen«, sagte sie mit ehrlichem Bedauern. »Ich habe einen Fortbildungstermin und muss nach Union City fahren. Aber meine Vertretung wird jeden Moment eintreffen.«
»Das ist vollkommen in Ordnung, Helen«, sagte Mr. High, »Sie sollten sich beeilen. Auf den Straßen ist allerhand los.«
Ashley Webster saß im Wartebereich der Modellisa-Agentur und war auf ihr Casting gespannt. Sie war überglücklich, dass sie von der Talentsucherin Kayla in Allentown angesprochen worden war, nachdem eine andere Agentur sie abgelehnt hatte. Die Inhaberin selbst, Lisa Gliss, hatte ihr telefonisch einen zeitnahen Termin fürs Casting gegeben, und nun saß sie hier und war unendlich dankbar.
Modellisa schien eine wahre Goldgrube zu sein. Der erste Eindruck war luxuriös und vielversprechend. Sie schlug ihre Beine übereinander, strich sich noch einmal durchs Haar. Ihr Blick schweifte durch den Raum. An den Wänden hingen großformatige Plakate aus verschiedenen Metropolen und deren Fashion Week. Besonders beeindruckte sie die Fotowand mit den Porträtaufnahmen der Models, die in dieser Agentur unter Vertrag standen. Es waren durchweg atemberaubend schöne Frauen mit einer außergewöhnlichen Ausstrahlung. Ashley beugte sich nach vorne und griff zu einem der Flyer auf dem Designertisch. Kayla hatte ihr zwar einen mitgegeben, doch sie konnte sich nicht satt daran sehen. Laut eigener Aussage der Agentur wurden ihre Models weltweit vermittelt und liefen zum Beispiel für die Modeschauen in London, Mailand, New York und Kopenhagen. Es gebe sehr gute Kontakte zu internationalen Modedesignerinnen, aber auch zu Chefredakteurinnen der weltweit größten Modemagazine, stand da. Von Frau zu Frau, hieß die Devise von Modellisa. Auf den abgebildeten Titelseiten erkannte Ashley die bestbezahlten Models Kendall Jenner, Karlie Kloss und Chrissy Teigen. In diesen Magazinen wollte Ashley auch eines Tages abgelichtet sein. Doch sofort kamen Selbstzweifel bei ihr auf, ob sie wirklich für Modellisa geeignet wäre oder ob das, womit man sie bei der anderen Agentur abgewiesen hatte – »Sie sind zu dick und haben kein Charisma« –, wirklich stimmte. Dabei hatte sie sich die Pfunde wieder anfuttern müssen, weil sie sonst als magersüchtig gegolten hätte. Egal. Bis hierhin hatte sie es geschafft. Warum sollte es nicht weitergehen? Sie würde jedenfalls alles dafür tun. Außerdem fühlte sie sich mit ihren dunklen Haaren und den dunkelblauen Augen schon als etwas Besonderes.
Wir hatten uns mit Detective Owen Collins im Hafengebiet von Long Island in Queens verabredet und fuhren durch den Queens Midtown Tunnel. In der Nähe des Tatorts parkten wir und gingen über die lang gezogene Aussichtsterrasse des Gantry Plaza State Park, wo sich die historischen Ladebrücken und -kräne befanden. Es waren Relikte aus dem 19. Jahrhundert, als auf Long Island Arbeiter für die Ölraffinerien, Klebstofffabriken und Düngemittelhersteller die Waren auf die Schiffe geladen und gelöscht hatten. Nach und nach waren auf Long Island weitere Fabriken hinzugekommen, nur die Transportwege der Waren hatten sich geändert. Diese Stelle war ein beliebtes Fotomotiv, auch weil man von hier aus einen fantastischen Blick auf die Skyline von Manhattan hatte.
Der Detective begrüßte uns freundlich. Collins sah aus wie ein Amateurboxer und konnte vor Kraft kaum laufen. Sein kindliches Gesicht mit den großen braunen Kulleraugen stand im krassen Gegensatz zu seiner Statur. Vermutlich war es gerade diese Kombination, mit der er von den Tätern unterschätzt und von den Ladys als Teddybär geliebt wurde.
»Der Tatort ist von der Spurensicherung freigegeben«, sagte er mit einer angenehm dunklen Stimme, die sich wie ein Brummen anhörte. »Die Touristen können wieder ihre Fotos machen. Oder sollte ich Influencer sagen? Was bisher ermittelt wurde, habe ich Ihnen zugeschickt. Die Forensik ist beschäftigt.« Er ging ein paar Schritte vor und schob einen Klappaufsteller beiseite, unter dem das Pflaster rot verfärbt war. Collins zeigte darauf. »Unsere Werbetafel darüber zu stellen, war meine Idee. Wir können immer Nachwuchs gebrauchen. Bis die Steine gereinigt sind, wollen wir die Knipser nicht verschrecken oder womöglich Sensationslüsterne anlocken.«
Ich nickte stumm.
Er hielt den Blick auf den Boden gesenkt. »Das war kein schöner Anblick. Eine durchgeschnittene Kehle ist zwar nichts Besonderes für Sie, Agents, aber da hätten Sie auch eine Gänsehaut bekommen – so ein stümperhaftes Gemetzel. Unique Beers war so ein hübsches junges Ding. Sie hätte als Model wirklich eine steile Karriere hinlegen können. Eine Schande ist das.«
Ich wusste genau, was er damit sagen wollte, und ließ ihn kurz gedenken.
Phil drehte sich nach allen Seiten und zeigte zu einem Laternenpfosten hoch. »Was ist auf der Überwachungskamera zu sehen?«
»Leider nicht viel. Auch die Tonspur der Aufzeichnungen gibt Rätsel auf. Wir brauchen Ihre Unterstützung. Uns fehlen die Spezialisten dafür.«
»Kein Problem, das klären wir«, sagte ich und schob mit ihm den Aufsteller wieder über den eingetrockneten Blutfleck. Das Pappschild stand zu nah am Fahrradweg. Ich riet ihm, das mit dem Fleck lieber sofort erledigen zu lassen.
Er wollte schnellstens nachhaken.
»Laut unserem Bericht wurde Uniques Freundin Mira im East River gefunden«, sagte ich und kam auf die zweite Tote an diesem Ort zu sprechen. »Wo genau?«
»Folgen Sie mir.« Collins stapfte zu einer dicht bewachsenen Böschung, drehte sich kurz zu uns um und zeigte, in welche Richtung wir gehen mussten.
Wir liefen einen Trampelpfad entlang. Phil war mir dicht auf den Fersen.
»Ist das der Weg, den Mira Young genommen hat?«, fragte er. »Wurde hier auch nach eventuellen Spuren gesucht?«
Der Detective schüttelte den Kopf.
»Nein, die Kollegen der Spurensicherung haben sich an dieser Stelle den Weg nach unten gebahnt, nachdem sie hatten ausschließen können, dass Mira Young es getan hat.« Er zeigte auf eine knorrige Baumkrone, die aus dem Wasser ragte. »An dieser Stelle wurde sie im Geäst gefunden.«
Wir näherten uns. Ich sah an einer Astgabelung frische Sägestellen, und am Ufer zeichneten sich unzählige Fußspuren im weichen Boden ab.
»Das ließ sich nicht vermeiden«, sagte Collins entschuldigend. »Ein Zeugenaufruf könnte vielleicht helfen. Wir haben bisher keine Personen gefunden, die etwas gehört oder beobachtet haben. Jedenfalls hatte Miss Young ihren Führerschein dabei, ein paar Quittungen und Fotos. Ansonsten herrschte Ebbe in ihrer Geldbörse, bis auf die zehn Cent, die wir im Münzfach entdeckt haben. Dabei schien sie von ihrer Kleidung her nicht die Ärmste gewesen zu sein. Ich kenne mich da nicht so gut aus, weiß nur, dass meine Schwester ...«
Phil räusperte sich.
»... also, ob Miss Young vorher ausgeraubt wurde, wissen wir nicht. Fingerabdrücke lassen sich durch das Wasser nicht mehr von der Lederbörse sichern, und ob das auf dem Führerschein oder den anderen Papieren möglich ist, bleibt abzuwarten. Das sagte mir zumindest der Spurenermittler, und der muss es ja wissen. Ein Handy hatte sie nicht dabei. Das habe ich bei der Übermittlung der Todesnachricht an Miras Mutter, Brianna Miles, überreicht bekommen. Mira hatte es wohl in ihrem Zimmer vergessen. Soll ich es direkt zu Ihrem IT-Experten schicken?«
Ich nickte.
Phil und ich schauten uns an der Stelle gründlich um, an der Mira aus dem Wasser gezogen worden war. Die Kollegen von der Crime Scene Unit arbeiteten zwar alle gründlich, aber manchmal sahen sechs Augen mehr auch mehr.
»Ach so«, sagte Collins beim Suchen. »Ich habe vorhin einen Anruf von Mira Youngs Mutter erhalten. Brianna Miles wollte mit dem Chef des FBI sprechen und sich beschweren. Die Ermittlungen dauern ihr zu lange. Bis dahin sei der Täter längst entwischt, meinte sie.« Er hob die Brauen.
»Okay«, sagte Phil lang gezogen.
»Wir kümmern uns darum. Geben Sie mir die Nummer«, bat ich.
Im Jaguar griff ich zum Telefon und wählte Brianna Miles' Nummer. Sie meldete sich sofort. Ihre Stimme war unangenehm laut.
»Guten Tag, Mrs. Miles«, sagte ich. »Mein Name ist Special Agent Cotton vom FBI. Mein Partner ist Special Agent Decker und hört das Gespräch mit. Detective Collins aus Long Island sagte mir, Sie wollten den Chef des FBI sprechen. Wir sind mit den Ermittlungen in diesem Fall beauftragt worden.«
»Endlich melden Sie sich. Sind Sie der Chef vom FBI?«, fragte die Frau, die offenbar nicht richtig zugehört hatte und immer noch in Rage war.
Ich musste ein wenig die Luft rausnehmen, damit unser Gespräch ruhig verlaufen würde. Als Chef vom FBI wollte ich mich nicht auszugeben und blieb bei der Wahrheit, betonte jedoch noch einmal, dass wir Special Agents waren und die Ermittlungen bereits aufgenommen hatten.
Das schien sie ein wenig zu beruhigen. Ihre Stimme blieb dennoch laut, als sie uns sagte, was sie von uns erwartete. Ich musste noch einmal nachhaken, was Miras Wohnverhältnisse anging.
»Bitte erzählen Sie mir etwas über Mira, damit wir uns ein Bild über sie machen können. Sie sagten, Sie haben zusammen in einem Zweizimmerapartment in Yorkville gelebt. Waren Sie darüber informiert, dass sich Mira mit ihrer Freundin Unique in Queens treffen wollte? Wissen Sie etwas von einem Streit zwischen den beiden?«
»Unique? Kenne ich nicht. Hören Sie, ich bin Ärztin in einem Krankenhaus und arbeite im Schichtdienst. Ich habe Mira oft wochenlang nicht gesehen. Zettel haben wir uns auch nicht geschrieben. Wir hatten nur die generelle Abmachung, dass sie gegen zweiundzwanzig Uhr noch einmal mit dem Hund rausgehen soll, wenn ich Nachtschicht habe. Nicht einmal das hat sie gemacht.«
»Aber Sie wussten, dass Ihre Tochter bei Modellisa unter Vertrag stand und für die Agentur als Model arbeitete?«
»Nein, woher? Ich bin davon ausgegangen, dass sie Jura studiert. Es war ein Kompromiss, weil sie keine Ärztin werden wollte. Für das Studium habe ich ihr monatlich Geld überwiesen, und das nicht zu knapp. Dass sie auf einmal für eine Modelagentur tätig ist, habe ich rein zufällig mitgekriegt, weil Mira ihr Handy im Zimmer vergessen hatte. Und dann kam dieser Anruf. Das habe ich alles bereits dem Detective erzählt. Er hat Miras Telefon mitgenommen und wollte es zur Auswertung irgendwohin schicken. Agents, es kommt mir so vor, als kämen Sie nicht weiter.«
Ich blieb ruhig und versicherte ihr, dass wir alles daransetzten, den Fall schnellstmöglich aufzuklären. Wir vereinbarten gleich für den nächsten Tag einen persönlichen Termin, bei dem wir sicher erste Ergebnisse liefern könnten.
Wieder im Büro im Field Office machten wir Halt bei unserem IT-Experten Ben Bruckner. Nachdem ich an seiner Bürotür angeklopft und vorsichtig die Tür geöffnet hatte, damit er sich nicht erschreckte, sahen Phil und ich, wie vertieft er in seiner Arbeit war. Er saß mit feuerroten Ohren über ein Handy gebeugt.
»Hallo, Ben, ich wage kaum zu fragen«, begann ich. »Ist das zufällig das Handy von Mira Young? Gibt es schon Erkenntnisse?« Uniques Handy hatte er bereits ausgewertet. Die Inhalte mussten wir noch in der Akte sichten.
»Hi, Jerry, hi, Phil.« Er lehnte sich zurück, griff in die Tüte Lakritz und steckte sich ein Stück seiner Lieblingsnahrung in den Mund. Andächtig und zufrieden kaute er darauf herum. »Gerade bin ich damit fertig geworden. Verläufe, Telefondaten, Chats, Videochats und sonstige Dateien habe ich ausgelesen. Packe ich gleich alles in die elektronische Akte. Wenn ihr möchtet, kann ich euch ein paar Sprachnachrichten abspielen. Sie sind bezeichnend für die vielen anderen Nachrichten, die von der Modellisa-Agentur gekommen sind. Darum geht es ja hauptsächlich, oder?«
»Nicht nur«, sagte ich. Doch es konnte nicht schaden, in diese Richtung zu denken.
Ich setzte mich links neben Ben. Phil stand rechts von ihm. Ben Bruckner rutschte nervös auf seinem Bürostuhl hin und her, bis er schließlich auf Play klickte.
»Hi, Mira. Tina hier, deine Bookerin. Du weißt noch, was du in deinem Vertrag unterschrieben hast, oder? Du musst dich an die Regeln halten, sonst bist du schneller wieder draußen, als du denkst. Vergiss nicht, wer dich aufgefangen hat. Wenn du das alles so locker siehst, ist das deine Sache, aber das wird die Chefin nicht mitmachen. Du hast diese Woche nicht dein Soll erfüllt. Es stehen Einkäufe und das Gym aus.«
»Ja, ich weiß, ich hatte so viel zu tun«, kam die Antwort von Mira. »Ich erledige es auf alle Fälle. Hast du endlich eine Buchung reinbekommen? Was ist mit dem Walk in London? Wann geht es los? In eurem Flyer garantiert ihr die Modelaufträge.«
Stille. Jemand mit einer sehr dunklen Stimme sprach lautstark dazwischen.
Ben zuckte zusammen, als sie loslegte. »An der Stelle erschrecke ich mich jedes Mal. Wer rechnet damit, dass eine Frau solch eine dunkle Stimme hat?«
»Hör zu, du undankbares Wesen, Lisa hier. Lass das unsere Sorge sein, wann wir dir einen Auftrag geben und wann nicht. Es liegt nicht an unserer Agentur, sondern an dir. Würdest du dich an unsere Richtlinien halten, wäre das kein Thema mehr. Also bewege deinen süßen Popo ins Gym und trainiere, was die Geräte halten. Vergiss deine Vitamine und Proteine nicht. Wir brauchen dich in Topform. Sonst wird das nichts.«
Auf dem Display sahen wir die Anzahl der Sprachdateien – eins von achtundzwanzig. Wir entschieden uns um und wollten den Rest doch lieber in unserem Büro hören.
Ashley fuhr herum, als die Agenturchefin Lisa Gliss die Tür aufriss. Sie war eine große, schlanke Frau mit markantem Gesicht, das von einem kurzen brünetten Pagenschnitt umrahmt war. Trotz der jugendlichen Frisur musste sie älter als fünfzig sein. Freundlich, aber bestimmt begrüßte sie Ashley. Wieder irritierte sie die außergewöhnlich dunkle Stimme der Agenturchefin, die sie bereits bei ihrem ersten Telefonat gehört hatte.