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Das Mezzogiorno war seit Jahren unser Stammitaliener, in dem Phil und ich so manchen Feierabend ausklingen ließen. Doch nun wartete dort Arbeit auf uns. Der Kellner Paolo bat im Namen seiner Freundin Melina Torres um Hilfe. Sie wurde seit Tagen von einem unbekannten Mann verfolgt. Ihm zuliebe schauten wir bei Melina vorbei - und wurden Zeugen ihres Todes. War hier ein Stalker am Werk, wie der ermittelnde Kollege vom NYPD glaubte? Es dauerte nicht lange, bis uns klar wurde, hier ging es um weit mehr ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Blutiges Erbe
Vorschau
Impressum
Blutiges Erbe
Da war er wieder!
Melina Torres sah den Mann nur aus den Augenwinkeln. Aber sie wusste genau, dass es der Typ war, der sie schon gestern verfolgt hatte. Es waren gut fünfzig Yards bis zur U-Bahn-Station. Kam er ihr nach? Sie blickte nicht zurück und lief schneller. Ihr Herz hämmerte. Der lange Weg zum Bahnsteig hinunter war beängstigend. Mit dem typischen Rauschen fuhr gerade ein Zug ein. Melina betrat einen der Waggons.
Endlich erreichte sie die Haltestelle, an der sie aussteigen musste. Als sie zur Treppe gehen wollte, blieb ihr fast das Herz stehen. Zwei Wagen weiter hatte auch ihr Verfolger die Subway verlassen.
Es gelang Melina, in der Menge unterzutauchen. Das Bild des Mannes hatte sich in ihren Kopf eingebrannt.
Er war Mitte zwanzig. Sein schwarzes Haar glänzte, das ihm bis zu den Wangenknochen hinunterreichte. Besonders auffällig war ein spinnennetzförmiges Tattoo, das aus seinem Kragen hervorblitzte schien und sich seitlich vom Hals bis zum Ohr ausbreitete.
Sie beeilte sich, nach oben zu gelangen, drängte sich an den anderen Passanten vorbei, stammelte eine Entschuldigung, wenn sie jemanden in der Hektik anrempelte.
Kaum war sie draußen, schlug ihr leichter Regen entgegen. In Queens, wo sich Melinas Arbeitsplatz befand, war es noch trocken gewesen. Hier in Brooklyn zog Nieselregen über die Stadt, der wahrscheinlich vom Meer her kam. Seit einer knappen halben Stunde brannten die Straßenlampen. Ihr Licht reflektierte auf dem nassen Asphalt und mischte sich mit dem Schein der bunten Neonreklamen, die die Hausfassaden zierten.
Melina Torres schlug den Kragen ihres Mantels hoch. Ein Gefühl der Erleichterung breitete sich in ihrem Inneren aus. In ein paar Minuten wäre sie in ihrer Wohnung. Sie würde sich ein Bad einlaufen lassen und den Abend genießen ...
Der Gedanke an ihre sichere Wohnung verlieh Melina Flügel. Sie musste noch über einen Zebrastreifen. Gerade als sie den Bordstein erreichte, wurde die Ampel grün. Sie ließ die anderen Fußgänger hinter sich und hastete über die Straße. Einmal um die Ecke und drei Häuser, dann war sie am Ziel. Ihre Absätze klapperten auf dem Gehweg.
Sie erreichte ihre Adresse. Das Haus war alt und besaß die in New York so typische, im Zickzack geführte Feuerleiter. Zur Haustür ging es ein paar Stufen hinauf.
Davor kramte Melina Torres in der Manteltasche nach ihrem Schlüsselbund. Ihr Herz führte immer noch ein Trommelsolo auf. Sie spürte Hitze im Gesicht. Bleib ruhig, ermahnte sie sich. Gleich bist du in Sicherheit.
Nach einer halben Ewigkeit hatte sie den Schlüssel in der Hand und wollte die Eingangstür aufschließen. Doch schon beim geringsten Druck ging sie nach innen auf. Sie war gar nicht abgeschlossen und nur angelehnt gewesen.
Das war nicht üblich. Die Hausverwaltung schärfte allen Mietern ein, immer ordentlich zuzusperren.
Sie tat einen Schritt ins Treppenhaus und drückte auf den Lichtschalter.
Im nächsten Moment stand der Mann vor ihr.
Er hob den Arm, wollte sie packen. Melina war so angespannt, dass sie sofort reagierte. Sie holte mit dem Arm aus und rammte dem Mann den Ellenbogen in den Bauch. Damit hatte er nicht gerechnet. Für einen Moment schwankte er zur Seite. Zeit genug, um an ihm vorbei die Treppe hinaufzurennen.
Sie hatte gerade den ersten Absatz erreicht, da hörte sie, wie der Mann zu ihr aufschloss. Sie musste weiter! Und genug Zeit gewinnen, um die Tür aufzuschließen.
Melina erreichte ihr Stockwerk. Die Schritte von unten näherten sich. Sie waren nicht mehr so schnell. Der Verfolger war sich offenbar sicher, dass sie in der Falle saß.
In ihrer Angst hatte Melina Torres ihren Schlüsselbund reflexartig in die Tasche gesteckt. Deswegen musste sie jetzt wieder nesteln. Ihre Finger versagten ihr den Dienst, und auf einmal wurde ihr klar, dass sie es nicht schaffen würde. Sie stand vor ihrer Wohnungstür. Die Sicherheit vor dem unheimlichen Verfolger war nur einen Schritt entfernt, aber sie konnte die Tür nicht öffnen ...
Da ging die Wohnungstür nebenan auf. Die Gestalt von Mrs. Smith wurde sichtbar. Die alte Lady trug einen Mantel und hatte eine Einkaufstasche in der Hand. Sie hatte die Angewohnheit, ihre Einkäufe am frühen Abend mitten im Trubel des Berufsverkehrs zu erledigen. Dabei hätte sie den ganzen Tag Zeit dafür, denn sie war Rentnerin.
»Guten Abend, Miss Torres«, sagte sie besorgt. »Alles in Ordnung?«
Melina lauschte. Das Auftauchen von Mrs. Smith hatte den Verfolger wohl aus dem Konzept gebracht. Seine Schritte entfernten sich.
Sie lächelte der alten Frau zu. »Guten Abend. Ja, alles gut. Ich bin nur etwas zu schnell die Treppe rauf.«
Es hatte keinen Sinn, Mrs. Smith von dem Verfolger zu berichten. Die Sache war zu vage, und sie wollte ihrer Nachbarin keine Angst machen.
Nun war ihre Wohnungstür offen. Die alte Lady grüßte, wünschte einen schönen Abend und stieg die Stufen hinunter. Eine Welle der Erleichterung folgte, als Melina in ihrem Apartment war und hinter sich die Tür zuzog.
Ein Plan nahm in ihrem Kopf Gestalt an.
Sie stellte die Tasche hin und ging sofort zum Telefon.
Melina brauchte die Nummer, die sie wählen wollte, nicht herauszusuchen. Sie kannte sie auswendig.
»Pappsatt«, sagte Phil und schob den Teller von sich.
»Mir geht's genauso«, gab ich zurück.
Mein Partner hatte eine Riesenportion Lasagne verdrückt. Bei mir war es ein Mailänder Schnitzel mit allen möglichen Beilagen, das meinen Magen füllte.
»Was würden wir tun, wenn wir das Mezzogiorno nicht hätten?«, fragte Phil. Offenbar war ihm nach dem Essen danach, den Abend philosophisch ausklingen zu lassen.
»Selbst kochen, ein anderes Restaurant besuchen oder hungern«, lieferte ich die theoretisch möglichen Antworten.
»Waren die Gentlemen zufrieden?«, fragte Paolo, unser Kellner.
»Das ist gar kein Ausdruck«, sagte ich. »Viele Grüße an die Küche. Der Koch hat sich mal wieder selbst übertroffen.« Ich wandte mich an Phil. »Heute bin ich dran mit Bezahlen«, erklärte ich und bat den Kellner um die Rechnung.
Er nickte und entfernte sich mit dem schmutzigen Geschirr.
»Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich auch ein Schnitzel bestellt«, sagte mein Partner und grinste.
Wir sprachen noch ein paar Minuten über den Tag, den wir hauptsächlich mit Berichten und Aktenstudium verbracht hatten. Dann stellte uns Paolo ein Tellerchen hin. Es lagen zwei Zettel darauf. Das eine war die Rechnung, das andere eine Visitenkarte des Restaurants, die mit der Rückseite nach oben auf der glatten Fläche lag. Paolo hatte etwas darauf notiert.
Könnten wir uns draußen über etwas unterhalten?
Ich zeigte es Phil.
»Was soll das denn bedeuten?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Ich denke, das werden wir gleich wissen.« Ich holte ein paar Scheine aus der Tasche, mit denen ich den Preis für das Essen großzügig aufrundete, legte sie auf das Tellerchen und nickte Paolo zu, der am Eingang zur Küche stand.
Mit unbewegter Miene sah er zu, wie wir unsere Mäntel anzogen. Das Kärtchen nahm ich mit.
Kurz nachdem wir das Restaurant verlassen hatten, trat er aus der Gasse, die auch einen Zugang zur Küche hatte.
»Was gibt es denn?«, fragte ich. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
»Ich wollte nicht, dass der Chef mitbekommt, wenn wir uns unterhalten«, sagte er. »Und ich habe auch nur ein paar Minuten Zeit. Es geht darum ... Sie sind doch bei der Polizei, oder nicht?«
»Wir sind Agents beim FBI«, stellte Phil klar.
Paolo schüttelte den Kopf, als würde er den Einwand ignorieren. »Ich habe eine Freundin ... Ich meine, es ist keine Freundin, eher eine Bekannte. Sie heißt Melina. Melina Torres. Und sie hat ein Problem. Sie wird von einem seltsamen Mann verfolgt. Er tut ihr nichts, aber er hat ihr schon mehrmals aufgelauert, und sie weiß nicht, was sie machen soll. Es geht schon seit Tagen so. Ich habe ihr gesagt, dass ich Restaurantgäste habe, die bei der Polizei sind ... Könnten Sie da nicht etwas unternehmen?«
Ich erklärte ihm, dass das tatsächlich ein Fall fürs NYPD war. »Es gibt dort eine Abteilung für Stalking. Genau darum handelt es sich ja. Ihre Freundin wird gestalkt.«
»Könnten Sie ihr das nicht selbst sagen? Auf mich will sie nicht hören. Sie meint immer nur, dass ihr da von offizieller Seite sowieso niemand helfen kann. Sie hat kein Vertrauen in die Behörden, verstehen Sie?«
Wir nickten. Leider gab es das ziemlich oft. Manchmal sicher auch zu Recht. In den meisten Fällen nicht. Die Sicherheitsbehörden konnten viele Dinge tun, von denen normale Bürger nichts wussten.
»Tun Sie mir den Gefallen und reden Sie mit ihr«, bat Paolo.
»Wir könnten sie morgen anrufen«, schlug Phil vor.
»Oder ich gebe Ihnen die Adresse und Sie fahren jetzt vorbei. Sie wohnen doch auf der Upper West Side, oder? Na ja, es ist nicht gerade auf Ihrem Weg, aber Sie müssten nur mal kurz nach Brooklyn rüber.«
Eine Pause entstand, in der mein Partner und ich uns unschlüssig ansahen.
»Sie müssen einen Monat nichts für die Getränke zahlen«, sagte Paolo. »Ich bitte Sie. Helfen Sie meiner Freundin. Sie ist völlig verzweifelt.«
Minuten später saßen wir in meinem Jaguar und arbeiteten uns durch den Verkehr nach Osten. Paolos Angebot, uns einen Monat lang hinsichtlich der Getränke freizuhalten, hatte uns so gerührt, dass wir beschlossen hatten, ihm den Gefallen zu tun. Natürlich hatten wir sein Angebot nicht angenommen. Uns war klar, wie wenig Kellner in New York verdienten. Wir dagegen waren Bundesbeamten mit festem Gehalt und guter Altersversorgung. Außerdem hätte man es uns als Bestechung auslegen können.
»Vielleicht kann Melina Torres den Mann so gut beschreiben, dass wir ihn in der Datenbank finden«, überlegte Phil laut, während wir den East River überquerten. »Das geht natürlich nur, wenn er schon mal straffällig geworden ist und wir seine Daten haben.«
»Wir reden der Frau gut zu und raten ihr, sich an die Stadtpolizei zu wenden«, meinte ich. »Vielleicht kannst du ja schon mal den Ansprechpartner raussuchen, den sie anrufen soll. Und wir melden uns da morgen gleich nach Dienstbeginn auch und informieren den Kollegen. Dann geht das alles vielleicht schneller.«
Phil nahm das Tablet, das zur Ausstattung des Jaguar gehörte, und suchte die entsprechende Seite im Internet heraus, auf der alle Informationen zu finden waren.
Kurz darauf erreichten wir die Adresse. Es war ein klassisches New Yorker Brownstonehaus mit einem altmodischen Eingang. Melina Torres wohnte in der vierten Etage. Ich wollte gerade auf die Klingel drücken, da bemerkte Phil, dass die Tür nur angelehnt war.
So gingen wir hinein. In einer der unteren Wohnungen lief irgendwo ein Fernseher in ziemlich hoher Lautstärke. Er wurde wieder leiser, als wir die betreffende Etage hinter uns ließen. Dafür hörten wir jetzt etwas anderes. Wir standen vor Melina Torres' Wohnungstür, und es war deutlich zu vernehmen, dass dahinter ein Streit im Gange war.
Eine Männerstimme schrie etwas. Wir konnten sogar ein paar Worte verstehen.
»Raus mit der Sprache!«, rief der Mann. »Na los!«
Es folgte ein Rumpeln.
Wir waren sofort alarmiert. Ich klingelte.
»Aufmachen, FBI!«, brüllte ich.
Für einen Moment wurde es hinter der Tür still. Dann war wieder ein undefinierbares Geräusch zu hören. Und ein Schrei. Er stammte von einer Frau.
Wir durften nicht länger warten. Phil nahm Anlauf. Im selben Moment ertönte von innen erneut ein Rumpeln und ein lautes Stöhnen. Mein Partner trat gegen das Holz.
Es splittere. Phil musste einen zweiten Versuch starten, bis wir durchkamen. Ich hatte schon meine Glock gezogen und rannte in die Wohnung.
Im Schein einer Küchenlampe konnte ich sehen, wie jemand durch das offene Fenster verschwand. Als ich die Fensterbank erreichte, hatte die Gestalt über die Feuertreppe bereits drei Etagen hinter sich gebracht. Diese Seite des Apartments führte auf einen Hinterhof, der schlecht beleuchtet war. Der Schatten ließ sich fallen, rollte auf dem Pflaster vor einer Reihe Mülltonnen ab und hetzte durch einen Durchgang davon. Bis ich unten ankäme, wäre er schon längst im Passantenstrom auf der Straße verschwunden.
»Verdammter Mist«, sagte Phil hinter mir.
Ich drehte mich um. Da lag eine Frau auf dem Boden. Ihre Augen blickten starr nach oben. Man musste kein Gerichtsmediziner sein, um zu erkennen, dass sie tot war.
Uns blieb erst einmal nichts anderes übrig, als das NYPD zu verständigen. So wie der Fall lag, war die Stadtpolizei zuständig. Und ich wäre auch davon ausgegangen, dass er bei dieser Strafverfolgungsbehörde in den besten Händen war.
Doch dann tauchte neben ein paar uniformierten Kollegen Detective Lieutenant Bob Dresher vor dem Haus auf. Und die Hoffnung brach in sich zusammen. Wir kannten Dresher von ein paar anderen Fällen. Er hatte uns schon oft den Beweis geliefert, dass er unter den Polizisten im Big Apple nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte war.
Zwei Streifenwagen mit Uniformierten hatten die Vorhut gebildet. Dresher, ein glatzköpfiges Männlein, kam zu Fuß. Er war wohl gerade in einem Burgerladen in der Nähe gewesen und war bei seiner Ankunft damit beschäftigt, sich mit einer Serviette den Mund abzuwischen. Einiges von der Sauce war auf seinem beigefarbenen Hemd und dem hellbraunen Schlips gelandet. Wir konnten das deutlich sehen, denn er trug trotz des schlechten Wetters seinen Mantel offen.
»Was höre ich da?«, fragte er, nachdem er uns begrüßt und die schmutzige Serviette in die Hosentasche gesteckt hatte. »Ihr habt die Leiche gefunden? War das Zufall oder Absicht?«
Wir wollten ihm gerade pflichtgemäß berichten, was uns hergeführt hatte, da ertönte ein elektronisches Gedudel. Dresher zog sein Handy heraus.
»Sorry, da muss ich drangehen«, informierte er uns. Er ging einen Schritt weg und begann ein Gespräch, bei dem wir alles, was er sagte, mitbekamen. »Ja, Baby. – Ja, aber ich ... – Nein, es wird später. – Nein, Baby, ich habe einen Fall. – Ja, Baby.«
Phil verdrehte die Augen. Der Detective telefonierte tatsächlich mit seiner Freundin. Und er machte keine Anstalten, das Gespräch zu beenden, obwohl es hier einen dringenden Fall zu lösen gab.
»Wie bringen wir das Paolo bei?«, fragte Phil mit sorgenvoller Miene, während Dresher weiterhin versuchte, »Baby« davon zu überzeugen, dass das heutige Date verschoben werden musste.
»Es wird ihm das Herz brechen«, meinte ich. »Er hat Melina Torres zwar als Bekannte bezeichnet, ich hatte allerdings das Gefühl, dass da mehr lief. Oder dass er es sich zumindest gewünscht hat.«
Endlich war Dresher fertig. Trotzdem kümmerte er sich nicht um das, weshalb er vor Ort war. Stattdessen zeigte er uns auf dem Handy das Foto einer Blondine mit hochgewölbtem Dekolleté, die entfernt an Marilyn Monroe erinnerte.
»Das ist Sue, meine Flamme«, meinte er stolz. »Wir haben uns auf einem Datingportal im Internet kennengelernt.«
Das Foto sah eindeutig wie ein Fake aus.
»Hast du die Frau schon mal in natura gesehen?«, fragte ich.
Dresher machte ein überraschtes Gesicht. »Nein, das wollten wir heute Abend endlich nachholen. Sie wohnt oben in Oakland. Ich habe ihr extra das Geld geschickt, damit sie nach New York kommen und hier ein Hotelzimmer nehmen kann. Leider kann sie jetzt doch nicht, weil ihre Mutter krank geworden ist.«
»Das heißt, sie hat abgesagt?«, fragte Phil. »Nicht du?«
Dresher nickte.
»Ja genau. Ist zwar schade, passt aber ganz gut, wo wir jetzt einen Fall lösen müssen, was, Jungs?« Er grinste.
Weder Melina Torres noch Paolo hatten einen solchen Stümper als Ermittler verdient. Deswegen blieben wir lieber. Dresher hatte auch gar nichts dagegen.
Der Gerichtsmediziner sah auf den ersten Blick, dass die Todesursache ein Genickbruch war.
»Also nicht unbedingt Mord«, fasste Dresher zusammen, als wir wieder unten auf der Straße standen. »Sie haben sich gestritten, dann stürzte sie unglücklich. Wenn ich das mit dem kombiniere, was ihr erzählt habt, Jungs, dann war das wohl wirklich ein Stalker.«
»Vielleicht auch so eine Internetbekanntschaft«, warf Phil in die Runde.
Dresher nickte. »Wahrscheinlich sogar. Es haben ja nicht alle so ein Glück wie ich mit meiner Sue. Okay, das war's dann. Ich fahre ins Büro und warte auf die Ergebnisse der Spurensicherung. Wenn die da sind, werden wir mehr wissen. Macht's gut, Jungs. Und einen schönen Feierabend. Seid froh, dass ihr einen habt.«
Dann zog die Crime Scene Unit ab. Melina Torres' Leiche war abtransportiert worden. Die Wohnung hatten die Beamten versiegelt.
»Hast du nicht was vergessen?«, fragte Phil.
Der Detective klopfte auf seine Taschen. »Handy, Geld, Dienstmarke, Notizbuch ... Nein, alles da, Phil. Macht's gut.«
Der Wagen fuhr los.
»Es ist doch immer wieder schön, mit professionellen Kollegen zusammenzuarbeiten«, sagte mein Partner ironisch.
»Dem habe ich nichts hinzuzufügen«, erklärte ich. »Findest du nicht auch, dass wir es Paolo irgendwie schuldig sind, etwas mehr zu tun, als wir nach den Vorschriften tun müssten?«
Phil nickte. Er wusste genau, was ich meinte. So wandten wir uns dem Hauseingang zu, um das zu übernehmen, was Dresher übersehen hatte.
Wir suchten nach Zeugen.
Natürlich war unser Eindringen in die Wohnung bei den anderen Hausbewohnern nicht unbemerkt geblieben. Und auch die plötzliche Ansammlung von Polizeifahrzeugen vor dem Gebäude hatte für Aufsehen gesorgt.
Doch die uniformierten Beamten hatten ihren Job verstanden. Alle Bewohner wurden gebeten, in ihren Wohnungen zu bleiben und sich nicht im Treppenhaus aufzuhalten. Wer unten auf der Straße nicht sofort weiterging, wurde höflich, aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht, seinen Weg fortzusetzen.
Phil und ich nahmen uns nun nach und nach die Bewohner vor und stellten Fragen, die vielleicht auf die Spur des Stalkers führen konnten. Es war ja möglich, dass ihn jemand gesehen hatte und uns eine Beschreibung liefern konnte. Wir arbeiteten uns von unten nach oben vor. Leider war die Ausbeute mager. Entweder wussten die Leute gar nicht, wer Melina Torres war, oder es war niemand zu Hause.
Nur in der Nachbarwohnung der Toten stießen wir auf ein paar Informationen. Dort wohnte eine gewisse Mrs. Smith. Sie war eine Lady um die siebzig. Als sie erfuhr, was mit Melina Torres passiert war, machte sie große Augen.
»Sie ist tot?«, fragte sie entsetzt. »Das gibt es nicht. Wie ist das passiert?«
»Kannten Sie sie näher?«, fragte ich und umging bewusst ihre Frage.
Mrs. Smith nickte.