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Auf Long Island wurde die Leiche einer unbekannten jungen Frau in einem Teich gefunden. Ein Jäger wollte Hilferufe und Schüsse gehört haben, die Tote wies jedoch keinerlei Schussverletzungen auf. Die Frau war ertrunken. Zunächst sah die Polizei Ähnlichkeiten mit dem Fall der unbekannten Toten, die in der Nähe entdeckt worden war. Das zweite Opfer wurde schnell identifiziert. Es handelte sich um die neunzehnjährige Becky McKnight. Beckys Freundinnen sagten aus, dass die Studentin seit dem Badeunglück des Atlantic Seafront Summer Camp for Boys and Girls im letzten Sommer depressiv gewesen sei. Sie habe sich für mitschuldig am Tod zweier Kinder gehalten. Ein Abschiedsbrief fehlte, und wir vom FBI glaubten auch nicht so recht an diese Möglichkeit ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Todesfalle
Vorschau
Impressum
Todesfalle
Elvin Harmon war sechsundsechzig Jahre alt und hatte sein Leben lang Rehe und anderes Wild gejagt. Eigentlich brauchte man für das Naturschutzgebiet heutzutage mindestens eine Tageslizenz. Harmon hatte keine, das beunruhigte ihn nicht weiter. Wenn ein Ranger käme und ihn anhielte, würde er sich damit herausreden, dass er einfach vergessen habe, das entsprechende Ticket zu lösen. Es beunruhigte ihn auch nicht, als in einiger Entfernung ein Schuss fiel. Erst als er den Schrei hörte, erschrak er.
Das war der verzweifelte Hilferuf einer jungen Frau!
Weitere Schüsse.
Elvin Harmon rannte los.
»Ich komme!«, rief er und schoss in die Luft. Dann lauschte er.
Jetzt war alles still. Er lief in die Richtung, aus der der Hilferuf gedrungen war. Prestons Pond wahrscheinlich. Doch Harmon war zu weit ab. Er kam zu spät. Als er völlig außer Atem das Ufer erreichte, trieb im See die Leiche einer jungen Frau.
Phil und ich waren nicht zum ersten Mal bei der Polizei im Suffolk County auf Long Island, aber Detective Geraldine Lawrence, die neue Leiterin der Mordkommission, kannten wir noch nicht. Es gab bisher wenige Schwarze, die bei der Polizei in führende Positionen aufgestiegen waren. Doch als ihr Vorgänger wegen einer Reihe von Unregelmäßigkeiten entlassen worden war, hatte die Polizei im Suffolk County einen radikalen Schnitt gemacht und nicht nur die Führungspositionen ausgetauscht, sondern auf freiwerdende Stellen eine ganze Reihe von Schwarzen und von Bürgern mit lateinamerikanischen Ursprung eingestellt, sodass die Zusammensetzung der Polizei jetzt ungefähr derjenigen der Bevölkerung entsprach.
»Wenn eine Tote in einem See treibt«, sagte Geraldine Lawrence, »dann haben wir es meist mit einem Suizid zu tun. Aber nach dem, was Elvin Harmon, der Jäger, uns erzählt hat, waren wir uns zunächst ziemlich sicher, dass die junge Frau einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Harmon hat gesagt, er habe Schreie gehört, Hilferufe und Schüsse. Er sei losgelaufen und habe auch laut gerufen.«
»Mutig«, bemerkte Phil. »Ich kenne nicht allzu viele Leute, die spontan irgendwo hinlaufen, wo gerade geschossen wird.«
»Nicht mutig«, widersprach die Polizistin. »Spontan, das ist der richtige Ausdruck. Es war eine spontane Reaktion. Völlig unüberlegt. Natürlich hatte er sein Gewehr dabei.«
»Er ist zu spät gekommen«, sagte ich.
»Ja. Wir haben hinterher rekonstruiert, wo er zu dem Zeitpunkt ungefähr gewesen sein muss, als er die Schreie gehört hat, und das war ungefähr eine halbe Meile von der Stelle entfernt, wo die junge Frau ertrunken ist. Und er hat ja nicht einmal gewusst, wo sie geschrien hat. Er ist auf gut Glück losgerannt. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis er den richtigen See gefunden und festgestellt hat, dass da eine leblose Person im Wasser lag.«
Geraldine Lawrence legte Fotos auf den Tisch. »Becky McKnight, Studentin, neunzehn Jahre alt.«
Die Aufnahmen zeigten eine vollständig angezogene, ganz offensichtlich triefend nasse Tote, die am Seeufer lag.
»Wie tief ist der See?«, fragte ich.
»Nicht besonders tief. An der Stelle, wo die Tote gefunden wurde, ist er dagegen so tief, dass man da nicht mehr stehen kann. Der Jäger ist sofort ins Wasser gegangen und hat die Studentin herausgezogen.«
»Mord«, sagte Phil.
»Oder Suizid«, widersprach Geraldine. »Da waren wir uns nicht sicher.«
»Trotz der Schreie und der Schüsse haben Sie eine Selbsttötung für möglich gehalten?« Das erschien mir geradezu abwegig.
Die Polizistin zuckte mit den Schultern. »Am Anfang waren wir davon überzeugt, dass es sich um einen Mord handelte. Wenig später kamen uns ernste Zweifel. Die Leiche war äußerlich unversehrt. Der Zeuge hatte ja gesagt, es sei geschossen worden. Die junge Frau wies keine Schussverletzungen auf. Sie wies überhaupt keine Verletzungen auf. Keine Spuren von Gewalt. Sie war einfach nur ertrunken.«
Phil schüttelte den Kopf.
»Das ist Fakt«, sagte der Detective. »Alles andere war für uns erst einmal nicht überprüfbar. Die Schreie und die Schüsse hat nur der Jäger gehört. Und wie zuverlässig seine Aussage ist, das wage ich nicht zu beurteilen.«
»Sie haben Zweifel?«, fragte ich.
Geraldine Lawrence nickte. »Nicht alles, was der Mann sagt, ist wahr. Es geht damit los, dass er behauptet, er sei ein Jäger. Das ist nicht ganz richtig. Elvin Harmon ist sechsundsechzig Jahre alt und bessert seine kärgliche Rente dadurch auf, dass er gelegentlich ein Stück Wild schießt.«
»Das ist nicht verboten«, bemerkte Phil.
»Nein, das ist nicht verboten. Wenn man sich an die Regeln hält. Das Gebiet, in dem er mit dem Gewehr unterwegs war, ist eine Art Naturschutzgebiet. Man darf dort jagen, aber man muss vorher eine Tageslizenz erwerben. Elvin Harmon hatte keine.«
»Es kommt vor, dass man irgendetwas vergisst«, warf Phil ein.
»In diesem Fall kommt das relativ häufig vor. Wir haben bei der Jagdbehörde nachgefragt, und offenbar hat er im Laufe des letzten Jahres kein einziges Mal eine solche Lizenz erworben. Gejagt hat er. Einer der Ranger hat ihn zweimal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erwischt. Da musste er dann die Lizenz nachlösen.«
»Keine Anzeige wegen Wilderei?«, fragte ich.
»Nein«, bestätigte der Detective. »Unsere Ranger sind da in der Regel sehr großzügig. Sie appellieren an die Vernunft der Leute, meistens haben sie damit mehr Erfolg als mit Bestrafungen. Nicht immer. In diesem Fall sind sie sich sicher, dass Mister Harmon auch in der Schonzeit Rehe geschossen hat.«
»Aber es gibt keine Beweise?«, fragte ich.
»Es gibt Zeugenaussagen. Spaziergänger haben Elvin Harmon gesehen, wie er ein frisch geschossenes Reh in den Kofferraum seines Wagens geladen hat. Sie haben ihn darauf angesprochen, der Rentner hat weitergemacht. Er hat nicht gesagt, wie er heißt. Die Zeugen haben sein Kfz-Kennzeichen dafür aufgeschrieben und den Vorgang gemeldet.«
»In dem Fall wurde wirklich die Polizei eingeschaltet«, vermutete ich.
»Ja. Und unsere Leute sind der Sache auf den Grund gegangen. Harmon hat alles abgestritten. Hat gesagt, diese Spaziergänger müssten sich geirrt haben. Das könne gar nicht sein Auto gewesen sein. Und das Reh in seiner Kühltruhe habe er lange vor Beginn der Schonzeit geschossen.«
»Das klingt so, als würden Sie den Mann nicht besonders mögen«, stellte Phil fest.
»Ich mag Leute nicht besonders, die sich nicht an die Gesetze halten. Die Schonzeit dient dazu, dass der Wildbestand nicht übermäßig dezimiert wird. Und die Sache mit den Tageslizenzen dient auch dazu, dafür zu sorgen, dass die Leute nicht jeden Tag auf die Jagd gehen. Und schon gar nicht betrunken.«
»Betrunken?«, fragte ich. Davon war bisher nicht die Rede gewesen.
Geraldine Lawrence nickte. »Elvin Harmon ist betrunken auf die Jagd gegangen. Und alles, was er an dem Tag gesehen oder gehört hat und das, was er angeblich getan hat, muss sich nicht genauso abgespielt haben, wie er das zu Protokoll gegeben hat. Der Mann ist leider kein idealer Zeuge.«
»Sie glauben jedenfalls nicht, dass er mit dem Tod der Studentin unmittelbar irgendetwas zu tun hat?«, fragte Phil.
»Nein. Die Tote hatte keine Papiere bei sich. Noch am selben Abend meldete sich eine junge Frau bei uns und sagte, ihre Wohnungsgenossin sei nicht nach Hause gekommen. Normalerweise sei das kein Grund zur Beunruhigung. Sie war ja nicht einmal vierundzwanzig Stunden lang verschwunden. Doch als wir der Studentin die Bilder zeigten, bestätigte sie sofort, dass die Tote ihre Zimmergenossin Becky McKnight sei. Sie war völlig erschüttert. Und als sie sich wieder etwas beruhigt hatte und wir ihr ein paar Fragen stellen konnten, da kam heraus, dass die neunzehnjährige Becky schwermütig gewesen sein soll.«
»Wie hat sich das geäußert?«, fragte ich.
»Sie war völlig verzweifelt. ›Ich mag nicht mehr leben‹, das hat sie gesagt.«
»Gab es einen Grund dafür?«
Geraldine Lawrence nickte. »Die arme Becky hatte in diesem Sommer ein furchtbares Erlebnis, Agent Cotton. Sie hatte im Sommercamp hier auf Long Island gearbeitet. Im Atlantic Seafront Summer Camp for Boys and Girls. Und sie war eine der Betreuerinnen gewesen bei diesem schrecklichen Badeunglück.«
»Was ist damals genau passiert?«, fragte ich. Ich hatte zwar in den Fernsehnachrichten von dem Unglück gehört, da mich das nicht direkt betraf, hatte ich mir die Einzelheiten nicht gemerkt.
»Die Kinder waren am Strand, und als die Gruppe im Wasser war, sind einige der Mädchen von einer dieser tückischen Unterströmungen ins Meer gerissen worden. Die Studentinnen, die auf sie aufpassen sollten, haben versucht, alle so schnell wie möglich aus dem Wasser herauszubekommen. Das ging nicht schnell genug. Zwei Kinder sind ertrunken. Es war nur ein Unglück, aber Becky fühlte sich persönlich dafür verantwortlich.«
»Hatte sie psychologische Betreuung?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ihre Zimmergenossin hat ihr nahegelegt, dieses Angebot zu nutzen, sie wollte nicht. Becky hatte geglaubt, nicht die Schuld irgendeines Psychiaters, sie müsse allein mit dieser Geschichte fertig werden. Ganz offensichtlich ist ihr das nicht gelungen. Ein Suizid wäre also denkbar.«
»Aber es gab keinen Abschiedsbrief«, mutmaßte ich.
»Nein. Sie wissen ja selbst, das heißt nicht viel. Nur etwa jeder sechste Suizidant hinterlässt einen Abschiedsbrief. Zumindest ist das unsere Erfahrung hier im Suffolk County. Hinzu kommt, dass bei ihrer Altersgruppe Suizid die zweithäufigste Todesursache ist.«
»Und die Zeugenaussage?«, fragte ich.
Geraldine Lawrence nickte. »Wir haben uns unseren Zeugen noch einmal vorgenommen. Dabei hat sich gezeigt, dass der gute Mann schon öfter mit allerlei ungewöhnlichen Erzählungen bei verschiedenen Polizeistationen aufgetaucht ist. So will er zum Beispiel im letzten Jahr im Otis G. Pike Preserve ein Mammut gesehen haben. Es gibt hier keine Mammuts. Es gibt überhaupt nirgendwo auf der Welt Mammuts. Die sind seit zehntausend Jahren ausgestorben.«
»Drogen?«, fragte Phil.
»Davon wissen wir nichts.«
»Alkohol?«
»Nicht mehr als die meisten. Allerdings war er, wie gesagt, nicht ganz nüchtern, als die Studentin in dem Waldsee ertrunken ist.«
»Ich nehme an, Sie haben eine gründliche Spurensicherung vorgenommen.«
Der Detective schüttelte den Kopf. »Da gab es nicht mehr viel, was wir sichern konnten, Agent Decker. Der ganze Uferbereich war zertrampelt.«
Das konnte ich nicht glauben. »Von einem einzelnen Mann?«
»Nein. Bis wir am Ort des Geschehens eintrafen, hatten sich vier Leute mit ihren Mountainbikes eingestellt. Es gibt ja einen Rundkurs für Mountainbiker im Otis G. Pike Preserve. Diese Leute haben ihre Fahrräder gegen die Bäume gelehnt und auf eigene Faust das Gelände erkundet. Da konnten wir nicht mehr viel ausrichten. Wir haben die Namen und Anschriften der Zeugen notiert. Zeugen im engeren Sinne waren das eigentlich nicht. Sie haben weder die Schreie noch die Schüsse gehört, sondern sie sind zufällig an dem See vorbeigekommen und haben Elvin Harmon angetroffen, als er gerade die junge Frau aus dem Wasser gezogen hat.«
»Und die war wirklich tot?«, fragte Phil.
Geraldine Lawrence nickte. »Einer der Mountainbiker ist Arzt. Er hat vergeblich versucht, die Studentin wiederzubeleben. Einer der anderen hat sofort den Rettungsdienst verständigt. Die haben einen Hubschrauber geschickt.«
»Und dann ist es nicht bei dieser einen Toten geblieben«, sagte ich.
»Leider. Zwei Wochen später wurde die Leiche einer Studentin am Strand von Long Island angespült. Das war etwas weiter östlich, fast schon in Montauk. Die Tote war Danielle Lancaster, ebenfalls Studentin, achtzehn Jahre alt. Auch sie gehörte zum Personal des Sommercamps. Und auch sie war mit am Strand, als das Unglück passiert ist. Wir haben ihre Studienkolleginnen befragt. Die junge Frau war im Gegensatz zu Becky McKnight nicht depressiv. Das Gericht hatte ja festgestellt, dass die Studentinnen keine Schuld an dem Unglück hatten, und das reichte ihr aus.«
»Und diesmal war es kein Suizid und kein Unglücksfall?«
»Nein, Agent Cotton. Schon die Umstände ihres Verschwindens waren außerordentlich mysteriös. Sie hat ein geplantes Treffen mit einer Freundin kurzfristig abgesagt, weil sie eine Einladung zu einem Bootsausflug erhalten hatte. Wer sie zu diesem Ausflug eingeladen hat, wissen wir nicht. Fest steht nur, dass Danielle am nächsten Morgen nicht wie üblich in der Universität erschienen ist. Ihre Freundin war zunächst nicht weiter beunruhigt, denn Danielle liebte spontane Entschlüsse, und wenn sie einen netten jungen Mann kennengelernt hatte, dann war es durchaus denkbar, dass die beiden den gemeinsamen Bootsausflug über mehrere Tage ausdehnten.«
»Also ein ganz anderer Typ als Becky«, stellte Phil fest.
Die Polizistin nickte. »Wir haben erst von ihrem Verschwinden erfahren, als ihre Leiche am Strand angespült wurde. Hier war ebenfalls erst unklar, um wen es sich überhaupt handelte, da niemand vermisst wurde. Wenn sie das Opfer eines Unglücks gewesen wäre, womöglich über Bord gefallen, und der Mann hätte sie aus irgendeinem Grund nicht retten können, hätte er die Küstenwache alarmiert, nur ist kein Unfall gemeldet worden. Hinzu kommt, dass die junge Frau Verletzungen an den Händen aufwies. Es sieht so aus, als hätte sie verzweifelt versucht, in das Boot zurückzusteigen. Sie hat sich an der Bordwand festgeklammert, und jemand hat ihr offenbar mit einem Hammer auf die Finger geschlagen, bis sie loslassen musste.«
»Brutal«, brummte Phil.
»Unsere Ermittlungen haben später ergeben, dass sie zuletzt zusammen mit einem jungen Mann gesehen worden ist, mit dem sie offenbar den besagten Bootsausflug unternommen hat. In Molnar's Landing ist das gewesen, das ist eine Marina in Hampton Bays. Leider ist sowohl die Beschreibung des Mannes als auch die des Boots sehr vage. Eine Motorjacht soll es gewesen sein, mittelgroß, was immer das heißen mag.«
»Farbe?«, fragte ich.
»Weiß.«
Das half uns nicht weiter. Fast alle Sportboote waren weiß.
»Und dann wurde gestern der dritte Todesfall gemeldet. Eine junge Frau namens Virginia Curtis ist in ihrem Haus in Fairfield, Connecticut, in der Badewanne ertrunken. Sie war eine der Lehrerinnen im Summer Camp.«
»Auch bei dem Badeunglück dabei?«, fragte Phil.
Geraldine Lawrence schüttelte den Kopf. »Sie hätte mit am Strand sein sollen, aber sie war im Camp geblieben.«
Jerry und er konnten nicht überall gleichzeitig sein, sie mussten sich aufteilen. Phil fuhr nach Connecticut, um dort Verbindung mit der örtlichen Polizei aufzunehmen. Fairfield war eine kleine Stadt von gut sechzigtausend Einwohnern am Ufer des Long Island Sound, des Meeresarms, der die Insel Long Island vom Festland trennte.
Es gab zwei Möglichkeiten, von ihrem Quartier in Hampton Bays nach Fairfield zu gelangen. Entweder man fuhr auf dem Long Island Expressway I-495 bis nach New York City und dann wieder am gegenüberliegenden Ufer auf dem Interstate I-95 nach Fairfield zurück, oder man nahm die Fähre von Port Jefferson nach Bridgeport. Phil war kein Freund längerer Autofahrten. Er hatte sich für die Fähre entschieden. Die Überfahrt dauerte etwas länger als eine Stunde, und wenn man Glück hatte und nicht auf das Schiff warten musste, war man auf diese Weise schneller, als führe man erst mit dem Auto nach New York City zurück.
Phil hatte seine Ankunft telefonisch angekündigt. Detective Weston Doyle vom Fairfield Police Department begrüßte ihn an der Anlegestelle. Er war ein junger Mann.
»Es ist gut, dass Sie gleich gekommen sind«, sagte er. »Bei uns in Fairfield gibt es sehr wenige Verbrechen, und der letzte Mord liegt schon drei Jahre zurück. Eine Beziehungsgeschichte. Völlig unkompliziert. Und jetzt das.«
»Wo ist es passiert?«, fragte Phil.
»Ich fahre voraus«, sagte Doyle. »Folgen Sie mir einfach.«
Virginia Curtis wohnte in einem Einzelhaus in der Catherine Street, etwa eine halbe Meile vom Strand entfernt. Das Haus war laut Doyle wie viele seiner Nachbarhäuser um 1950 erbaut worden. Für ein Holzhaus kein geringes Alter, aber Gebäude und Grundstück sahen sehr gepflegt aus.
»Das Haus ist nur gemietet«, sagte der Polizist, als sie ausgestiegen waren. »Virginia Curtis hat hier allein gewohnt. Es ist ein großer Zufall, dass sie so schnell gefunden worden ist. Ihre Mutter hat angerufen. Das heißt, sie hat versucht anzurufen, und als ihre Tochter nicht ans Telefon gegangen ist, hat sie die Nachbarin alarmiert, und die hat nach dem Rechten gesehen. Das Haus war unverschlossen. Sie ist hineingegangen und hat gehört, dass im Bad das Wasser lief. Miss Curtis lag in der Badewanne und war tot. Das ist die Situation, so wie wir sie vorgefunden haben.«
»Das Wasser war nicht übergelaufen?«, fragte Phil.
Der Detective schüttelte den Kopf. »Das Bad ist ganz neu. Der Überlauf hat tadellos funktioniert.«
»Und Sie waren sich sofort sicher, dass Virginia Curtis das Opfer einer Straftat geworden ist?«, fragte Phil.
»Ich bin mir überhaupt nicht sicher«, sagte Doyle. »Sie wies keine auffälligen Verletzungen auf. Blaue Flecke im Schulterbereich, aber nichts Dramatisches.«
»Blaue Flecke? Könnten die nicht eventuell auch von einem Sturz herrühren?«
»Das weiß ich nicht. Unser Gerichtsmediziner sagt, dass er sich keinen Sturz vorstellen könne, bei dem man sich im Bereich beider Schultern solche Hämatome zuziehe. Als Polizist denkt man gleich an Fremdeinwirkung. Ich habe mir vorgestellt, dass der unbekannte Täter in das Haus eingedrungen ist, die Frau in der Badewanne überrascht und sie dann mit Gewalt unter Wasser gedrückt hat.«
»Sicher sind Sie sich nicht.«
»Nein. Was gegen diese These spricht, ist, dass in dem Haus nichts in Unordnung gebracht worden ist. Wenn es sich um einen Einbruch gehandelt hat, sollte man doch annehmen, dass der Einbrecher zunächst einmal nach Wertsachen gesucht hat. Das ist nicht geschehen. Im Schlafzimmer lag auf dem Nachtschränkchen eine Brieftasche mit mehreren Kreditkarten und knapp zweihundert Dollar in bar. Ein Einbrecher hätte die mitgenommen.«
»Wenn es keinen Eindringling gegeben hat, wie erklären Sie sich dann, dass die Frau ums Leben gekommen ist? Die Menschen ertrinken normalerweise nicht in einer Badewanne.«