Jerry Cotton 3408 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3408 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In Ridgewood, Queens, wurde eine italienische Primaballerina namens Sandra Salvini entführt. Sie gastierte mit ihrem Ensemble in New York - auf Einladung von Mafiaboss Giancarlo Neri, den wir kürzlich verhaftet hatten. Und schon hatten Phil und ich einen alten, ungelösten Fall am Hals. Denn bis vor zwei Monaten hatte uns ein Killer, dem die Medien den Namen Ridgewood Ripper verpasst hatten, das Leben schwer gemacht. Drei Morde gingen auf sein Konto. Er entführte junge Frauen, misshandelte sie grausam und legte ihre Leichen irgendwo in der Stadt ab. Danach endete die Mordserie ohne erkennbaren Grund. Während wir die Ensemblekollegen der Solotänzerin befragten, wurde Don Giancarlo im Gefängnis ermordet. Sein Sohn ließ ihn einäschern. Und als die Urne des Paten verschwand, nahm der Fall erst richtig Fahrt auf!


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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Urne des Paten

Vorschau

Impressum

Die Urne des Paten

Don Giancarlo Neri war auf der Flucht, und wir waren in einem Chevrolet Tahoe LS aus der Fahrbereitschaft des Field Office hinter ihm her.

»Bleib dran, Jerry«, stieß Phil hervor. Er rutschte auf dem Beifahrersitz hin und her, als säße er auf einer glühenden Herdplatte. »Lass dich nicht abhängen. Wir müssen ihn kriegen!«

»Das werden wir«, gab ich zurück.

»Er darf uns nicht entkommen.«

»Das wird er nicht, Partner«, sagte ich. »Du weißt doch – ich hab 'nen Bleifuß. Mich hängt keiner so schnell ab.«

Neri stand seit Monaten ganz oben auf unserer Wunschliste, aber dem cleveren Mafioso war lange Zeit nicht einmal das kleinste Verbrechen nachzuweisen gewesen.

Doch nun hatten wir – endlich – einen Kronzeugen gefunden. Einen Mann, den wir wie unseren Augapfel hüteten. Sein Name war Alberto di Bari.

Er war imstande, den Capo der Cosa Nostra mit seinem über die Jahre angehäuften Insiderwissen schwerstens zu belasten, und hatte sich bereit erklärt, gegen den kriminellen Despoten der ehrenwerten Gesellschaft auszusagen, der New York mit hemmungsloser Brutalität Tag für Tag zur Ader ließ. Deshalb knisterte jetzt auch ein Haftbefehl in meiner Tasche. Als Gegenleistung hatte Alberto di Bari Straffreiheit, eine andere Identität und behördliche Starthilfe für seine neue Existenz in einem anderen Bundesstaat verlangt und auch verlässlich zugesagt bekommen.

Aber der finstere Pate hatte keine Lust, für eine sehr lange Zeit – vielleicht sogar für immer (zwei- bis dreimal »lebenslänglich« war für ihn durchaus drin) – in den Knast zu gehen, und deshalb war er jetzt mit zwei Leibwächtern vor uns auf der Flucht.

Sie schafften es mit ihrer wilden, rücksichtslosen Raserei raus aus New York und bis nach New Jersey, und weil sich unser Chevy dann noch immer hinter ihrem schwarzen Protzmercedes befand, verloren sie die Geduld.

Sie rasteten total aus und schossen nervös und wütend auf uns. Phil zog grimmig seine Glock und erwiderte das Feuer. Bereits seine zweite Kugel zerstörte den rechten Hinterreifen des Gangsterfahrzeugs.

In einer engen Kurve nahe North Bergen begann der Wagen der Mafiosi gefährlich zu schlingern, zu schlittern und zu tanzen. Er brach seitlich aus.

Die Karkasse löste sich unheimlich rasch von der Felge, die anschließend hart über den rissigen Asphalt kratzte. Sie schien auf einem rot glühenden Funkenkissen dahinzurutschen, bremste und beeinträchtigte das Fahrverhalten des großen Mercedes erheblich.

Man musste schon sehr in der Lage sein, einiges an fahrerischem Können aufzubringen, wenn man die Herrschaft über ein dermaßen außer Rand und Band geratenes Fahrzeug nicht verlieren wollte. Doch in dieser Hinsicht hatte der muskulöse Bodyguard am Mercedessteuer nicht allzu viel zu bieten.

Der Fluchtwagen krachte mal links, mal rechts im schrägen Winkel gegen die Schutzplanken, traf irgendwann auf eine Schwachstelle, durchbrach diese und schoss durch dürres, kratziges Gestrüpp – hinab in eine nicht besonders tiefe Senke. Mehrere Autoteile machten sich dabei selbstständig.

Die Motorhaube klappte scheppernd nach oben. Beide Außenspiegel brachen knirschend ab. Der Kofferraumdeckel öffnete sich mit einem dumpfen Knall, und alles, was sich darunter befand, wurde in die Luft geschleudert.

Die Heckscheibe landete zuerst wirbelnd, dann segelnd irgendwo in der Pampa. Aber die Fliehkraft war mit dem Mercedes, der inzwischen in Brand geraten war, noch nicht fertig. Sie ließ noch nicht von ihm ab, schraubte, drehte und drückte das komplett deformierte Fahrzeug hoch und sorgte dafür, dass Giancarlo Neri – weil nicht angegurtet – hinten durch die Heckfensteröffnung herausflog, während seine beiden Leibwächter, von ihren Sicherheitsgurten im Mercedes festgehalten, sitzen blieben – sitzen bleiben mussten – und von einer mörderischen Explosion zerrissen wurden.

Ich stoppte den Chevrolet augenblicklich. Wir sprangen aus unserem Dienstwagen und erkannten mit einem Blick, dass wir für die Männer des Capo nichts mehr tun konnten. Glück im Unglück für sie, dass sie nicht mehr lebten, während das knisternde, knackende, lodernde Feuer fraß, was von ihnen nach der Explosion noch übrig war.

Es stellte sich heraus, dass der fünfzigjährige Pate ungemein zäh war. Nach seinem kurzen, rasanten Flug aus dem Mercedes war er im strohweichen Gestrüpp gelandet, gleich wieder, weitgehend unversehrt, auf die Beine gekommen und losgerannt. Rechnete er sich noch eine Chance aus?

Das war verrückt. Er konnte uns nicht entwischen. Wieso begriff er das nicht? Wieso gab er nicht auf? Er lief von der Straße weg, war jedoch nicht besonders schnell.

Phil schüttelte den Kopf. »Herrje, wohin will er denn noch? Was stellt er sich vor? Dass wir ihn einfach laufen lassen? Ich hätte nicht gedacht, dass er so vernagelt ist.«

Ich zog ebenfalls meine Glock. »Vielleicht ist er etwas zu hart auf den Kopf gefallen und kann nicht mehr rational denken.«

Wir folgten dem Mafioso. Neri lief, ohne zurückzublicken. Diese Flucht war völlig sinnlos, das schien er jedoch nicht zu begreifen.

Er, ein Mann, der jenseits aller Gesetze – clever vernetzt – ein unvorstellbares Vermögen angehäuft hatte ... In diesem Augenblick war er dumm wie Brot.

Wir holten rasch auf. Als wir nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren, rief ich schneidend: »Schluss jetzt, Neri! Es reicht! Bleiben Sie stehen!«

Er lief tatsächlich nicht mehr weiter, hob die Hände und drehte sich langsam um. Sein Gesicht war schweißnass und stark gerötet. Sein Atem ging stoßweise.

»Nicht ... schießen«, keuchte er und starrte dabei auf unsere Dienstwaffen.

»Wir sind G-men, keine Killer«, gab ich trocken zurück.

»Leute, die zuerst schießen und dann fragen, finden Sie eher in Ihren Kreisen«, brummte Phil.

»Sind Sie bewaffnet, Mister Neri?«, wollte ich wissen.

Der Capo nickte. »Ich habe schließlich nicht nur Freunde in dieser Stadt.«

»Sie können uns gerne ein paar Namen nennen«, sagte Phil.

Doch das tat der Mafioso nicht. Er erklärte stattdessen: »Ich habe einen Waffenschein, bin befugt, Waffen zu tragen.«

»Jetzt nicht mehr«, sagte ich frostig. »Legen Sie auf den Boden, was Sie bei sich tragen.«

»Aber lassen Sie sich Zeit«, fügte Phil hinzu. »Wir könnten sonst eine Ihrer Bewegungen missverstehen.«

Er entledigte sich einer Beretta-Pistole 92FS Centennial, zog sie mit zwei Fingern hinten vorsichtig aus dem Gürtel und warf sie uns vor die Füße.

»Und weiter?«, erkundigte sich mein Partner.

Giancarlo Neri schüttelte den Kopf. »Das ist alles.«

Phil kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Darf ich mich davon überzeugen?«

Der Capo nickte. »Sie verschwenden Ihre Zeit, aber bitte, meinetwegen.«

Phil näherte sich dem Paten. Er achtete darauf, dass er nicht zwischen mich und Neri geriet, damit ich den Mafioso die ganze Zeit im Auge behalten konnte.

Mein Partner tastete den gefährlichen Verbrecher gewissenhaft ab und stellte verwundert fest, dass er tatsächlich keine weitere Waffe bei sich trug.

»Nichts«, sagte er in meine Richtung.

»Habe ich ja gesagt«, brummte Neri.

Phil verzog das Gesicht, als hätte er Gallensaft im Mund.

»Wenn man schon so oft angelogen wurde wie wir, fällt es einem schwer, jemandem zu glauben. Selbst wenn er die Wahrheit spricht.« Er hob die Beretta auf und schob sie in seinen Gürtel.

Ich zeigte Neri den Haftbefehl, und Phil las ihm seine Rechte vor, bevor er ihm Handschellen anlegte.

»Müssen die sein?«, fragte Giancarlo Neri.

Phil zog die Brauen hoch. »Es besteht schließlich Fluchtgefahr.«

»Ich weiß, wann ich verloren habe«, sagte der Pate.

»Die Handschellen bleiben trotzdem«, entschied Phil unerbittlich.

Helen, die attraktive dunkelhaarige, immer freundliche Sekretärin unseres Chefs, spendete uns Beifall, als wir ihr Vorzimmer betraten.

Sie beglückwünschte uns dazu, dass es uns endlich gelungen war, den ebenso gerissenen wie gefürchteten Mafiagranden Giancarlo Neri aus dem Verkehr zu ziehen.

»War gar nicht mal so schwierig«, bemerkte Phil.

Helen hob die Hand. »Keine falsche Bescheidenheit, mein Lieber.«

Phil zuckte mit den Schultern. »Sobald er begriffen hatte, dass für ihn alle Züge abgefahren waren, ergab er sich resignierend in sein Schicksal. Richtig handzahm war er.«

Helen rümpfte die Nase. »Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschenleben dieser grausame Teufel auf dem Gewissen hat.«

»Auf dem Gewissen?«, fragte Phil ernst. »Kein einziges. Weil Giancarlo Neri kein Gewissen hat.«

Wir gingen weiter, um unserem Chef Bericht zu erstatten.

»Jerry. Phil.« Der schlanke Mann mit dem silbergrauen Haar und den schmalen, markant geschnittenen Gesichtszügen nickte uns freundlich und zufrieden zu. »Gut gemacht. Wenn wir Glück haben, kommt Neri in diesem Leben nicht mehr frei.«

»Das hat er sich redlich verdient, Sir«, sagte mein Partner. »Es gibt kaum jemanden in dieser Stadt, der mehr auf dem Kerbholz hat als Don Giancarlo.«

Helen verwöhnte uns mit zwei Tassen herrlich duftenden Kaffees und zog sich gleich wieder zurück.

»Enrico Neri, der Sohn des Paten, wird eine Armee von Anwälten mobil machen«, meinte Mr. High mit finsterer Miene.

»Selbst die klügsten Rechtsverdreher haben keine Chance gegen die schweren Vorwürfe unseres Kronzeugen«, sagte Phil.

Mr. High wackelte mit dem Kopf. »Wir müssen höllisch auf der Hut sein, dass uns Alberto di Bari nicht abhanden kommt, sonst ist Giancarlo Neri von jetzt auf gleich wieder frei.«

»Wie viele Personen kennen di Baris Aufenthaltsort, Sir?«, wollte ich wissen.

»Nur Sie, Jerry, Phil, Zeerookah, Steve Dillaggio und ich«, lautete die Antwort unseres Vorgesetzten.

Phil schürzte die Lippen. »Ein kleiner, überschaubarer Kreis.«

»Größer wird er nicht werden«, erklärte Mr. High. »Nur so können wir verhindern, dass etwas durchsickert, das auf keinen Fall bekannt werden darf.« Sein Blick pendelte zwischen meinem Partner und mir hin und her. »Was wissen wir zurzeit über Enrico Neri?«

Ich wusste nicht genau, was er hören wollte, deshalb fragte ich: »Sir?«

»Ist er noch immer in Italien?«, fragte Mr. High.

Ich nickte. »Auf Sizilien, Sir. Mit Monica Cattarella, seiner Langzeitverlobten.«

Uns war zu Ohren gekommen, dass Enrico Neri im Auftrag seines Vaters auf Sizilien weilte. Er sollte in Palermo ganz generell die Unterweltsituation sondieren, weil sich Don Giancarlo dem Vernehmen nach mit dem Gedanken trug, den USA den Rücken zu kehren.

Es hieß, dem Paten sei hier bei uns der Boden unter den Füßen zu heiß geworden, deshalb wolle er in absehbarer Zeit alle seine geschäftlichen Aktivitäten auf die Mittelmeerinsel verlagern. Die Fäden hätten sich im Zeitalter der totalen Globalisierung auch von dort aus problemlos ziehen lassen.

Es war ein offenes Geheimnis, dass Enrico Neri ein cholerischer Psychopath war, der nur dann einigermaßen umgänglich und verträglich war, wenn er mit strikter Regelmäßigkeit seine Medikamente nahm.

Angeblich erlaubte er aber niemandem, das zu kontrollieren, und so war der siebenundzwanzigjährige Filius des Don ein Pulverfass, das jederzeit hochgehen konnte. Von Alberto di Bari wussten wir, dass Monica Cattarella immer wieder mal von ihrem unbeherrschten Verlobten krankenhausreif geschlagen worden war.

Warum sie ihn nicht längst verlassen hatte, wusste niemand. Aus Liebe war sie ja wohl kaum noch mit ihm zusammen. Wahrscheinlich brachte sie den Mut nicht auf, Schluss zu machen, weil das bei Enrico Neri zwangsläufig zu einem weiteren gefährlichen Wutausbruch geführt hätte.

Mr. High rechnete damit, dass sich Enrico Neri schon bald bei uns blicken lassen würde. Achtundvierzig Stunden später tauchte der Sohn des Capo auch tatsächlich mit einem erlesenen Juristengeschwader im Field Office auf.

Er hatte allem Anschein nach eine Menge Tranquilizer eingeworfen, um nicht auszurasten und zu riskieren, wie sein Vater hopsgenommen zu werden.

Seine diversen Interventionen blieben jedoch allesamt erfolglos. Er hatte gehofft, seinen Vater mithilfe der mitgebrachten Advokaten – ihre Namen lasen sich wie ein Auszug aus dem Anwälte-Who's-who New Yorks – in längstens einer Stunde freizubekommen, das hatte allerdings nicht funktioniert. Don Giancarlo Neri musste bleiben, wo er war.

Und Neri junior musste mit seinen gut bezahlten Paragrafenreitern, die normalerweise gewohnt waren, das Gesetz in jede gewünschte Richtung biegen zu können, unverrichteter Dinge abziehen.

Der junge Neri wirkte dabei weder verkrampft, deprimiert oder entmutigt. Wir nahmen an, dass ihn die starken Beruhigungsmittel so auffallend entspannten.

Vielleicht war er aber auch felsenfest davon überzeugt, seinen Vater doch noch zeitnah wieder freizubekommen. Möglicherweise schon beim nächsten Versuch. Mit besser vorbereiteten Staranwälten. Bis dahin wollte er – so war zu hören – in Don Giancarlos Namen mit anderen Mafiagrößen auf Augenhöhe verhandeln.

Interessante Gebietsabtretungen, die Höhe von hierbei anfallenden Ablösesummen und die sensible Entflechtung vieler undurchsichtiger krimineller Verbindungen mussten bis ins kleinste Detail geklärt werden.

Es war nur legitim, dass Enrico Neri bestrebt war, im Verlauf dieser zahlreichen geheimen Besprechungen für den Neri-Clan den größtmöglichen Reibach herauszuholen, um danach den geplanten geordneten Rückzug aus der New Yorker Mafiaszene einleiten zu können.

Wie immer die von Enrico Neri – angeblich mit großem Geschick – geführten Verhandlungen ausgehen mochten, uns war es in letzter Konsequenz jederzeit sehr recht, wenn Gangs abwanderten. Je mehr, desto lieber.

Einigen kriminellen Flachköpfen hätten wir sogar mit Vergnügen beim Kofferpacken geholfen.

Während der junge Neri also unermüdlich und, wie es schien rund um die Uhr, auf den unterschiedlichsten Ebenen am Ackern war, und überall versuchte, Nägel mit Köpfen zu machen, hatte Mr. High die Absicht, uns zum zweiten Mal auf einen noch ungelösten Fall anzusetzen.

Es war neun Uhr fünfzehn ...

»Hallo, Helen«, grüßte ich gut gelaunt, während ich mit Phil ihr Vorzimmer betrat.

»Jetzt geht das wieder los.« Sie seufzte und rollte die Augen.

»Was geht los?«, wollte Phil wissen.

Helen hob die Hände. »Ich will unserem Chef nicht vorgreifen.«

»Nun sag schon«, drängte mein Partner.

»Bisweilen reißt eine Mordserie aus unerfindlichen Gründen urplötzlich ab und wird nie mehr fortgesetzt«, sagte Helen. »Ich denke da zum Beispiel an die Whitechapel-Morde des Jack the Ripper. Irgendwann war damit auf einmal Schluss.«

»Dafür kann es viele Gründe geben«, sagte Phil. »Wenn der Täter beispielsweise wegen eines völlig anderen Delikts verhaftet und eingesperrt wird, kann er nicht mehr weitermachen. Er kann auch einem tödlichen Verkehrsunfall zum Opfer fallen oder schwer erkranken. Dann endet die Verbrechensserie ebenfalls zwangsläufig. Oder der Mörder hat sich ein bestimmtes Limit gesetzt, mit seinen Taten erreicht, was er wollte, und hat danach keinen Grund mehr, die Serie fortzuführen.«

Mir geisterten Helens Worte durch den Kopf. »Jetzt geht das wieder los«, hatte sie besorgt gesagt. Ich schloss daraus, dass sie von einem Fall sprach, mit dem wir vor Kurzem beschäftigt gewesen waren.

Dazu fiel mir fast augenblicklich der Ridgewood Ripper ein. Eine Bestie in Menschengestalt. Dreimal hatte der Unhold zugeschlagen – danach nicht mehr.

Und nun wieder?

Helen ließ sich kein weiteres Wort mehr entlocken. Sie schickte uns zu Mr. High, und der empfing uns dann mit einer Miene, die mich überhaupt nicht glücklich machte.

»Scheint so, als wäre der Ridgewood Ripper wieder aus der Versenkung hochgekommen«, sagte unser Chef mit gerunzelter Stirn.

»Dasselbe Verhaltensmuster?«, erkundigte sich Phil.

Mr. High nickte.

Ich rief mir die drei vorangegangenen Verbrechen ins Gedächtnis. Der Täter hatte jedes Mal in Ridgewood, Queens, eine junge Frau überfallen, ihr eine Haarsträhne abgeschnitten, diese an gut sichtbarer Stelle abgelegt und sein Opfer sodann an einen unbekannten Ort verschleppt, wo er so lange mit ihm »gespielt« hatte, bis es tot gewesen war. Ähnlich wie es die Katze mit der Maus macht.

»Wen hat er sich diesmal geholt, Sir?«, wollte ich wissen. Das Blut in meinen Adern begann sich zu erhitzen.

Mr. High zeigte uns auf einem Monitor Bilder von einer außergewöhnlich hübschen, jungen schwarzhaarigen Frau. Sie war sehr schlank und wirkte überaus graziös – sylphidenhaft.

»Ihr Name ist Sandra Salvini«, informierte uns unser Chef.

Phil beugte sich etwas vor, um ihr Gesicht genauer zu betrachten. »Sie kommt mir bekannt vor.«

»Das ist durchaus möglich«, meinte Mr. High.

»Ich habe sie im Fernsehen gesehen«, sagte Phil. »Sie ist Künstlerin.«

Unser Chef nickte. »Tänzerin.«

Phil schnippte heftig mit den Fingern.

»Ja, Balletttänzerin.« Wissen blitzte in seinen Augen auf. »Sandra Salvini, eine italienische Primaballerina. Sie kam kürzlich mit ihrem Ensemble nach New York.«

»Wissen Sie zufällig auch, wer sie eingeladen hat, Phil?«, erkundigte sich Mr. High.

»Nein, Sir, das weiß ich nicht.«

»Don Giancarlo Neri«, sagte unser Chef zu unserer Überraschung.

Phil riss die Augen auf. »Ist nicht wahr, Sir.«

»Doch«, erwiderte unser Vorgesetzter. »Der Capo ist ein Fan von ihr. Er hat – über eine Stiftung und ohne selbst groß in Erscheinung zu treten – einiges Geld in die Hand genommen, um sie mit ihrem Ensemble nach New York zu holen.«

»Da wusste er noch nicht, dass wir ihn hinter Schloss und Riegel bringen würden«, sagte ich. Falls das schadenfroh geklungen hatte, hatte ich das nicht beabsichtigt.

»Ich habe Sandra Salvini zweimal im Fernsehen gesehen«, sagte Phil. »Einmal war es eine Szene aus Les Sylphides von Chopin. Und ein andermal tanzte sie den Boléro von Ravel. Beide Male war sie hinreißend. Das sage ich, obwohl ich nicht gerade ein enthusiastischer Ballettfan bin.« Er zeigte auf das makellose Gesicht der Künstlerin. »Ich mag mir nicht vorstellen, was der Ridgewood Ripper ihr alles antun wird.«

»Wann hat er sie sich geholt, Sir?«, fragte ich.

»Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen«, antwortete Mr. High.

Phil atmete schwer aus. »Jetzt hat das arme Ding verdammt schwere Stunden vor sich.«

»Vielleicht gelingt es uns diesmal, diesem Geistesgestörten das Handwerk zu legen«, sagte ich grimmig.

»Sandra Salvini trainiert täglich mehrere Stunden«, bemerkte mein Partner. »Sie ist bestens in Form. Es widerstrebt mir, in diesem Zusammenhang das Wort zäh in den Mund zu nehmen, aber es steht für mich fest, dass die Primaballerina auf jeden Fall länger durchhalten wird als die anderen Opfer des Ridgewood Ripper. Doch irgendwann wird selbst ihr sportlicher, widerstandsfähiger, durchtrainierter Körper kapitulieren müssen.«

»Also brennt uns die Zeit auf den Fingernägeln«, sagte ich.

Sie fröstelte. Ihr war kalt. Sie war nackt. Jemand hatte sie ausgezogen und gefesselt. Geknebelt hatte er sie nicht. Wahrscheinlich konnte es sowieso niemand hören, wenn sie um Hilfe rief.