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Ein New Yorker Bürgermeister und Leitfigur der Bürgerrechtsbewegung wurde in East St. Louis, einer verarmten Stadt am Mississippi mit überwiegend schwarzer Bevölkerung, nach einer Buchvorstellung entführt. Mr. High beauftragte Phil und mich, vor Ort Ermittlungen aufzunehmen. Kurz nach unserer Ankunft gerieten wir in eine blutige Revolte, die uns in einen Strudel aus Gewalt und Gegenwalt riss. Schwarze und weiße Milizen beschuldigten sich gegenseitig, für die Entführung des Politikers verantwortlich zu sein. Bald zeigte sich, wie eng das Netz der Rassisten geknüpft war und wie der von ihnen geschürte Hass alle Teile der Gesellschaft durchdrang. Der wahre Feind lauerte jedoch ganz woanders!
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Die tödlichen Tage von St. Louis
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Impressum
Die tödlichen Tage von St. Louis
Sie waren zu viert – Mitch Bannister und die drei Männer, die sich ihn geschnappt hatten.
Bannisters aufgeplatzte Lippen brannten höllisch. Er würgte das Blut herunter, das seinen Mund ausfüllte und ihn am Sprechen hinderte.
»W-wo b-bringt ihr m-mich hin?«, stammelte er.
Der große hagere Mann rechts neben ihm auf dem Rücksitz der Mercedes-Limousine starrte ihn nur hasserfüllt an.
»Ritz ihm die Antwort in seine Niggerfresse, Norman!«
Es war der Rat des pickligen Youngsters auf dem Beifahrersitz. Grinsend reichte er seinem Kumpel über die Schulter ein Messer mit kurzer, geschwungener Klinge.
»Gute Idee.« Der Hagere schnappte sich das Messer und ließ die Klinge blitzschnell über Bannisters Wange gleiten. »Gibt 'ne hübsche Narbe.«
Bannister stöhnte leise.
»Reiß dich zusammen, Bürgermeister«, riet ihm der Hagere. »Das ist erst der Anfang.«
»Lasst die Scheiße!«, schnauzte der bullige Fahrer. »Ihr versaut mir noch die ganzen Polster!«
Bannister beschloss zu schweigen. Jedes unbedachte Wort, das hatte er kapiert, konnte diese Irren auf Touren bringen.
Benommen blickte er durch das Seitenfenster der Limousine in die Dunkelheit hinaus, die nur ab und zu von den Scheinwerfern entgegenkommender Fahrzeuge aufgehellt wurde.
Es war noch keine fünf Minuten her, dass sie ihn kurz vor dem Gloria Hotel in den Wagen gezerrt hatten. Er verfluchte sich dafür, dass er aus purer Höflichkeit in dieser entsetzlichen Bruchbude ein Zimmer angemietet hatte. Aber das Gloria stellte nun einmal die einzige halbwegs passable Unterkunft in East St. Louis dar. Einer von Elend und Gewalt zerfressenen Stadt, die ihrem Untergang entgegendämmerte.
Seiner Stadt, denn hier war er geboren und hatte gelernt zu überleben.
Hätte er sich gegenüber in St. Louis, am anderen Ufer des Mississippi einquartiert, wäre es ihm womöglich erspart geblieben, von drei weißen Blödmännern entführt zu werden. Die düsteren Straßen von East St. Louis, in denen höchstens jede vierte Straßenleuchte funktionierte, boten optimale Bedingungen für kriminelle Elemente.
Sein Gedankenfluss wurde von der Erkenntnis unterbrochen, dass er noch immer nicht ganz bei sich war. Der Hagere neben ihm hatte ihn mit harten Schlägen gegen Kopf und Hals traktiert, um ihn wehrlos zu machen. Immer wieder wurde Bannister von Schwindel befallen, der sein Bewusstsein stillzulegen drohte.
Verdammt, er musste sich zusammenreißen. Er atmete tief durch, riss die Augen weit auf, um zu verhindern, dass er wegsackte. Gleichzeitig spürte er, wie mitten in seinem Hirn jemand einen Hammer zu schwingen begann, der dröhnend gegen seine Schädeldecke schlug.
Bannister hatte im Irak gekämpft und kannte sich mit solchen Schmerzen aus. Sie meldeten sich nicht sofort, wurden von einer gütigen Instanz einige Zeit zurückgehalten, bis für sie der Moment der Entfaltung gekommen war.
Der Hagere zwinkerte ihm freundlich zu. »Dachte schon, du legst 'ne Pause ein. Ich meine, wär doch schade, wenn du nicht alles mitkriegst.«
»Hast recht, Norman.« Der Youngster kicherte glucksend. »Eigentlich müsste der Nigger für die Nummer blechen. Ich meine, sowas gibt's ja, Leute, die einen Haufen Kohle berappen, um mal richtig was zu erleben. Scheiße, Kumpel, und wir ziehen die ganze Show kostenlos ab.« Er drehte sich zu Bannister um. »Hast großes Glück, Freundchen, du solltest uns dankbar sein.«
»Hey, Ryan«, meldete sich der Fahrer zu Wort. »Hat dir eigentlich niemand verboten, den starken Mann zu markieren? Weiß nicht, warum ich mich darauf eingelassen habe, dich an der Sache zu beteiligen.«
»Er ist nun mal so«, sagte der Hagere. »Wird's schon noch lernen sich zurückzuhalten.«
»Einen Scheiß wird er«, schimpfte der Bullige. »Du hängst an der Ratte, als wärst du ihr liebender Daddy.«
»Daddy, Daddy!«, intonierte der Youngster mit Fistelstimme. »Mann, das ist lustig!«
»Bist echt ein witziges Arschloch«, knurrte der Bullige.
Bannister ließ sich mit der Schulter gegen die Seitentür sinken und beobachtete verstohlen seine Entführer, die für einen Moment von ihm abgelenkt waren.
Er zweifelte daran, dass es sich um gewöhnlich Gangster handelte. Mit ihren verwaschenen Jeans, schwarzen T-Shirts und roten Kappen, die das Emblem der St. Louis Cardinals trugen, wirkten der Bullige und sein pickliger Kontrahent eher wie durchschnittliche Baseballfans. Der Hagere, den sie Norman nannten, steckte in einem knittrigen grauen Polyesteranzug und trug das spärliche rote Haar streng gescheitelt.
Die Frage drängte sich Bannister auf, was diese hergelaufenen Spießer von ihm wollten.
Sein Körper wurde nach vorne geworfen, als der Bullige den Mercedes hart abbremste. Der Wagen kam schnell zum Stehen.
Die Hand des Hageren verschwand unter dem Jackett und kam mit einer Luger wieder zum Vorschein. Der Mann presste die Mündung hart gegen Bannisters Stirn.
»Tür öffnen, und ganz langsam aussteigen! Falls du wegläufst, schieße ich dir in den Rücken.«
Der Youngster kicherte. »Warte, Norman. Ich steig zuerst aus und nehme den Kerl in Empfang.«
»Du bleibst gefälligst auf deinem Hintern sitzen«, wies ihn der Hagere scharf zurecht. »Ich brauche keine Hilfe. Du würdest mir nur im Weg stehen.«
Ein kurzes Nicken.
Bannister entriegelte die Tür und ließ sie aufschwingen. Jede Sekunde, die er benötigte, um seine zweihundert Pfund Kampfgewicht vom Rücksitz des Mercedes ins Freie zu hieven, rechnete er damit, eine Kugel verpasst zu kriegen.
Der Hagere schloss so dicht hinter ihm auf, als wollte er sich an ihn schmiegen.
»Pass auf, Nigger!«, zischte er. Sein feuchter Atem strich über Bannisters Ohr. »Wir gehen jetzt hübsch gesittet zu dem Haus da rüber. Ist 'ne einsame Gegend. Niemand kriegt mit, wenn ich dich auf dem Weg abknalle, kapiert?«
Bannister nickte stumm, lief mit langen, schweren Schritten auf das gedrungene zweistöckige Backsteingebäude zu.
Es lag, weitab von anderen Häusern, unmittelbar am maroden Maschendrahtzaun, der das Terrain eines weitläufigen Friedhofs umschloss. Wie Bannister noch von früher wusste, handelte es sich um den Saint Philip's Cemetery. Unter den vielen Schandflecken der Stadt war diese letzte Ruhestätte eine der eindrucksvollsten. Im Tageslicht versprühte sie den Charme einer riesigen Deponie, auf der einige Hundert oder Tausend Holzkreuze lieblos entsorgt worden waren. Hingewürfelt über eine verrottete Grünfläche, auf der hier und da längst abgestorbene Laubbäume ihre nackten Äste reckten.
Nicht einmal die Toten konnten sich hier wohlfühlen.
Jetzt, im fahlen Licht einer Mondscheibe, die sich zwischen granitenen Wolkenbänken durchgeschoben hatte, nahmen die Kreuze die grauweiße Farbe menschlicher Gebeine an. Bannister erschienen sie wie Vorboten dessen, was ihn möglicherweise erwartete. Ein unrühmliches, gewaltsames Ende, das ihm das Schicksal in Gestalt von drei hirnlosen Freaks mit mörderischen Absichten zugedacht hatte.
Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. So leicht würde er sich nicht damit abfinden. Er würde kämpfen.
Als sie vor der niedrigen Tür des Hauses standen, auf die jemand einen Kranz aus violetten Plastikblumen genagelt hatte, befahl der Hagere: »Los, klingeln!«
Bannister gehorchte. Eine schrille Glocke ertönte. Kurz darauf wurde ihnen geöffnet.
Im muffigen Licht einer engen Diele erblickte Bannister eine etwa vierzigjährige Frau mit Lockenwicklern im brünetten Haar und verfetteten Hüften unter einem zu kurzen Blumenrock. Sie bleckte ein gelbliches Gebiss mit schadhaften Zähnen, was Bannister als Zeichen freudiger Erregung deutete.
»Immer rein in die gute Stube!« Die abgesägte Schrottflinte in ihren puppenhaften Händen verlieh der Aufforderung den nötigen Nachdruck.
Am Beginn eines blassen lauen Spätsommertags waren Phil und ich auf dem St. Louis International Airport eingetroffen. Ich kannte die Stadt von mehreren kurzen Aufenthalten. Die Lage am Old Man River war reizvoll, das Stadtbild bot eine Mixtur aus ehrwürdigen Bauten der Jahrhundertwende und moderner Zweckarchitektur.
Als wir jedoch in einem Taxi den Mississippi auf der zweistöckigen Stahlbrücke überquerten und in die Nachbarstadt East St. Louis hineinfuhren, zeigte sich uns ein völlig anderes Bild. Überall waren Spuren fortgeschrittenen Verfalls zu besichtigen, wie zum Beispiel die bröckelnden und von Müll übersäten Gehwege auf beiden Seiten der schadhaften Straße.
Die niedrigen heruntergekommenen Häuser vermittelten den Eindruck, als böten sie ihren Bewohnern nur behelfsmäßig Unterkunft, damit diese nicht im Freien kampieren mussten. Der einzige Wolkenkratzer in dieser baulichen Wüste war mit seiner dunkelbraunen Backsteinfassade ein finsteres Memento mori – seht her, das Ende naht!
»Deprimierend, nicht wahr?« Der junge Fahrer, ein Typ mit tätowierten Handrücken und eng stehenden Augen, schien meine Gedanken gelesen zu haben. Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich könnte jedes Mal kotzen, wenn ich hier rein muss. Glauben Sie mir, das ist nicht das Amerika, in dem ich lebe. Es ist nicht mal der Hintern davon.«
Da weder Phil noch ich einen Kommentar dazu abgaben, hüllte er sich den Rest der Fahrt in barmherziges Schweigen.
Das Rathaus, in dem Bürgermeister Lance Lightfoot uns empfing, strahlte sterile Sachlichkeit aus. Ein dreigeschossiger Flachbau mit wenigen schmalen Fenstern, in dem man alles Mögliche hätte unterbringen können. Entsprechend nüchtern und unpersönlich präsentierte sich Lightfoots geräumiges Büro im ersten Stock. Einzige Zierde stellte ein Foto des amerikanischen Präsidenten dar, der ziemlich lustlos auf Lightfoots von zahllosen Aktenstapeln und Papierhaufen bedeckten Schreibtisch hinunterblickte.
Lightfoots persönliche Erscheinung sprengte eindeutig den Rahmen dieser mickrigen Umgebung. Der Bürgermeister war ein sehniger Afroamerikaner mit smartem Lächeln und hellwachen Augen. In seinem olivfarbenen Anzug, unter dem er ein gestreiftes dunkelblaues Hemd mit Stehkragen trug, hätte er ohne weiteres als Model für den Titel des GQ Magazine posieren können.
Lightfoots Händedruck war zupackend und wohldosiert. »Es freut mich, dass man Sie zur Unterstützung unserer Polizei hergeschickt hat. Natürlich ist Chief Chris Finch ein hervorragender Beamter. Aber wir befinden uns in einer äußerst gefährlichen Lage und können jede Hilfe brauchen. Wenn es nicht kurzfristig gelingt, meinen Freund Mitch Bannister aufzuspüren, dann könnte es bald die ersten Toten geben.«
Er hatte keineswegs übertrieben. Der Afroamerikaner Mitch Bannister war einer der stellvertretenden Bürgermeister von New York und populärer Kämpfer für die Rechte der Schwarzen. Er hatte vorgestern im Rathaus an einer Vorstellung seines Buchs Vergesst die Weißen! im Rathaus teilgenommen. Danach war er auf dem Weg zum Hotel spurlos verschwunden.
Im Buch wurde die These vertreten, dass der überwiegende Teil der weißen Bürger Amerikas kein oder nur geringes Interesse an einem erstarkenden schwarzen Amerika habe. Es hatte bereits im Vorfeld viel Wirbel erzeugt und für Unruhe in zahlreichen afroamerikanischen Communitys gesorgt. Viele Schwarze begriffen seinen Text als Signal zum Aufstand. Dass nun der Autor möglichweise entführt worden sein könnte, heizte die aggressive Stimmung weiter an.
Da es sich bei dem Autor um einen New Yorker Politiker handelte, hatte Mr. High Phil und mich mit den Ermittlungen in East St. Louis betraut. Dabei sollten wir nicht nur mit dem hiesigen Police Department kooperieren, sondern ebenso mit dem FBI Field Office in St. Louis.
Nachdem wir uns mit Lightfoot an einem runden Besprechungstisch auf Holzstühlen mit abgewetzten Kunststoffpolstern niedergelassen hatten, fragte ich ihn, ob Finch auch zu uns stoßen würde.
»Selbstverständlich«, versicherte Lightfoot. »Ich fürchte, der Chief verspätet sich. Was ist übrigens mit Miss Major, hatte sie nicht auch die Absicht ...?«
Er unterbrach sich, weil die Tür geöffnet wurde und Lightfoots ältliche und missvergnügte Sekretärin wie aufs Stichwort die Leiterin des Field Office von St. Louis ins Zimmer treten ließ.
»Special Agent in Charge Neila Major«, verkündete sie in leierndem Tonfall, ehe sie den Rückzug antrat und die Tür hinter sich schloss.
Ich schätzte Neila Major auf Anfang dreißig. Sie trug einen lässig sitzenden grauen Sommerpullover mit hochgekrempelten Ärmeln. Dazu eng anliegende Jeans, die ihre langen Beine vorteilhaft zur Geltung brachten. Die künstlich gebleichten Haare im Undercutstil schienen abgestimmt auf die Blässe ihres fein gezeichneten Gesichts. Im Kontrast dazu setzten die dunkelrot geschminkten Lippen einen auffälligen Akzent.
Nachdem sie Phil und mich begrüßt hatte, nahm sie mir gegenüber am Tisch Platz. Was mir Gelegenheit gab, den faszinierenden Ausdruck ihrer tief liegenden blauen Augen zu bewundern. Eine unverhohlene Wachsamkeit, der nichts zu entgehen schien.
»Erstaunlich«, sagte sie, »wie schnell es geht.«
»Was meinen Sie?«, fragte ich irritiert.
»Ach so, ja, sorry.« Sie lächelte schmal. »Ist eine Eigenart von mir, ich fange an irgendeinem Punkt an, laut zu denken, und stifte Verwirrung. Ich hoffe, Sie kommen damit klar.«
»Kein Problem«, sagte Phil grinsend. »Ist meine Spezialität.«
»Eigentlich«, sagte Neila Major, »habe ich meine Frage an Agent Cotton gerichtet.«
Ich hakte ab, dass sie Sinn für Ironie besaß, und vermutete, dass sie Momente wie diesen genoss. Ihr Lächeln allerdings war verflogen.
»Sie sollten Agent Cottons Frage noch beantworten«, schlug Lightfoot vor.
»Aber ja, natürlich. Heute Morgen gab es die ersten Kundgebungen bei uns im Norden von St. Louis, dort wo vorwiegend Schwarze wohnen. Die Demonstranten halten Schilder hoch, auf denen nicht nur Forderungen stehen wie Black Liberation, Rise up and fight back, sondern auch Kill all racists!. Die Leute haben sich ziemlich wild gebärdet, doch noch sind keine Steine geflogen.«
Lightfoot nickte nachdenklich. »Es war zu erwarten, dass solche Reaktionen auf Bannisters Verschwinden nicht auf East St. Louis beschränkt bleiben. Und, offen gestanden, ich kann die Verzweiflung der Demonstranten nachvollziehen. Es gibt gute Gründe dafür, und die aufgestaute Wut kann jederzeit hochkochen. Erst recht bei einem Anlass wie diesem.« Er schwieg kurz. »Okay, ich gebe zu, meine Perspektive ist die eines schwarzen Mannes, der es zu etwas gebracht, so wie Bannister. Die privaten Wunden sind verheilt, die Narben sind geblieben. Ich kann damit leben, bin in gewisser Weise privilegiert.«
»Meine Haut ist weiß«, sagte Neila Major, »na und? Ich habe dieselbe Scheißwut in mir wie die Demonstranten. Und dennoch bleibt mir nichts anderes übrig, als die Wütenden zu bekämpfen. Weil es mein Job ist. Verrückte Welt, oder?«
»Wir kennen uns lange genug, Neila«, sagte Lightfoot. »Ich denke, wir sehen die Dinge ähnlich. Aber vielleicht irre ich mich auch.«
Das Öffnen der Tür unterbrach ihren Gedankenaustausch. Diesmal trat Lightfoots Vorzimmerdrache nicht in Erscheinung. Ein adipöser Mittfünfziger mit gegeltem Haar stapfte schnaufend in den Raum. In der würdigen Uniform eines Chiefs, die ihm vermutlich auf den massigen Leib geschneidert war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es für die Figur des Chiefs Kleidung von der Stange gab.
Da er die Tür nicht hinter sich geschlossen hatte, musste Lightfoots Sekretärin diese Aufgabe diskret übernehmen.
»Hallo, Jungs«, grüßte der Chief Phil und mich mit dröhnendem Bass. »Weiß es zu schätzen, dass ihr den weiten Weg auf euch genommen habt, um dem alten Finch die Ehre zu erweisen.« Er lachte treuherzig und wischte sich mit der flachen Hand über das gerötete, schweißnasse Gesicht. »Nichts für ungut, ihr seid doch die beiden Feds, oder?« Er trat hinter mich und schlug mir krachend auf die Schulter. »Wir werden das Kind schon schaukeln, stimmt's?«
Obwohl Finchs gemütvolle Aktion meine ganze Aufmerksamkeit forderte, nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, wie Neila Major unwillkürlich die Nase rümpfte. Ich nahm an, es lag an dem penetrant süßlichen Rasierwasserduft, den der Chief verbreitete. Vermutlich handelte es sich um die Billigmarke Lucky Tiger.
»Jetzt setz dich erstmal«, forderte Lightfoot den Captain auf. »Bist reichlich spät dran, wäre großartig, wenn wir loslegen könnten.«
Finchs aufgekratzte Stimmung verflog im Bruchteil einer Sekunde. Mürrisch sortierte er seine Massen auf dem letzten noch freien Stuhl am Tisch. Dabei hatte er Mühe, nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Neila Major schürzte süffisant die Lippen. »Hallo, Chris, freut mich auch, dich zu sehen.«
Finch winkte mit seiner dicken, plumpen Hand ab.
»Schon gut, Neila, hab's vermasselt. Ich weiß, wie scharf du drauf bist, von mir begrüßt zu werden, tut mir echt leid. Hab dich wohl übersehen.« Er rieb seine wulstige Nase und schniefte genüsslich.
Lightfoot wurde es zu bunt.
»Hört auf mit diesem Mist!«, wies er Neila Major und Chris Finch zurecht. »Ich bin mir sicher, Cotton und Decker sind nicht hier, um ihre wertvolle Zeit zu verplempern.«
»Keine Sorge«, sagte ich, »wir unterhalten uns prächtig.«
»Kann ich mir denken«, erwiderte Lightfoot grinsend, »trotzdem sollten wir zum Thema kommen. Also, vor zwei Tagen verschwand mein Freund Mitch Bannister nach einer Buchvorstellung auf dem Weg zum zwei Meilen entfernten Gloria Hotel, wohin er unbedingt zu Fuß gehen wollte. Bis jetzt fehlt jede Spur von ihm, obwohl gestern eine bundesweite Fahndung angelaufen ist.«
»Wurde Bannister auf dem Weg zum Hotel von niemand gesehen?«, fragte Phil.
»O doch!«, posaunte Finch. »Weiß ich aber auch erst seit gestern. Hab mich mal in dieser Bruchbude von Hotel umgehört, und da stellte sich heraus, dass einer der Dauermieter ihm begegnet ist. Iago Perez, ein arbeitsloser Latino, der sich vermutlich in der City 'ne Ladung Heroin drücken wollte.«
»Wo war das?«
»Etwa auf halber Strecke. Da wo es kaum Häuser gibt, bloß eine Meute streunender Hunde und eine Heerschar von Ratten.«
»Haben die beiden miteinander gesprochen?«
Finch kicherte belustigt. »Bannister ist 'ne große Nummer. Glauben Sie etwa, der gibt sich mit 'nem dahergelaufenen Latinostrolch ab?«
»Das heißt, dieser Perez bringt uns nichts?«
Finch hob unschlüssig die fleischigen Schultern. »Weiß nicht, vielleicht hängt er ja mit drin in der Sache. Ich meine, falls Bannister entführt wurde. Für alle Fälle könnte ich mir den Jungen ja noch mal vorknöpfen.«
Lightfoot runzelte die Stirn. Offenbar hatte er keine hohe Meinung von dem, was der Chief unter vorknöpfen verstand.
»Was haben Sie sonst noch unternommen?«, fragte ich.
»Na ja, ich habe mir gedacht, vielleicht ist Bannister gar nicht entführt worden, hat nur einen kleinen Abstecher gemacht, in eine Bar oder in ein Bordell. Und ist da unter die Räder gekommen. Also habe ich meine Beamten losgeschickt und in allen möglichen Etablissements rumschnüffeln lassen. Fehlanzeige, das Ganze hat nichts gebracht.« Er puhlte eine rosafarbene Kaugummikugel aus der Hosentasche und stopfte sie sich in den Mund.
»Und weiter?«, fragte Phil.
»Das war's fürs Erste, Agent Decker. Aber Ihnen wäre bestimmt noch mehr eingefallen, was?«
»Stimmt«, sagte Phil. »Was, wenn Bannister ein Taxi genommen hätte?«