Jerry Cotton 3410 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3410 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Tony Marble, der Sohn der legendären Kriminellen Mona Marble, die sich selbst Madame nannte, wurde im Gefängnis ermordet. Kurz darauf verübte jemand einen Anschlag auf zwei FBI Agents, den Tanith Child nur knapp überlebte. Sie und ihr Partner hatten Tony damals hinter Gitter gebracht. Wollte sich Madame Marble nun an ihnen rächen? Die mondäne Frau stritt alles ab. Kurze Zeit später wurde auf dem Transport vom Flughafen LaGuardia zum Metropolitan Museum eine wertvolle Inkastatue geraubt, die in New York erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte. Die Tat passte eigentlich zu Madame Marble, die eine Affinität zu derlei Kunstgegenständen hatte. Da sie bereits in den Fokus des FBI geraten war, hätte sie diesen Coup sicher nicht durchgeführt. Nur wer war es dann gewesen? Und war tatsächlich einer von Madame Marbles berüchtigten Mördern in der Stadt?


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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Madame Marble und ihre Mörder

Vorschau

Impressum

Madame Marble und ihre Mörder

Wie aus dem Nichts prügelten die Männer aufeinander ein. Ein mickriger Kerl verpasste einem Hünen einen Schlag ins Gesicht. Blut schoss aus seiner Nase, spritzte auf die orangefarbene Gefängniskluft. Ein fetter Typ mit kahlem Schädel stürzte sich auf den Mickrigen und begrub ihn unter seinem massigen Körper. Schreie hallten durch den Korridor. In dem Knäuel aus Armen und Beinen war nicht zu erkennen, wer gegen wen kämpfte.

Er bleckte die Zähne. Seine schweißnassen Finger schlossen sich um das improvisierte Messer, das einmal eine Zahnbürste gewesen war. Trotz des Chaos behielt er sein Ziel im Auge, wartete auf eine günstige Gelegenheit.

Jetzt! Er sprang auf sein Opfer zu. Dessen Schmerzensschrei ging im Kampflärm unter. Dann tauchten die Aufseher auf und beendeten die Schlägerei. Der Mann lag blutend am Boden. Sekunden später war er tot.

»... und dann hat sich Gordon Ramsay diesen riesigen Topf geschnappt, ist aus der Küche gerannt, hat das Ding auf einen Tisch geknallt und hat gebrüllt, dass das Restaurant für heute geschlossen sei. Du hättest die Gesichter der Gäste sehen sollen. Und erst das vom Inhaber. Der hatte die Hosen voll.«

Agent Bruce Spence schüttelte sich vor Lachen, lehnte sich in den Beifahrersitz des Ford Interceptor Stealth zurück und trank einen Schluck aus seinem Kaffeebecher.

Agent Tanith Child, die den Wagen steuerte, musste grinsen. »Sind das nicht Wiederholungen? Die letzte Staffel von Kitchen Nightmares lief doch vor sechs Jahren, oder?«

»Vor acht«, korrigierte er. »Aber ich liebe diesen verrückten Engländer einfach. Ich frage mich, ob die da drüben alle so sind.«

»Ich hatte mal was mit einem Engländer.«

»Ist nicht dein Ernst.«

»Damals auf der Highschool. Er war ein Austauschschüler, sehr höflich und mit guten Manieren. Nur ein bisschen übereifrig. Schon beim ersten Date wollte er mir seine britischen Finger unter die Bluse schieben.«

Spence prustete los. »Hat er es überlebt?«

Sie lachte und drängte sich in eine Lücke zwischen einem Taxi und einem Kleintransporter. Der Taxifahrer hinter ihr begann wütend zu hupen, was sie ignorierte.

»Hat er«, antwortete sie. »Nachdem ich ihm klar gemacht hatte, was bei mir läuft und was nicht, kamen wir gut miteinander aus. Jedenfalls für ein halbes Jahr. Dann habe ich ihm den Laufpass gegeben. Auf Dauer ging er mir mit seinem überhöflichen Getue auf die Nerven.«

»Die Männer hatten es schon damals nicht leicht mit dir.«

Sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. »Pass auf, was du sagst. Ich bin eben wählerisch, das ist alles.«

Sie bog ab und lenkte den Wagen in die Crosby Street Richtung Lafayette Street. Das war zwar ein Umweg, aber auf dieser Strecke war deutlich weniger los als auf dem Broadway. Endlich konnte sie für mehr als ein paar Yards am Stück Gas geben. Die Route war ihr persönlicher Geheimtipp für die allmorgendliche Fahrt ins Field Office.

»Ich glaube, dass Baranda diesen Burlatelli umgelegt haben könnte«, meinte Spence unvermittelt.

Sie brauchte eine Sekunde, um auf den plötzlichen Themenwechsel reagieren zu können. »Ich weiß nicht, Bruce. Was ist mit seinem Alibi?«

»Wenn du mich fragst, hätte Linda Burns sogar dem alten Adam ein Alibi gegeben, nachdem er im Paradies den Apfel geklaut hatte.«

Nachdenklich leckte sich Tanith über die Lippen. Georgio Burlatelli war ein hochrangiges Mitglied einer New Yorker Mafiafamilie gewesen. Jedenfalls bevor ihm jemand vor einer Woche vor diesem neuen Edelrestaurant in der Nähe des Times Square mit einem Gewehr in den Kopf geschossen hatte. Zeugen wollten Rocco Baranda, der einer konkurrierenden Bande angehörte, in der Nähe des Tatorts gesehen haben. Dessen Verlobte Linda schwor hoch und heilig, dass er mit ihr an diesem Abend im Theater gewesen sei. Es war bekannt, dass die beiden eine Schwäche für Broadwaykomödien hatten. Baranda hatte ihnen sogar die Eintrittskarten gezeigt. Die Burlatellis waren derweil auf hundertachtzig und gierten nach Rache. Das FBI befürchtete, dass sich die Angelegenheit zu einem Bandenkrieg auswachsen könnte.

Vor ihnen sprang eine Ampel auf Rot. Sanft brachte sie den Ford zum Stehen. Nur noch ein paar Yards bis zur Lafayette Street, dann hatten sie ihr Ziel fast erreicht.

Reifen quietschten. Wie aus dem Nichts tauchte neben ihnen ein grauer SUV auf. Eine abgedunkelte Seitenscheibe wurde hinuntergefahren. Jemand schob den Lauf einer Pistole durch den Spalt.

»Scheiße!«, brüllte Spence und griff nach der Glock, die im Holster an seinem Gürtel steckte.

Zu spät. Schüsse krachten. In einer fließenden Bewegung löste Tanith ihren Sicherheitsgurt, stieß die Wagentür auf und warf sich aus dem Auto. Aus dem Augenwinkel sah sie Spence' Körper unter dem Einschlag einer Kugel erzittern.

»Nein!«, schrie sie, zog ihre Waffe und sprang auf die Füße.

Mr. Highs düstere Miene verhieß keine guten Nachrichten.

»Setzen Sie sich, Gentlemen«, forderte er Phil und mich auf und blätterte dabei geistesabwesend in einer Akte. »Haben Sie es schon gehört?«, fragte er, nachdem wir Platz genommen hatten.

Wir tauschten einen schnellen Blick. Phil zuckte mit den Schultern.

»Was gehört, Sir?«, fragte ich.

Mr. Highs Kiefer mahlten. »Auf zwei ihrer Kollegen wurde ein Anschlag verübt. Ist noch keine zwei Stunden her. Agent Bruce Spence und Agent Tanith Child waren auf dem Weg ins Field Office, als an einer roten Ampel ein grauer SUV neben ihnen stoppte. Ein Hotdogverkäufer, der gerade seinen Imbisswagen über die Straße geschoben hat, hat das zufällig beobachtet. Dann fielen Schüsse. Den Einschusslöchern in ihrem Dienstfahrzeug nach wurde ein komplettes Magazin verschossen. Leider war der Verkäufer zu weit weg, um das Nummernschild lesen zu können, außerdem ist er hinter seinem Wagen in Deckung gegangen, als die Schießerei losging.«

Unwillkürlich versteifte ich mich. Phil stieß scharf die Luft aus. Gewalt gehörte leider zu unserem Berufsalltag. Trotzdem war es immer ein Schock, wenn Kollegen betroffen waren.

»Agent Spence ist schwer verletzt und wird in diesen Minuten operiert«, fuhr Mr. High fort. »Er wurde von einer Kugel am Kopf erwischt. Agent Child hatte mehr Glück. Sie saß hinterm Steuer und konnte rausspringen. Als sie das Feuer erwidern wollte, hat sie einen Schuss in den Arm abbekommen, dann sind die Täter geflüchtet. Sie wird im Presbyterian Lower Manhattan behandelt. Scheint nur eine Fleischwunde zu sein. Der Schock über den Tod ihres Partners dürfte schwerer wiegen.«

»Puh«, machte Phil. »Hat Tanith jemanden erkannt?«

Mr. High schüttelte den Kopf. »Wir wissen nur, dass die Täter mindestens zu zweit waren, der Schütze saß auf dem Rücksitz.«

»Haben Sie einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?«, wollte ich wissen. »An welchem Fall haben die beiden gerade gearbeitet?«

»Sie waren mit dem Buratelli-Mord befasst, Sie haben vermutlich davon gehört. Ehrlich gesagt, erscheint es mir wenig wahrscheinlich, dass der Täter aus diesem Umfeld stammt. Dafür gibt es keinen Grund. Der derzeit einzige Verdächtige hat ein Alibi. Agent Spence und Agent Child haben gerade erst mit den Ermittlungen begonnen, sie saßen keinem im Nacken, niemand stand unter Druck. Ich habe jemand ganz anderes im Visier. Ist Ihnen Madame Marble ein Begriff?«

Wieder tauschten Phil und ich einen Blick.

»Sir, das ist so, als würden Sie einen Touristen in Las Vegas fragen, ob er schon mal eine Spielbank gesehen hat«, meinte mein Partner. »Vermutlich gibt es selbst bei der Verkehrspolizei niemanden, der noch nicht von Madame Marble gehört hat.«

Damit hatte er nicht übertrieben. Mona Marble war die Grand Dame der New Yorker Unterwelt. Kultiviert und charmant, gleichzeitig eiskalt und abgebrüht. Ihr waren schon alle möglichen Verbrechen zur Last gelegt worden, doch von einer kleineren Steuerstrafsache abgesehen hatte ihr bisher nie etwas nachgewiesen werden können. Ich hatte noch nicht persönlich mit ihr zu tun gehabt, hatte aber aus Interesse in ihrer Akte gelesen. Die Fotos hatten eine schlanke, etwa sechzig Jahre alte, sehr große Frau mit einem länglichen, scharf geschnittenen Gesicht und eisgrauen Haaren gezeigt, die sie zu einem Knoten gebunden hatte. Ihr Blick war kühl und durchdringend.

Trotz seiner sichtlichen Anspannung quittierte Mr. High Phils Bemerkung mit einem dünnen Lächeln. »Da haben Sie wohl recht, Phil. Etwas weniger bekannt als Madame Marble selbst ist die Tatsache, dass sie einen Sohn hat, Tony Marble. Er wurde vor zwei Jahren zu einer längeren Freiheitsstrafe auf Rikers Island verurteilt.«

»Was hat er angestellt?«, fragte ich.

»Ziemlich viel. Drogenhandel, Erpressung, Betrug. Offenbar wollte er seiner Mutter beweisen, dass er in ihre Fußstapfen treten kann. Nur ist er nicht so clever wie sie. Er hatte damit angefangen, Leute anzuwerben, wollte ganz oben mitmischen. Allerdings gelang es uns, einen Maulwurf bei ihm einzuschleusen. Tony Marble war bereit, einen Bandenkrieg anzuzetteln, um seine Macht auszubauen.«

Phil pfiff durch die Zähne.

»Er plante einen Anschlag auf ein führendes Mitglied einer Konkurrenzorganisation, als ihn Agent Spence und Agent Child auffliegen ließen. Dank unseres Spitzels hatten sie genug Beweise gesammelt, dass es für eine Verurteilung reichte.«

Ich schürzte die Lippen. »Sie vermuten also, Madame Marble wollte sich an den beiden dafür rächen, dass sie ihren Sohn hinter Gittern gebracht haben. Wäre das nach zwei Jahren nicht reichlich spät?«

»Noch bis vor ein paar Tagen hätte ich Ihnen zugestimmt, Jerry. Doch dann wurde Tony Marble bei einer Schlägerei ermordet, von einem Mithäftling namens Bobby Hope. Hope hat ihm den zugespitzten Stiel einer Zahnbürste in den Hals gestoßen. Marble starb noch am Tatort.«

»Sie glauben, sie macht unsere Kollegen mit dafür verantwortlich, dass ihr Sohn tot ist?«

»Genau das werden Sie beide herausfinden«, erwiderte Mr. High. »Madame Marble ist schwer zu durchschauen, es wartet eine schwierige Aufgabe auf Sie. Wir wissen nicht genau, ob sie ihren Sohn bei seinen Plänen damals unterstützt hat. Sie sollten sich mit Agent Child über sie austauschen.«

»Wer war eigentlich sein Vater?«, fragte Phil.

»Ein Mann namens Oscar Parabaille. Er war ein französischer Industrieller, der in den Siebzigern in die USA ausgewandert ist. Marble und er haben vor knapp dreißig Jahren geheiratet, kurz darauf kam Tony zur Welt. Ein halbes Jahr nach der Geburt seines Sohns wurde Parabaille tot im Hudson River treibend gefunden. Seine Leiche wies keinerlei Verletzungen auf, aber in seinem Blut befand sich mehr Alkohol als in einer Flasche Whisky.«

»Okay«, murmelte ich.

»Madame Marble sagte damals aus, dass er ein schwerer Alkoholiker gewesen sei, was von seinen wenigen Freunden jedoch niemand bestätigen konnte. Jedenfalls erbte sie sein gesamtes Vermögen und die Akte wurde geschlossen. Seien Sie vorsichtig, Gentlemen.«

Wir erhoben uns und verabschiedeten uns von Mr. High. Auf die bevorstehende Begegnung mit Madame Marble war ich schon sehr gespannt.

Vier Monate zuvor

Als Harvey Wayne an diesem Morgen den kleinen Konferenzsaal betrat, war er glänzender Laune und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Er war Direktor des New Yorker Metropolitan Museum of Art und ließ den Blick über seine engsten Mitarbeiter schweifen, die sich an den quadratisch angeordneten Tischen versammelt hatten. Auch ihnen war die Vorfreude deutlich anzusehen. Sogar seine Pressechefin Brenda Myers lächelte, obwohl sie sonst ein Gesicht machte, als würde sie permanent auf Zitronen kauen. Zwar konnten sie nicht wissen, dass er gleich weißen Rauch aufsteigen lassen würde, aber sie ahnten es. Sie waren einfach zu nah dran gewesen, um noch scheitern zu können.

»Guten Morgen«, dröhnte er mit seiner Bassstimme.

Sofort schallte der Gruß vielstimmig zurück. Wayne bemühte sich, seinen hünenhaften Körper in den einzigen noch freien Stuhl zu pressen und verfluchte zum wohl tausendsten Mal diejenigen, die die Möbel ausgesucht hatten. Was hatten sie geglaubt, wer in diesem Konferenzraum zusammenkommen würde? Schneewittchen und die sieben Zwerge?

Er nahm sich die Zeit, jedem einzelnen der vier Männer und drei Frauen in die Augen zu schauen. Ihr Lächeln schien auf ihren Gesichtern gefroren zu sein, und er sah ihnen an, dass sie ihn am liebsten am Kragen gepackt und geschüttelt hätten, damit er endlich mit der heißersehnten Neuigkeit rausrückte. Nun gut, er würde sie nicht länger zappeln lassen.

»Ladys und Gentlemen«, begann er und legte eine Kunstpause ein. Als sich seine Mitarbeiter synchron in ihren Stühlen vorbeugten, hätte er beinahe laut aufgelacht. »Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Mama Killa in Kürze unserem schönen New York einen ausgedehnten Besuch abstatten wird.«

Jubelrufe erfüllten den Raum. Doyle Larue, der Leiter der kunsthistorischen Abteilung, klatschte Beifall und schielte dabei auffällig zu Brenda Myers hinüber. Tja, Doyle, dachte Wayne, ich weiß, dass du auf Brenda scharf bist. Vielleicht solltest du ihre gute Stimmung ausnutzen und sie heute Abend auf einen Drink einladen.

»Wann ist es so weit?«, wollte Brenda wissen, die Larues Blicke nicht zu bemerken schien.

Sein Grinsen wurde noch breiter. »In vier Monaten.«

Wenn ihr Unterkiefer nicht mit ihrem Schädel verankert gewesen wäre, wäre er auf der Tischplatte gelandet. »Schon so bald? Aber ...«

»Brenda, ich weiß, dass das für Sie und das ganze Team eine Menge Arbeit bedeutet. Jetzt zahlt es sich aus, dass wir ins Risiko gegangen sind und auf Verdacht bereits alle möglichen Vorbereitungen getroffen haben. Die Prospekte, die Plakate und die Pressemitteilungen sind bereits so gut wie fertig, nicht wahr?«

Als er sie daran erinnerte, entspannte sie sich, und der seltene Gast namens Lächeln kehrte in ihr Gesicht zurück. »Natürlich, Harvey, das war mir in der Aufregung glatt entfallen. Wir müssen die Sachen eigentlich nur noch drucken lassen, es wird alles rechtzeitig zur Verfügung stehen. Auch die T-Shirts und die Poster für den Souvenirladen. Es ist einfach nur ... Ich kann es kaum glauben.«

»Geht mir genauso, Brenda!«, rief Larue, doch entweder hatte sie es überhört oder sie hatte beschlossen, ihn zu ignorieren.

Wayne lehnte sich, soweit ihm das möglich war, in seinem Stuhl zurück und genoss den Anblick seiner entzückten Mitarbeiter, die aufgeregt miteinander schnatterten. Plötzlich überkam ihn eine tiefe Müdigkeit, und er hatte das Gefühl, einen Marathon hinter sich und gerade völlig erschöpft die Ziellinie überquert zu haben. Und irgendwie war es ja auch so. Die Verhandlungen mit den peruanischen Behörden hatten sich über Monate hingezogen. Sie veranstalteten ein riesiges Tamtam und brachten immer neue Bedenken vor, ihnen Mama Killa für eine Ausstellung auszuleihen.

In endlosen Sitzungen konnte er all ihre Zweifel und Befürchtungen ausräumen. Der Bürgermeister und die Gouverneurin des Bundesstaats New York unterstützten ihn nach Kräften, was er ihnen nicht vergessen würde, wann waren gleich noch mal die Wahlen? Vor seinem geistigen Auge sah er die gut eins Komma fünfundzwanzig Fuß hohe, mit Edelsteinen besetzte goldene Statue in ihrer ganzen Pracht. Er hatte sie in Peru in Augenschein nehmen dürfen und war von ihr überwältigt gewesen.

In der Mythologie der Inkas war Mama Killa die Mondgöttin, weswegen sie meist mit einem menschlichen Gesicht in Form einer Scheibe dargestellt wurde. Das eigentlich Herausragende an der Statue war die Präzision, mit der sie gefertigt worden war. Die Gesichtszüge der Göttin waren so fein und detailgetreu, dass sich Wayne bei ihrem Anblick nicht gewundert hätte, wenn sie ihm zugeblinzelt hätte. Der unbekannte Künstler musste ein absoluter Meister seiner Zeit gewesen sein, geradezu ein Gigant. Die Statue war etwa siebenhundert Jahre alt, und ihr Wert wurde auf mehrere Millionen Dollar taxiert, wobei Wayne auf solche Zahlen wenig gab. Ihm ging es um das Kunstwerk an sich.

Archäologen hatten die Mama Killa erst vor zwei Jahren in der alten Inkastadt Pisac in Südzentral-Peru gefunden. Wissenschaftler und Kunsthistoriker aus aller Welt überschlugen sich schier, und Museumsdirektoren in aller Welt wetteiferten darum, sie als Erste außerhalb von Peru in ihrer Stadt der Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen. Und nun hatte New York das Rennen gemacht.

Sein New York.

Vor anderthalb Monaten deutete sich erstmals an, dass sie als Sieger vom Platz gehen könnten. Wayne pflegte die Menschen genau zu beobachten und ihre Gesten und Mienen zu beurteilen. Die Signale, die seine peruanischen Gesprächspartner aussandten, wurden immer positiver. Zuletzt gaben sie ihm durch die Blume zu verstehen, dass bald alles sehr schnell gehen könne. Er nahm sie beim Wort, und er und sein Team bereiteten sich so gut vor, wie sie konnten. Vor drei Wochen wurde sogar schon ein Ausstellungsraum für Mama Killa freigeräumt, nur für den Fall. Sie hatten sozusagen den Lauf geölt, die Patronen in die Trommel geschoben, den Abzug gespannt und Reservemunition bereitgelegt. Jetzt mussten sie nur noch abdrücken.

Dennoch blieb eine Menge zu erledigen. Vier Monate waren nicht viel Zeit, obwohl sie so gut aufgestellt waren. Unter anderem würde der Transport der Statue vom Flughafen zum Museum vorbereitet werden müssen. Er wusste genau, dass ein solcher Fund nicht nur bei seriösen Kunstliebhabern und Historikern Aufmerksamkeit erregte. Es gab private Sammler, die weder Kosten noch Mühen scheuten, um ein besonderes Kunstwerk in ihren Besitz zu bringen und es dann in irgendeinem Keller verschwinden zu lassen, wo nur sie sich an seinem Anblick erfreuen konnten. Solche Leute verachtete er.

Sein Team hatte die erste Begeisterung hinter sich gelassen und diskutierte rege darüber, wer als Nächstes welche Aufgaben zu erledigen hatte. Ihre Augen glänzten wie die von aufgeregten Kindern, die den Weihnachtsabend planten, und er fühlte Stolz. Jeder von ihnen hätte seinen rechten Arm gegeben, um dieses Ziel zu erreichen.

Als er sich räusperte, verstummten sie und schauten ihn erwartungsvoll an.

»Ich werde jetzt den Bürgermeister anrufen und ihm die freudige Nachricht überbringen«, verkündete er. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Lasst uns alle zusammen weiter Vollgas geben, und nach dem Eröffnungstag, das verspreche ich euch, feiern wir eine große Party. Das haben wir uns verdient.«

Sie klatschten und jubelten, und dann sprangen sie von ihren Stühlen auf und eilten zur Tür.

»Äh, Brenda!«, rief Doyle ihr hinterher, aber sie schaute sich nicht einmal um.

Als alle den Raum verlassen hatten, quälte sich Wayne aus seinem Stuhl. Verdammte Inneneinrichter.

Gegenwart