Jerry Cotton 3414 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3414 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Eine brutale Mordserie im New Yorker Bandenmilieu rief das Federal Bureau of Investigation auf den Plan. Die Opfer wurden entweder aus größerer Distanz mit Pfeil und Bogen oder aus direkter Nähe mit einem Tomahawk getötet und anschließend skalpiert. Ein Zeuge wollte in der Nähe eines Tatorts einen Indianer in Kriegsbemalung gesehen haben. Ließ sich der Täter von Ritualen amerikanischer Ureinwohner inspirieren? Oder handelte es sich bei dem Killer um einen echten Indianer, der aus irgendeinem Grund das Kriegsbeil ausgegraben hatte? Wir sollten es bald herausfinden ...


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Blutzoll des Comanchen

Vorschau

Impressum

Blutzoll des Comanchen

Das Zimmer war in rubinrotes Licht getaucht. Es sollte eine verruchte Atmosphäre schaffen, doch auf Evan Moss wirkte es mehr, als hätte jemand eimerweise Schweineblut über die Decke und die Wände gekippt.

Sein Blick wanderte abschätzig über das geschmacklose Inventar bunt zusammengewürfelter Kunstgegenstände. Unterschiedlichste Kulturkreise und Epochen ohne eine erkennbare Ordnung gaben sich hier ein Stelldichein.

Federschmuck der Inkas neben Rüstungen ihrer spanischen Eroberer. Die lebensgroße Figur eines martialisch geschminkten Indianers, eingerahmt von Helmen und Brustpanzern mittelalterlicher Samurai.

Kopfschüttelnd wandte sich Moss ab und ging zu dem breiten Futon.

Wäre sein Blick einen Moment länger verharrt, hätte er die erbarmungslosen Augen bemerkt, die ihm folgten und sich wie Pfeile in seinen Rücken bohrten.

Moss ließ sich auf dem roten Futon nieder und versank in den samtweichen Polstern wie in Treibsand. Er spreizte die Beine, drapierte beide Arme auf der hölzernen Lehne und schenkte der Einrichtung einen weiteren Blick.

Das meiste, was hier zur Schau gestellt wurde, war Tand. Blendwerk, um die schwerreiche, aber ahnungslose Kundschaft zu beeindrucken. Mit Kunst und Antiquitäten kannte sich Moss zwar nicht aus, dafür kannte er den Geschäftsführer dieses Etablissements umso besser.

Mike Desiderio, genannt Desi, war ein Blender vor dem Herrn. Gut aussehend, spindeldürr, faul wie zehn Mexikaner, jedoch mit einer Silberzunge gesegnet, mit der er Gordon Marchello dazu hatte überreden können, ihm mit seinen knapp dreißig Jahren die Verantwortung für eines seiner Bordelle zu übertragen. Moss hatte ihm strikt davon abgeraten, wie er es als rechte Hand des Rotlichtbarons als seine Aufgabe ansah. In der Regel hatte Marchello seinen eigenen Willen. Und an Desi hatte er schon seinen Narren gefressen, als der noch den Straßenstrich in Flushing gemanagt hatte.

Evan Moss war es im Grunde egal. Das Etablissement in Queens, das offiziell als Edelstripklub geführt wurde, war nur ein kleiner Brillant in Marchellos Collier, das von Peepshows und Sexshops bis zu hochpreisigen Social Clubs alles umfasste, was fleischliche Gelüste in klingende Münze verwandelte.

Moss' Problem war mehr, dass er Desi den Erfolg nicht gönnte. Aber würde er für jeden kleinen Pisser, auf den das zutraf, einen Dollar bekommen, hätte er sich längst zur Ruhe gesetzt. So machte er gute Miene und versuchte, die Angelegenheiten seines sturen Arbeitgebers so gewissenhaft zu managen, wie es eben ging.

Seine Hauptaufgaben waren ohnehin andere. Seit einiger Zeit war Moss für den Einkauf von Genussmitteln verantwortlich, die Marchellos Kunden in seinen Etablissements erwarteten, jedoch über keinen offiziellen Vertriebskanal bezogen werden konnten. Moss hatte seine eigenen Händler, und sein Netzwerk reichte von Kolumbien über Nicaragua bis Pakistan und Afghanistan. Und sogar zu Methlaboren in den nördlichen Appalachen unterhielt er gute Kontakte. Wichtig war nicht der Preis, sondern die Qualität. Und gerade in letzter Zeit hatte Moss einen so hervorragenden Job gemacht, dass Marchello ihn beiseite genommen und gemeint hatte: »Du arbeitest zu viel. Mach mal einen Abend Pause. Gönn dir was. Ich habe Desi Bescheid gesagt. Er erwartet dich heute. Und er weiß genau, was du brauchst.«

Evan Moss hatte sich nicht lange bitten lassen, und war gegen halb neun nach Queens aufgebrochen. Schon allein um sich anzusehen, was Desi aus dem Laden gemacht hatte. Und jetzt nachdem sich seine schlimmsten Erwartungen bewahrheitet hatten, saß er hier, in diesem Hinterzimmer, in das ihn die verantwortliche Madame de Maison geführt hatte, und wartete wie ein Patient beim Zahnarzt auf sein spezielles Programm à la Desi.

Er blickte nach rechts, zu dem gefüllten Sektkübel, der neben dem Futon auf einem Beistelltisch bereitstand und mit einem Tuch zugedeckt war. Moss hob es an und begutachtete das Etikett. 1998er Dom Pérignon. Nicht das allerteuerste Zeug, aber für knapp vierhundert Dollar die Flasche auch nicht von der Tankstelle.

Moss deckte die Flasche wieder zu und warf einen Blick auf die Rolex an seinem Arm. Eine Viertelstunde war vergangen, seit man ihm am Eingang den Mantel abgenommen hatte. Und während er sich noch etwas misstrauisch fragte, was Desi wohl für ihn geplant hatte, drang leiser Easy-Listening-Jazz aus versteckten Lautsprechern.

Moss lächelte schmal. Vielleicht wurde der Abend ja doch ganz vergnüglich. Eine weitere Minute später öffnete sich eine Tür auf der rechten Seite des Zimmers, die er davor gar nicht bemerkt hatte, und eine gertenschlanke, fast knabenhafte junge Frau trat in den Raum. Leise drückte sie die Tür hinter sich zu und schwebte leise wie auf Samtpfoten aus den Schatten ins Licht.

Moss ließ den Blick an ihrem blassen, jetzt durch die Beleuchtung rot gefärbten Körper hinabgleiten. Das Girl trug ein Hauch von Nichts. Durch den halb durchsichtigen Stoff des Nachthemds schien rote Unterwäsche durch. Und sie war jung. Sehr jung. Vielleicht sechzehn oder siebzehn, mit dem ausdruckslosen, zerbrechlich wirkenden Gesicht einer Puppe.

Moss leckte sich über die Lippen. O ja, der Abend hatte sich jetzt schon gelohnt. Marchello hatte Desi offensichtlich genaue Anweisungen erteilt.

Ohne die Augen von der zarten Erscheinung zu nehmen, griff er nach der Sektflasche und ließ den Korken knallen, behielt ihn jedoch in der Hand. Ein wenig Schaum quoll über den wulstigen Flaschenrand und über seine haarigen Knöchel. Dann wandte er sich den Gläsern zu, die neben dem silbernen Kübel standen, und füllte sie bis zur Hälfte. Er nahm beide am Stiel und ging damit auf die junge Frau zu, die in der Mitte des Zimmers stehen geblieben war. Sie öffnete ihr Haar, das bis jetzt zusammengebunden war, und schüttelte es, sodass es wie ein Wasserfall ihr Gesicht umfloss. Engelsgleich sah sie aus. Unschuldig und verrucht zugleich.

Lächelnd reichte Evan Moss ihr eines der Gläser, das sie willig entgegennahm. Sie ließen beide klirren. Dann sah er lächelnd dabei zu, wie sie wortlos, ohne die Augen zu schließen, einen tiefen Schluck trank. Erst als sie sich den Rest von den Lippen leckte, setzte Moss sein eigenes Glas an. Das teure Nass prickelte auf seiner Zunge und rann wie flüssiges Gold seine Kehle hinab.

Als er das Glas absetzte, fragte er sich einen Moment lang, wie er den Blick der jungen Frau deuten sollte. Dann wurde es ihm bewusst. Entsetzt, war das richtige Wort. Die Augen waren weit aufgerissen, und ein Ausdruck nackter Furcht war darin zu erkennen.

»Alles gut«, sagte er leise und griff nach ihrer Hand.

Im selben Moment tat sie einen schnellen Schritt zurück, wobei das Glas ihren Händen entglitt und unbeschadet auf dem dicken Teppich landete.

Evan Moss wollte sich danach bücken, als er den Schatten bemerkte, der plötzlich auf ihr Gesicht fiel. Er gehörte einer Gestalt, die hinter seinem Rücken ins Licht getreten war.

Moss schnellte herum und blickte in ein schwarz-weiß geschminktes Gesicht, das ihm dunkel bekannt vorkam. Doch erst als sein Blick an der Gestalt vorbei zu der jetzt leeren Stelle zwischen den beiden ausgestellten Rüstungen glitt, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Die Figur. Der Indianer!

Moss tastete noch nach der Magnum unter seinem Jackett, als er bereits die hoch erhobene Streitaxt in der Hand des anderen sah. Seltsamerweise waren seine Gedanken in seinen letzten Sekunden damit beschäftigt, nach dem richtigen Wort für diese Waffe zu suchen. Er kannte sie aus zahlreichen Western.

Ein Tomahawk!, fiel es ihm schließlich ein, kurz bevor ihm die eiserne Klinge den Schädel spaltete.

Die Dachterrasse der Jade Lounge war an diesem warmen Sommerabend sehr gut besucht. Fast jeder der rund zwanzig Tische war belegt. Und wenn nicht, war er reserviert.

Wie gerne hätten Phil und ich uns dazu gesellt, um den Tag mit einem gut gekühlten Longdrink ausklingen zu lassen. Stattdessen kauerten wir mit zwei FBI-Kollegen im Inneren eines Einsatzvans, das nur von den Anzeigen und Lämpchen unserer Überwachungstechnik beleuchtet wurde.

Ein großer Monitor lieferte ununterbrochen Livebilder von der Terrasse, und informierte uns so in Echtzeit über das Geschehen in dem Manhattaner In-Lokal. Übertragen wurden die Aufnahmen von einer Minikamera, versteckt im Revers eines Mannes namens Winfred Gattuta. Bei ihm handelte es sich um ein kleines Licht in einem Riesengeschäft mit illegaler Prostitution und Menschenhandel. So glaubten wir zumindest.

Offiziell war der Bursche, ein gewisser Gordon Marchello, den wir an der Spitze dieses Geschäfts vermuteten, ein erfolgreicher Unternehmer, dem zahlreiche Diskotheken, Stripklubs und Webcamportale im Internet gehörten. Auch nicht unbedingt eine Branche mit dem besten Leumund, aber Marchello beharrte darauf, dass bei ihm alles sauber und legal abgewickelt wurde.

Daran hatten wir vom FBI seit einiger Zeit erhebliche Zweifel. Vielmehr hatten wir den Verdacht, dass Marchello, abseits seines legalen Geschäfts, massiv im Bereich des organisierten Verbrechens mitmischte. Wir vermuteten, dass seine Organisation wie ein Schneeballsystem aufgebaut war, bei dem scheinbar unabhängige »Unternehmer« in Wahrheit komplett in Marchellos Diensten standen. Und dass die Kohle, die sie erwirtschafteten, nach oben durchgereicht wurde und zu einem Großteil in Marchellos Taschen versickerte.

Im Rahmen unserer Ermittlungen gegen ihn und sein Umfeld waren wir schließlich auf Winfred Gattuta gestoßen, der wiederum für einen Mann namens Derek Santiago arbeitete. Wie wir aus abgehörten Telefonaten wussten, war Santiago ein Günstling Marchellos. Doch offiziell arbeitete auch er auf eigene Rechnung.

Klar, wir hätten versuchen können, Santiago direkt hochzunehmen, zweifelten aber daran, ob er Marchello freiwillig ans Messer geliefert hätte. Wahrscheinlich wäre er ein paar Jahre für ihn in den Knast gegangen, was seiner finanziellen Situation bestimmt nicht geschadet hätte.

Nach dem erprobten Prinzip, bei Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen die kleinen Fische als Köder für die jeweils größeren zu benutzen, hatten wir stattdessen Winfred Gattuta, der in einer von Santiagos Peepshows arbeitete, des Drogenhandels überführt. Das war wiederum ein Leichtes gewesen. Dafür hatte es nur eines Testkaufs durch einen verdeckten Ermittler bedurft. Unter der Zusicherung von Straffreiheit hatten wir Gattuta anschließend dazu gebracht, mit dem FBI zusammenzuarbeiten. Und diese Zusammenarbeit hatte in diesem Moment ihren Höhepunkt erreicht.

Unter einem Vorwand hatte Gattuta seinen Boss um eine Unterredung gebeten. Der hatte ihn daraufhin in die Jade Lounge, sein Stammlokal bestellt. Gattuta hatte eingewilligt und unsere Techniker hatten ihn verkabelt. Dieser veraltete Ausdruck war immer noch Teil unseres Sprachgebrauchs, auch wenn aufwendige Drahtkonstruktionen längst der Vergangenheit angehörten. Gattuta trug einfach ein nicht als solches zu erkennendes Minimikrofon unterhalb seines Kragens, einen gut versteckten Knopf im Ohr, und eben jene Kamera, über die wir uns bereits einen Überblick über die Dachterrasse verschafft hatten.

Im Moment sahen wir nur das große Wasserglas, das ein Kellner direkt vor unserem Mann abgestellt hatte.

»Gattuta«, nahm ich über unser Mikrofon Kontakt zu ihm auf. Inständig hoffte ich, er würde nicht seinen Finger ans Ohr halten, wie er es bei den Proben immer wieder getan hatte. Vergewissern konnte ich mich davon leider nicht. Wir hatten nur die eine Kamera, und die war auf sein Gegenüber gerichtet. »Stellen Sie das Wasserglas zur Seite.«

Ich hörte ein leises Räuspern, dann tauchte eine riesige Hand auf dem Monitor auf, die das Glas beiläufig beiseiteschob.

Jetzt war der Blick wieder auf den Mann frei, der Gattuta gegenübersaß. Er hatte ein markantes, braun gebranntes Gesicht und trug die halblangen Haare in einem Pferdeschwanz. Seine Augen wurden von einer Sonnenbrille verdeckt, in deren Gläsern nur das Spiegelbild seines Gegenübers zu sehen war. Da die Kamera Santiago schräg von unten nach oben abfilmte, wirkte sein Kopf etwas verzerrter und auch etwas größer als in der Realität.

Phil und ich atmeten tief durch und sahen uns an.

Die Weichen waren gestellt, und wir konnten nicht mehr tun als Daumen drücken und hoffen, dass Gattuta nicht die Nerven verlor. Dass das Treffen unter den Augen zahlreicher Zeugen stattfand, machte mich etwas entspannter. Wenn Gattuta aufflog oder sich verdächtig verhielt, würde Santiago ihn zumindest nicht an Ort und Stelle kaltmachen. Und wenn sich eine andere Bedrohungslage ergab, standen Phil und ich innerhalb weniger Minuten auf der Matte.

Ein paar Minuten vergingen, in denen die beiden Männer Drinks nachorderten und sich über Belanglosigkeiten unterhielten. Ein paar Namen fielen, die mir alle nichts sagten. Danach verschwand Santiagos Gesicht für einen langen Moment hinter der Speisekarte, die Gattuta vor sich aufklappte. Während unser Informant sie noch studierte, konnten wir hören, wie Santiago bereits Tapas als Vorspeise bestellte. Gattuta legte die Karte beiseite. Wasser wurde nachgeschenkt und die zweite Runde Aperitifs serviert. Gefolgt von einem Tablett mit Lachstartar- und Kaviarhäppchen.

»La dolce vita«, seufzte Phil, dessen Gesicht im Licht des Monitors aschfahl aussah.

»Augen auf bei der Berufswahl«, meinte ich.

Wir hatten seit dem Mittag nichts mehr gegessen, und auch ich hätte nichts dagegen gehabt, mich zu den Männern an den Tisch zu gesellen. Daraus wurde erst einmal nichts. Da sich Santiago, wenn alles glatt lief, die nächsten Jahre mit Gefängniskost begnügen musste, hätte ich ungern mit ihm getauscht.

Gattuta ließ sich derweil Zeit, folgte unseren Instruktionen und sprach sein angebliches Anliegen nicht von sich aus an.

Erst als der Hauptgang bestellt war, beugte sich Santiago vor, faltete die beringten Hände auf dem Tisch und sagte: »Kommen wir zur Sache, Winnie. Worüber wolltest du mit mir reden?«

Gattuta räusperte sich. Durch das Kragenmikrofon klang es wie grollender Donner.

»Es geht um einen möglichen Millionendeal ...«, sagte er dann mit gesenkter Stimme.

Er setzte eine abwartende Pause, doch in Santiagos braun gebranntem Gesicht regte sich kein Muskel. Erst nach einer Weile sagte er: »Sprich weiter.«

Die Kamera verrutschte ein wenig. Vermutlich, weil sich Gattuta prüfend zur Seite drehte.

»Wie du weißt, habe ich eine Zeit lang in Thailand gelebt. Einer meiner damaligen Kunden, ein Schwede, der mehrere Sexshows und Table Dance Clubs in Bangkok betreibt, ist derzeit auf der Suche nach einem Kooperationspartner in den Staaten und ...«

»Gib mir den Kontakt«, unterbrach Santiago ihn ungerührt. »Dann sehen wir weiter.«

»Genau darum geht es«, entgegnete Gattuta zögernd. »Mein Mann besteht darauf, mit dem Big Boss zu verhandeln.«

Zum ersten Mal in diesem Gespräch verzog Santiago auf verächtlich wirkende Weise das Gesicht. »Wer soll das sein?«

Gattutas Stimme bekam einen lauernden Unterton. »Ich denke, das wissen wir beide nur zu gut. Allerdings halte ich es nicht für sinnvoll, Namen zu nennen.«

Ich nickte leicht, während ich wie gebannt auf den Monitor starrte. Gattuta machte das gut. Er hatte den Köder ausgelegt, ohne Santiago mit der Nase darauf zu stoßen. Jetzt musste er den Fisch nur noch einholen.

»Meine Kontaktperson wäre aber bereit, eine Vermittlungsgebühr zu bezahlen. Wie ich ihn kenne, wird die nicht zu knapp ausfallen.«

Santiago schob den Teller mit den Häppchen zur Seite und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. »Ich möchte persönlich mit deinem Mann reden. Erst dann kann ich eine Entscheidung treffen.«

»Natürlich«, gab Gattuta zurück. »Mein Mann kann es sich aus verschiedenen Gründen derzeit nicht erlauben, Bangkok zu verlassen. Ich werde eine Internetkonferenz ...«

»Persönlich oder gar nicht«, fiel Santiago ihm ins Wort. »Wenn es sein muss, fliege ich selbst nach Thailand. Mir täten ein paar Tage unter der Sonne ganz gut.«

Phil und ich sahen uns missmutig an. Das Gespräch verlief nicht ganz nach Plan, doch mit so etwas musste man rechnen. Jetzt war es an Gattuta, die Kastanien aus dem Feuer zu holen und Phase zwei unseres Plans einzuleiten.

»Das ... wird nicht möglich sein«, sagte er mit gespieltem Bedauern. »Mein Kontakt besteht bis zu den eigentlichen Verhandlungen auf Anonymität.«

Erneut rümpfte Santiago die Nase. »Was soll das werden? Die Sache stinkt zehn Meilen gegen den Wind. Wie gut kennst du den Kerl?«

»Gut genug.«

»Wann hast du ihn zuletzt getroffen? Sagtest du nicht, du warst vor fünfzehn Jahren zuletzt in Thailand?«

»Nun ...«

»Entweder du gibst mir den Namen und die Kontaktdaten dieses komischen Schweden, oder das Gespräch ist beendet.«

»Er hat Lunte gerochen«, meinte mein Partner.

Ich nickte finster, dann setzte ich mich mit Gattuta in Verbindung.

»Halten Sie ihn hin. Sagen Sie ihm, dass Sie noch mal mit Ihrem Kontaktmann reden.«

Auf dem Monitor war zu sehen, wie Santiago bereits den Stuhl zurückschob und sich vom Tisch erhob.

»Wie du mich erreichst, weißt du ja.«

»Derek, ich ...«

Gattutas nachfolgende Worte erstarben wie Eis auf seinen Lippen.

Wir im Einsatzwagen brauchten einen Moment, um zu verstehen, was gerade passiert war. Ich konnte zunächst erkennen, dass Santiagos Bewegungen abrupt einfroren, als hätte jemand die Pausentaste gedrückt. Er ächzte, dann sank er zurück auf den Stuhl und sackte dort regelrecht in sich zusammen, wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte.

»Zoom ein Stück weiter raus«, bat ich unseren Techniker an.

Der reagierte umgehend. Der Bildausschnitt vergrößerte sich. Und trotzdem brauchten wir weitere wertvolle Sekunden, um zu verstehen, was wir gerade sahen.

Die Erkenntnis traf mich mit der Wucht eines Faustschlags.

Aus Derek Santiagos Brust ragte ein Pfeil!

Den wenigen, konfusen Worten, die Gattuta in dem allgemeinen Tumult herausbrachte, entnahmen wir, dass der Pfeil vom benachbarten Gebäude aus abgeschossen worden war.

Ohne zu zögern, verließen Phil und ich unsere Positionen, rissen die Tür auf und stürmten ins Freie. Ich verharrte auf dem Bordstein, um mich zu orientieren. Mein Blick wanderte über die Dachterrasse der Jade Lounge, wo aufgeregte Rufe zu hören waren, und dann hinüber zu dem Flachdach des danebenliegenden Gebäudes. Ganz kurz glaubte ich, dort einen Schatten zu sehen, der sich in die Deckung eines Kamins zurückzog.

»Der Schütze muss von dort oben geschossen haben«, meinte Phil, der sich bereits in Bewegung setzte.

Das Gebäude war ein Bürokomplex, den sich verschiedene Anwaltskanzleien mit einem Notar, einer Künstleragentur und einem Softwareunternehmen teilten, wie eine goldene Tafel neben dem Eingang verriet. Um diese Uhrzeit war dort kaum jemand anzutreffen. Ich versuchte trotzdem mein Glück, indem ich mit der flachen Hand sämtliche Klingeln auf einmal drückte.

Tatsächlich ertönte wenig später der Summer. Ich drückte die Tür auf, und wir rannten durch einen eleganten Eingangsbereich bis zu einem gläsernen Fahrstuhl. Die Kabine befand sich bereits im Erdgeschoss. Allerdings gab es am Ende des Gangs noch eine Treppe. Wenn wir alle Fluchtwege abschneiden wollten, mussten wir uns aufteilen.

»Du oder ich?«, fragte Phil.