Jerry Cotton 3416 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3416 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Am Morgen nach meinem Tod wachte ich auf. Mein Schädel brummte, meine Knochen schmerzten, und ich wusste nicht, wo ich war. Mein Mund fühlte sich an, als hätte ich eine Ratte verschluckt. Ich stand von dem Bett auf, auf dem ich lag, taumelte zum Waschbecken an der gegenüberliegenden Wand und drehte den Wasserhahn auf. Alles, was dabei herauskam, war heiße Luft und ein röhrendes Geräusch.
Ich drehte mich um und sah ein Fenster. Ich taumelte hinüber, hielt mich an dem fleckigen Vorhang fest und schaute hinunter. Eine schmale Straße, Wäsche hing aus Fenstern in der brennenden Sonne. Ein schrottreifer 59er Buick Cabriolet fuhr hupend durch die Gasse. Die Menschen stoben nach beiden Seiten weg, und der Fahrer fluchte irgendetwas auf Spanisch. Überall an den Hauswänden hingen halb abgerissene Plakate. Ich erkannte einige, die Fidel Castro zeigten, überklebt von solchen mit dem Konterfei des derzeitigen Präsidenten Kubas, Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez.
Das war nicht Los Angeles, wo man mich nach meiner Ermordung in einem Luxusapartment untergebracht hatte. Nein, eingeschlafen war ich in L. A., aber aufgewacht war ich eindeutig in Havanna, Kuba.

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Der Morgen nach meinem Tod

Vorschau

Impressum

Der Morgen nach meinem Tod

Am Morgen nach meinem Tod wachte ich auf. Mein Schädel brummte, meine Knochen schmerzten, und ich wusste nicht, wo ich war. Mein Mund fühlte sich an, als hätte ich eine Ratte verschluckt. Ich stand von dem Bett auf, auf dem ich lag, taumelte zum Waschbecken an der gegenüberliegenden Wand und drehte den Wasserhahn auf. Alles, was dabei herauskam, war heiße Luft und ein röhrendes Geräusch.

Ich drehte mich um und sah ein Fenster. Ich taumelte hinüber, hielt mich an dem fleckigen Vorhang fest und schaute hinunter. Eine schmale Straße, Wäsche hing aus Fenstern in der brennenden Sonne. Ein schrottreifer 59er Buick Cabriolet fuhr hupend durch die Gasse. Die Menschen stoben nach beiden Seiten weg, und der Fahrer fluchte irgendetwas auf Spanisch. Überall an den Hauswänden hingen halb abgerissene Plakate. Ich erkannte einige, die Fidel Castro zeigten, überklebt von solchen mit dem Konterfei des derzeitigen Präsidenten Kubas, Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez.

Das war eindeutig nicht Los Angeles, wo man mich nach meiner Ermordung in einem Luxusapartment untergebracht hatte. Nein, eingeschlafen war ich in L. A., aber aufgewacht war ich eindeutig in Havanna, Kuba.

»Er ist nicht in seinem Zimmer«, sagte Phil und ließ sich verwirrt in einen der Sessel fallen, die die Lounge des Apartmenthauses zierten.

»Wo sonst?«, fragte Zeerookah, legte die Zeitung beiseite, in der er gelesen hatte, und sah sich nach Steve um, der gerade am anderen Ende der Halle mit einem Automaten kämpfte. Der verweigerte ihm trotz Einwurf eines Dollars die ersehnten Süßigkeiten.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Phil und zog sein Mobiltelefon aus der Tasche, um im Field Office anzurufen. »Sein Handy liegt auf dem Tisch, das Bett ist durchwühlt. Aber er ist nicht mehr da.«

Zeerookah spitzte die Lippen, stieß einen halblauten Pfiff aus, der Steve sofort herumfahren ließ, und winkte ihn zu sich.

Während Steve, sich routinemäßig umsehend, die Halle durchquerte, hatte Phil schon das Vorzimmer von Mr. High am Apparat.

»Helen«, sagte er, »bitte informier den Chef. Wir haben hier ein Problem.«

Eine Stunde nachdem das Verschwinden des FBI Agent Jerry Cotton bemerkt worden war, saßen Deanna Turner und ihre beiden Kollegen Bob Roberts und Virgil Carter gemeinsam in einem Büro des Los Angeles Police Department in einer Videoschalte mit Mr. High, dem Chef des New Yorker FBI.

»Berichten Sie mir bitte, wer Agent Cotton zuletzt gesehen hat und in welcher Verfassung er gewesen ist«, bat Mr. High und schob ein paar Akten aus dem Bild, an denen er eben noch gearbeitet hatte.

»Detective Carter, Detective Roberts und ich haben Agent Cotton gestern Abend nach unserer Lagebesprechung zu seinem Apartment eskortiert«, übernahm Deanna Turner sofort das Wort. »Ich habe ihm telefonisch ein Abendessen bestellt. Wir haben das Essen kontrolliert, dann sind wir gegangen.«

»Hat er das Abendessen zu sich genommen?«, wollte Mr. High wissen.

Phil Decker war in der Gruppe der Agents meist der Wortführer. Er nickte. »Es war noch nicht wieder abgeräumt. Der Roomservice kommt morgens gegen sieben. Ich war gegen halb sieben da. Das Bett war benutzt. Seine Handy lag auf dem Tisch. Ich habe die Dusche kontrolliert, er hat nicht geduscht, bevor er verschwunden ist.«

»Seine Kleidung?«, fragte der Chef.

Deanna Turner übernahm wieder. »Offensichtlich hatte er immer noch die Kleidung an, die er getragen hatte, als wir ihn das letzte Mal sahen. Im Kleiderschrank waren noch ...«

»Gehen Sie davon aus, dass er das Apartment nicht freiwillig verlassen hat?«, unterbrach Mr. High.

Sie wechselten ein paar schnelle Blicke untereinander.

»Wir wissen es nicht«, sagte Deanna Turner, öffnete eine schmale Akte, in der nichts weiter lag als ein paar Fotos von Jerrys Apartment. »Es finden sich keinerlei Spuren für einen Kampf. Auch in dem Essen war nichts zu finden. Wir haben alle Speisen unserer Spurensicherung übergeben. Keine Betäubungsmittel. Alles, was wir gefunden haben, ist ein Abrieb von einer Schuhsohle neben dem Bett.«

Sie hob ein Foto zur Kamera, sodass Mr. High es sehen konnte. Es war nicht mehr als ein brauner Strich auf dem glatten Marmorboden.

»Die Hausverwaltung hat uns glaubhaft versichert, dass dieser Abrieb nicht vom Vormieter stammen kann«, schaltete sich Phil wieder ein. »Die Putzfrauen tragen Filzpantoffeln. Eine Untersuchung hat ergeben, dass der Abrieb von einem Sneaker der Firma Balenciaga stammen könnte. Ein Tausend-Dollar-Schuh, in dessen Sohle eine besondere Mischung aus Kork und Bambus verarbeitet wird.«

Mr. High räusperte sich.

»Also ist Agent Cotton entführt worden?«, fragte er, und machte aus seiner Sorge keinen Hehl. »Wie läuft der Fall?«

»Wir sind so weit, dass wir den Prozess vorbereiten können«, antwortete Detective Carter. »Dank der Mithilfe Ihrer Agents und von Agent Cotton im Besonderen können wir in fünf, vielleicht sogar schon drei Monaten beginnen.«

Der FBI-Chef machte ein erstauntes Gesicht.

»Warum so lange?«, wollte er wissen. »Ich dachte, wir hätten mit den Erkenntnissen, die Agent Cotton gewinnen konnte, genug an Beweisen zusammen.«

»Unsere Staatsanwaltschaft braucht noch Zeit, um alle Informationen zu koordinieren«, meldete sich nun auch Roberts zu Wort. »Das wird ein Jahrhundertprozess. Das erste Mal seit Langem in der Geschichte von Los Angeles, dass wir so umfassenden Einblick in die Geschäfte der Mafia erhalten haben. Und Dank Agent Cotton können wir jetzt auch Matteo Hernandez eindeutig für den Mord an Felipe Flores verantwortlich machen. Aber es fehlt uns jetzt noch einiges an Hintergrundinformationen über die Struktur der Organisation von Hernandez. Informationen, über die nur Agent Cotton verfügte. Richter und Staatsanwälte hassen nichts mehr als Lücken in der Beweiskette.«

»Verloren haben Sie ihn trotzdem«, bemerkte Mr. High trocken.

»Entschuldigen Sie«, versuchte Carter, seinem Kollegen beizuspringen. »Agent Cotton war nicht gerade begeistert davon, dass er nun ein paar Monate, komplett abgeschirmt von der Außenwelt, in diesem Apartment verbringen sollte. Vielleicht ...«

»Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass Jerry sich aus dem Staub gemacht hat?«, warf Phil mit einem erstaunten Unterton ein. »Es war Ihre Aufgabe, das Apartment auszusuchen und zu bewachen. Wir wollten uns heute nur von unserem Kollegen verabschieden, weil wir bis zum Prozessbeginn zurück nach New York beordert wurden.«

»Ich will ja nur andeuten, dass Agent Cotton vielleicht auf eigene Faust noch ein paar Ermittlungen ...«, versuchte Carter schnell sich zu verteidigen.

»Ohne sein Handy und in den Klamotten vom letzten Tag?«, fragte Zeerookah und zupfte nervös an seinem perfekt sitzenden Hemdkragen. »Unmöglich.«

»Ganz gleich, wo sich Agent Cotton aufhält«, sagte Carter, »ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie uns endlich die Informationen zur Verfügung stellen, die Agent Cotton während seiner Zeit in der Hernandez-Familie gesammelt hat. Wir müssen jetzt da Agent Cotton verschwunden ist, alle Teile des Puzzles zusammensetzen, sonst haut uns die Staatsanwaltschaft den Fall um die Ohren.«

»Um die Staatsanwaltschaft werde ich mich schon kümmern, da machen Sie sich mal keine Sorgen«, widersprach der Chef des New Yorker FBI. »Agent Cotton wird wiederauftauchen. Und die Informationen, die er gesammelt hat, werden früh genug auf Ihrem und dem Tisch der Staatsanwaltschaft landen. Es war von Anfang an vereinbart, dass wir zunächst zweigleisig arbeiten und dass ich die Ermittlungen leite und zusammenführe.«

Niemand widersprach.

»Ich darf Sie daran erinnern, dass es von Ihrer Seite mehrere Versuche gab, Informanten in die Familie einzuschleusen, und dass diese Versuche allesamt scheiterten. Erst Agent Cotton ist es gelungen, sich bis in an die Spitze der Familie zu arbeiten.«

»Ja«, sagte Carter. »Und nun hat er sich offensichtlich davongepirscht. Wir sollten gerade jetzt endlich alle Informationen ...«

»Oder er ist Ihnen unter Ihren Augen von Hernandez entführt worden«, meinte Phil verärgert. »Priorität sollte es jetzt sein, Jerry wiederzufinden, weil es ohne ihn kaum einen erfolgreichen Prozessverlauf geben dürfte.«

»Gentlemen«, unterbrach Mr. High die Diskussion. »Und meine Lady natürlich. Ich möchte Sie doch bitten.« Dann wandte er sich an Phil persönlich. »Und Sie, Phil. Auch wenn es unwahrscheinlich klingt, untersuchen Sie die Möglichkeit, ob Jerry auf eigene Faust handelt. Vielleicht war der Besucher mit dem Sneaker ja kein Entführer, sondern ein Informant oder Freund. Wir müssen alles in Betracht ziehen. Und vor allem, der Fall hat Vorrang! Auch wenn es einen unserer besten Agents trifft, ich will, dass wir gemeinsam mit dem LAPD diesen Prozess zu einem erfolgreichen Ende bringen.«

Sie verließen gemeinsam den Besprechungsraum.

Phil Decker legte kurz eine Hand auf ihre Schulter. »Nicht dass Sie mich falsch verstehen, Detective Turner. Wir vertrauen Ihnen vollkommen. Aber ich halte es für absolut unmöglich, dass Jerry eigene Weg geht, ohne uns darüber zu informieren.«

»Kein Problem«, erwiderte sie und sah ihre beiden Kollegen an, die mit ernsten Mienen neben ihr gingen. Roberts, groß, schwer und etwas grobschlächtig, mit einem weichen, teigigen Gesicht, sah aus, als hätte man ihn beim Stehlen erwischt, während Carter, klein, drahtig, immer etwas nervös und mit einem zerkautem Zahnstocher zwischen den schmalen Lippen, sie anschaute, als explodierte er gleich. »Wir werden sofort checken, wer aus dem Hernandez-Clan gestern Abend wo war. Dank Ihres Freundes haben wir ja inzwischen einen recht guten Überblick, wer für solch einen Job infrage käme.«

Phil Decker nickte. »Und wir sehen mal, ob Jerry hier in L. A. Informanten kennt, die ihn aus der Reserve gelockt haben könnten.«

Sie versuchte ein Lächeln, konnte ihm jedoch kaum in die Augen sehen.

»Ist was?«, fragte er besorgt. »Sie sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen.«

»Tut mir leid«, log sie. »Frauensache. Ich muss kurz zur Toilette.«

Deanna Turner nahm die plötzliche Verunsicherung der Männer stoisch hin, bog auf dem Flur ab und betrat die Damentoilette. Sie ging zu einem der Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände.

Das war das erste Mal, seit sie denken konnte, dass sie einen Vorteil aus der peinlichen Unsicherheit zog, mit der Männer eben reagierten, wie sie reagierten, wenn es um Frauensachen ging.

Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und spürte, wie gleichzeitig mit ihrer Haut auch ihre Gedanken kühler wurden.

Irgendetwas stimmt nicht, dachte sie, während sie sich noch einmal Wasser ins Gesicht schaufelte, hochkam und in den Spiegel blickte.

Sie war mittelgroß, kräftig, ohne zu athletisch zu wirken, hatte ein gleichmäßig geformtes Gesicht, schulterlange braune Haare. Ihre Kollegen zogen sie immer damit auf, dass sie wie Clarice Starling in Das Schweigen der Lämmer aussehe, und das gefiel ihr gar nicht. Es erinnerte sie daran, dass sie immer zu hohe Erwartungen an sich stellte. Die Beste auf der Polizeischule. Die Beste im Sport. Die Beste am Schießstand. Beste Frau in einer Welt, die von Männern dominiert wurde. Ehrgeizig bis zur Selbstverleugnung. Eben ganz wie Clarice Starling.

Aber sie wollte nicht wie eine andere sein. Sie wollte gesehen werden als das, was sie war: Deanna Turner, Tochter reicher Eltern, die sich gegen ein Jurastudium und für die Laufbahn einer Polizistin entschieden hatte. Von der Pike auf, wie man sagte. Streife fahren, Betrunkene beruhigen, verheulte Kids nach Hause chauffieren, zu Eltern, die ihre hätten sein können. Drei Jahre Rauschgiftdezernat. Zwei Jahre Mordkommission. Und dann, vor einem knappen halben Jahr erst, hatte sie in die Abteilung für organisierte Kriminalität und das Team mit Roberts und Carter gewechselt.

Und nun stimmte irgendetwas nicht. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie man einen Mann wie Jerry Cotton so einfach in seinem Hotelzimmer überrumpeln konnte. Sie hatte ihn in den letzten Monaten kennengelernt und war sich absolut sicher, dass es Kampfspuren hätte geben müssen. Und das Essen, das er zu sich genommen hatte, war von einem Koch zubereitet worden, den das FBI ausgesucht hatte. Es war in versiegelten Behältern zu seinem Apartment gebracht worden, und sie und Roberts und Carter hatten die Siegel vor dem Betreten des Apartments noch einmal kontrolliert. Dann hatte Cotton die Tür von innen verschlossen.

Sie hatte auf einem der Stühle vor der Tür gesessen, und Carter und Roberts hatten sich um den Servierwagen gekümmert, den Boy weggeschickt und den Wagen höchstpersönlich zu Cotton ins Zimmer geschoben. Und sie hatte zugesehen.

Doch da war etwas gewesen, was ihr erst wieder eingefallen war, als sie eben mit dem Chef des FBI gesprochen hatten. Kurz bevor Cotton die Tür geöffnet hatte, war Roberts einmal um den Rollwagen herumgegangen und hatte ihr die Sicht darauf versperrt. Und nur anhand der Bewegung seiner linken Schulter konnte sie schließen, dass er etwas vom Wagen nahm und Carter gab, der auf der anderen Seite stand. Carter sah sie kurz über die Schulter von Roberts hinweg an. Mehr aus Unsicherheit dem Kollegen gegenüber denn aus Absicht schaute sie schnell nach unten und gab vor, als betrachtete sie ihre Hände.

Carter tat irgendetwas, was sie nicht sehen konnte, aber dann machte Roberts eine leichte Bewegung nach hinten, und sie konnte gerade noch erkennen, dass Carter eine Serviette in der Hand hielt, die er zusammenfaltete und auf den Wagen neben die versiegelten Essensbehälter legte. Dann steckte er etwas in seine Tasche, und Roberts schaute sich nach ihr um, grinste und klopfte an die Tür geklopft, und Cotton öffnete nach einigen Sekunden die Tür von innen.

Deanna hatte auch nichts gesagt oder sonst wie verdeutlicht, dass sie etwas bemerkt hatte. Und sie hatte auch nicht weiter darüber nachgedacht.

Bis jetzt.

Und während sie sich langsam wieder fing und mit einem Papiertuch das Gesicht trocken rieb, dachte sie darüber nach, was es gewesen sein könnte, das Carter in seine Tasche gesteckt hatte.

Sie verließ die Toilette und wollte wieder zu den Kollegen aufschließen, die mit den Agents hinunter zum Ausgang wollten, nahm die Treppe ins Erdgeschoss, weil sie so schneller war als mit dem Fahrstuhl, und musste unten enttäuscht feststellen, dass die Leute vom FBI das Gebäude schon verlassen hatten.

Carter und Roberts standen neben dem Ausgang bei den Fahrstühlen und unterhielten sich aufgeregt. Es schien, als erkläre Carter seinem Kollegen etwas, was der nicht akzeptieren wollte. Deanna konnte nicht hören, was er sagte, sie bemerkte jedoch, dass er schnell sprach, eindringlich, Roberts sogar einmal am Revers packte und ihn leicht schüttelte, was Roberts mit einem abwehrenden Schlag gegen seine Hand quittierte.

Sie näherte sich, wurde bemerkt, und sofort änderte sich das Verhalten der beiden. Roberts zupfte sich seine Jacke zurecht, und Carter zog etwas aus seiner Jackentasche. Eine Sportzeitschrift, wie sie beim Näherkommen erkannte.

»Ist was?«, fragte Deanna und trat neben sie.

»Nichts«, knurrte Carter und sah Roberts böse an. »Dieser Idiot hat mich dazu überredet, auf die Seattle Seahawks zu wetten, statt auf unsere Rams. Und die haben die Seahawks mit siebenundzwanzig zu zwölf zerlegt.«

»Sorry«, verteidigte sich Roberts und zuckte bedauernd mit den Schultern. »Man kann sich ja mal irren. Ist doch kein Grund, mir gleich an die Wäsche zu gehen.«

Carter schniefte verärgert mit der Nase.

»Egal«, meinte er und steckte die Zeitung wieder weg. »Lasst uns was essen gehen.«

»Tut mir leid«, sagte Deanna und deutete unbestimmt auf ihren Unterleib. »Ich kann im Moment nichts essen, denke, ich gehe lieber nach Hause und schnapp mir eine Wärmflasche.«

Deanna Turner ging nicht nach Hause, sie kehrte zurück in das Apartmenthaus und hoch zu Cottons Zimmer. Die Tür war versiegelt, das Zimmer galt als Tatort. Sie sah sich im Flur um, ob sie jemand beobachtete, brach das Siegel und öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den sie hatte. Drinnen sah es immer noch so aus, wie sie es verlassen hatten, nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit gemacht und sie mit ihren Kollegen den Tisch mit dem Essen abgeräumt und es in Plastiktüten verpackt hatten, um es den Kollegen mitzugeben.

Soweit sie sich erinnerte, hatte sie keine Serviette verpackt und auch keine auf dem Tisch liegen gesehen.

Entweder Cotton hatte sie irgendwo hingelegt oder eingesteckt, oder Carter und Roberts hatten sie mitgehen lassen, ohne dass sie es bemerkt hatte.

Deanna Turner bückte sich, sah unters Bett, durchsuchte die zusammengeknüllte Bettdecke, hob das Kopfkissen hoch, lief ins Badezimmer, um nachzusehen, ob Cotton sie irgendwohin gelegt haben könnte.

Sie warf einen Blick in den Spiegel.

Was, wenn der Agent bemerkt hätte, dass man ihn betäubt hatte, und ahnte, was sie nun zu wissen meinte?

Was hätte er getan, in dem Wissen, dass er den Beweis in Händen hielt, sich den Mund damit abgewischt hatte und ihm nur wenige Sekunden blieben, bis ...?

Er hatte auf dem Bett gesessen und gegessen und dann ...

Sie drehte sich um, rannte zurück ins Schlafzimmer, griff nach dem Kopfkissen, riss die Knöpfe fast ab, drehte den Bezug auf links und ließ das Kissen herausfallen.

Und mit dem Kissen eine zerknüllte Serviette. Agent Cotton musste es in dem Moment gewusst haben, als er sich mit der Serviette den Mund abwischte. Und er musste gehofft haben, dass er damit einen Hinweis auf die Täter hinterließ.

Deanna kannte jemanden bei der Spurensicherung, dem sie blind vertraute. Ein älterer Kollege, kurz vor der Pensionierung, der keine Fragen stellte. Nicht ihr. Sie hatte einmal einen Neffen von ihm bei einer Drogenrazzia laufen lassen. Nur ein wenig Pott. Der Junge hatte es sich zu Herzen genommen, und der Onkel war dankbar.

Nach einer halben Stunde wusste sie, dass man die Serviette mit Flunitrazepam getränkt hatte, versetzt mit einem geruchsneutralisierenden Stoff. Die Wirkung setzte, wenn man die Chemikalie einatmete, nach drei bis fünf Sekunden ein und führte zu Ohnmacht und eventuellem Gedächtnisverlust.

Sie verließ die Zentrale des LAPD im New Park Center und ging noch ein wenig in Downtown spazieren und dachte nach. Vorbei an der Central Library und weiter Richtung Pershing Square, wo sie ein paar jugendlichen Skatern bei ihren waghalsigen Sprüngen zusah.