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Phil und ich waren undercover auf einen möglichen Fall von Geldwäscherei angesetzt. Am Broadway wurde eine Produktion vorbereitet, die Millionen kostete, jedoch kaum einen Cent einbringen dürfte. Der Verdacht lag nahe, dass die Mafia wie so oft im Showbusiness ihre Finger im Spiel hatte. Vor allem, da der bisherige Manager bei einem Freakunfall im Theater starb. Bisher ahnte nur ich, dass weitaus mehr dahintersteckte. Denn die alternde und längst vergessene Diva, die für diese Rolle auf die Bühne zurückkehrte und vom großen Comeback träumte, war zu Beginn ihrer Karriere ein Gangsterliebchen gewesen ...
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Die Broadway-Diva und ihr mörderisches Comeback
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Impressum
Die Broadway-Diva und ihr mörderisches Comeback
Der Zug, der sie von der West- zur Ostküste transportierte, schnellte wie ein silberner Pfeil durch die Landschaft. Er brachte Coleen Collette dahin zurück, wo alles begonnen hatte. Nach New York. Ihrem früheren Leben war sie entflohen. Sie hatte sich geschworen, nie zurückzukommen. Jetzt schien es, als würde sie wie von einer Naturkraft angezogen, der sie sich nicht widersetzen konnte. Ob er am Bahnhof auf sie warten würde? Der Mann, den sie längst abgeschrieben hatte? Ob eine Menschenmenge sie als heimkehrenden Star begrüßen würde?
»New York, Endstation!«, rief der Schaffner.
»Noch fünf Minuten bis Grand Central Station, Miss Collette.«
Sie bedachte ihren viel zu jungen Assistenten mit einem herablassenden Blick, der ausdrückte: Als könnte ich das nicht selbst durch die Glasscheibe sehen! Früher hatte sie es verstanden, als Schauspielerin jede Gefühlsregung durch ihre Augen auszudrücken. Das lag lange zurück. Wolkenkratzer türmten sich vor ihr auf.
»Und vergessen Sie meine Tabletten nicht, Lefty.«
Die Grand Central Station markierte das Ende des Stahlstrangs, der sich von der Pazifikküste quer durch die Vereinigten Staaten bis zum Atlantik zog. Immerhin siebenundsechzig Gleise endeten hier, an insgesamt vierundvierzig Bahnsteigen. Dank guter Informationen wusste ich, wo ich die Ankunft der gefeierten Film- und Bühnengöttin zu erwarten hatte.
Der silberfarbene Zug lief pünktlich ein. Nach dieser langen Direktfahrt von Los Angeles würde der Zug erst gesäubert werden, bevor er die Rückreise antrat. Bei den Personen am Bahnsteig handelte es sich also nicht um Passagiere, die den Zug besteigen wollten, sondern um Personen, die jemanden vom Bahnhof abholten und ebenso erwartungsvoll wie ich darauf warteten, dass sich die Türen öffneten.
Mein Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen. In meiner Manteltasche steckte ein Computerausdruck. Unsere Software hatte das Gesicht eines Mannes hergestellt, von dem seit über zwanzig Jahren kein Foto mehr gemacht worden war. Eines Mannes, der ebenso lange auf unserer Most-Wanted-Liste stand. Das FBI wusste nicht, wie er heute aussah. Ich suchte die Menge nach einem Mann ab, der also unterdessen Mitte sechzig sein musste.
Die Zugtüren schoben sich automatisch für sie zur Seite, als würden sogar sie dem Altstar ihren Respekt erweisen. Was Coleen Collette für diesen filmreifen Auftritt noch gebraucht hätte, wäre die zischende Dampfwolke, die einer alten Lokomotive entweicht. Ich hätte sie nicht erkannt. In unserem Archiv waren ein paar frühere Aufnahmen gespeichert, Bilder aus Klatschmagazinen. Bilder einer jüngeren Version der Coleen Collette, die sich vom Schaffner erst eine zusätzliche Treppenstufe auf den Bahnsteig stellen ließ, bevor sie hinabstieg.
Die gebrechliche Frau, die ihren einstmals zierlichen Fuß auf New Yorker Boden stellte, war nicht mehr dieselbe wie am Tag, als sie New York verlassen hatte – vor drei Jahrzehnten. Das FBI speicherte Bilder aus Fanmagazinen nicht ohne Grund. Coleen Collette hatte damals in dem Ruf gestanden, Kontakte zur Mafia zu unterhalten. Ein richtiges Gangsterliebchen sollte sie gewesen sein. Selbstverständlich wurde das in den Zeitschriften nie so deutlich geschrieben. Sie konnte damals auch unseren Gesuchten gekannt haben. Der Computer hatte das letzte bekannte Foto um Jahre altern lassen. Die Software hatte ihm dicke Augenringe verpasst, den Haaransatz nach hinten verlegt, Falten ins Gesicht gezeichnet. Das Phantombild wirkte unnatürlich und würde mir nicht viel helfen.
Ich hatte dieses Gesicht eingehend studiert. Manche Merkmale ändern sich nie, egal wie viele Jahre dazwischen liegen. Vor allem die Augen. Ein unveränderliches Charakteristikum. Der Mann, den wir suchten, hatte tief liegende dunkle Augen. Eiskalte Mörderaugen. Doch keines der Merkmale, die ich mir eingeprägt hatte, passte auf einen der Umstehenden.
Die Wartenden hatten die Passagiere in Empfang genommen und bewegten sich zum Ausgang. Wäre die Bahnhofshalle nicht mit dem Klirren von Metall auf Metall von Eisenbahnwagen, die abgekoppelt wurden, und von Durchsagen über einfahrende Züge erfüllt gewesen, hätte man laut und deutlich die Stimme der Diva vernehmen können. Sie stellte ihren Assistenten in den Senkel.
»Lefty!«
Das musste der Name des bedauernswerten jungen Kerls sein. Lefty mochte nicht älter als Mitte zwanzig sein und war um seinen Job nicht zu beneiden. Coleen Collette scheuchte ihn auf dem Bahnsteig hin und her wie ein Hühnchen.
Fünfundsiebzig Fahrstunden trennten die West- von der Ostküste. Fünfundsiebzig Stunden, in denen Lefty ihren ältlichen Geruch hatte einatmen müssen, den sie mit billigem Parfüm zu übertünchen versuchte. Durch neun Bundesstaaten waren sie gereist. Schon als die Wüste von Arizona an den Fenstern vorbeizog, war er mit den Nerven völlig fertig. Und als Oklahoma erreicht war, stellte er sich zum ersten Mal vor, wie er ihr einen kräftigen Schubs geben würde, damit sie bei voller Fahrt auf dem Bahndamm landete. Er malte sich aus, wie dieser gebrechliche Körper, der von Millionen Filmfans begehrt worden war, auf den Schottersteinen aufschlagen würde.
Und als der Zug Missouri durchquerte – das war, als sie ihn angeherrscht hatte, er habe vergessen, ihre Stola einzupacken, obwohl sie selbst das scheußliche Ding verlegt hatte –, da legte Lefty tatsächlich eine Hand auf die Notbremse. Weil er dieser Fahrt ein Ende setzen musste. Er hatte New York ebenso stark herbeigesehnt, wie Coleen Collette die Ankunft hasste. Zweitausendfünfhundert Meilen mit dieser Hexe! In Gedanken legten sich seine Finger um ihren Hals mit dem Perlenkettenimitat. Er drückte zu! Drückte zu, bis diese viel zu stark geschminkten Augen aus ihrem Kopf quollen. Drückte zu, bis ihre krächzende Stimme für immer verstummte.
»Lefty! Sagen Sie dem Schaffner, er soll die Temperatur in meinem Abteil hochdrehen. Ich gefriere hier ja zum Eiszapfen!«
Fünfundsiebzig Stunden hatte sie sich eingebildet, das Thermometer sinke, je weiter weg sie sich von der Sonne Kaliforniens entferne.
»Lefty! Meine Kopfschmerzen bringen mich um! Geben Sie mir eine Tablette, um Himmels willen!«
Endlich New York. Die Tortur von fünfundsiebzig Stunden hatte ein Ende. So glaubte Lefty wenigstens.
Kaum dass die Diva wieder festen Boden unter den Füssen hatte, rief sie mit schriller Stimme: »Lefty! Haben Sie dem Theater auch gesagt, an welchem Bahnsteig wir ankommen?«
»Natürlich, Miss Collette.« Sie wollte noch immer mit Miss angesprochen werden. Trotz ihrer fünf Scheidungen. Was für ein Witz!
»Und warum schickt man mir keinen Wagen?«
»Ich werde mich gleich darum kümmern, Miss Collette.«
»Tun Sie das, mein Junge. Ich bewege mich nämlich zu Fuß kein Stück von hier weg.«
Auch wenn ich Coleen Collette nicht erkannt hätte – sie war ein Star der älteren Generation gewesen –, dass man es mit einer waschechten Diva zu tun hatte, musste einem sofort klar werden. Sie wusste sich zu inszenieren. Ein Amtrak-Schaffner stapelte ihre Gepäckstücke auf dem Bahnsteig. Der Menge von Koffern nach zu schließen, hatte sie sich auf einen längeren Aufenthalt eingestellt.
Sie behandelte die Bahnangestellten wie ihre persönlichen Kulis. Als der Gepäckträger die letzte ihrer Hutschachteln auf die Bergspitze ihres Gepäcks gestellt hatte, bedeutete sie ihrem Assistenten, er solle dem netten Mann ein Trinkgeld geben. Sie selbst wandte sich ab. Lefty drückte dem schwitzenden Schaffner einen Geldschein in die Hand, und als der enttäuscht einen Blick darauf warf, zuckte Lefty entschuldigend mit den Schultern.
Als sich das erwartete Begrüßungskomitee nicht einstellte, konnte ich beobachten, wie Lefty besänftigend zu ihr sprach.
»Das Theater hat keinen Wagen geschickt – was für ein unglaublicher Affront!«, fauchte sie ihn an. Als spielte sie die Königin in einem Historiendrama, zeigte sie dramatisch auf die Pyramide, die aus ihrem Gepäck errichten worden war. »Lassen Sie alles wieder aufladen, Lefty – wir fahren sofort zurück!«
Das war mein Stichwort. Unser Plan war anders. Aber kein Plan war so gut, dass er nicht geändert werden sollte, wenn sich eine unverhoffte Möglichkeit bot.
»Ein Taxi! Ich soll in einem ordinären Cab vor dem Astor vorfahren? Lefty, wirklich! Was soll ich bloß mit Ihnen anfangen?«
»Miss Collette?« Ich war in der devoten Haltung eines Bewunderers vor sie getreten, der seinen ganzen Mut zusammennehmen muss, um eine Göttin anzusprechen. »Bitte entschuldigen Sie. Sie sind doch Coleen Collette, ich meine, die Coleen Collette?« Ich fürchtete schon, ich hätte zu dick aufgetragen. Für diesen Altstar konnte hingebungsvolle Bewunderung allerdings gar nicht dick genug sein.
Lefty nahm seine Pflichten des persönlichen Assistenten wahr, der den Star gegen aufdringliche Fans abschirmt. »Miss Collette möchte gerade keine Autogramme geben, danke.«
Ich nahm Lefty gar nicht zur Kenntnis. »Ich möchte Sie nicht um etwas bitten, Miss Collette, ich möchte Ihnen etwas anbieten.« Höflich offerierte ich ihr die Fahrt im Jaguar, da ich mitbekommen hatte, das Theater hatte versäumt, eine Limousine zu schicken.
»Das ist äußerst galant.« Etwas blitzte in ihren Augen auf, die früher einmal von strahlendem Blau gewesen sein mussten. Sie hatte in unserer kleinen Szene nun alle Emotionen durchgespielt, von enttäuschter Erwartung über Wut bis hin zu huldvollem Einverständnis. Sie reichte mir eine behandschuhte Hand. »Und wer hilft mir da aus dieser Unpässlichkeit?«
»Cotton«, erwiderte ich. »Jerry Cotton. Mein Wagen parkt am Eingang. Soll ich ...?«
Sie unterbrach meine Handbewegung in Richtung eines Koffergriffs.
»Das wird mein Assistent schon erledigen.« Sie wies Lefty an, ihr mit dem Gepäck in einem Taxi zu folgen. Dann ließ sie sich von mir zum standesgemäßen Sportwagen begleiten. Ich konnte Leftys brennenden Blick in meinem Rücken fühlen.
Der Einstieg in den tief liegenden Sportwagen war für ihre alten Gelenke etwas umständlich. Als Kavalier alter Schule hielt ich sie behutsam am Arm, bis sie sicher verstaut war, und schloss achtsam die Tür. An diesem bienenfleißigen Kopfbahnhof standen die Taxis wie immer Stoßstange an Stoßstange, doch der Jaguar fädelte nahtlos in den dichten Verkehr ein. Ich setzte die Schnauze zum Broadway.
»Sie sind im richtigen Augenblick aufgetaucht, Mister Cotton.«
»Bitte nennen Sie mich Jerry.«
Dass ich sie ihrerseits Coleen nenne sollte, bot sie nicht an. Hatte ich auch nicht erwartet. Schließlich gibt es gesellschaftliche Unterschiede zwischen Star und Fan.
»Endlich sind Sie zurück in New York. Sie haben uns Ihr Talent lange vorenthalten.« Es sollte wie Small Talk klingen. Sie nahm jedes Wort für bare Münze.
»Das Wetter ist genauso scheußlich, wie ich es in Erinnerung habe.«
Die Spitze des Chrysler Building, das wir gerade passierten, lag tatsächlich im Nebel. Ein New Yorker hätte das freilich niemals als schlechtes Wetter bezeichnet. Die Nähe zum Atlantik brachte es mit sich, dass das Wetter alle paar Minuten umschlug. Kein Vergleich zum warmen Klima am Pazifik, das sie die letzten Jahrzehnte genossen hatte.
Ich nahm bewusst die längere Strecke über die 42nd Street, um unsere Gesprächszeit zu verlängern. Sie musste diese Straße von früher noch gut kennen. An diesen Blocks lagen viele der alten Theater aus der goldenen Ära New Yorks, die mit Spenden und öffentlichen Mitteln renoviert worden waren. Falls ich geglaubt hatte, sie würde aufgeregt nach links und rechts schauen, in der Hoffnung, ein Gebäude oder sogar einen Menschen wiederzuerkennen, hatte ich mich getäuscht.
»Hier hat also alles angefangen, nicht wahr? Das muss für Sie ja wie ein Trip auf der Memory Lane sein, Miss Collette. Erkennen Sie etwas wieder? Hier hat sich sicher viel verändert.«
»Der Verkehr ist ja furchtbar. Das war früher nicht so.«
»Heute laufen vor allem Musicals. Die Theater haben sich dem Geschmack der Touristen angepasst.«
»Wir hatten Revues«, meinte sie.
»Das waren andere Zeiten«, sagte ich und schmeichelte ihrem Ego weiter, »und Stars von anderem Kaliber.«
»Darauf können Sie wetten, Jerry.«
Ich ließ zu, dass sie mich von der Seite musterte. Sah sich mich als einen einfachen Bewunderer, der ihr einen Gefallen tat? Oder sah sie in mir einen potenziellen Liebhaber? Die Geschichten um die männerfressende Diva hatten die Gazetten jahrelang gefüllt. Im Alter ließ sie es ruhiger angehen. Doch offenbar ließ Coleen Collette noch immer nichts anbrennen. Sie legte sanft ihre behandschuhte Hand auf meinen rechten Schenkel.
»Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, Miss Collette ...«
Sie sah mich erwartungsvoll von der Seite an.
»... dass ich die Situation etwas ausnutze. Ich habe ja nicht oft Gelegenheit, einen meiner Lieblingsstars direkt etwas fragen zu dürfen.«
»Fragen Sie nur, Jerry.« Der Druck ihrer Hand verstärkte sich leicht.
»Wie ist Ihnen der Sprung von der Bühne auf die Leinwand damals gelungen? Ich meine, in einem Moment waren sie noch ein aufgehender Stern am Broadway, im nächsten Moment hatte New York Sie schon an Hollywood verloren.«
»Wenn ich's mir recht überlege, ging das in jenen Tagen tatsächlich sehr schnell. Ein Mädchen brauchte natürlich zuerst einmal Talent. Und eine gute Portion Glück.«
»Und sicherlich gute Kontakte.« Ich hätte das wie eine Frage klingen lassen sollen.
Sie zog die Hand zurück, als wäre mein Oberschenkel plötzlich heiß wie eine Herdplatte.
»Gute Kontakte, wie meinen Sie das?« Jetzt schwang Misstrauen in ihrer Stimme mit.
»Ich meine, einen guten Agenten. Hatten Sie damals einen Agenten, der Sie vertreten hat?«
»Agenten? Meine Güte, Jerry, Sie kennen sich aber aus. Das klingt ja fast so, als wollten Sie selbst ins Showbiz.«
»Vielleicht geben Sie mir ein paar gute Tipps, Miss Collette.«
»Der beste Tipp, den ich Ihnen geben kann, ist, es sein zu lassen. Sie wollen sich doch nicht vorsätzlich unglücklich machen?«
Der tiefe Ledersitz des Jaguar begann, ihr unbequem zu werden.
»Nein«, sagte sie, um mir eine Antwort zu geben, ohne die Frage wirklich zu beantworten, »einen Agenten hatte ich damals noch nicht. Die kamen erst später. Sie tummeln sich im Haifischbecken von Hollywood. Sie holen sich ihre zehn Prozent Vermittlungsgebühr wie ein Hai, der ihnen ein Bein abbeißt.«
Ich bog am Times Square ab, der wie immer von Horden von Touristen bevölkert war. Als eine Touristin ihre Fotokamera hob, um ein Bild von einer Sehenswürdigkeit zu schießen, hob meine Passagierin die Linke, um ihr Gesicht zu verdecken, als hätte die unerwünschte Aktion der Touristin ihr gegolten.
Wenige Momente später erreichten wir den Broadway. Die Theatermeile erstreckte sich bis zum Horizont. Es war erst Vormittag, doch unzählige Glühbirnen umrahmten die Titel der angesagtesten Musicals, und die Namen der aktuellen Stars waren in Licht geschrieben.
Sie schenkte den berühmten Gastspielhäusern, die wir passierten, keine Beachtung. Haushohe Plakate kündigten anstehenden Premieren an. Bestimmt war es ihr aufgefallen, dass keine der Anzeigen auf das Comeback von Coleen Collette hinwies.
Endlich blinkte ich links, um in eine Nebenstraße einzubiegen, in der das Astor lag.
»Wir sind da.«
Ich hielt den Jaguar am Bordstein vor einem Theater an, das aus den Zwanzigerjahren stammte. Der Jahrgang war auch für den Laien sofort am Art-Déco-Stil zu erkennen. Beaux-Arts nannten das alle, die sich an dieser Architektur erfreuten. Einst ein Palast der Künste, konnte das Astor sein Alter nicht verbergen. Man musste es übersehen haben, als all die anderen Theater saniert worden waren. Es sah aus, als könnte ein Windstoß das marode Gemäuer umblasen.
Ich eilte um den Wagen, um die Tür zu öffnen. Täuschte ich mich oder zuckte das Haus zusammen, als Collette ausstieg, um es skeptisch in Augenschein zu nehmen?
»Immerhin etwas, was sich nicht verändert hat«, konstatierte sie abschätzig. »Das Astor, dieser alte Seelenverkäufer ...«
Die Glaskästen, in denen für gewöhnlich die nächsten Aufführungen in Superlativen angepriesen wurden, standen leer. Zu viele Geister, dachte ich. Hat die besten Zeiten längst hinter sich. Braucht dringend ein Lifting. Sie lächelte säuerlich, als hätte sie meine Gedanken erraten. Genau wie ich.
»Darf ich Sie hineinführen?«
Ich durfte.
Die schwere Eingangstür mit den abgenutzten Messinggriffen und staubigen Tiffany-Gläsern war unverschlossen. Das verwahrloste Äußere des historischen Gastspielhauses hatte uns nicht auf den Anblick seines Inneren vorbereitet. Es war, als blickte man in einen Bienenkorb. Das Schlagen von Eisenhämmern und das Kreischen einer Holzsäge erfüllten die Luft. Arbeiter in verschwitzten Unterhemden trugen Baumaterial hin und her.
Ich nahm an, dass der Mann, dessen Stimme den Baulärm übertönte, hier die Aufsicht hatte. Ein Bulle von einem Kerl, sein fleckiges T-Shirt spannte sich über einem gewaltigen Brustkorb, den er aufblähte, um einen Arbeiter anzublaffen. Aus seinen Armhöhlen wuchsen beachtliche Haarbüschel. Dieser Gorilla, der mir unter dem Namen Costa Brambilla noch Ärger machen würde, bemerkte als Erster die Anwesenheit von Coleen Collette.
Brambilla ließ den Arbeiter mitten im Satz stehen, um seinen massigen Körper in unsere Richtung zu bewegen. Wir rochen seine Körperausdünstung, noch bevor er uns erreichte.
»Sie sind Coleen Collette, nicht wahr, Sie sind es doch?« Er glotzte sie an wie ein Fleischer, der auf dem Fleischmarkt eine besonders schön durchwachsene Rinderhälfte begutachtet. Brambilla wartete nicht auf ihre Antwort, sondern steckte zwei wulstige Finger in die Mundwinkel. Sein Pfiff übertönte sogar das Hämmern, das von der Bühne her kam. »O'Malley! Komm runter!«