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Meredith Kronberg wurde tot in ihrem Apartment aufgefunden. Was zunächst wie ein Raubmord aussah, entwickelte sich rasch zu einem handfesten Skandal. Denn die Frau war zu Lebzeiten eine hoch angesehene Anwältin und Nachlassverwalterin gewesen - und eine skrupellose Betrügerin. Das Prinzip war einfach: Als gesetzliche Nachlassverwalterin hatte Meredith Kronberg die uneingeschränkte Verfügungsmacht über das Vermögen der Erben gehabt. Da es sich um große Summen und Betrugsopfer aus mehreren Bundesstaaten handelte, wurden wir vom FBI eingeschaltet. Und schon bald konnten wir uns vor Verdächtigen nicht mehr retten!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Tödliches Vertrauen
Vorschau
Impressum
Tödliches Vertrauen
Wenn man einen Mord plant, muss man drei wichtige Dinge beachten. Erstens, das Alibi. Das muss wasserdicht sein, keine Frage. Nicht immer einfach, aber mit etwas Fantasie kann es gelingen. Zum Beispiel kann man sein eingeschaltetes Handy am anderen Ende der Stadt deponieren und es nach dem Mord wieder abholen. Und schon hat man ein perfektes Alibi. Die Cops checken die Masten und Bingo. Dann war man zur Tatzeit zehn Meilen vom Tatort entfernt.
Zweitens, das Motiv darf nicht offensichtlich sein. Will jemand seine Frau beseitigen, muss er dafür sorgen, dass alle denken, die Ehe wäre vorbildlich. Vor allem die Frau muss das denken. Also muss man eine Zeit lang Kreide fressen, Blumen kaufen und sich im Bett anstrengen und den Romantiker geben. Als Frau muss man ihn verwöhnen, nach allen Regeln der Kunst.
Drittens, das Opfer darf nichts ahnen. Es muss vertrauen. Das ist der schwierigste Punkt.
Doch es ist gelungen. Mit Geduld.
Meredith liebte dieses Ritual. Immer wenn sie einen lukrativen Deal abgeschlossen hatte, stellte sie sich nach Feierabend mit einem Glas Moët & Chandon, dem einzigen Champagner, der ihr gut genug war, vor den großen Spiegel in ihrem Schlafzimmer und prostete sich zu.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Cleverste im ganzen Land?«
Heute Morgen hatte Vincent Vandenberg sie endlich beauftragt, seine Erbangelegenheiten zu regeln. Er hatte das letzte Wort, und es war seiner Schwester zu verdanken, dass er eingewilligt hatte. Es ging um den Nachlass ihres Vaters, insgesamt ein Wert an Immobilien, Aktien und Bargeld in Höhe von an die zwei Milliarden Dollar. Von dem Vorschuss und dem Extrabonus, den sie erhalten hatte, konnte sie nicht nur die drängendsten Verbindlichkeiten bezahlen, sondern sich endlich den Maserati anschaffen, den sie sich seit Langem wünschte. Der Rolls langweilte sie, auch ihr Lexus stand meistens in der Garage, weil er letztlich eine Spießerkarosse war. Der Maserati entsprach ihrem Wesen. Schneller und besser als alle anderen.
Der Spiegel schwieg natürlich, also gab sie sich selbst die Antwort. »Das bist du, Meredith Kronberg!«
Sie dachte an den Deal mit Lydia und musste sich ein weiteres Mal beglückwünschen. Das war die Methode der Zukunft.
Sie strich über den unfassbar weichen und samtigen Stoff des maritimen Louis-Vuitton-Kleids, das sie sich zur Feier des Tages für läppische zweitausendfünfhundert Dollar gekauft hatte, bevor sie nach Hause gefahren war. Sie besaß ein Büro auf der 7th Street, da wo sie auf den Central Park stieß. Dort empfing sie die Mandanten, wenn es um den ersten Kontakt ging. Zu ihrem Büro in ihrer Wohnung hatten nur die Premiumkunden Zugang. Lydia Vandenberg, zum Beispiel.
Sie wechselte vom Schlafzimmer auf die Terrasse und warf einen Blick auf den East River, auf dem die untergehende Sonne rot glänzte.
Diesen Anblick würde sie nie wieder missen wollen, egal was es kostete. Eine Mieterhöhung stand ins Haus, ab kommenden Monat musste Meredith achttausendsechshundert Dollar Miete zahlen, tausend mehr als vorher. Die Nebenkosten kamen noch obendrauf. Ab heute kein Problem. Sie genoss dieses prickelnde Gefühl, dass ihr alles gelang, was sie anpackte, dass sie unbesiegbar war, dass niemand sie herumschubsen konnte. Kein Chef, kein Ehemann. Sie leerte das Sektglas, schenkte sich nach, betrachtete die glitzernden Perlen, die im Glas aufstiegen.
Es läutete. Sie war überrascht, denn sie erwartete keinen Besuch, schon gar nicht um diese Zeit. Es war fast zehn Uhr. Vor allem würde niemand an der Tür klingeln, der nicht vorher vom Portier angekündigt worden war. Vielleicht war es einer der anderen Mieter. Sicherlich fehlte Mrs. Green wieder Mehl und Zucker, um für ihre Enkel Muffins zu backen. Meredith würde sie wie immer enttäuschen müssen, denn außer einigen Fertiggerichten für den Notfall hatte sie nichts Essbares in der Küche.
Ihr fiel ein, dass sie schon lange den hässlichen elektronischen Türglockenton gegen den Wohlklang von Big Ben hatte austauschen wollen. Sie ging ins Wohnzimmer, nahm ihr neues Smartphone, das mit der besten Verschlüsselungssoftware ausgestattet war, und machte sich eine Notiz. Gleich morgen würde sie den Auftrag erteilen. Und sie durfte nicht vergessen, die Mailbox abzuhören. Während des Wochenendes hatte sie sich striktes Arbeitsverbot verhängt, nachdem sie im Frühjahr fast in einen Burn-out geschlittert war.
An der Tür warf sie einen Blick durch den Spion und hob erstaunt die Brauen. Es war nicht Mrs. Green, sondern ein Mann, den sie gut kannte, der sie allerdings erst morgen besuchen wollte. Vor zwei Tagen hatten sie sich getroffen, und es war wider Erwarten ein angenehmer Abend geworden. Sollte sie ihn einlassen? Sie mochte keine Überraschungen, das wusste er genau. Er hielt einen Strauß rote Rosen hoch, sein durch den extremen Weitwinkel des Türspions verzerrtes Grinsen ließ sie schmunzeln. Warum nicht?, dachte sie. Ein wenig Gesellschaft konnte nicht schaden, vor allem nicht die von einem gut aussehenden Mann, der sehr gut im Bett war und endlich begriffen hatte, dass sie niemandem gehören würde.
Sie öffnete die Riegel, drehte den Sicherheitsschlüssel dreimal nach links, öffnete und wies mit der Hand ins Wohnzimmer. Bevor sie etwas sagen konnte, stieß er sie zurück, knallte die Tür zu und richtete einen 45er Revolver auf sie.
Todesangst lähmte sie. Nun half ihr auch der Selbstverteidigungskurs nicht mehr. Selbst der beste Kämpfer der Welt war nicht schneller als eine Kugel.
»Jetzt bleibt dir die Spucke weg, was?«, knurrte der Eindringling.
Meredith hätte nie für möglich gehalten, dass dieser Mann sie mit einer Waffe bedrohen könnte. Sie fand ihre Stimme wieder. »Aber ...«
»Schnauze, Miststück! Jetzt wirst du bezahlen, für alles, was du mir und den anderen angetan hast.«
Meredith setzte zum Sprechen an, wollte sich verteidigen, sich entschuldigen, doch sie kam nicht weit. Das Letzte, das sie sah, war das Feuer aus der Mündung des 45er.
Das Dröhnen der Turbine klang wie Musik in meinen Ohren. Ich saß in einem Heli der Navy Seals, hatte einen Gurt umgeschnallt und wartete auf das Zeichen, mich mit meinen Kollegen aus neunzig Fuß Höhe auf das Dach einer alten Fabrik abzuseilen. Mein Partner Phil hatte sich furchtbar darüber aufgeregt, dass ich an der riskanten Übung der SEALs teilnehmen wollte.
»Bist du lebensmüde?«, hatte er geschimpft. »Was soll ich machen, wenn du abstürzt?«
Ich hatte versucht, ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. Er hatte versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Ebenso ohne Erfolg. Es knisterte in meinem Kopfhörer, dann ertönte Phils Stimme. Der Teufelskerl! Wie hatte er es ans Mikro geschafft?
»Jerry, du musst aufpassen. Der Wetterbericht hat gerade durchgegeben, dass Böen aufkommen und ...«
Phils Stimme riss ab, dafür hörte ich den Übungsleiter.
»Ich kann ja verstehen, dass Sie sich sorgen, aber Jerry ist kein Anfänger und meine SEALs auch nicht.« Einen Moment war es still, dann fuhr der Übungsleiter fort. »Okay, Männer. Noch mal Check. Gurte stramm? Ausrüstung komplett? Helm sitzt korrekt? Waffe gesichert?«
Ich prüfte jeden Punkt sorgfältig, und obwohl die Waffe nur mit Platzpatronen geladen war, achtete ich darauf, dass sie nicht von selbst losgehen konnte. In einem echten Einsatz konnte das tödlich sein.
Der Hubschrauber flog das Ziel an, blieb über dem Dach in der Luft stehen. Rechts und links erhoben sich die Wände der angrenzenden Gebäude, eine Schlucht aus Stein und Beton. Ab jetzt gab es keine Hinweise mehr, das Team war auf sich gestellt, und wir hatten keine Ahnung, was uns dort unten erwartete. Ich wusste nur, dass es mindestens vier Bewaffnete waren, allerdings nicht, ob sie Geiseln in ihrer Gewalt hatten oder es andere zusätzliche Erschwernisse gab. Das war ja der Sinn der Übung: auf Unvorhergesehenes richtig reagieren lernen.
Die rote Einsatzlampe sprang auf Grün, ich stand auf und reihte mich ein. Im Sekundentakt fielen die Männer aus dem Helikopter, sausten an den Seilen in die Tiefe. Ich stieß mich ab, spürte die Schwerkraft und den Widerstand des Seils. Unter mir setzten bereits die Ersten auf dem Dach auf und gingen in Stellung. Ich war allein in der Luft. Plötzlich pendelte ich zur Seite, der Heli über mir machte einen Satz und legte sich schräg. Mir schoss das Adrenalin ins Blut. War der Hubschrauber beschädigt?
»Jerry, Achtung, starke Böen«, meldete sich der Übungsleiter. Seine ruhige Stimme half mir, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn die Situation war alles andere als entspannend.
Ich spürte einen Schlag, der Heli legte sich auf die andere Seite, die Pendelbewegung wurde immer ausladender. Es bestand die Gefahr, dass ich gegen eine Hauswand schlug und mich schwer verletzte, wenn nicht gar dabei umkam. Doch heute war kein Tag zum Sterben.
Ich beugte den Oberkörper und ließ ihn wie eine Feder aufschnappen. So arbeitete ich gegen die Pendelbewegung, die der Heli auslöste. Es war nicht viel, aber ich spürte, wie sich der Ausschlag verringerte, stark genug, damit ich nicht gegen eine Mauer prallte. Immer wieder beugte ich mich, schnappte auf, und endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, hatte sich der Helikopter gefangen, schoss nach oben, hinaus aus der Häuserschlucht in den freien Luftraum, wo für mich keine Gefahr mehr bestand und ich hochgezogen werden konnte.
Einige Minuten später landeten wir auf der Basis. Ich sprang aus der Kabine.
Phil kam mir entgegen. »Habe ich es nicht gesagt?«
Ich grinste. »Das nächste Mal bestellst du besseres Wetter. Immerhin haben die Böen, die du herbeigeredet hast, mir ein nettes Abenteuer beschert.«
Mein Freund schüttelte den Kopf. »Du bist ein hoffnungsloser Fall.«
Der Übungsleiter trat hinzu, schüttelte mir die Hand. »Ausgezeichnet, Agent Cotton. Schade, dass Sie beim FBI sind. Männer wie Sie könnte ich gut gebrauchen. Apropos«, er reichte mir ein Handy, »da möchte Sie jemand sprechen.«
Ich nahm das Telefon entgegen, die Nummer war unterdrückt.
»Cotton hier. Wer spricht?«
»Gut, dass Sie noch leben, Jerry.«
Die Stimme gehörte Mr. High, meinem Chef und Leiter des FBI Field Office New York. Selbstverständlich wusste er, was gerade vorgefallen war.
»Sir, wie kann ich helfen?«
»Tut mir leid, dass ich Ihren freien Tag ruinieren muss, Jerry. Bitte begeben Sie und Phil sich zum Water 80-Building, so schnell es geht.«
»Sind schon unterwegs.« Ich unterbrach die Verbindung, legte die Ausrüstung ab, bedankte mich beim Übungsleiter und setzte mich in Bewegung.
Phil schaute mich fragend an.
»Ich weiß nur, dass es etwas Ungewöhnliches sein muss«, sagte ich. »Der Chef hat uns nicht in sein Büro bestellt, sondern in eine Wohnung am Seaport.«
Phil pfiff durch die Zähne. »Teure Gegend.«
»Korrekt«, bestätigte ich. »Und wo viel Geld ist, ist das Verbrechen nicht weit.«
Der Motor des Jaguar schnurrte vor sich hin, der Verkehr erlaubte es nicht, schneller als zwanzig Meilen pro Stunde zu fahren. Phil schwieg. Das war mir recht, so konnte ich die Zeit nutzen, um das Adrenalin in meinem Körper in den Griff zu bekommen, das mein Herz noch immer etwas zu schnell schlagen ließ. Ich atmete tief ein und aus, und noch bevor ich in die Water Street einbog, hatte sich mein Herzschlag normalisiert.
Vor dem Haus, mit dem sinnigen Namen Water 80-Building, wartete eine Streife des NYPD. Ich gab mich zu erkennen, die Kollegen wiesen mir einen Parkplatz zu. Einer der Officers begleitete uns in den siebenundzwanzigsten Stock. Im Treppenhaus war alles vom Feinsten. Die Wände waren mit Textiltapeten bedeckt, ein dicker, weicher Teppich verschluckte jedes Trittgeräusch. Sitzgarnituren mit Ohrensesseln luden zum Verweilen ein, überall standen frische Blumen, es duftete nach Frühling.
Die Tür des Apartments mit der Nummer 27/12 stand offen, ich trat ein, machte ein paar Schritte ins Wohnzimmer und hielt den Atem an. Der Blick aus dem Fenster über den East River auf die Skyline von Brooklyn war unglaublich.
Ein Detective trat aus einem Nebenzimmer ins Wohnzimmer. »Nicht schlecht, oder?«
»Da müsste ich noch ein bisschen sparen«, meinte ich.
»Du müsstest deinen Jaguar verkaufen«, stichelte Phil.
»Und dann mit einer Familienkutsche herumfahren, weil ich mir kein anständiges Auto mehr leisten kann? Niemals.«
»Bitte folgen Sie mir.«
Ich trabte hinter dem Detective her, Phil folgte mir.
Das Nebenzimmer, aus dem der Detective gekommen war, stellte sich als Büro heraus, mit dem gleichen berauschenden Blick, den man aus dem Wohnzimmer hatte. An einem Schreibtisch, komplett aus Glas, saß Dr. Ben Bruckner, der wohl am meisten unterschätzte Mensch der Welt. Er sah aus wie ein fünfzehnjähriger Collegeboy, war einundzwanzig und, kurz gesagt, ein Genie. Seine Finger tanzten über die Tastatur eines ultradünnen Laptops, der aussah, als wäre er mit Goldfolie überzogen.
»Es ist Goldfolie«, sagte er, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
Ich wusste nicht, dass zu Bens Fähigkeiten jetzt auch Gedankenlesen gehörte, andererseits lag es nahe, dass man beim Anblick des Laptops genau darüber zuerst nachdachte.
»Sie ist laminiert, damit sie nicht abblättert. Sonderanfertigung. Hardware vom Feinsten. Verschlüsselung der Extraklasse. Kostet knapp fünfzigtausend Dollar.«
Ben reichte mir ein Tablet, der Bildschirm zeigte Mr. High hinter seinem Schreibtisch.
»Jerry, schön, dass Sie es einrichten konnten.«
»Immer gerne, Sir«, antwortete ich und meinte es auch so. Mr. High würde mich nie aus meiner Freizeit reißen, wenn es nicht um etwas Ernstes ging.
»Es ist wichtig, dass Sie sich den Tatort ansehen, sobald das Briefing durch ist.«
Ich hielt das Tablet so, dass Phil unseren Chef gut sehen konnte und er Phil.
»Phil, ich grüße Sie. Und danke, dass Sie auf Jerry aufgepasst haben.«
»Ich gebe mir Mühe«, sagte Phil und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Aber es ist einfacher zwanzig geflohene Verbrecher wieder einzufangen, als Jerry davon abzuhalten, sich in Lebensgefahr zu bringen.«
Dazu musste ich nichts sagen. Phil hatte recht.
»Der goldene Laptop gehörte Meredith Kronberg«, sagte Mr. High.
Den Namen hatte ich schon einmal gehört, besser gesagt, gelesen. In irgendeinem dieser Hochglanzmagazine der High Society, unter der Rubrik Überflieger. Ich erinnerte mich an die Bilder von Meredith Kronberg. Mit knapp vierzig sah sie noch immer aus wie fünfundzwanzig. Bildschön. Ein Männerschwarm. Zumindest für alle Männer, die den dunklen Typ mochten. Schwarze Haare, makelloser dunkler Teint.
»Die Meredith Kronberg? Die jüngste Nachlassverwalterin der USA?«, fragte ich.
»Genau die«, antwortete unser Chef. »Sie ist das erste Mal mit gerade vierundzwanzig Jahren vom Nachlassgericht ernannt worden.«
»Gehörte heißt, sie lebt nicht mehr?«
»Exakt. Sie ist ermordet worden. Ihre Reinigungskraft, eine Hispaniola mit Namen Gracia Montoya, hat sie heute Morgen gefunden, als sie mit dem Putzen anfangen wollte. Der Gerichtsmediziner sagt, sie muss gestern zwischen zwanzig und vierundzwanzig Uhr erschossen worden sein.«
»Wie?«, fragte Phil.
»Drei Kugeln aus einem 45er. Alle drei tödlich. Eine in die Brust, zwei in den Kopf. Sieht nach einem Profi aus.«
»Zweifellos ein eiskalter Mord«, sagte ich. »Nur was haben wir damit zu tun?«
Der Laptop gab einen Piepton von sich.
»Ich fasse es nicht.« Ben warf die Hände in die Luft. »Das müssen Sie sich ansehen, Sir.«
Ich trat mit Phil hinter den Schreibtisch, Ben beugte sich nach vorne und starrte fasziniert auf den Bildschirm.
»Das würde ich gerne, Ben«, sagte Mr. High, »wenn Sie den Monitor frei machen würden.«
Ben erschrak, wäre fast mitsamt Chefsessel aus Echtleder nach hinten gekippt, hätte Phil nicht einen Satz gemacht und ihn aufgefangen. Ben ruderte mit den Armen, entschuldigte sich mehrfach stotternd und gab den Schreibtisch frei. Ich stellte mich vor den Bildschirm und hielt die Kamera des Tablets so, dass Mr. High sehen konnte, was ich sah. Und das war wirklich sehenswert.
Aus dem Lautsprecher tönte unbeeindruckt Mr. Highs Stimme. »Nachdem Gracia Montoya ihre Arbeitgeberin gefunden hatte, alarmierte sie sofort das NYPD. Die Kollegen haben die ersten Untersuchungen gemacht, Meredith Kronberg wird bereits obduziert. Ein findiger Officer hat ihren Namen durchs System gejagt. Ergebnis: Vor zwei Tagen, um sieben Uhr fünfunddreißig ist auf dem siebten Revier eine anonyme Anzeige gegen Meredith Kronberg wegen Betrug eingegangen. Und wie es so üblich ist, lag die Anzeige dort, wurde schließlich erfasst.«
»Aber niemand kümmerte sich darum, weil keiner die Zeit hatte, den Wahrheitsgehalt zu prüfen.«
»Sie haben es erraten, Jerry. Ihr Tod hat natürlich alles verändert. Der Commissioner hat Wind von der Sache bekommen und mich sofort kontaktiert. Anhand der ersten Sichtung ihrer Unterlagen hat sich der Verdacht erhärtet, dass an dem Vorwurf etwas dran ist. Was ich auf dem Bildschirm sehe, bestätigt den Verdacht. Jetzt wissen wir es ganz genau.«
Vor mir ploppte ein weiteres Fenster mit einer Liste von Namen und Summen auf. Summen, die Meredith Kronberg fein säuberlich als veruntreut markiert hatte. Insgesamt mehr als zehn Millionen Dollar hatte sie aus dem Nachlassvermögen ihrer Kunden abgezweigt und mit einem Teil des Geldes die dringendsten Forderungen bedient, damit sie nicht aufflog. So hatte sie immer einen Berg an Schulden vor sich hergeschoben. Aktuell ging es um eine knappe halbe Million, die sie ihren Kunden abgeluchst hatte.
»Das ist noch nicht alles«, sagte Ben und zeigte auf einen weiteren Laptop ohne Goldfolie, an den ein Handy angeschlossen war. »Wie gesagt, neueste Verschlüsselungstechnik. Hat mich endlos lange zehn Minuten gekostet, das Passwort zu knacken. Auf der Mailbox sind einige interessante Anrufe.«
Er drückte eine Taste, eine dunkle, ruhige Stimme tönte aus den Lautsprechern des Laptops, nannte keinen Namen. »Ich hab da eine E-Mail erhalten. Und nicht nur ich. Sie ging in Kopie an eine Menge Leute. Leute, die wahrscheinlich ebenfalls mit Ihnen reden möchten. Darin wird behauptet, Sie hätten mein Geld veruntreut. Im Anhang dieser Mail befanden sich ein paar beunruhigende Dateien. Ich hoffe sehr, dass es nur ein schlechter Scherz war. Bitte melden Sie sich.«