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Hotchat war ein Erotikportal von Open Space mit Sitz in New York. Hier präsentierten sich Frauen, Männer und Paare, sogenannte Broadcaster, gegen ein elektronisches Trinkgeld. Während einer Videosession beobachtete ein User, wie eine Broadcasterin ermordet wurde. Es war bereits das zweite Opfer binnen weniger Wochen. War hier ein Serientäter am Werk? Wir vom FBI wurden eingeschaltet. Open-Space-Inhaber Lucas Dahogan zeigte sich kooperativ. Als Erstes mussten Phil und ich ermitteln, ob es zwischen den Getöteten eine Verbindung gab und wie der Mörder an deren Daten gelangt war. Dann wurde eine dritte Frau attackiert, konnte jedoch fliehen. Inzwischen sanken die Zugriffszahlen von Hotchat, und immer mehr Broadcasterinnen löschten aus Angst ihre Accounts. Wer könnte ein Interesse daran haben, das Unternehmen zu ruinieren? Und sagte Dahogan wirklich die ganze Wahrheit?
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Hotchat
Vorschau
Impressum
Hotchat
Die junge Frau fuhr sich durch das flammend rote Haar und begutachtete sich ein letztes Mal prüfend im Spiegel. Zufrieden mit sich verließ sie das Bad und nahm am Schreibtisch Platz, der das winzige Wohnzimmer fast zu einem Viertel ausfüllte. Sie schaute in das kleine schwarze Auge der Kamera, die neben dem Monitor stand und direkt auf sie gerichtet war. Ihre Hand schwebte über der Tastatur. Der Computer war eingeschaltet, die Seite geöffnet, die Kamera aktiviert. Alles war bereit. Sie musste nur noch die Entertaste drücken, um online zu gehen.
Und dann tat sie es.
Bevor er den Browser öffnete, sah sich Tom Woods verstohlen um und musste über sich selbst lachen. Er war allein in seinem Apartment in der Penny Lane in San Francisco. Wer sollte ihm da über die Schulter schauen? Außerdem hatte niemand außer ihm einen Schlüssel, es bestand also keine Gefahr, dass er überraschend gestört wurde.
Es lag wohl daran, dass er immer etwas nervös war, wenn er diese Seite aufrief. Stets hatte er dabei das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Das mussten wohl die Nachwehen seiner konservativen Erziehung sein. Wenn seine Mutter wüsste, dass er sich so etwas anschaute ... Nein, das wollte er sich lieber nicht vorstellen.
Mit fliegenden Fingern gab er die Adresse ein. Eine graue Fläche mit einem weißen Feld im Zentrum erschien auf dem Monitor. Sein Passwort hatte er im Kopf, es war nicht besonders kompliziert, der Name seiner Mutter und ihr Geburtsdatum. Wenn Freunde ihm eine Vorliebe für schrägen Humor unterstellten, hatte er das noch nie abgestritten. Es tippte es ein und bestätigte.
Einen Lidschlag später hatte sich die eigentliche Seite aufgebaut. Die Betreiber des Portals sparten nicht an ordentlichen Servern, wie er wieder mal anerkennend feststellte. Erwartungsvoll huschte sein Blick über die große Bildergalerie, die in acht Fotos pro Reihe und zwanzig Reihen aufgeteilt war. Wem das nicht ausreichte, konnte zur nächsten Seite klicken, wo ihn eine weitere Auswahl erwartete. Und noch eine und noch eine. Woods klickte niemals weiter. Erfahrungsgemäß war der beste Stoff auf der Startseite zu finden.
Unwillkürlich verdrehte er die Augen, als er das Bild von zwei nackten Männern entdeckte, die nebeneinander auf einer blauen Couch saßen, jeder eine Hand auf dem Oberschenkel des anderen. Nichts gegen euch, Jungs, aber das ist echt nicht mein Fall, dachte er. Auf dem Foto daneben waren drei südamerikanisch aussehende Typen mit einem schwarzhaarigen Mädchen mit olivfarbener Haut beschäftigt, das bäuchlings auf einer Chaiselongue lag. Woods runzelte die Stirn. Keiner aus diesem Quartett sah älter aus als sechzehn. Nun ja, die Altersprüfung bei Hotchat ließ sich wie bei vielen Seiten dieser Art mit etwas Cleverness austricksen und schien eher notwendige Pflicht als tatsächlich ernst gemeint zu sein.
Das nächste Bild fesselte seine Aufmerksamkeit. Die rothaarige junge Frau mit der hellen Haut schien ihn direkt anzusehen. Sie war eine echte Schönheit. Keines dieser gestylten Möchtegernmodels, die es hier in Hülle und Fülle gab. Sie wirkte ganz natürlich und hatte ein nur dezentes Make-up aufgelegt. Der Blick aus ihren grünen Augen war so intensiv, als wüsste sie, dass er, Tom Woods, zweiunddreißig, Angestellter bei einem Handelsunternehmen für Zahnarztbedarf, seit einem halben Jahr geschieden, in dieser Sekunde vor seinem Monitor saß und sie anschaute. Er schätzte, dass sie etwa zwanzig Jahre alt war. Vermutlich eine Studentin aus irgendeinem Teil der Welt, die sich etwas dazuverdiente. Über dem Bild stand ihr Nickname: laracroft179.
Er klickte darauf.
Augenblicklich öffnete sich ihr Livestream. Sie trank gerade einen Schluck Wasser aus einer Plastikflasche. Ihm fiel auf, dass sie nervös war. Ihre Augen schienen Mühe zu haben, einen festen Punkt zu fixieren, und immer wieder fuhr sie sich durch ihr schulterlanges Haar. So tough wie die Videospielikone, deren Namen sie sich geliehen hatte, war sie offenbar nicht. Vielleicht war sie zum ersten Mal hier. Auf eine gewisse Weise machte dieser Gedanke sie noch reizvoller für ihn.
Er checkte die Besucheranzeige. Zweihundertzweiundachtzig Zuschauer. Wenn sie wirklich ein Neuling war, war es bestimmt eine beeindruckende Erfahrung für sie, von so vielen Menschen gleichzeitig beobachtet zu werden. Und das waren noch wenige, wie er sehr wohl wusste. Bei manchen Sessions waren Tausende anwesend.
Sie saß auf einem Stuhl. Hinter ihr waren eine schlichte weiße Wand und der Ausschnitt einer geschlossenen hellbraunen Tür zu sehen.
Aus den Lautsprechern seines Monitors ertönte ein leiser Gong. Das Zeichen, dass ihr jemand ein Trinkgeld spendiert hatte, wie sie das hier nannten. Woods checkte sein Guthaben. Er hatte noch dreiundsechzig Medaillen. Das war die Währung auf dem Portal. Jede Medaille stand für einen Dollar. Je mehr Dollars jemand zahlte, desto mehr waren die Broadcaster bereit zu tun. Viele hatten sogar Listen, auf denen sie die verschiedensten Dinge zum Festpreis anboten.
Dreiundsechzig Medaillen waren nicht allzu viel für einen Abend. Er überlegte, ob er seinen virtuellen Kontostand mit seiner Kreditkarte auffüllen sollte, unterließ es aber, als er an seinen realen Kontostand bei seiner Bank dachte. Einstweilen würde er sich mit Zuschauen begnügen.
Die Rothaarige streifte sich ihr T-Shirt über den Kopf. Darunter trug sie einen roten Büstenhalter, der eine Nummer zu klein für ihre großen Brüste war. Der Anblick entlockte ihm ein breites Grinsen. Das sah vielversprechend aus. Mit einem Mausklick öffnete er das Fenster für das Programm, mit dem man bezahlen konnte. Wie viele Medaillen waren wohl nötig, damit sie sich obenrum freimachte? laracroft179 hatte keine Preisliste. Ob er sie über ihren Chatkanal anschreiben und fragen sollte? Viele Broadcaster ignorierten solche Nachrichten, manche nahmen sich die Zeit und antworteten.
Oder er wartete einfach ab, bis jemand anders genügend Kohle auf den Tisch legte.
Hinter ihr schwang langsam die Tür auf. Woods hob die Brauen. War er in einer Pärchenshow gelandet? Nun, ihm sollte es recht sein. Liebend gerne würde er ihr dabei zusehen, wie sie sich mit ihrem Freund vergnügte. Trotz der kurzen Zeit, in der er sie jetzt beobachtete, hatte er bereits einen regelrechten Narren an ihr gefressen.
Er spannte sich. Der Mann, der gerade das Zimmer betreten hatte, war maskiert. Sein Gesicht wurde von einer schwarzen Teufelsmaske aus Plastik verdeckt, die über ihre Schulter hinweg dämonisch in die Kamera grinste. Über einem weißen T-Shirt trug er eine braune Lederjacke, die feucht glänzte, als wäre er gerade aus einem Regenschauer gekommen. Ob das eine Art Rollenspiel werden sollte? Nun griff er unter seine Jacke und zog einen länglichen Gegenstand hervor.
Woods brauchte eine Sekunde, bis er realisierte, was der Kerl in der behandschuhten Hand hielt. Ein Messer! Die Klinge war beinahe so lang wie sein Unterarm.
Er trat näher.
Die Rothaarige bemerkte ihn nicht. Auf ihrem Gesicht lag ein scheues Lächeln, während sie mit den Fingerspitzen über ihre Brüste strich, um die Zuschauer zu weiteren Trinkgeldern zu animieren.
Dann stand er direkt hinter ihr.
»Dreh dich um!«, schrie Woods.
Das war natürlich sinnlos. Wenn sie das Mikrofon an ihrem Computer aktivierten, konnte er die Broadcaster zwar hören. Nur umgekehrt klappte das nicht. Sie hätte ihn auch nicht sehen können, wenn er seine eigene Kamera eingeschaltet hätte. Mit Ausnahme des Chats funktionierte die Kommunikation nur in eine Richtung.
Die Finger des Mannes krallten sich in ihr Haar. Ihre Augen weiteten sich, ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Sie griff nach seiner Hand, wollte sich losreißen. Da ihr Mikrofon ausgeschaltet war, spielte sich alles in gespenstischer Lautlosigkeit ab.
Woods hoffte inständig, dass es sich um ein Spiel handelte. Nur eine Show. Wahrscheinlich würde er ihr gleich den Büstenhalter herunterreißen und sie vernaschen, und anschließend würden sie entspannt in die Kamera lachen.
Seine Hoffnung wurde jäh zerstört, als sich die Schneide des Messers in ihren Hals grub und ihre Schlagader zerschnitt. Blut schoss aus der Wunde. Plötzlich war sein Monitor mit roten Tropfen gesprenkelt. Ihre Gegenwehr erlahmte, kurz darauf erschlaffte ihr Körper. Als der Mörder sie losließ, kippte sie vornüber und rührte sich nicht mehr. Bloß ihr Haarschopf war noch zu sehen.
Ein großer Schatten füllte das Bild aus, dann wurde alles schwarz, und das Wort Offline erschien.
Erst jetzt bemerkte Woods, dass er den Atem angehalten hatte. Er holte tief Luft und starrte auf den Monitor. Gleich würde der Stream wieder starten, und alles würde sich als – zugegeben ziemlich mieser – Scherz entpuppen. Ja, so musste es sein.
Nur passierte das nicht.
Nach etwa fünf Minuten gelang es ihm endlich, sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Er griff nach seinem Handy und wählte den Notruf.
Als Phil und ich vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten, schaute Mr. High von der Akte auf, in der er bei unserem Eintreffen geblättert hatte. Ich kannte unseren Chef lange genug. Seine Miene verriet mir, dass er angespannt war.
»Schlimme Geschichte«, sagte er und zog ein Foto aus der Akte. Es zeigte eine junge blonde Frau mit blauen Augen, die fröhlich in die Kamera lächelte. »Ihr Name war Lynn Bleacher, einundzwanzig Jahre alt. Sie wurde vor vier Wochen in ihrem Apartment in Allentown in der Nähe von Philadelphia ermordet.«
»Wie ist es passiert?«, wollte Phil wissen.
»Sagt Ihnen der Name Hotchat etwas?«
»Hotchat? Nein, noch nie gehört.«
Auch ich schüttelte den Kopf.
»Das ist eine Livestreamplattform, auf der Frauen, Männer und Paare ... Wie soll ich es ausdrücken? Sie tun alles Mögliche und lassen sich dabei zuschauen. Die User können ihnen als Gegenleistung auf virtuellem Weg sogenannte Trinkgelder zukommen lassen. Die Plattform kassiert davon die Hälfte. Das ist in Kürze das Geschäftsmodell.«
»Alles Mögliche bezieht sich wahrscheinlich auf den sexuellen Bereich?«, hakte ich nach.
Mr. High nickte. »Lassen Sie es mich so sagen: Dort werden ganz sicher keine Kochrezepte ausgetauscht. Jeder, der volljährig ist, kann sich als Broadcaster registrieren und ein paar schnelle Dollars verdienen. Genau das hatte wohl auch Miss Bleacher vor. Sie war gerade online, als sie ermordet wurde.«
Phil stieß hörbar die Luft aus. »Also live? Im Internet?«
»Richtig, Phil. Während ihrer Session tauchte plötzlich ein Mann mit einer schwarzen Teufelsmaske hinter ihr auf und schnitt ihr mit einem Messer die Kehle durch.«
»Das klingt gruselig«, meinte Phil.
»Ein Mord auf öffentlicher Bühne.« Mir schauderte es bei dem Gedanken. »Der Täter trug eine Teufelsmaske, sagten Sie, Sir?«
»Zumindest nach Aussage der Zeugen. Leider konnte nicht einer von ihnen weitergehend vernommen werden. Bei drei über das ganze Land verteilten Polizeistationen waren drei Meldungen eingegangen, die Anrufer waren nicht zu ermitteln. Die Kunden von Hotchat ziehen es offenbar vor, anonym zu bleiben, selbst wenn sie eine solche Tat mit angesehen haben. Wenigstens hatte sich einer von ihnen das Pseudonym des Opfers gemerkt. Dadurch konnte der Betreiber ihre Identität ermitteln.«
Er zog ein weiteres Foto aus der Akte. Diesmal handelte es sich um eine Aufnahme vom Tatort. Darauf war die bis auf einen schwarzen Slip nackte Frau zu sehen, die auf dem Rücken auf einem braunen Sofa lag. Das Gesicht war zur Lehne gewandt, ihr Oberkörper war blutüberströmt.
»Werden die Sessions aufgezeichnet?«, fragte ich.
Mr. High schüttelte den Kopf. »Nein. Manchmal werden die Streams illegal mitgeschnitten und dann auf diversen obskuren Seiten hochgeladen. Wenn sie es mitbekommen, gehen die Betreiber dagegen vor. In diesem Fall haben sie ausnahmsweise gehofft, dass ein solcher Mitschnitt auftauchen würde, was bislang nicht passiert ist. Damit gibt es keinerlei Spuren. Auch die Untersuchungen am Tatort und die Vernehmungen von Miss Bleachers Umfeld haben nichts ergeben.«
»In der Tat ein außergewöhnlicher Mord, Sir, aber ist das ein Fall für uns?«, erkundigte ich mich.
»Normalerweise nicht unbedingt. Wenn nicht gestern das Gleiche noch mal passiert wäre.«
Ich hob eine Braue. »Wieder auf die gleiche Weise?«
Mr. Highs Miene wurde noch düsterer. »Ja. Diesmal haben wir wenigstens einen Zeugen, mit dem wir sprechen können. Dafür wissen wir noch nicht, wer das Opfer ist. Ein Mister Tom Woods aus San Francisco hat gestern Abend beim dortigen Police Department angerufen und gemeldet, dass in einem Hotchat-Stream eine junge Frau von einem Mann mit einer Teufelsmaske mit einem Messer ermordet wurde. Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten, genau wie Lynn Bleacher.«
Phil kratzte sich am Kinn. »Können wir uns sicher sein, dass er kein Spinner ist, der sich nur wichtigmachen will? Vielleicht hat er mitbekommen, was in Allentown geschehen ist.«
»An diesem Punkt kommen Sie ins Spiel, Gentlemen. Der Betreiber von Hotchat ist eine Firma namens Open Space. Und die sitzt hier in New York, in Brooklyn, um genau zu sein. Der Inhaber heißt Lucas Dahogan. Er wurde bereits über den neuen Vorfall informiert. Seine IT-Abteilung ermittelt gerade die Identität der mutmaßlichen Toten. Sie werden Mister Dahogan einen Besuch abstatten. Außerdem nehmen Sie Kontakt zu Mister Woods auf und fühlen ihm auf den Zahn. Wenn er die Wahrheit gesagt hat, haben wir es entweder mit einem Serienkiller oder mit einem Nachahmungstäter zu tun. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was mich mehr beunruhigen würde.«
In dem Zimmer war es dunkel, denn der Bewohner hatte die Jalousien heruntergezogen. Nur der Schein des Monitors erhellte die unmittelbare Umgebung und warf einen Schatten auf sein Gesicht. Das Klackern der Tastatur vor ihm auf dem Schreibtisch war neben dem schwachen Verkehrslärm, der durch das halb geöffnete Fenster hereindrang, das einzige Geräusch.
Der Mann war schnell. Seine Finger flogen nur so über die Tasten, während auf dem Bildschirm Worte und Zahlenkolonnen erschienen und verschwanden, die nur für Leute mit seinen Kenntnissen einen Sinn ergaben. Unvermittelt stockte er und warf einen Blick auf die schwarze Teufelsmaske, die auf seinem Schreibtisch lag. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Er musste gähnen und griff nach der Tasse Kaffee, die neben der Tastatur stand. Die Brühe war stark, so wie er es mochte, aber nur noch lauwarm, obwohl die Tasse beinahe voll war. Wenn er arbeitete, verlor er häufig das Gefühl für Raum und Zeit.
Erneut gähnend stand er auf, ging zur Spüle, kippte den fast kalten Kaffee weg und goss sich aus einer Thermoskanne frischen nach. Er kochte immer reichlich Vorrat, schließlich kannte er sich selbst gut genug, um zu wissen, dass die Hälfte davon im Ausguss landen würde. Er setzte die Tasse an die Lippen und nippte vorsichtig an der heißen Flüssigkeit. Schmeckte verdammt gut.
Gestern Nacht war er spät nach Hause gekommen. Auf dem Rückweg machte er einen Stopp in einem Diner und schob sich einen Burger hinter die Kiemen. Als er das Teil mit beiden Händen packte, strömte das flüssige Fett links und rechts nur so heraus, und er bekam ihn kaum zwischen die Zähne, weil er so dick mit Käse, Zwiebeln und gebratenem Speck belegt war. Genau seine Kragenweite. Salat konnten andere essen.
Leider lag ihm die späte Mahlzeit schwer im Magen und bescherte ihm einen unruhigen Schlaf. Trotzdem war er schon um kurz nach sieben wieder auf den Beinen. Sobald sie mitkriegten, was passiert war, würden sie vermutlich die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen. Nur würde ihn das nicht aufhalten. Nach dem, was er bisher gesehen hatte, waren die Leute, die dort arbeiteten, weit entfernt davon, es mit ihm aufnehmen zu können. Ihre Sperren waren Kinderkram. Damit konnten sie einen pickeligen Nerd aufhalten, aber nicht ihn, den King of Chaos.
Er kicherte, als er an den Namen dachte. Er hatte ihn sich zugelegt, als er eine Weile versucht hatte, in Flirtchats Frauen kennenzulernen. War ewig her, hatte er damals richtig cool gefunden. Bloß war er nicht besonders erfolgreich gewesen. Ein einziges Mal verabredete sich jemand mit ihm, so eine kleine Schlampe aus Dumbo. Sie trafen sich in einer Bar. Nachdem er ihr nach einer halben Stunde die Hand aufs Knie gelegt hatte, hatte sie das Weite gesucht und ihn einfach sitzen lassen.
Weiber! Wozu brauchte man die überhaupt? Das Wesentliche im Leben konnte er mit seinen beiden Händen selbst erledigen.
Eine schwarze Wolke schob sich vor sein Blickfeld. Er schloss die Augen, hielt sich mit der freien Hand an der Küchenzeile fest, atmete tief ein und aus und begann zu zählen. Wenn er sich in diesem Zustand befand, bestand die Gefahr, dass er die Kontrolle verlor, und dann warf er womöglich die Tasse in den Monitor. Er hatte keine Lust, in so einen blöden Elektronikladen zu stapfen und sich einen neuen zu besorgen.
Meistens half ihm das Zählen, darüber hinwegzukommen, und so war es auch diesmal. Als er bei sechsunddreißig angelangt war, fühlte er sich besser. Der eiserne Druck, der wie eine zu enge Ritterrüstung auf seinem Körper gelastet hatte, war verschwunden. Er öffnete die Augen und stellte fest, dass sich auch die schwarze Wolke verflüchtigt hatte. Das war gut, sehr gut.
Mit der Tasse in der Hand kehrte er an den Schreibtisch zurück und studierte die Einträge in der Datenbank. Jede Menge Frischlinge, jedoch keine Einzige aus der Umgebung. Schade, nach gestern hatte er gehofft, möglichst bald nachlegen zu können. Nach dem letzten Mal waren knapp vier Wochen vergangen. Die Abstände durften nicht zu lang sein, wenn er einen möglichst großen Effekt erzielen wollte. Vielleicht musste er größere Kreise ziehen. Nur würde das erheblich aufwendigere Vorbereitungen erfordern. Eventuell würde er sogar fliegen oder ein Hotelzimmer buchen müssen. Nein, das war nicht gut.
Er schloss das Programm, öffnete seinen Internetbrowser, wählte eine Suchmaschine aus und gab ein paar Begriffe ein. Sekunden später lag ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Nachdem beim ersten Mal zu seiner Enttäuschung praktisch nichts passiert war, tat sich diesmal etwas. Ein Screenshot kursierte im Netz, der ihn in dem Moment zeigte, als er der rothaarigen Hure den Hals durchgesäbelt hatte. Die meisten Kommentatoren hielten das Bild für eine Fälschung oder einen schlechten Scherz. Ein paar andere äußerten sich überaus besorgt. Es waren nur wenige, aber das reichte.
Die Saat war gelegt.