Jerry Cotton 3428 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3428 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der CIA Agent Tex Whitman zertrümmerte mit einem Schuss das Gesicht der New Yorker FBI-Agentin Dana Hayden. Kurz darauf schüttete der Washingtoner FBI Agent Chris Pompeo seinem italienischen Partner Salzsäure ins Gesicht. Beide Taten erschienen unerklärlich. Nur eines war sicher - dass sie dem Ruf der amerikanischen Behörden nachhaltig schadeten. Gemeinsam mit unserer Psychologin Dr. Iris McLane und einem CIA-Beamten nahm ich die Ermittlungen auf. Alle Spuren führten in ein Labyrinth aus politischem Kalkül und Wahnsinn, aus dem es für niemanden einen Ausweg gab.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Der Sumpf

Vorschau

Impressum

Der Sumpf

Die Lichter der Riesenstadt webten ein filigranes Muster aus künstlichen Sternen in das eisige Tiefblau der nächtlichen Atmosphäre.

New Yorks Schönheit ist trügerisch, dachte Tex Whitman. Seine Fas‍z‍i‍n‍ation hatte eine hässliche Seite.

Um die Dockanlagen am Hafen des Big Apple fegte ein schneidender Wind, der zahllose Schneeflocken vor sich hertrieb. Whitman fror, wollte zum Schluss kommen.

Es ging um die Frau, die vor ihm stand, FBI-Agentin Dana Hayden. Zweifellos attraktiv, doch die blutrot geschminkten Lippen wirkten auf ihn gefräßig und abstoßend. Es wurde wirklich allerhöchste Zeit, dass er die Affäre mit ihr beendete.

Mit einem Ruck zerrte er seine Dienstwaffe aus dem Gürtelholster.

»Hey«, sagte Dana, »was machst du da?« Sie lächelte, hielt es für einen Witz.

»Ist nichts Persönliches«, erwiderte er flach.

Er hob die Glock, schoss und löschte ihr Lächeln aus. Ohne Bedauern schob er die Waffe zurück ins Holster.

Jetzt musste er nur noch warten, bis die Beamten des NYPD anrückten.

Kein Zweifel, die Fakten waren eindeutig. Und genau das machte alles so schwierig.

Ein früher Montagmorgen im Büro des Chefs, hinter den Fenstern zog eine bleigraue Dämmerung herauf. Seit einer halben Stunde fiel kein Schnee mehr.

Noch in der Nacht hatten sich der Direktor der Central Intelligence Agency, Quentin Sherman, und FBI-Direktor James E. Fuller darauf verständigt, dass die beiden Behörden gemeinsame Ermittlungen aufnehmen sollten.

Phil hielt sich in Quantico auf, wo er an der FBI-Akademie einen Kurs für Strategie und Taktik bei terroristisch motivierten Geiselnahmen leitete, an dem auch Angehörige des britischen MI5 und der deutschen GSG 9 teilnahmen.

Deshalb saß ich nun allein mit CIA Agent Archer Mulligan bei Mr. High am Besprechungstisch. Wir sprachen darüber, was gegen dreiundzwanzig Uhr in den Docks am Hudson River geschehen war.

Tex Whitman, ein Topagent der CIA, hatte Dana Hayden getötet, eine junge FBI-Agentin, die gerade erst ihre Ausbildung in Quantico beendet und ihre Arbeit im New Yorker Field Office aufgenommen hatte. Zwei Zeugen hatten beobachtet, wie er Dana mitten ins Gesicht geschossen hatte.

Als die Beamten des NYPD aufkreuzten, fanden sie Whitman neben der Leiche hockend vor. Er übergab ihnen bereitwillig seine Dienstwaffe.

»Ich habe auf euch gewartet«, war alles, was er gesagt hatte. Seitdem schwieg er hartnäckig.

Es gab also einen Mord und den dazugehörigen Täter, aber vorerst kein Motiv.

Der Umstand, dass es sich bei Tätern und Opfer um Agents zweier Bundesbehörden handelte, war beunruhigend. Es bedurfte keiner besonderen Fantasie, um sich allerlei finstere Gründe dafür vorzustellen. Eines schien sicher, die Medien würden sich in den wildesten Spekulationen darüber ergehen.

»Das Schlimmste ist«, sagte Mr. High zu Mulligan, »dass weder wir noch Ihre Truppe bemerkt haben, was sich da unter unserem Radar abgespielt haben muss.«

Der CIA Agent nickte schwer. Genau wie ich hatte er seit der Besichtigung des Tatorts und der Inaugenscheinnahme der gesichtslosen Leiche keine ruhige Minute gehabt. Es wunderte mich nicht, dass er mitgenommen wirkte.

Dieser Ausdruck wurde durch seine mürrisch aufgeworfenen Lippen, die Augenringe und eine steile Kerbe über der Nasenwurzel verstärkt. Mulligan war von bulliger Statur, die kräftigen Schultern unter dem altmodischen Leinenjackett fielen nach vorn hin ab, als hätten sie eine unsichtbare Last zu tragen.

Ich schätzte Mulligan auf Anfang vierzig. Äußerlich betrachtet, mochte man ihn für älter halten, zumal er bereits einige graue Haare hatte. Doch ich spürte, dass unter der träge anmutenden Oberfläche eine hochfrequente Energie pulsierte. Die geröteten Wangen ließen auf Blutdruckprobleme schließen.

»Ich frage mich«, erklärte er mit rauer Stimme, »wie die beiden aneinandergeraten sind. Tex war mein Partner, wir haben fast immer zusammengearbeitet, waren gemeinsam in Europa im Einsatz. Von Dana Hayden hat er nie erzählt. Falls er beruflich mit ihr zu tun hatte, müsste ich es wissen, genau wie Sie es von Dana Hayden wissen müssten, Sir. Ich nehme an, dass sie sich nicht hinter Ihrem Rücken mit der CIA eingelassen hätte.«

Mr. High ignorierte Mulligans Sarkasmus. »Und privat?«

Mulligan brachte ein Lächeln zustande, das wie die Erinnerung an einen faden Witz wirkte.

»Romantische Vorstellungen wären wohl fehl am Platz. Tex ist ziemlich zurückhaltend, was Frauen betrifft. Vielleicht wäre ein guter Mönch aus ihm geworden.« Er wandte sich an mich. »Und wie schätzen Sie Ihre Kollegin ein?«

»Dana war fröhlich, ehrgeizig und noch etwas naiv. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns die Bekanntschaft mit einem CIA Agent verheimlicht hätte.«

»Es wäre möglich«, warf Mr. High ein, »dass sich Whitman an Dana rangemacht hat, ohne seine Identität preiszugeben.«

»Aus welchem Grund hätte er das tun sollen?«, fragte Mulligan. »Ich sagte ja, dass er nicht gerade ein routinierter Herzensbrecher ist.«

»Dennoch«, sagte ich, »sollten wir uns diesbezüglich bei den Verwandten umhören.«

»Soviel ich weiß, gibt es keine. Tex ist nicht verheiratet, hat weder Kinder noch Geschwister. Seine Eltern sind vor zwei Jahren gestorben. Er redet nicht gerne über sie, das Verhältnis zu ihnen war wohl mies.«

»Und Freunde«, wollte der Chef wissen, »wie steht's damit?«

»Fehlanzeige, Sir, meines Wissens existieren keine.«

»Immerhin kommen Sie gut mit ihm aus, oder?«

Mulligan brauchte Zeit, um darüber nachzudenken.

»Na ja, wir haben uns miteinander arrangiert. Ich bin auch nicht einfach zu nehmen. In gewisser Weise verlief unsere Beziehung bisher harmonisch. Aber offenbar habe ich etwas Entscheidendes übersehen.« Er starrte düster vor sich hin. »Ich gebe zu, dass ich mich schuldig fühle, weil ich diese Scheiße nicht verhindert habe.«

»Machen Sie sich keine Vorwürfe«, versuchte Mr. High ihn zu beschwichtigen. »Weder Agent Cotton noch ich haben bemerkt, dass Dana Hayden in Gefahr schwebte. Und dennoch muss es so sein, falls sie von Whitman nicht rein zufällig erschossen wurde.«

Das gemeinsame Gefühl, versagt zu haben, hing wie eine düstere Wolke im Raum. Beklommene Stille machte sich breit.

Mr. High wechselte das Thema. »Wer sind die beiden Zeugen, die den Mord beobachtet haben?«

Ich übernahm die Antwort. »Das Ehepaar Jonathan und Velma Edwards. Die beiden dürften um die achtzig sein und scheinen unverbesserliche Romantiker zu sein. Sie haben in Pelzmänteln auf einer Bank an den Docks gehockt, Rotwein aus Bechern getrunken und friedlich an einem Joint gezogen. Das Schneetreiben hat sie nicht gestört. Sie fühlten sich pudelwohl, bis sie plötzlich auf einen Mann aufmerksam wurden, der etwa siebzig Yards von ihnen entfernt mit einer Pistole auf eine Frau zielte.«

»Herrje«, entfuhr es Mr. High, »wenn die beiden von Alkohol und Marihuana berauscht waren, ist ihre Aussage vor Gericht nicht viel wert.«

»Auf mich wirkten sie gestern Nacht erstaunlich fit«, warf ich ein.

»Wann reden Sie noch mal mit den beiden?«

»Jetzt gleich, sie sind bereits hier.«

»Später«, fügte Mulligan hinzu, »knöpfen wir uns Tex vor. Ich mache mir allerdings wenig Hoffnung, dass er sein Schweigen bricht. Er ist komplett entrückt.«

»Kein Wunder«, sagte ich. »Nach Auskunft der Edwards hat er mindestens eine Viertelstunde neben der Leiche Danas gesessen, ohne sich zu rühren, als wäre er gelähmt. Offenbar hält dieser Zustand noch an.«

»Ich denke«, sagt der Chef, »Sie sollten unsere Psychologin bei der Vernehmung hinzuziehen.«

»Ich werde Doktor McLane gleich darauf ansprechen«, versicherte ich.

»Noch etwas, Jerry, wurden die Handys von Dana Hayden und Whitman gefunden?«

»Ja, beide trugen ihre Telefone bei sich.«

»Ben soll sie überprüfen. Ich kümmere mich um eine entsprechende Genehmigung.« Mr. High erhob sich und atmete durch. »In wenigen Minuten ruft mich Director Fuller an. Er ist sehr besorgt und will auf dem Laufenden gehalten werden. Bitte unterrichten Sie mich umgehend, wenn es Neuigkeiten gibt.«

Mulligan und ich standen auf, der Chef nahm an seinem Schreibtisch Platz.

Bevor ich hinter Mulligan den Raum verließ, sah ich mich noch einmal nach Mr. High um. Er nickte mir verhalten zu.

Eine Geste, das mir signalisieren sollte, wie beunruhigt er war.

Chris Pompeo hatte beides im Blick, den Mann, der vor ihm saß, eine imposante Erscheinung, und dann sich selbst in dem goldgerahmten Spiegel an der kahlen Wand dahinter: einen mittelgroßen schlanken Amerikaner italienischer Abstammung, Mitte dreißig, zweifellos attraktiv und entschieden bedeutungslos.

Pompeo verschwendete keinen Gedanken daran, sich ebenfalls zu setzen. Es hätte respektlos erscheinen können. Er blieb einfach stehen, obwohl er sich dafür hasste, und zog zwischendurch an seiner filterlosen Lucky Strike, um es ein bisschen lockerer aussehen zu lassen.

»Echt, Mann, du bist wie ein Bruder für mich.« Der kratzige Bass des Russen hallte von den Betonwänden wider wie Donnergrollen. Das Wort des Mafiabosses hatte Gewicht, man tat gut daran, ihm Glauben zu schenken. Dimitri Baschanow hätte genauso gut sagen können, dass Chris Pompeo ein toter Mann sei, und dann wäre es wahrhaftig um ihn geschehen gewesen.

Also nahm er die Belobigung dankend an, indem er sich verbeugte wie ein gottverdammter Ministrant vor dem Altar.

Der Mafiaboss lag mehr, als dass er saß, in einem verschlissenen weinroten Barocksessel und klammerte sich mit der linken Hand an einer Bierdose fest. Weitere leere Dosen in seiner Nähe bezeugten, dass er schon mächtig was intus hatte.

Sie befanden sich im hinteren Teil des Fireplace, einer unterirdischen Frühkneipe in Washingtons unbestreitbar übelstem Stadtteil Shaw, die seit einer Stunde geschlossen hatte. Außer ihnen war niemand hier.

Es war Baschanows muskelbepackte Fettleibigkeit, die ihm keine aufrechte Haltung erlaubte. Ein durchgeschwitztes weißes Trägerhemd bedeckte nur die untere Hälfte des ballonförmigen Oberkörpers. Die aufgeschwemmte Brust und das rosafarbene Fleisch der feisten Arme waren übersät von blassblauen, mehr oder weniger misslungenen Tattoos. Metallische Brustwarzenringe, ein wild wuchernder rotblonder Bart und als krönender Abschluss eine viel zu kleine Plastiksonnenbrille mit dunklen Gläsern vervollständigten das Bild eines monströsen und zugleich gefallsüchtigen Freaks.

Chris Pompeo wusste, dass Baschanow diese Wirkung beabsichtigte. Sie verlieh ihm die Aura einer barbarischen, ebenso abstoßenden wie faszinierenden Paranormalität.

Darüber hinaus war Baschanow schlau, gewieft und extrem hinterhältig. Man durfte ihn keine Sekunde unterschätzen. Als Boss der zurzeit gefährlichsten Mafia Washingtons, der brat'ya Staliny, der Brüder Stalins, die sich den russischen Diktator zum Vorbild erkoren hatte, genoss er hohes Ansehen in der Unterwelt. Auf das Konto der russischen Mobster gingen mutmaßlich drei Dutzend Auftragsmorde, und die stellten nur einen bescheidenen Teil der umfangreichen geschäftlichen Aktivitäten dar.

Eigentlich, dachte Pompeo, muss es niemand wundern, dass Baschanows Kontakte trotz seiner abstoßenden Erscheinung bis in die Loge der feinen Gesellschaft vom Big Apple reichen. Schließlich gab es dort genug Leute, die viele seiner Charakterzüge teilten, sie allerdings unter dem Schutzschild erlesener Garderobe und pomadiger Menschenfreundlichkeit verbargen. Diese Leute pflegten heimlich Umgang mit Baschanow, aber niemals offiziell.

Dazu war er schlicht zu hässlich, außerdem hätte es unnötiges Gerede gegeben.

»Es wäre traurig«, fuhr der Russe fort, »wenn du Scheiße baust. Du weißt, was die Folge wäre.«

Pompeo zuckte instinktiv mit den Schultern und erkannte im Spiegel, was für eine groteske Grimasse er dabei schnitt.

An der Stelle in Baschanows Visage, wo sich unter dem Bartgestrüpp der Mund befinden musste, zuckte es unmerklich. So wie Pompeo Baschanow kannte, war das ein Hinweis darauf, dass sich der Mafiaboss amüsierte. Vermutlich gefiel es ihm, Pompeo Angst einzuflößen mit einer Bemerkung, die alles oder nichts bedeuten mochte.

»Falls ich einen Fehler gemacht habe ...«, tastete sich Pompeo argwöhnisch vor.

Baschanow wischte die unterwürfige Einlassung mit einer rüden Geste weg. »Wenn's ein Fehler wäre, würden wir hier nicht blöd rumquatschen. Worum es geht, ist Vertrauen, verstehst du?«

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Pompeo.

Baschanow setzte die Bierdose an die Lippen, trank glucksend und warf sie dann grunzend vor Pompeos Füße. »Hör zu, ich sag, du bist mein brat'ya, mein Bruder, so wie ein echter guter Russe, obwohl deine Eltern aus Sizilien stammen. Also, alles klar so weit, oder? Das kommt bei den anderen Brüdern nicht gut an, sie halten dich für einen Schleimer. Sie meinen, irgendwann fällst du mir in den Rücken, so wie du jetzt deinen eigenen Leuten in den Rücken fällst. Ich meine, was soll ich machen? Sie nennen dich eine Spaghetti fressende Tunte.«

Pompeo biss sich heftig auf die Lippen. Sein Spiegelbild hinter Baschanow löste sich in pulsierende farbige Wellen auf, er rang nach Luft, hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Spaghetti fressende Tunte!

Etwas in ihm verhinderte, dass er stürzte. Etwas, das ihm in Erinnerung rief, dass er bereits etliche dieser Anfälle überstanden hatte.

Es war das erste Mal, dass ihm so etwas in Baschanows Gegenwart passierte.

Ihm wurde schwarz vor Augen. Dann – wie lange danach? – wich der bedrohliche Zustand, und Pompeos angeschlagener Geist fand in die Realität zurück.

Pompeo stand immer noch da, etwas breitbeiniger als vorher. Baschanows Sessel war leer. Pompeos Blick suchte den Raum ab, entdeckte den Russen weiter hinten an der Bar, wo er die Hosen runtergelassen hatte und gegen den Tresen pinkelte.

Irgendwie hatte Baschanow mitgekriegt, dass Pompeo ihn beobachtete.

»Ich werde dich prüfen, Bruder«, tönte der Gangster mit schwerer Zunge, »und, zum Teufel noch mal, ich werde es dir nicht leicht machen. Ich habe eine ganz besondere Aufgabe für dich.« Er lachte dreckig. »Damit es dir leichter fällt, wird Nathalie mit dir reden.«

Pompeo spürte, wie dieser Name einen Stich in seinem Kopf auslöste.

Fürsorglich, wie sie war, hatte Helen das Ehepaar Edwards in meinem Office mit Kaffee und dazu passendem Gebäck versorgt. Die Alten nickten Mulligan und mir höflich zu und wollten sich zur Begrüßung von ihren Stühlen erheben.

»Bitte behalten Sie Platz«, bat ich sie rasch.

Ich bereute, sie so früh zu mir gebeten zu haben. Beiden stand der Schrecken der vergangenen Nacht noch ins Gesicht geschrieben. Vermutlich hatten sie schlecht oder überhaupt nicht geschlafen. Die bleichen Wangen wirkten zerknittert wie dünnes Papier. Jonathan Edwards' Augen waren gerötet und verschattet. Seine Frau Velma verbarg ihre hinter einer überdimensionierten rosafarben getönten Sonnenbrille. Die nachlässig und unvollständig geschminkten Lippen sowie die zerzausten grauen Haare verrieten, dass sie noch nicht ganz auf dem Damm war. Sie trug einen schwarzen Kaschmirpullover mit Rollkragen, eine eng anliegende schwarze Jerseyhose und erstaunlich hochhackige Pumps im Tigerlook. Ihr Pelzmantel hing an der Garderobe.

Jonathan Edwards war passend dazu in einem dunkelbraunen Dufflecoat und Budapesterschuhen erschienen. Ich vermutete, dass sie mit einem Taxi gekommen waren, damit der Schnee ihr exklusives Schuhwerk nicht ruinierte oder, schlimmer noch, sie zu Fall brachte.

Mulligan und ich gesellten uns zu ihnen an den Besprechungstisch.

»Tut mir leid«, sagte ich, »natürlich hätten wir uns auch etwas später treffen können.«

»Oh, ich bitte Sie«, erwiderte Velma Edwards in aufgekratztem Ton einer ehemaligen Soubrette, »mein Mann und ich legen keinen Wert auf eine Sonderbehandlung. Wir sind äußerst robuste Naturen, glauben Sie mir. Allerdings ist uns nicht klar, wie wir Ihnen noch behilflich sein könnten. Was wir gesehen haben, wissen Sie ja bereits. Ich denke nicht, dass wir unseren Aussagen noch etwas hinzuzufügen haben.« Sie lächelte matt. »Außer wir dichten noch einiges hinzu, das soll es ja geben, nicht wahr?« Sie blickte ihren Mann Zustimmung heischend an. »Habe ich nicht recht, Darling?«

Jonathan Edwards erwiderte ihr Lächeln, ohne sie anzuschauen. Stattdessen bedachte er Mulligan und mich mit einem forschenden Blick. »Sie unterstellen uns doch hoffentlich nicht, dass wir Ihnen bewusst etwas verschweigen?«

»Nein«, entgegnete ich verblüfft. »Was bringt Sie auf diesen Gedanken?«

Er zuckte ungewiss mit den Schultern. »Also, eigentlich habe ich dafür keinen Grund, außer ...«

Er sah seine Frau an, die nervös an ihrer Brille nestelte.

»Na schön«, platzte es aus ihr heraus, »leg die Karten auf den Tisch, Darling. Es wird uns schon nicht schaden.«

Jonathan Edwards biss sich unschlüssig auf die Lippen, ehe er sagte: »Velma und ich hatten mal Schwierigkeiten mit der Polizei. Ist lange her, aber seitdem haben wir jedes Mal ein komisches Gefühl, wenn wir eine Uniform sehen.«

»Unfug!«, fuhr ihm Mulligan in die Parade. »Sehen Sie hier im Raum jemanden mit einer Uniform?«

»Darauf kommt es nicht an!« Auf Velma Edwards' bleicher Haut zeichneten sich rote Wutflecke ab. »Auch Sie vertreten die Staatsmacht. Und mit der haben wir nun mal üble Erfahrungen gemacht. Man kommt sich ziemlich hilflos vor, Agent, wenn man zu Unrecht beschuldigt wird und beinahe im Knast landet.«

»Aha«, trumpfte Mulligan auf, »das müssen Sie mir näher erklären.« Offenbar glaubte er, einen dunklen Fleck in der Vergangenheit des Ehepaars aufzuspüren.

»Bitte reg dich nicht auf«, sagte Jonathan Edwards und strich seiner Frau sanft über den Arm. Dann wandte er sich an mich. »Eigentlich sehen Sie wie jemand aus, dem man sich anvertrauen kann, Agent Cotton. Also will ich mich nicht länger zieren.«

Ich nickte ihm aufmunternd zu.

»Die Sache ist lange her, fast dreißig Jahre. Meine Frau und ich betrieben damals eine exklusive Galerie in Manhattan. Nun, wo Künstler sind, wird auch viel gefeiert, und ich gebe zu, dass der ein oder andere unserer Gäste damals ein Drogenproblem hatte. Irgendjemand behauptete damals, Velma und ich würden im großen Maßstab mit Kokain handeln. Das war völlig absurd, aber niemand glaubte uns. Später stellte sich heraus, dass ein Maler, den wir nicht vertreten wollten, weil er uns eine Menge Geld schuldete, aus Rachsucht Drogen in die Galerie eingeschmuggelt hatte.«

Er hielt inne, ich ließ ihm Zeit.

Dann sprach er leiser weiter. »Die Beamten, die damals gegen uns ermittelten, haben uns sehr schlecht behandelt. Sie hegten Ressentiments gegen Künstler.«

»Eine traurige Geschichte«, versetzte Mulligan bissig. »Doch sie führt uns vom Weg ab, Mister Edwards. Eigentlich wollen Agent Cotton und ich bloß hören, ob Ihnen noch etwas auffiel gestern Nacht, das Sie zu erwähnen vergaßen.«

Ein längeres Schweigen folgte, das Mulligan schließlich unwirsch unterbrach.

»Hat's Ihnen die Sprache verschlagen«, herrschte er die alten Leute an, »oder haben Sie es darauf abgesehen, meine Zeit zu verschwenden?«