Jerry Cotton 3430 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3430 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ein plötzlicher Kontaktabbruch ohne Vorwarnung, dieses Phänomen heißt Ghosting - und traf eine junge Frau namens Maria Palmer. Sie erreichte auf einmal nicht mehr ihren Freund Bruce. Während sie auf eigene Faust herauszufinden versuchte, was mit ihm passiert war, überwachten Phil und ich den Klubbesitzer und mutmaßlichen Drogengangster Rico del Mar. Kurz darauf begriff Maria, dass Bruce sie vor einer großen Gefahr hatte warnen wollen. Und uns wurde klar, dass hinter del Mar ein noch größerer Fisch seine Kreise zog. Als es uns gelang, die beiden Fälle zusammenzuführen, war es fast zu spät ...


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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Ghosting

Vorschau

Impressum

Ghosting

Rico del Mar zuckte zusammen, als das Handy klingelte. Es steckte in seiner Sakkotasche. Er saß in seinem BMW, musste rechts ranfahren.

»Sie sind zu früh«, sagte er, nachdem er sich gemeldet hatte. »Ich hätte lieber in Ruhe in meinem Klub mit Ihnen gesprochen.«

Der Mann auf der anderen Seite der Leitung lachte leise. »Heißt es nicht, dass der frühe Vogel den Wurm fängt?«

»Schon, aber ...«

Der Mann unterbrach del Mar sofort. »Ich gehe davon aus, dass Sie noch an dem Deal interessiert sind. Wir werden die Sache durchziehen. Ich hoffe, ich kann mich auf Sie verlassen.«

Rico del Mar spürte, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Verdammt, er hätte respektvoller sein sollen. Nicht umsonst nannte man den Mann El carnicero – den Schlächter.

»Was ist jetzt los?«, rief ich. »Wieso fährt er auf einmal rechts ran?«

Wir befanden uns vier Wagenlängen hinter Rico del Mar auf der Fifth Avenue. Seit er am John F. Kennedy Airport einem Flugzeug aus Las Vegas entstiegen war, hatten wir ihn in einem unauffälligen Ford bis nach Manhattan verfolgt.

»Ich glaube, er telefoniert, Jerry«, sagte Phil ruhig. »Er hat einen Anruf erhalten, und da er ein gesetzestreuer Staatsbürger ist, hält er an, weil er beim Fahren das Handy nicht benutzen darf.«

Phils Worte trieften vor Sarkasmus. Rico del Mar, ein einflussreicher Klubbesitzer und Chef eines Drogennetzwerks, das vom Westen Brooklyns bis zur Wall Street agierte, war alles andere als gesetzestreu. Leider hatte er die besten Möglichkeiten, um zu verhindern, dass wir ihm das nachwiesen. Genau deswegen hatten wir ihn nach seiner angeblichen Geschäftsreise verfolgt. Der Auftrag lautete, so viel wie möglich über del Mars Kontakte herauszufinden.

Uns war klar, was zu tun war. Phil hatte die Maßnahme bereits eingeleitet und unseren jungen Computerexperten Dr. Ben Bruckner angerufen und informiert. Ich sah den Kollegen mit dem jungenhaften Gesicht förmlich vor mir, wie seine Computer alle Handygespräche im Umkreis von fünfzig Yards abscannten.

»Ich habe ihn«, hörte ich Bens Stimme, denn Phil hatte sein Telefon praktischerweise laut gestellt. »Aber das Gespräch ist verdammt gut verschlüsselt. Beide benutzen ein Prepaidhandy.«

»Kannst du da gar nichts machen?«, fragte Phil.

»Nur wenn das Gespräch mindestens zwanzig Minuten dauert. Er hat schon wieder aufgelegt. Das Einzige, was ich erkennen konnte, ist, dass das Gespräch aus dem Ausland kam.«

Ich bedankte mich. Der BMW setzte sich wieder in Bewegung.

»Verdammter Mist«, fluchte Phil vor sich hin. »Ich dachte immer, Ben wäre schlauer als diese ganzen Verschlüsselungsexperten.«

»Ist er auch«, gab ich zurück. »Jedenfalls meistens. Und immerhin wissen wir jetzt, dass del Mar definitiv etwas zu verbergen hat.« Es klang etwas gequält.

Kurz darauf war die Fahrt zu Ende. Wir erreichten in einer Nebenstraße in Manhattan del Mars Etablissement, einen Klub namens Galaxy Dolls. Wir waren selbst noch nicht im Inneren gewesen, doch wir wussten von Ermittlern der Drogenfahndung, was in dem Laden abging. Zum einen führten gut aussehende Ladys auf kleinen Bühnen mit äußerst wenig bis gar keiner Kleidung am Leib aufreizende Tänze vor. Zum anderen gab es den Verdacht, dass der Laden ein Umschlagplatz für gewisse Substanzen war.

»Und wenn wir uns unters Publikum mischen?«, fragte Phil.

Ich grinste ihn an. »Ich kann mir gut vorstellen, dass dir das Spaß machen würde, alter Junge. Vor allem, wenn das alles auf Spesen geht. Das ist allein deshalb nicht möglich, weil der Klub noch geschlossen hat. Wir haben Mittagszeit.«

Die Neonröhren, die den Namen des Klubs in geschwungenen Buchstaben darstellten, war ausgeschaltet und wirkte ohne die Leuchtkraft der Farben ebenso trostlos wie die dunklen Scheiben und das Rollgitter vor dem Eingang. Der BMW verschwand in einer Tiefgarage daneben.

»Schon gut«, sagte Phil.

»Ich schlage vor, wir lassen uns ablösen und gehen etwas essen«, versuchte ich ihn zu trösten.

Im Field Office bekam ich Les Bedell ans Telefon, der ankündigte, zusammen mit Joe Brandenburg die Überwachung zu übernehmen.

»Der Laden macht am späten Nachmittag auf«, sagte Phil. »Vielleicht können die Kollegen dann einen Blick reinwerfen und uns wenigstens erzählen, wie die Girls aussehen.«

Maria Palmer hielt ihr Handy ans Ohr. Vielleicht klappte es diesmal. Vielleicht ging Bruce endlich dran!

Für einen Moment beschleunigte sich ihr Herzschlag, dann meldete sich wieder die bekannte elektronische Stimme, die ihr erklärte, dass der Teilnehmer nicht zu sprechen sei.

Energisch drückte sie den roten Knopf und warf das Handy aufs Sofa.

Der Schmerz in ihrer Brust wuchs zu einem furchtbaren Druck, und im nächsten Moment spürte Maria, wie ihr Tränen über die Wangen liefen.

Warum wollte Bruce nicht mehr mit ihr sprechen? Was hatte sie ihm getan?

Dass er sein Handy ausgeschaltet hatte, wollte sie nicht glauben. Das konnte nicht sein. Niemand hatte sein Mobiltelefon heutzutage ständig ausgeschaltet. Da blieb also nur noch die Erklärung, dass er ihre Nummer auf eine Blacklist gesetzt hatte, sodass sie nicht mehr an ihn herankam.

Und warum? Weil er nichts mehr von ihr wissen wollte.

Warum, warum, warum?

Das Wort kreiste in ihrem Kopf. Dann hatte sie das Gefühl, Kraft zu schöpfen. Sie sprang von dem Sessel auf und schnappte sich das Handy. Sie sah, wie schon so oft zuvor, fieberhaft die Kanäle durch, über die Textnachrichten geschickt wurden. Doch sie sah nichts als ihre eigenen, vergeblichen Versuche, zu Bruce Kontakt aufzunehmen.

Wo bleibst du?

Ist was passiert?

Bitte melde dich!

Also, ich gehe jetzt. Gib bitte unbedingt Bescheid, wenn du das liest.

Und dann heute Morgen, nach einer fast schlaflosen Nacht:

Bist du wach? Bitte, bitte, bitte melde dich.

Seit zwei Wochen waren sie zusammen. Bruce Callahan und sie, Maria Palmer.

Sie hatten sich kennengelernt, als er zur Fuß aus einer Einfahrt auf der Flushing Avenue herausgekommen war. Sie hatte mit ihrem Fahrrad so energisch ausweichen müssen, dass sie stürzte – und das mit vier Pizzas in der Styroporbox auf dem Gepäckträger, denn sie arbeitete als Botin für Bill's Pizza in Williamsburg.

Bruce erwies sich als echter Gentleman und erkundigte sich eingehend danach, ob ihr etwas Ernsthaftes passiert sei.

»Mir nicht, aber den Pizzas«, antwortete sie lakonisch. Die Dinger waren aus dem Behälter gefallen, aus den Pappverpackungen gerutscht und lagen nun auf dem Asphalt.

Bruce bezahlte sie und rief Marias Chef an, der sofort Ersatz losschicken konnte. So war für die Kunden nur eine kleine Verzögerung entstanden und für Maria eine neue große Liebe. Hatte sie zumindest gedacht.

Sie wusste, dass das Phänomen eines plötzlichen Kontaktabbruchs einen Namen hatte.

Man nannte es Ghosting.

Maria hätte nie gedacht, dass sie mal ein Ghostingopfer werden würde. Sie hatte sich immer viel auf ihre Menschenkenntnis eingebildet und geglaubt, dass ihr so etwas nicht passieren würde.

Ein paar Minuten starrte Maria, das Telefon in der Hand, ins Leere. Als sie spürte, dass ihre Gedanken wieder ins Kreisen gerieten, fasste sie einen Entschluss. Sie konnte das nicht allein durchstehen. Sie musste mit jemandem sprechen. Mit einer Freundin, nein, mit ihrer besten Freundin.

Sie suchte den Namen aus dem Speicher. Sari Hendricks, eine junge Mutter, die glücklich mit Mann und gerade vor ein paar Monaten geborenem Kind in Brooklyns nördlichstem Stadtteil Greenpoint lebte. Maria gab es nicht gern zu, aber Sari führte genau das Leben, das sie sich immer gewünscht hatte.

Es klingelte dreimal, viermal. Nicht du auch noch, dachte Maria.

Ein wohliges Gefühl durchlief sie, als sich Sari meldete.

Nach dem Mittagessen fuhren wir zurück ins Büro. Unterwegs hielten wir die ganze Zeit telefonischen Kontakt zu Joe und Les, die nichts Verdächtiges zu berichten hatten.

»Wir sitzen hier vor den dunklen Scheiben und warten darauf, dass der Laden endlich aufmacht«, sagte Les. »Man will ja als FBI Agent auch mal ein bisschen Spaß haben.«

Ich ging nicht auf den Scherz ein. »Hat sich niemand blicken lassen? Es könnte sein, dass del Mar in dem Telefonat vorhin eine Verabredung getroffen hat und dass ihn jetzt jemand besucht.«

»Ich kann es dir genau sagen, Jerry«, sagte Les. »Vor fünf Minuten hat eine Frau den Klub durch den Mitarbeitereingang betreten. Einer von del Mars Leuten, die wir ja kennen und die wir überprüft haben, hat ihr aufgemacht. Bei der Frau handelt es sich um eine der Stripperinnen, die zur Arbeit erschienen ist. Es braucht eben eine gewisse Zeit, bis sie sich so angezogen haben, dass sie sich möglichst effektvoll wieder ausziehen können.«

»Ich weiß, ich bin eine Spaßbremse«, gab ich zurück. »Aber wir haben von der Frau sicher die Daten.«

»Klar«, sagte Les. »Sie heißt Cassandra Miller und arbeitet seit drei Monaten in dem Klub. Keine Vorstrafen, keine Auffälligkeiten, nichts mit Drogen, auch nichts mit Prostitution und so weiter. Sie hat versucht, an irgendeiner Tanzakademie zu studieren, und die Aufnahmeprüfung nicht geschafft.«

»Okay, behaltet sie weiter im Auge«, sagte ich. »Und del Mar.«

Zurück im Jacob K. Javits Federal Building an der Federal Plaza kamen wir gar nicht dazu, in unser Büro zu gehen. Helen, die Vorzimmerdame unseres Chefs, war gerade auf dem Gang unterwegs und informierte uns darüber, dass Mr. High uns umgehend zu sprechen wünschte.

»Er hat Besuch«, fügte sie hinzu. »Jemand von der DEA.«

Hinter der Abkürzung verbarg sich der Name der Drug Enforcement Administration, der Drogenvollzugsbehörde, die über die USA verteilt über zweihundert Büros unterhielt.

Der Chef stellte uns in der Besprechungsecke Special Agent Barbara Jones vor. Sie war eine knapp dreißigjährige Frau mit pechschwarzem Haar und einem unübersehbaren Latinoeinschlag und gehörte zum New Yorker DEA Office.

»Ich nehme an, Ihr Besuch hat etwas mit unserem aktuellen Fall zu tun«, sagte ich, nachdem wir uns bekanntgemacht und Platz genommen hatten.

»Rico del Mar«, sagte sie, »ganz recht.«

»Ich bin froh, dass wir in der Sache von der DEA unterstützt werden«, sagte Mr. High. »Irre ich mich oder ist es leider so, dass bei der Überwachung wenig herauskommt?«

»Sie irren sich nicht, Sir«, sagte Phil düster. »Leider verbieten uns die Bürgerrechte, so gegen del Mar vorzugehen, wie ich es am liebsten tun würde.«

Ich wusste, was mein Partner meinte, denn wir hatten mehrmals darüber gesprochen. Am liebsten hätte er del Mars Klub samt Büro und dessen Wohnung in einem Wolkenkratzer am East River auf den Kopf gestellt, dazu sämtliche Post und alles andere überwacht oder ihn am besten gleich so lange eingesperrt, bis er endlich auspackte.

»Es ist eine der Errungenschaften unserer Zivilgesellschaft, dass das nicht so einfach geht«, gab Mr. High zu bedenken. »Natürlich halten wir uns an die Regeln.«

Ich berichtete von dem Telefonat, das wir beobachtet hatten.

»Ben hat leider fast nichts über den Telefonpartner herausfinden können«, kommentierte der Chef meinen kurzen Bericht. »Er weiß mittlerweile, dass der Anruf wahrscheinlich aus Südamerika kam.«

»Das fügt sich in das Bild, das wir gewinnen konnten«, ergriff Special Agent Jones das Wort. »Meine Behörde überwacht del Mars Umfeld ebenfalls. Aber das ist für Sie ja nichts Neues. Neu ist dagegen, dass wir aufgrund gewisser Ermittlungsergebnisse von Kontakten zwischen del Mar und einem anderen Drogenring ausgehen.«

»Der sich im Süden befindet?«, spann ich den Gedanken weiter.

»Das wissen wir leider noch nicht«, sagte sie. »Sicher ist, dass nicht del Mar der dicke Fisch ist, von dem wir immer reden, es gibt noch einen dickeren. Und wenn wir jetzt dranbleiben und er keinen Verdacht schöpft, kriegen wir den auch.«

»Ich glaube, wir sind uns einig, was das bedeutet«, sagte Mr. High. »Wir müssen noch vorsichtiger und wachsamer sein. Rico del Mar darf nichts von der Überwachung merken.«

»Und wie lange soll das gehen?«, fragte Phil, der gelegentlich eine gewisse Ungeduld an den Tag legte.

»Mindestens bis del Mar wieder Kontakt aufnimmt und wir das genau nachprüfen können«, sagte Special Agent Jones. »In dem Moment wäre der Weg zu dem wirklich dicken Fisch frei.«

»Ich verstehe ja, dass wir die Überwachung aufrecht erhalten müssen und Geduld brauchen«, sagte ich. »Aber ich muss Phil recht geben. Gibt es denn nichts, was wir parallel tun können?«

»Sie können in del Mars Vergangenheit herumstochern und weitere Informationen ans Tageslicht bringen«, schlug Special Agent Jones vor. »Schon allein, um ihn besser kennenzulernen.«

»Sie meinen alte Freundschaften, Weggefährten und so weiter?«, fragte Phil. »Die uns vielleicht sagen können, welche Kontakte del Mar heute hat?«

Sie nickte. »Gleichzeitig darf er nicht mitbekommen, dass Sie ihm auf diese Weise auf den Fersen sind.«

Das klang ein bisschen so, als würde ich in meinem Jaguar auf Gas und Bremse gleichzeitig treten.

»Es ist eben Fingerspitzengefühl gefragt«, fasste Mr. High die Sachlage zusammen. Er sah Phil und mich an. »Was das betrifft, habe ich vollstes Vertrauen zu Ihnen.«

Zwischen Williamsburg und Greenpoint erstreckte sich mitten im Häusermeer von Brooklyn der McCarren Park als grüne Insel.

Mit seinen Tennisplätzen und dem von einer rostfarbenen Bahn umringten Sportplatz war er ein Paradies für New Yorker, die körperlichen Ausgleich zu ihren Bürojobs suchten. Marias Freundin Sari nutzte den nördlichen Teil mit den geschwungenen Wegen und den weit auseinanderstehenden Bäumen auf den Rasenflächen gern für Spaziergänge.

Maria war gerade von ihrem Fahrrad gestiegen, da kam ihr Sari schon entgegen. Sie schob kein Fahrrad, sondern einen Kinderwagen, in dem der wenige Monate alte Mika lag.

»Danke, dass du Zeit für mich hast«, sagte Maria und betrachtet das Baby, das friedlich schlief.

Was hatte Sari für ein Glück. Okay, ihr Ehemann war beruflich ziemlich eingespannt und kaum zu Hause, weil er jeden Tag als Lehrer zu einer Highschool in Southampton auf Long Island fahren musste. Das nahm pro Strecke zwei Stunden Fahrzeit in Anspruch und trug nicht gerade zu einem ausgedehnten Familienleben bei. Leider war es dort draußen schwierig mit der Wohnungssuche. Hier in Brooklyn wohnten sie in einem Apartment, das sie von einem entfernten Verwandten von Sari hatten übernehmen können. Die Zeit war nicht fern, dass die Freundin in eine fast hundert Meilen entfernte Stadt ziehen würde. Maria wollte gar nicht daran denken.

»Ist doch selbstverständlich«, sagte Sari. »Außerdem haben wir schönes Wetter, und ich bin immer froh, wenn ich mit dem Kleinen an die frische Luft kann.«

Sie gingen eine Weile nebeneinanderher.

»Es geht um Bruce, oder?«, fragte Sari schließlich. Sie deutete auf eine der hellbraunen Holzbänke. »Komm, wir setzen uns. Ich bin ein bisschen müde von dem Geschiebe.«

Kaum saßen sie, brach es aus Maria heraus. Sari hörte geduldig zu. Nur ab und zu schob sie nachdenklich ihre Brille zurecht oder wischte sich die halblangen dunkelblonden Haare hinter die Ohren. Maria wusste, dass das bei ihr ein Zeichen von höchster Konzentration war.

»Was soll ich tun?«, fragte Maria. »Ich bin mir ganz sicher, dass es diesmal absolut gepasst hat. Nicht nur bei mir, auch bei ihm.«

»Könnte ihm etwas passiert sein?«, fragte Sari. »Vielleicht hatte er einen Unfall, und er liegt in einem Krankenhaus.«

Maria betrachtete nachdenklich den asphaltierten Weg vor ihnen. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber er hat mir gesagt, dass er mich auf seinem Handy als wichtigsten Kontakt speichern wollte. Nach so einem Kontakt suchen sie doch immer, wenn jemand benachrichtigt werden muss ...«

»Nach zwei Wochen seid ihr schon so eng?«, wunderte sich die Freundin. »Entschuldige, das ist schon ziemlich außergewöhnlich.«

Plötzlich hatte Maria das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.

»Das ist überhaupt nicht außergewöhnlich«, sagte sie und spürte, dass ihre Stimme eine Spur zu schrill klang. »Kapierst du das denn nicht? Es war ... Liebe auf den ersten Blick. Es hat alles gepasst, und das schon nach dem ersten Abend. Nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, dass wir ewig zusammen wären.«

»Ja, das hast du gesagt ...« Sari sah nicht Maria an, sondern Mika, der immer noch friedlich schlief.

»Und so ist es auch«, bekräftigte Maria.

Sari schien einen Moment Luft zu holen, als traute sie sich nicht, das zu sagen, was sie sagen wollte. »Wir sind hier in New York. Hier laufen Leute rum, von denen man nicht mal in seinen Albträumen ahnt, was in ihnen vorgeht.«

Maria konnte es nicht fassen. »Soll das heißen, Bruce ist ein Psychopath?«

»Quatsch!«, rief Sari. »Aber überleg mal, was du genau von ihm weißt. Was macht er zum Beispiel beruflich?«

»Darüber haben wir nicht gesprochen.«

»Und kennst du andere Freunde von ihm? Weißt du was über Ex-Frauen?«

»Das ist unwichtig. Wir lieben uns. Und das hat nichts mit Freunden oder Arbeitsplätzen zu tun.«

»Offenbar doch«, widersprach die Freundin. »Denn wenn du etwas darüber wüsstest, hättest du jetzt einen Anhaltspunkt, wo du nach ihm suchen könntest. Ich kann dir nur einen Rat geben, Maria. Akzeptiere, dass er dich ghostet, und vergiss ihn.«

Maria fühlte sich, als würde sie plötzlich mit heißem Wasser übergossen. »Das ist es, was du mir rätst?«

»Maria, ich ...«

»Ach, lass mich in Ruhe.« Sie stand auf.

Im selben Moment kam Babygeschrei aus dem Kinderwagen. Mika war aufgewacht. Maria war es egal.

»Wenn du sonst nichts weißt, kann ich ja wieder fahren!«, rief sie, während sich Sari über Mika beugte.

Maria packte ihr Fahrrad und schob es zum Parkausgang. Während sie ging, sagte ihr eine leise Stimme, dass Sari recht hatte. Sie wusste die entscheidenden Dinge über Bruce nicht. Sie kannte nicht einmal seine genaue Adresse. Sie hatten sich immer nur bei ihr getroffen.

Das konnte man ja ändern.

Sie würde Bruce suchen.

Sie würde zumindest mehr über ihn herausfinden.

Und auf Sari und ihre heile Familienwelt konnte sie erst einmal verzichten.

»Ich glaube, ich habe was«, sagte Phil.

Seit einer Stunde waren wir damit beschäftigt, Informationen über del Mar zusammenzutragen, bisher war nichts Brauchbares dabei herausgekommen.

»Lass hören.« Ich nahm einen Schluck aus meiner Kaffeetasse.