1,99 €
Der in New York lebende Autor Frank Turner war spurlos verschwunden, und das kurz vor der Weltpremiere seines nächsten Bestellers. Kein Wunder also, dass Verleger und Agentin in heller Aufregung waren. Steckte eine Entführung dahinter? Oder etwas Schlimmeres? Mr. High setzte Phil und mich auf den Fall an. Wir waren wenig begeistert. Bald merkten wir jedoch, in welches Wespennest wir gestochen und mit welchem Menschen wir es in Wahrheit zu tun hatten ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Tödlicher Bestseller
Vorschau
Impressum
Tödlicher Bestseller
Das Warten zahlte sich aus. Da war er, der Autor. Der gierige Mister Großkotz. Der Mann, der sich für den Mittelpunkt des Universums hielt und dem alle Frauen wie Groupies einer Teenieband mit ihrer unerträglichen Konservenmusik zu Füßen lagen.
Noch lachte er. Selbstbewusst bis in die letzte Pore seiner viel zu glatten Haut, bis in die Haarspitzen der inzwischen angegrauten Haare, wodurch er beinahe aussah wie George Clooney. Und so gab er sich auch. Arrogant wie ein Filmstar.
Damit war jetzt Schluss. Er würde lernen müssen, dass auch er ein normaler Mensch war. Nur wusste er das noch nicht. Er hatte keine Ahnung, dass ihm aufmerksame Augen bei jeder seiner Bewegungen folgten, ihn beobachteten, um den richtigen Moment abzupassen und dann zuzuschlagen. Und die Gelegenheit war zum Greifen nah. Alles verlief nach Plan.
Dann würde der Schreiberling genügend Zeit haben, über sich, seine Geschichten, sein Leben und vielleicht auch sein Sterben nachzudenken. Ein verlockender Gedanke, dachte die gut hinter den getönten Scheiben eines schwarzen Ford Explorer verborgene Gestalt. So dunkel wie der Wagen, so war auch ihre Kleidung. Schwere Schnürschuhe mit rutschfestem Profil, Handschuhe, eine Cargohose und ein Rollkragenpullover sorgten dafür, dass sie zunehmend mit der hereinbrechenden Dunkelheit verschmelzen würde, wenn es endlich so weit war.
Frank Turner hatte seine sündhaft teure Reisetasche locker in der rechten Hand, die linke war in der Designerjeans vergraben. Eine modische Jacke eines weltbekannten Designers wärmte ihn gegen den aufziehenden Wind. Und obwohl längst keine Sonne mehr am Himmel war, hatte er eine Sonnenbrille auf der Nase. Einen Moment schien es, als wartete er auf etwas, dann kam er auf den Wagen zu, öffnete die hintere Tür, warf seine Tasche auf die Rückbank und machte es sich dann auf den Lederpolstern bequem.
»Sie wissen, wohin?«, fragte Turner, ohne sich mit Begrüßungsfloskeln oder anderen Umgangsformen aufzuhalten.
Die dunkle Gestalt hinter dem Lenkrad nickte nur, startete den mächtigen Motor des Wagens und steuerte ihn vom Parkplatz.
Frank Turner sah aus dem hinteren Seitenfenster. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.
Phil und ich hassten solche Tage. Von morgens bis abends hatten wir in unserem Büro an der Federal Plaza Berichte geschrieben, Formulare ausgefüllt, Akten sortiert und die Festplatten unserer Laptops gesäubert. Ein Lichtblick war wie immer der wunderbare Kaffee, den Helen uns in regelmäßigen Abständen gebracht hatte.
Da es heute ausgesprochen ruhig war, wollten wir den Tag im Mezzogiorno mit Pasta und Wein ausklingen lassen.
Während wir durch die Hochhausschluchten schlenderten, wärmten uns die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Den Jaguar hatte ich wie immer in der Garage des New Yorker Field Office geparkt. Meist nahmen wir meinen Flitzer für die Strecke. Aber nachdem Helen scherzhaft gemeint hatte, wir seien inzwischen echte Bürohengste, hatten wir beschlossen, den Weg zu unserem Lieblingsitaliener zu Fuß zurückzulegen. Das gefiel der attraktiven dunkelhaarigen Sekretärin unseres Chefs, als sie uns mit einem süffisanten Lächeln verabschiedete.
»Ein wenige frische Luft tut euch gut«, hatte sie uns gut gelaunt hinterhergerufen, während wir bereits auf die Aufzüge zusteuerten.
Wahrscheinlich bildeten wir uns das nur ein, aber die ganze Stadt schien heute einen Gang heruntergeschaltet zu haben. Zwar waren die Straßen voller Menschen, doch sie rannten nicht so über die Gehsteige, als wären sie auf der Flucht.
An einer Buchhandlung hielt ich an. Mein Nachttisch war seit ein paar Tagen leer, da ich mein letztes Buch längst ausgelesen hatte.
Phil zerrte an meinem dunklen Sakko. »Komm schon. Ich habe Hunger. Außerdem macht es nicht klüger, wenn man sich nur ein paar schlaue Bücher ins Regal stellt. Man muss sie auch lesen. Und dazu hast du ohnehin nie Zeit. Also spar dir das Geld, mein Freund, und lad mich lieber zu einem guten Pinot Grigio ein.«
»Ein Buch in die Hand zu nehmen, das würde dir guttun, mein Lieber. Das stimuliert die Hirnwindungen, die sich wohl bei dir mehr mit der Nahrungsaufnahme beschäftigen als mit geistigen Herausforderungen.« Ich grinste meinen Partner unverschämt breit an.
Phil zog in spielerischem Ärger die Brauen zusammenzog und brummte etwas Unverständliches vor sich hin.
Dann sah ich im Schaufenster ein großes Plakat hängen.
Bestsellerautor Frank Turner zu Gast
mit der Weltpremiere seines neuesten Pageturners
Kill Your Ideals – NOW
»Wäre das nichts? Vielleicht können wir noch etwas lernen, wenn wir erfahren, wie ein Schriftsteller mit Millionenauflage Verbrecher zur Strecke bringt.«
Von Phil vernahm ich nur ein weiteres ungeduldiges Brummen als Antwort. Ich überlegte, ob ich ihn ärgern und es als Ja verstehen und einfach zwei Karten kaufen sollte. Ein Blick in sein grimmiges Gesicht verriet mir, dass es besser war, auf den Spaß zu verzichten. Phil hatte vernehmlich Hunger, sein Magen knurrte, und er verstand keinen Spaß, wenn der Kohldampf ihn plagte.
»Eine Portion hausgemachte Ravioli, dazu ordentlich Parmesan. Danach einen Espresso und eine Panna Cotta. Das hört sich definitiv für mich spannender an als alles, was der Kerl zusammendichtet.«
Ich gab nach, und wir schlenderten weiter. Noch bevor wir in unser Stammrestaurant traten, in dem wir immer einen Platz bekamen, hatte ich Frank Turner längst vergessen. Allerdings wusste ich damals noch nicht, dass wir dem Namen schneller wieder begegnen würden, als uns lieb war.
Jesmyn Haig machte sich Sorgen. Sie kannte Frank Turner einige Jahre, eine besondere Beziehung verband sie. Für ihn war es wahrscheinlich nur eine kurze, dafür heftige Liebesbeziehung gewesen. Für sie war es mehr. Sie mochte Frank, mochte seine Art, mochte wie er roch, mochte seine Geschichten. Sie kannten sich eine gefühlte Ewigkeit.
Bevor sie seine Lektorin bei Chandler & Chandler geworden war, hatte sie ihn als Agentin betreut. Eigentlich war sie es gewesen, die Bruce Chandler sein inzwischen bestes Pferd in den Stall gestellt hatte. Eine gute Handvoll Bestseller hatte Turner seitdem produziert und damit die Kassen des kleinen, aber feinen New Yorker Verlagshauses klingeln lassen.
Mit dem Verkauf der Rechte seiner Werke an Verlage in aller Welt hatte Chandler vermutlich ein weiteres kleines Vermögen gemacht. Turner ebenso. Und sie, die Königsmacherin, war zwar nicht leer ausgegangen, hatte jedoch bei Weitem nicht so profitiert wie die Buddys Turner und Chandler. Ab und zu, in trüben Momenten, neidete sie beiden den Erfolg. Aber sie wusste um ihre Rolle in dem Spiel. Wenn sie weiter Turners Agentin geblieben wäre und das Angebot der Cheflektorin bei Chandler & Chandler ausgeschlagen hätte, wäre ihr Stück vom Kuchen bedeutend größer gewesen.
Die Gelegenheit, in den sicheren Schoß eines Verlags zu wechseln, war zu einer Zeit gekommen, als ihre Agentur nicht gut gelaufen war und sie sich danach gesehnt hatte, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Das war jetzt sieben Jahre her.
Nun stand das wichtigste Ereignis für Chandler & Chandler in diesem Jahr an. Auch für Jesmyn Haig war es mal wieder eine Bewährungsprobe. Und der Protagonist war verschwunden.
Frank Turner, der große Frank Turner, der Star der amerikanischen Literaturszene, der Liebling der Feuilletons, war abgetaucht. Seit Tagen versuchte sie, ihn zu erreichen. Erfolglos. Er ging unter keiner der Nummern, die sie kannte, ans Telefon, reagierte auf keine Textnachricht oder E-Mail.
In ihrer Verzweiflung war sie deswegen gestern zu seinem Apartment in Manhattan gefahren. Der Portier, der wie Cerberus über den Eingang wachte und niemanden einfach so vorbeilassen würde, hatte Turner seit Tagen nicht gesehen. Zuletzt sei er mit einem Koffer in ein Yellow Cab gestiegen. Da gerade andere Mieter an der Rezeption gestanden hatten, sei der Autor ohne ein Wort davongefahren.
Dabei gab es so viel zu klären. Natürlich, sie waren alle Profis und die Präsentation eines neuen Werks vor der Crème de la Crème der internationalen Literaturpresse war für keinen von ihnen eine neue Herausforderung. Doch der Teufel steckte im Detail, und Jesmyn wollte alles gut vorbereitet wissen.
Also hatte sie weiter auf allen Kanälen versucht, Frank zu erreichen. Das Engagement war nicht von Erfolg gekrönt. Er blieb verschwunden. Sie erinnerte sich zwar, dass er ihr gegenüber einmal erwähnt hatte, in ein Sommerhaus des Verlags in Maine fahren zu wollen. Dort wollte er sich in Stille und Abgeschiedenheit für die anstehende Buchpräsentation und die darauffolgende mehrmonatige Lesereise rund um den Globus einstimmen. Dort war er nie angekommen. Zumindest behauptete das der Hausverwalter, den sie inzwischen kontaktiert hatte.
Jesmyn nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, schaute durch das große Bürofenster und in die sich davor öffnende Hochhausschlucht hinein. Sie sprang auf und stürmte aus dem Raum, schräg über den Gang, auf dessen Parkett ihre Absätze klackerten, hinüber ins Chefbüro.
Bruce Chandler saß, nein, er thronte hinter seinem gewaltigen Schreibtisch, dessen Ecken sich mit Papierstapeln abgrenzten, so wie man es von einem Verleger erwartete. Der Verlagschef, der das Haus in der vierten Generation führte, war offensichtlich in einen Text vertieft und bemerkte Jesmyns Eintreten nicht.
Sie kannten sich schon lange und hatten die stillschweigende Übereinkunft, auf allzu große Formalitäten im Alltag zu verzichten. Das schloss mit ein, sich in dringenden Fällen einfach an den jeweils anderen zu wenden. Denn Bruce wusste, Jesmyn lag das Schicksal des Verlags ebenso am Herzen wie ihm selbst.
»Bruce«, meldete sie sich zaghaft zu Wort, um ihn nicht zu erschrecken. »Ich glaube, wir müssen reden.«
Als er aufsah, umspielte ein gutmütiges Lächeln seinen schmalen Mund, das auch trotz des Vollbarts, der seinen sonst haarlosen Kopf einrahmte, zu sehen war. »Das hört sich aber ernst an so früh am Morgen.«
Ihr war nicht nach Small Talk zumute. »Bruce, Frank ist verschwunden. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich erreiche ihn nicht, er meldet sich nicht, und es gibt noch so viele offene Fragen. Weißt du, wo er steckt? Ihr seid doch wie best buddies.«
Bruce Chandler lehnte sich in seinem ausladenden Ledersessel zurück, faltete die Hände vor dem unübersehbaren Bauchansatz, der seine kleine Gestalt noch gedrungener erscheinen ließ, und sah sie neugierig an. »Wie meinst du das, vom Erdboden verschluckt? Er wollte nach Maine, in unser Häuschen, in dem er häufig ist ...«
»Da ist er nicht. Er ist nie dort angekommen. Ich mache mir langsam Sorgen. Um ihn. Um die Präsentation. Um den Verlag. Was, wenn ihm etwas passiert ist?«
»Ach, du kennst ihn doch, unseren Schwerenöter. Wahrscheinlich turnt er mit irgendeinem Model durch die Betten.«
Bruce wusste nicht, dass Frank Turner und Jesmyn einige Zeit miteinander liiert gewesen waren. Niemand wusste das.
»Nein, das glaube ich nicht. Wir wissen alle, wie er ist. Aber er würde sich nicht totstellen. Er liebt schließlich den großen Auftritt und will selbst alles perfekt haben. Normalerweise ist er es, der mir wegen jedem Detail in den Ohren liegt und keine Ruhe gibt, bis nicht alles ausgeplant ist. Es passt nicht, dass er alles dem Zufall überlässt, sich um nichts kümmert und seit Tagen nicht erreichbar ist.« Sie machte eine Pause.
»Hm.«
»Er hat sich schließlich in den letzten Monaten auch zu Wort gemeldet. Er ist eine wichtige Stimme der US-Literatur, aber auch eine mit politischem Gewicht. Er streitet für Klimaschutz, stellt sich offen gegen einen umstrittenen Ex-Präsidenten, unterstützt die MeToo-Bewegung und ist sichtbar bei Black Lives Matter involviert. Damit macht er sich nicht nur Freunde, das weißt du so gut wie ich. Ich habe wirklich Sorge, ihm könnte etwas zugestoßen sein.«
»Zugestoßen? Was soll ihm denn zugestoßen sein. Höchstens, dass er sich mit so einem jungen Ding im Bett übernommen hat. Oder dass er mit zu vielen davon auf einmal in die Kiste gehüpft ist.«
Jesmyn kannte seinen Hang zu anzüglichen Formulierungen und vermutete, dass er diesen Teil seinem erfolgreichen Bestsellerautor, der Cash Cow des Verlags, neidete. Denn Frank Turner war nicht nur erfolgreich, sondern sah auch wesentlich besser aus als Bruce Chandler, der seit vielen Jahren eine vollkommen unglamouröse Ehe führte.
»Sollen wir nicht die Polizei informieren?«
»Was willst du?«, Bruce war sichtlich überrascht über den Vorschlag. »Nein, auf gar keinen Fall, das führt zu weit. Kannst du dir die Schlagzeilen vorstellen. Vor allem dann, wenn er wirklich mit einem Groupie abgetaucht ist? Nein, das brauchen wir nicht als Publicity. Ich bin mir sicher, das klärt sich von selbst. Er wird schon wiederauftauchen. Bleib einfach dran.«
Damit war das Gespräch für ihn beendet, denn er wandte sich ohne ein weiteres Wort wieder seiner Lektüre zu.
Jesmyn stand noch einige Sekunden ratlos herum. Dann machte sie kehrt und stürmte in ihr Büro zurück, wo sie laut fluchend das Manuskript eines noch unbekannten Autors vom Tisch fegte. Kurz darauf beschloss sie, Bruce Chandlers Wunsch zu ignorieren. Sie würde es sich nie verzeihen können, wenn Frank Turner in eine ausweglose Situation oder gar in Gefahr geraten war und sie nicht alles versucht hätte, ihm zu helfen. Und bei der derzeit aufgeheizten Stimmung im Land wusste man nie, was passierte, wenn man Position bezog.
»Gentlemen«, sagte Mr. High, »wir wurden gebeten, jemanden ausfindig zu machen. Wir müssen zum jetzigen Zeitpunkt von einem Verbrechen ausgehen.«
Das gesamte Team hatte sich versammelt. Kaffeebecher dampften, die Gesichter waren in gespannter Erwartung unserem Chef zugewandt. Die schlanke Gestalt warf einen harten Schatten auf die Leinwand hinter ihm. Dort vergrößerte sich wie von Geisterhand ein Bild, das Phil und mich ins Staunen brachte.
»Ist das nicht der Typ auf dem Bild in der Buchhandlung«, flüsterte er mir zu.
Ich nickte.
»Na, zum Glück hast du keine Karten gekauft. Das Geld war in der vorzüglichen Pasta gestern deutlich besser angelegt.«
Ich verdrehte gespielt die Augen und raunte meinem Freund nur ein theatralisches »Kulturbanause« zu.
Mr. High stand am Kopf des Besprechungstischs, die feingliedrigen Hände vor dem Körper gefaltet, das silbergraue Haar wie immer kurz. Sein schmales, markantes Gesicht wurde vom Schein des Projektors erhellt. Er kniff kurz die Augen zusammen, ehe er zur Seite trat.
»Frank Turner, international erfolgreicher und bekannter Bestsellerautor, ist seit Tagen verschwunden. Ende der Woche steht die Weltpremiere seines nächsten Buchs an. Der Verlag macht sich zunehmend Sorgen, da es schon länger kein Lebenszeichen von ihm gibt. Deshalb hat sich die Lektorin an die Behörden gewandt. Sie befürchtet, es könnte ein Verbrechen vorliegen.«
»Und warum glaubt sie das?« Der Einwurf kam von Joe Brandenburg. Mir war sofort klar, dass dahinter eine andere Frage steckte: Was hatte das FBI damit zu tun? Als ehemaliger Captain des New York Police Department sah er die Zuständigkeit eher bei seinen früheren Kollegen.