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Nächtliche Schießereien waren in New York leider keine Seltenheit. Aber als in Queens eine Frau angeschossen wurde, sorgte das für Alarm beim FBI. Die Kugel, mit der sie getroffen wurde, stammte aus einer Waffe, die im Gangland schon einmal eingesetzt worden war. Und wer war die Unbekannte, die keine Papiere und nichts Persönliches bei sich hatte? Fragen konnten wir sie nicht, da sie im Krankenhaus im Koma lag. Schon bald durchschauten wir, dass sie in einen mörderischen Plan verwickelt war, den Phil und ich unbedingt verhindern mussten. Und plötzlich war die Schwerverletzte verschwunden ...
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Killerfalle
Vorschau
Impressum
Killerfalle
Sergeant Marc Bower riss das Steuer herum und bog links ab. Sheila Harris, seine Dienstpartnerin, wurde gegen die Beifahrertür gedrückt.
»Was soll das?«, rief sie. »Nur weil ich neu im Revier bin, brauchst du mich nicht mit deinen Fahrkünsten zu beeindrucken.«
Bower grinste. »Ich wollte dir nur mal zeigen, was in so einer Karre vom NYPD steckt.«
Idiot, dachte Sheila. Sie waren in einer ruhigen Gegend in Queens unterwegs, und es war Nacht. Kein Grund, irgendwelche Eskapaden zu veranstalten. Im nächsten Moment riss die Fliehkraft Sheila nach vorne. Bower hatte eine Vollbremsung hingelegt.
»Verdammt!«, schrie er.
Dann ertönte ein Schuss.
Die Booth Memorial Avenue in Queens war eine Alleestraße. Links zog sich das Dunkel einer Grünanlage hin, rechts reihten sich Einfamilienhäuser aneinander. Das einzige Licht kam von vereinzelten Straßenlampen.
In zwanzig, dreißig Yards Entfernung bewegten sich Schatten über die Straße. Mehrere Personen. Sie rannten davon.
»Warum hast du gebremst?«, rief Sheila.
»Ich dachte, mir wäre jemand vor das Auto gelaufen«, sagte Bower. »Aber ich sehe nichts.«
Sie öffnete die Tür.
»Wo willst du hin?«, fragte er.
»Nachschauen, was sonst?«, sagte Sheila.
Sie hatte schon ihre Taschenlampe hervorgezogen und leuchtete die Umgebung ab. Bower, der im Wagen sitzen blieb, ließ die Seitenscheibe herunterfahren.
»Nichts zu sehen«, sagte sie und leuchtete auf die begrünte andere Seite der Straße. »Ich gehe mal rüber und schaue nach, ob da jemand ist.«
»Ich komme mit«, sagte Bower.
»Du verfolgst die Personen, die da hinten abgehauen sind«, bestimmte sie.
Offenbar zeigte ihr Ton Wirkung, denn Bower, der schon die Fahrertür geöffnet hatte, nickte und machte sie wieder zu. Na also, dachte Sheila. Geht doch. Man musste mit den Typen einfach nur klar reden. Vor allem, wenn man das bessere Argument hatte.
»Wenn was ist, funk mich an«, sagte sie und deutete auf ihr Funkgerät, falls Bower sie durch die geschlossene Tür nicht verstand.
Der weiß-blaue Wagen brauste weiter. Sheila lief auf die andere Seite hinüber.
Der Schuss war nah gewesen. Viel näher als die Leute, die weiter hinten zu Fuß geflüchtet waren. Hatten sie überhaupt etwas damit zu tun? Das musste Bower herausfinden. Falls sie nicht schon über alle Berge waren ...
Sie erreichte die andere Seite. Bäume und Büsche standen wie eine Wand vor ihr.
Sheila leuchtete die Front der Äste und Blätter ab. Wenn jemand verletzt hier hereingelaufen und dann zusammengebrochen war, konnte er überall sein. Immer wieder gab es kleine Zwischenräume, die wie kleine Pfade in den Grünbereich führten. Sheila war neu im 109. Revier, das für diese Gegend zuständig war, aber sie kannte sich aus. Daher wusste sie, dass es hier einen etwa vierzig Yards breiten Waldstreifen gab, hinter dem sich der Kissena Park mit Sportanlagen befand. Ein Stück weiter lag ein großer Golfplatz.
Etwas raschelte. Es war so laut und kam so plötzlich, dass sie zusammenzuckte. Sie hob die Lampe an und zog mit der anderen Hand ihre Waffe. Wieder raschelte es, dazu erklangen Schritte auf weichem Untergrund.
»Hallo, wer ist da?«, rief Sheila. »NYPD. Ich habe Sie im Visier.« Das war gelogen, aber sie hoffte, dass es Eindruck machte. »Brauchen Sie Hilfe?«
Wieder Schritte. Sheila erschien es, als bewegten sich ein Stück weit vor ihr Äste. Sie war jetzt schon ein gutes Stück in den Wald eingedrungen. Als plötzlich Stille eintrat, verharrte sie ebenfalls reglos.
»Hallo?«, rief sie wieder.
Einen Sekundenbruchteil später schoss etwas auf sie zu und traf sie so schwer, dass sie zu Fall kam. Der Schein der Lampe verirrte sich irgendwo auf dem Boden. Sie kriegte nur mit, dass jemand an ihr vorbeilief. Im nächsten Moment hörte sie den Schrei einer Frau, dann wieder einen Schuss.
Für einen Moment dachte sie, man hätte auf sie geschossen, und wunderte sich geradezu, dass sie keine Verletzung spürte. So schnell sie konnte, sprang sie auf. Die Schritte waren immer noch zu hören, sie entfernten sich.
Sheila hob die Lampe auf. Als sie die nähere Umgebung ableuchtete, sah sie, dass sich jemand einen Weg durch das Unterholz gebahnt haben musste.
Schon nach drei Schritten traf der Strahl der Lampe eine menschliche Gestalt, die am Boden lag. Es war eine Frau, die aus einer Wunde blutete. Sie hatte die Augen aufgerissen und sah Sheila an. Sie beugte sich über die Frau.
Sheila reagierte, wie sie es in der Ausbildung gelernt hatte. Sie fühlte der Verletzten am Hals den Puls. Gleichzeitig setzte sie über Funk einen Notruf ab.
Eine gute halbe Stunde später hatte sich die ruhige Vorstadtgegend verwandelt. Mehrere Streifenwagen warfen ihre Lichter gegen die Hauswände. Ein Team von Forensikern hatte Lampen auf Stativen aufgebaut, deren grelles Licht auf das Waldstück gerichtet war.
In den Fenstern der Häuser war ebenfalls Licht angegangen. Viele Anwohner beobachteten, was da vor ihrer Haustür vor sich ging. Manche waren in Morgenmänteln herausgekommen. Links und rechts des Tatorts hatten die Beamten die Booth Memorial Avenue gesperrt. Einige der Anwohner beschwerten sich und fragten, wie sie in wenigen Stunden, wenn sie zur Arbeit mussten, mit ihren Autos wegfahren sollten.
Sheila stand mit Bower abseits des Trubels und sah dem Notarzt nach, der die verletzte Frau ins Queens Hospital Center bringen würde.
Bis die Sanitäter gekommen waren, war Sheila bei ihr geblieben. Sie wusste, dass es gut war, auf Verletzte ruhig einzureden. Sie hatte sie nach ihrem Namen gefragt. Obwohl sie sich sicher war, dass die Frau sie verstand, hatte sie geschwiegen. Dann war Bower gekommen. Er hatte die flüchtenden Personen nicht erwischt. Auch diejenige nicht, die offenbar auf die Frau geschossen hatte.
Minuten später hielt ein weiterer Wagen des NYPD an der Absperrung. Ein Mann in Zivil stieg aus und sprach mit einem anderen, der dorthin wies, wo Sheila und Bower standen. Er hielt mit langen Schritten auf sie zu.
»Officer Harris? Sergeant Bower? Ich bin Lieutenant Miller von der Detective Divison. Ich habe ein paar Fragen.«
Sheila war klar gewesen, dass jemand von dieser Abteilung auftauchen würde, da es um ein Gewaltverbrechen ging. Miller zog einen Block und einen Stift aus der Tasche und stellte routinemäßig seine Fragen.
»Hat sie ihren Namen gesagt?«, fragte er Sheila.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe danach gefragt, aber sie hat geschwiegen.«
»Hat man keine Papiere bei ihr gefunden?«, fragte Bower.
»Nein«, sagte Miller. »Wir wissen nicht, um wen es sich handelt. Die Frau ist so schwer verletzt, dass sie nicht bei Bewusstsein ist. Man hat mir gesagt, dass es ein paar Tage dauern könne, bis wir sie befragen können. Und da Sie niemanden von den anderen Personen beschreiben können, haben wir auch sonst leider recht wenig.«
»Tut uns sehr leid, dass wir so wenig beitragen können«, meinte Sheila.
Miller sah auf, als sich jemand in weißer Schutzkleidung näherte. Es war einer der Experten vom Team der Spurensicherung. Er hielt einen Klarsichtbeutel in der Hand. Darin war eine Patronenhülse zu erkennen.
»Das dürfte eine Spur des ersten Schusses sein«, sagte er. »Die Hülse lag auf der Straße, nicht da hinten zwischen den Bäumen. Dort suchen wir noch nach der zweiten.«
Miller nahm den Beutel und besah sich das kleine Metallstück. »Hoffen wir, dass wir damit was anfangen können. Schicken Sie das sofort ins Labor. Ich will wissen, was das für eine Waffe war, mit der geschossen wurde. Und das bitte schnell.«
Es war kurz nach fünf, als mein Handy mich weckte. Es war nicht die Klingelfunktion, die meinen Schlaf unterbrochen hatte, sondern ein Anruf. Ich hob den Kopf und sah auf dem Display, dass es Mr. High war, der mich sprechen wollte.
»Guten Morgen, Sir«, meldete ich mich.
Unser Chef, der Assistant Special Agent in Charge, wirkte niemals müde, egal zu welcher Zeit man mit ihm sprach. Und es war mir wieder einmal ein Rätsel, warum er zu so früher Zeit schon im Büro war. Dass er sich dort aufhielt, erkannte ich an der Festnetznummer, über die er mich erreicht hatte.
»Guten Morgen, Jerry«, sagte er. »Ich weiß, Sie wären in einer knappen Stunde sowieso aufgestanden, aber wir haben hier einen aktuellen Fall in Queens, bei dem die Zeit eine wichtige Rolle spielt. Bitte kommen Sie so schnell wie möglich ins Field Office. Phil habe ich bereits informiert. Er wird in einer Viertelstunde an Ihrem Treffpunkt sein. Weiteres dann in meinem Büro.«
Ich beeilte mich und schaffte es, sogar eine Minute vor der angegebenen Zeit die Straßenecke zu erreichen, an der ich Phil üblicherweise abholte.
»Ich frage mich, was so wichtig ist, dass uns Mister High nicht mal die letzte Stunde Schlaf gönnt«, sagte er.
»Geh doch mal die Meldungen der Nacht durch«, schlug ich vor, nachdem ich meinen Partner begrüßt hatte.
Phil nahm das Tablet, das zur Ausrüstung meines Jaguar gehörte. Darin würde er alle aktuellen Informationen finden.
Ich schaltete das Warnlicht ein, verzichtete jedoch aus Rücksicht gegenüber den schlafenden New Yorkern auf die Sirene und gab Gas. Natürlich konnte ich die 380 PS meines Sportwagens nicht ganz ausfahren. Nur an der schnurgeraden Westseite des Central Park hatte ich Gelegenheit, einmal so richtig aufzudrehen.
Währenddessen wischte Phil auf dem Tablet herum. »Die Nacht war für New Yorker Verhältnisse ziemlich ruhig. Wenn ich die üblichen Sachen wegen Ruhestörung, Drogen und kleineren Schlägereien weglasse, bleiben nur drei Sachen übrig, die infrage kommen.«
»Mister High meinte, es gehe um irgendwas in Queens«, fiel mir plötzlich ein, nachdem ich den Columbus Circle umrundet hatte.
»Dann ist es nur noch eine«, gab Phil zurück. »Eine Schießerei in East Flushing, am Kissena Park. Eine Frau wurde verletzt.«
In Lower Manhattan wurde der Verkehr dichter, dann verstopfte auch noch ein Konvoi der Müllabfuhr die Straße. Gegen deren breite Transporter konnte ich auch mit meinem Warnlicht nichts ausrichten, und so übten wir uns in Geduld.
Endlich erreichte ich die Tiefgarage des Jacob K. Javits Federal Building an der Federal Plaza, in dessen dreiundzwanzigsten Stockwerk unsere Büros lagen.
Mr. High erwartete uns schon. Der Grund des frühen Anrufs war tatsächlich die Schießerei am Kissena Park. Um so besser, dass wir uns unterwegs bereits informiert hatten. Wir wussten daher, dass eine zufällig vorbeikommende Streife vom 109. Revier bei der Tat anwesend gewesen war und eine Polizistin der Streifenwagenbesatzung die verletzte Frau gefunden hatte.
»Bis zu dem Moment, in dem Detective Lieutenant Miller auftauchte, war das noch ein Fall fürs NYPD«, sagte der Chef. »Das änderte sich, als die Spezialisten vom Crime Lab die erste Patronenhülse fanden. Es gab insgesamt zwei Schüsse auf die Frau. Einer wurde auf der Booth Memorial Avenue abgegeben. Der andere in einem Grünstreifen mit Bäumen und Büschen, der den Park begrenzt. Dort wurde die Frau gefunden. Die zweite Hülse ist mittlerweile auch aufgetaucht. Die Leute vom Lab sind sich sicher, dass mit der verwendeten Waffe schon einmal im Gangland geschossen wurde.«
Phil wollte etwas sagen, Mr. High stoppte ihn mit einer Handbewegung.
»Ich weiß, dass das unter Umständen nichts heißt«, sagte er in seiner ruhigen Art. »Es kann durchaus sein, dass die Waffe in die Hände von irgendwelchen Gangstern abseits der organisierten Kriminalität geriet und sie dort in der Nacht einen Überfall begangen haben. Aber die Tatsache, dass die Identität der Frau unklar ist, dass sie keine Papiere dabei hatte, zeigt, dass da irgendwas nicht stimmt.«
»Sie glauben, die Frau hatte etwas mit den Unbekannten zu tun, die auf sie geschossen haben, Sir?«, fragte ich. »Dass es sich um einen Kampf zwischen rivalisierenden Familien gehandelt hat?«
»Den Verdacht könnte man haben«, meinte Mr. High. »Daher mein Auftrag: Finden Sie es heraus. Wer ist die Frau? Wer war hinter ihr her? Wenn es um Kämpfe innerhalb der organisierten Kriminalität ging, müssen wir das wissen.«
»Wenn Sie aufwacht, kann Sie es uns hoffentlich selbst sagen«, meinte Phil. »Wird sie durchkommen?«
»Den aktuellen Informationen zufolge schon«, sagte der Chef. »Ich habe angeordnet, dass man uns benachrichtigt, wenn sie aufwacht. Aber auch was das betrifft, sollten Sie sich selbst auf den neuesten Stand bringen. Sie liegt im Queens Hospital Center. Die beiden Beamten, die im beteiligten Streifenwagen saßen, sind noch im Dienst. Ich habe Ihnen ihre Namen und Dienstnummern gemailt. Vielleicht ist ihnen ja noch ein Detail aufgefallen, das sie Miller noch nicht verraten haben.«
Während wir wenig später über den East River fuhren, ging die Sonne auf. Es war jedoch kein besonders malerischer grandioser Tagesanbruch, dem wir uns Richtung Osten entgegenbewegten, denn der Himmel blieb trist und war genau so grau wie die einzelnen Betonblöcke, aus denen das Queens Hospital Center bestand. Der einzige Lichtblick war ein Steinmosaik im Eingangsbereich zwischen der Gebäudemauer und dem Grenzzaun, der den aus blauen Steinen geformten Schriftzug Healthy Queens formte.
Ich fragte am Empfang in der Eingangshalle nach der Station, auf der sich die unbekannte Frau befand, und zeigte zur Unterstützung meine Dienstmarke. Außerdem wollte ich wissen, wie der Arzt hieß, an den wir uns wenden könnten. Sein Name war Dr. Blacksmith.
Kaum hatte ich die Informationen erhalten, fand ich meinen Partner, der gerade den Kaffeeautomaten im Wartebereich musterte. Er machte Anstalten, nach Kleingeld zu suchen.
»Tu es nicht, alter Junge«, warnte ich ihn. »Im Büro gibt's später viel besseren, außerdem haben wir jetzt erst mal zu tun.«
»Dabei wäre ein Kaffee jetzt genau das Richtige.« Phil seufzte, folgte mir dann jedoch zum Aufzug.
Auf der Station bat ich eine Schwester, den Doktor zu holen. Sie sagte, es könne eine Weile dauern, bis wir mit ihm sprechen könnten.
»Ich stelle fest, die Zeit für den Kaffee wäre vorhanden gewesen«, meinte Phil. »Ich kann ja mal schauen, ob es hier oben auch einen Automaten gibt ...«
Da erschien der Arzt und bereitete Phils Plan ein Ende. Dr. Blacksmith war ein schlanker Schwarzer von über sechseinhalb Fuß Größe. Er hielt ein Klemmbrett mit Unterlagen in der Hand und schien es ziemlich eilig zu haben.
»Ich habe Ihrem Chef schon gesagt, dass wir uns sofort melden, wenn die Frau zu sich kommt«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, wenn Sie selbst herkommen.«
»Wir müssen wissen, wie lange das dauern wird«, sagte ich.
»Es dauert so lange, wie es dauert«, gab er entschieden zurück. »Okay, ich erkläre es Ihnen, wenn Sie mich dann arbeiten lassen.« Er steckte das Klemmbrett unter den Arm. »Die Frau hat eine Menge Blut verloren, was sie sehr geschwächt hat. Sie ist nicht lebensgefährlich verletzt, ist aber mindestens bis heute Nachmittag nicht bei Bewusstsein, weil wir ihr zur Entlastung ihres Körpers einen Schlafmittel gegeben haben. Die Betonung liegt auf mindestens.«
»Können wir zu ihr?«, fragte ich.
»Wozu?«, fragte der Arzt.
»Vielleicht gibt es irgendeinen Hinweis auf etwas, das ihre Identität klären könnte. Ein Tattoo, eine bestimmte körperliche Auffälligkeit, Schmuck ...«
»Also gut, wenn es sein muss«, sagte er. »Aber nur kurz. Und ich kann Ihnen schon mal versichern, dass sie keinen Schmuck trug. Ein Tattoo hat sie auch nicht. Ihre Kleidung war unauffällig und dem Wetter angemessen. Schwarze Jeans, Sneaker, Pullover, Jacke.«
Während wir ihm über den Gang folgten, beschrieb er uns die Frau, deren Aussehen wir schon von der NYPD-Meldung kannten. Sie war um die dreißig Jahre alt und besaß schulterlanges blondes Haar.
»Wie gesagt, nur kurz«, wiederholte Dr. Blacksmith und öffnete eine Tür. »Ihre Kleidung befindet sich in dem Schrank.«
Die Frau lag mit geschlossenen Augen in ihrem Krankenbett. Ein durchsichtiger Infusionsschlauch kam von einer hängenden Flasche und verschwand unter einem Verband an ihrer Hand. Ihr Kopf war nicht bedeckt. Wir konnten das blonde Haar sehen, von dem die Rede gewesen war. Im Raum war es still. Nur das gleichmäßige Atmen der Schlafenden war zu hören.
Ich spürte, dass es Phil ebenso unangenehm war wie mir, doch wir mussten ihre Kleidung durchsuchen. Wie der Arzt gesagt hatte, fanden wir sie im Schrank. Es dauerte nicht lange. Die Sachen waren tatsächlich unauffällig und deuteten nicht auf eine bestimmte Herkunft hin. Wir wussten ja nicht einmal, ob die Frau Amerikanerin war.
»Seltsam«, meinte Phil, als wir wieder draußen auf dem Gang standen, »kommt es dir nicht auch so vor, als wäre die Frau absichtlich anonym unterwegs gewesen? Kein Geld, kein Tasche, kein Führerschein. Hat sie das alles verloren? Oder hat man ihr das abgenommen?«
»Sie hatte nicht einmal ein Handy dabei«, spann ich den Faden weiter. »Das könnte sie verloren haben. Hätten dann die Leute vom Lab es nicht gefunden?«
»Wir wissen nicht, wo sie genau herkam«, wandte Phil ein. »Die Stelle am Kissena Park war vielleicht das Ende einer längeren Verfolgungsjagd. Es wäre sicher gut zu wissen, wo sie begonnen hat.«
Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Phil hatte recht. Wir mussten mehr darüber herausfinden, was dort in Flushing passiert war. Viel mehr.
Während ich mit der Leitung des 109. Reviers telefonierte und ein Treffen mit den Beamten Sheila Harris und Marc Bower vereinbarte, hatte Phil Zeit, sich unten im Krankenhaus am Automaten einen Kaffee zu ziehen.
Mein Partner verzog das Gesicht, als er den ersten Schluck aus dem Pappbecher genommen hatte. »Ich hoffe, das Zeug verätzt mir nicht den Magen.«
»Falls das passiert, hast du Glück, dass wir im Hospital sind«, sagte ich grinsend. »Ich habe dich gewarnt, aber du wolltest ja nicht hören. Jetzt komm. Wenn du aufpasst, dass nichts überschwappt, darfst du den Rest dieser als Getränk getarnten Säure in meinem Jaguar genießen.«
Mein fahrbarer Untersatz besaß Sportsitze in Leder mit Sitzflächen in Premiumvelours. Da war eine solche Warnung schon angebracht.