1,99 €
Im Bronx Park wurde eine Frau bestialisch ermordet. Sie wies Bisswunden auf, die von einem Menschen stammten. War sie Opfer einer ausschweifenden Orgie geworden, die aus dem Ruder gelaufen war? Wichtigster Zeuge des Mordes war ein Obdachloser, der von schaurigen Geräuschen und Schatten in der Nacht berichtete. Der Fall erregte großes Aufsehen. Phil und ich übernahmen die Ermittlungen. Dabei begleitete uns ein Praktikant, der zwar über ausgezeichnete Zeugnisse verfügte, jedoch zu viel redete, reichlich chaotisch war und früher mit Drogen experimentiert hatte. Als wir die Identität der Toten geklärt hatten, überschlugen sich die Ereignisse ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Die Wölfe der Bronx
Vorschau
Impressum
Die Wölfe der Bronx
Groß, so groß. Rund. Zum Verrücktwerden rund. Und hell. Blendend. Zum Anheulen rund und hell. Anheulen, ja, anheulen! Wild, so wild, dieser Vollmond. Groß, rund, wild und blutig.
Der Geschmack von Eisen und Rost auf deiner Zunge. Von Blut, ja, von Blut. Zum Verrücktwerden blutig. Wahnsinnig rund und blutig.
Du kannst nicht anders. Du musst es tun. Anheulen. Zupacken. Ein Stück herausreißen. Und noch eines.
Heiß. Zum Verrücktwerden heiß. Es ist gut. Es ist alles richtig. Dunkles Blut. Es ist richtig. Erlösung, endlich Erlösung.
Mit dem ersten vagen Hauch des Sonnenaufgangs erhob er sich. Seine Glieder schmerzten, der Kopf dröhnte. Ein merkwürdiger Gesang lag in der Luft, und er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass es die Zwergdrosseln waren, die den jungen Tag begrüßten. Er hatte einen komischen Geschmack im Mund und ein flaues Gefühl im Magen.
Verfluchter Absinth! Er vertrug ihn nicht und hätte besser die Finger davon lassen sollen. Überhaupt vom Alkohol. Er gehörte nicht zu denen, die sich Nacht für Nacht betranken, um ihr Schicksal ertragen zu können. Er war kein Alkoholiker. Und was hieß schon Schicksal! Jeder war seines Glückes Schmied, erst recht in einem Land wie diesem. In einer Stadt wie New York.
Sein Glück bestand darin, auf einer Bank im Bronx Park aufzuwachen und den frühen Vögeln zu lauschen. Im Spätsommer war die Luft herrlich warm, der Gesang besonders lieblich. Er hätte es schlechter treffen können. Jeden Tag ins Büro trotten müssen, zum Beispiel. Holy shit!
Devilfish spuckte den ranzigen Geschmack in Form eines beachtlichen Schleimbollens auf den Boden und wuchtete seine zweihundertfünfzig Pfund von der Parkbank, die ein Geräusch wie ein erleichtertes Aufatmen von sich gab.
Die leere Absinthflasche lag auf dem Boden. Er hatte sie in einem Mülleimer gefunden, noch halb voll. Ein Geschenk der Götter, das man nicht verschmähen durfte. Sonst bekam man keines mehr. Die einsame Party hatte durchaus ihren Reiz gehabt, auch wenn er sich nicht mehr so recht an sie erinnern konnte. Absinth hatte eine solche Wirkung.
Er wusste nur noch, dass der Mond voll und rund gewesen war, wie eine wohlgeformte Frauenbrust.
Ach, Frauenbrüste. Die bekam man als Obdachloser selten zu Gesicht und noch seltener in die Hände. Alles hatte eben seinen Preis, sogar die Freiheit.
Ein paar eilige Schritte von links rissen ihn aus den Gedanken. Ein Mann eilte an seiner Bank vorbei, dabei fiel ihm etwas aus der Tasche. Erst als der Fremde außer Rufweite war, sah Devilfish, dass es ein Smartphone war.
Er seufzte und hob es auf. Damit konnte er wenig anfangen. Hätte der Kerl nicht ein paar Dollars verlieren können? Und wie der an ihm vorbeigeschaut hatte. Die meisten Menschen fürchteten sich vor ihm, vor allem Frauen und Kinder. Nur weil er groß war, eine nachtschwarze Haut hatte und filzige Locken. Dabei war er so sanft wie ein Reh. Das glaubte er zumindest. Ganz sicher konnte man sich da freilich nie sein, denn wer wagte schon zu behaupten, sich selbst hundertprozentig zu kennen?
Der ungute Geschmack im Mund wollte nicht verschwinden, auch der Magen meldete Bedürfnisse an. Genau genommen wollte er etwas loswerden.
Devilfish war prinzipiell ein reinlicher Obdachloser trotz der filzigen Haare. Er besaß sogar Kleidung zum Wechseln. Es kam ihm nicht in den Sinn, sich direkt neben seiner Schlafbank zu übergeben. Man kotzte nicht ins eigene Wohnzimmer.
Es gab ein Gebüsch im Park, das er häufig als Toilette nutzte. Dorthin würde er es noch schaffen.
Es war noch immer dämmrig, Devilfish schätzte es, wach und gewaschen zu sein, wenn die ersten Menschen mit festem Wohnsitz den Park betraten.
Ein Schuh ragte aus seinem Gebüsch.
Mist! Da hatte offenbar ein Genosse seine Toilette als Nachtlager gewählt. Unangenehm für beide Beteiligten. Besser, er weckte den Kerl, damit er sich einen anderen Schlafplatz suchen konnte.
»Hey, Kumpel! Du pennst in meinem Scheißhaus!«, sagte er laut. Seine Stimme klang belegt. Er wusste, dass er sich nicht sonderlich gewählt ausdrückte. Er konnte das eigentlich besser, aber so funktionierte nun mal die Sprache der Straße.
Der Kerl regte sich nicht.
»Aufwachen, Bruder! Sonst bekommst du eine Ladung ab, ich kann es nicht mehr lange halten.«
Devilfish trat dem Schlafenden gegen den Schuh.
Der bewegte sich nicht, kippte nicht mal zur Seite.
Merkwürdig.
Devilfish zerteilte das Gebüsch mit den Händen. Dann kotzte er.
Der Kerl, der hier lag, war mausetot. Nicht dass ihn das sonderlich schockiert hätte. Auf der Straße starben die Leute nun mal. Und da er den Mann nicht kannte, hielt sich sein Mitleid in Grenzen. Doch der Typ war sicherlich nicht an Herzversagen oder an einer Alkoholvergiftung gestorben. Nee, den hatte jemand auf dem Gewissen.
Mord. Auch das kam auf der Straße gelegentlich vor, wenn auch nicht unbedingt in seinem Park. Und wer immer den Kerl abgemurkst hatte, war nicht sonderlich zimperlich gewesen. Blut. Vor allem auf dem Gesicht. Unschöne Wunden, verdammt unappetitlich das Ganze. Er konnte ihn nicht einfach so liegen lassen.
Das Smartphone fiel ihm wieder ein. War das etwa auch ein Geschenk der Götter gewesen? Zumindest ein Zeichen, so viel stand fest. Mit zitternden Fingern zog Devilfish es aus der Tasche und wählte die 911. Kurz und knapp meldete er seinen Fund, dann verließ er den Park, warf den Apparat auf den Boden, trampelte darauf herum und entsorgte die Reste in einem Mülleimer in der Barker Ave.
Er hatte keine Lust, sich vernehmen zu lassen. Am Ende brachten sie ihn noch mit diesem Mist in Verbindung. Nee, nicht mit ihm!
Devilfish machte sich lieber erst mal vom Acker.
Detective Carol Hopkins vom NYPD zog sich weiße Plastikfüßlinge über die Schuhe, bevor sie sich dem Tatort näherte. Die Maßnahme ergab nicht allzu viel Sinn. Das war ein öffentlicher Park, und das Gebüsch sah so aus, als würde es häufiger benutzt.
»Verdammt, was ist denn mit dem passiert?«, entfuhr es ihr, als sie die Leiche in Augenschein nahm. Sie war gewöhnlich hart im Nehmen, aber der Anblick des Toten ließ sie frösteln. Dort wo vor nicht allzu langer Zeit das Gesicht des Mannes gewesen war, klafften große Wunden. Das Fleisch hing in Fetzen und überall war eingetrocknetes Blut.
Einer der Männer von der Spurensicherung zuckte mit den Schultern.
»Tierfraß«, mutmaßte er. »Könnte da etwas aus dem Zoo nebenan ausgebrochen sein?«
»Das wüssten wir«, wehrte Detective Hopkins ab.
»Oder ein Kampfhund? Wenn die sich erst mal so richtig verbissen haben ...« Er ließ den Satz unvollendet.
Carol Hopkins war noch nicht überzeugt. »Und Herrchen oder Frauchen hat nichts bemerkt?«
Sie warf einen weiteren prüfenden Blick auf den toten Mann. Die Bisswunden waren hässlich, nach einem Hund sahen sie eigentlich nicht aus. Schon eher ... Aber das war absurd.
Sie schob den Gedanken beiseite und verwünschte ihre blühende Fantasie. Du liest zu viele Horrorgeschichten, schalt sie sich und konzentrierte sich auf den Rest der Leiche.
Die Kleidung war unauffällig. Jeans von der Stange, ein rotes Shirt, Massenware. Dunkle Haare, blutverklebt. Turnschuhe, die schon bessere Tage erlebt hatten. Kein Gepäck, zumindest nicht in der nächsten Umgebung.
»Habt ihr schon seine Hosentaschen untersucht?«, erkundigte sie sich bei den Männern der Spurensicherung. Sie hielt sich am Rand des Tatorts auf, um niemandem in die Quere zu kommen. Es war das erste Mal, dass sie als leitender Detective zum Tatort eines Mordes abkommandiert worden war. Ihre weitere Karriere konnte davon abhängen, ob sie sich hier bewährte.
»Haben wir.« Einer der Männer nickte. »Wird Ihnen allerdings nicht gefallen, schätze ich.« Er deutete auf eine einzelne durchsichtige Plastiktüte. »Das ist alles. Keine Papiere, kein Portemonnaie. Nicht mal ein Taschentuch. Nur fünfzig Dollar und das da.«
In der Tüte befanden sich ein paar unscheinbare weiße Brocken.
»Crystal Meth?«, forschte Carol Hopkins nach.
»Oder irgendein anderes Teufelszeug. Das Labor wird es feststellen.«
»Also ein Süchtiger. Oder ein Dealer«, stellte Carol Hopkins fest.
»Oder beides.« Der Mann von der Spurensicherung machte sich wieder an die Arbeit. Er beugte sich über eine braune Lache, von der ein unangenehmer und eindeutiger Geruch ausging. Stoisch schaufelte er das Zeug mit seiner Spezialausrüstung in eine weitere Tüte.
»Stammt das vom Opfer?«, fragte Detective Hopkins und hätte sich im selben Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. Was für eine dämliche Bemerkung!
»Das sieht man Erbrochenem leider nicht an, Detective«, erwiderte denn auch einer der Männer mit einem hochmütigen Grinsen. Dann wurde er wieder ernst. »Ich schätze, das war eher der Kerl, der die Leiche gefunden und die Polizei alarmiert hat.«
Carol Hopkins nickte. Es würde eine ihrer ersten Aufgaben sein, den Typen zu finden. Hoffentlich gab die DNA etwas her, sonst war es fast unmöglich, ihn aufzuspüren.
Sie wandte sich an den Arzt, der gerade aufbrechen wollte. Die Leiche musste so schnell wie möglich in die Gerichtsmedizin gebracht werden. In Kürze würde es im Park vor Schaulustigen wimmeln.
»Ich weiß, dass Sie mir noch keine genauen Angaben machen können, Doc«, sagte sie. »Aber ...«
»Noch ziemlich frisch. Die Leichenstarre setzt gerade erst ein. Da es eine warme Nacht war, würde ich sagen, zwischen Mitternacht und ein Uhr. Und nein, die Todesursache waren nicht die Bisse. Der Kerl wurde niedergeschlagen und dann mit einem Messer bearbeitet. Mindestens acht Stiche, die meisten davon ziemlich präzise in Herz und Lunge. Da wusste jemand, was er tut.«
»Danke, Doc.« Das war mehr, als sie erhofft hatte.
Der Mediziner zögerte, bevor er sich entfernte. »Ein Kampfhund ist nicht auszuschließen, Detective. Auf den ersten Blick würde ich sagen ... Nein, das klingt doch ein bisschen weit hergeholt. Na, wir werden sehen. Vermutlich geht die Fantasie mit mir durch.«
Er schüttelte den Kopf und verabschiedete sich.
Detective Hopkins blieb nachdenklich zurück. Offensichtlich hegte der Gerichtsmediziner den gleichen ungeheuerlichen Verdacht wie sie.
Unsinn, schalt sie sich. Es wird sich als ganz einfacher Fall entpuppen. Ein Streit zwischen Drogendealern eskaliert, einer rastet aus. Sobald wir die Identität des Opfers haben, sehen wir klarer.
Oder ... Wenn sich ihre bösen Vorahnungen und die des Docs bewahrheiten sollten, konnte es ein unangenehmer Fall werden. Ein verdammt unangenehmer!
Ich starrte missmutig auf den Aktenberg, der sich vor mir auftürmte. Spuren abarbeiten nennt man das, was in den nächsten Tagen und Wochen auf meinen Partner und mich wartete. Wir waren den Drogengeschäften einer Lady namens Marge Gallo auf der Spur. Sie hatte ihre zarten Hände und die teuer manikürten Finger in so manchem schmutzigen Business, das wussten wir. Ihre weitläufige Verwandtschaft und Verschwägerung mit einem einflussreichen Mafiaclan erschwerte es enorm, ihr etwas nachzuweisen. Bei einer Razzia in einem ihrer Nobelklubs hatten wir eine beachtliche Menge Kokain sichergestellt. Natürlich ließ Marge Gallo durch ihren Anwalt erklären, nichts, aber auch gar nichts von diesen bedauerlichen Vorgängen in ihrem Etablissement zu wissen.
Unsere Aufgabe bestand darin, unzählige Alibis zu überprüfen, Zeugenaussagen abzugleichen, die Ergebnisse aus den Labors auszuwerten. Hunderte von Telefonaten und Lesestunden standen uns bevor. Es gab kaum etwas Nervtötenderes. Seufzend hängte ich mich ans Telefon.
In der Mittagspause gönnten wir uns ein Pastagericht im Mezzogiorno. Phil wirkte genauso frustriert, wie ich mich fühlte.
»Wir werden sie wieder nicht drankriegen«, sagte er und leerte sein Mineralwasser in einem Zug. »Sie ist aalglatt und perfekt organisiert. Keine unserer Spuren führt direkt zu ihr. Am Ende werden ein paar Köpfe in den unteren Etagen rollen. So langsam habe ich das unschöne Gefühl, dass wir der Lady damit sogar noch einen Gefallen tun. So wird keiner ihrer Leute zu mächtig, sie kann ihre Soldaten von Zeit zu Zeit austauschen und mit guten Anwälten und einer gehörigen Abfindung abspeisen.«
Ich nickte trübe. »Und selbst eine Aussage würde uns nicht viel nützen, solange es keine hieb- und stichfesten Beweise gibt.«
»Also ist es unser Job, doch noch das entscheidende Indiz beim Abarbeiten der Spuren zu finden.«
Wir seufzten gleichzeitig. Natürlich wussten wir, was das bedeutete: Schreibtischarbeit, die wir beide nicht sonderlich liebten. Hochkonzentriert auf jede Kleinigkeit achten, die uns einen Hinweis liefern, einen Riss in Marge Gallos perfekter Businessarchitektur offenbaren konnte. Und das Ganze bei äußerst geringen Erfolgsaussichten.
»Wir könnten bei Mister High anfragen, ob er uns nicht eine Hilfskraft zur Verfügung stellt«, überlegte Phil laut. »Einen jungen Agent, der darauf brennt sich zu beweisen.«
Hätte mein Partner geahnt, wie schnell sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte, wäre er mit seiner Äußerung sicher vorsichtiger gewesen. Aber geholfen hätte das auch nichts, denn die Dinge waren längst am Rollen, während wir unsere Pasta verputzten, um uns danach wieder an die Arbeit zu machen.
In unserem Büro fanden wir einen jungen Mann vor, der auf dem Besuchersessel lümmelte und seine endlos langen Beine auf dem Beistelltisch abgelegt hatte. Er machte keine Anstalten, sich ordentlich hinzusetzen, als wir den Raum betraten. Zu meinem Befremden sah ich, dass er eine Dose Coke so schräg in der Hand hielt, dass der Inhalt auf den Teppich tropfte.
Wir schlossen unsere Tür nie ab, wenn wir in die Pause gingen. Sollte sich das an diesem Tag als Fehler erweisen?
»Hi«, sagte der Kerl und verzog das Gesicht mit einer übergroßen Nase – alles an ihm schien irgendwie zu groß, zu lang oder zu schlaksig zu sein – zu einer Grimasse, die wohl ein Lächeln darstellen sollte. »Ich bin Malcolm.«
Sein Tonfall legte nahe, dass wir wissen mussten, was das bedeutete.
Wir wussten es nicht.
»Aha«, sagte Phil. Mehr fiel ihm dazu offenbar auch nicht ein, seine übliche Schlagfertigkeit versagte.
Der Schlaksige rutschte noch tiefer in den Sessel und schlug die Beine auf dem Tisch übereinander. Er sah uns erwartungsvoll an, und erst als unser ratloses Schweigen ihn langsam verunsicherte, schob er nach: »Der Praktikant.«
Meine Stirn runzelte sich ohne mein Zutun.
»Aha«, kam diesmal die Erwiderung von mir.
Malcolm Wer-auch-Immer unternahm keinen Versuch, uns über seine Anwesenheit aufzuklären. Ich gab Phil ein Zeichen, und wir verließen gemeinsam den Raum, um uns bei Helen einen Kaffee und die nötigen Informationen einzuholen.
»Malcolm Webb«, sagte sie, bevor wir unsere Frage stellen konnten.
»Webb, wie Alistair Webb?«, hakte ich nach. Das war unser dienstältester Mitarbeiter im New Yorker Field Office, und auch wenn er selten durch außergewöhnliche Leistungen aufgefallen war, genoss er einen Sonderstatus im Haus. Seine Markenzeichen waren seine Hartnäckigkeit und sein Sitzfleisch. Er mochte Schreibtischarbeit und hasste Außeneinsätze, war also das pure Gegenteil von Phil und mir.
»Sein Neffe zweiten Grades.« Helens Lächeln hatte etwas Schadenfrohes. »Das schwarze Schaf der Familie. Als Jugendlicher hat er eine Weile mit Drogen experimentiert und wäre beinahe auf der Straße gelandet. Aber seine schulischen Noten waren umwerfend, und es gelang seiner Familie, ihn in den warmen Schoß der besseren Gesellschaft zurückzuholen. Er hat die Aufnahmeprüfung für die Academy in Quantico mit Bravour gemeistert und soll nun, so der Wunsch des stolzen Onkels, erst mal in die Praxis reinschnuppern, bevor er wieder die Schulbank drückt.«
»Aha«, sagten Phil und ich gleichzeitig.
»Und was sollen wir nun mit ihm anstellen?«, schob ich nach.
»Mister High dachte, er könnte euch vielleicht beim Spurenabarbeiten im Gallo-Fall helfen.«
Mit leisen Zweifeln kehrten wir ins Büro zurück.
Malcolm strahlte uns an. »Mein Onkel Ali sagt, ihr seid die Besten hier. Dann zeigt mir mal, was ihr so drauf habt, Jungs.«
Ich fühlte mich plötzlich sehr müde und sehnte mich zu meiner Überraschung nach meinen Akten.
Phil erholte sich schneller als ich. Er nahm einen dicken Ordner und warf ihn Malcolm zu.
»Klar tun wir das. Aber erst mal zeigst du uns, was du so drauf hast!« Er wies auf einen alten, unbequemen Stuhl, den wir längst ausmustern wollten. »Wir arbeiten übrigens am Schreibtisch, nicht am Sessel.«
Widerwillig nahm unser Praktikant die Beine vom Tisch und schlurfte zu dem Platz, den Phil ihm freiräumte. Man konnte dem Knaben deutlich ansehen, dass er sich seinen Job irgendwie anders vorgestellt hatte. Wenigstens war er erst mal beschäftigt.
Die vier Wochen nach dem Mord im Park verbrachte Devilfish ohne festen Schlafplatz auf den Straßen der Bronx. Er wagte es nicht, früher zurückzukehren, denn er war sich sicher, dass sie ihn suchten. Mit der Polizei wollte er nichts zu tun haben und mit dem Mord erst recht nicht. Vielleicht suchten ihn nicht nur die Cops, sondern auch der Killer, da war es schon besser, erst mal abzutauchen.
Gelegentlich kam er bei Madame Lulu unter – so nannte sie sich, weil sie ein paar Brocken Französisch sprach. Früher musste sie einmal hübsch gewesen sein, aber seit sie auf der Straße lebte und Drogen nahm, war davon nicht viel übrig geblieben. Immerhin besaß Madame Lulu einen trockenen Schlafplatz, eine Parzelle in einer Tiefgarage, die der eigentliche Mieter ihr großzügig überließ. Damit war sie wohlhabend und von einigen Obdachlosen heiß umworben.
An Devilfish hatte sie einen besonderen Narren gefressen. Wenn sie high war, gestattete sie ihm sogar, ihre Brüste in die Hand zu nehmen. Dann waren sie beide für kurze Zeit selig.
Trotzdem hielt es Devilfish nie allzu lange bei ihr aus. Während die meisten Süchtigen überaus geizig mit ihrem kostbaren Stoff umgingen, war es Madame Lulu ein Bedürfnis, ihre liebsten Besucher an ihrem Drogenkonsum teilhaben zu lassen. »Gemeinsam high ist doppelt high«, sagte sie dann lachend.
Devilfish hielt es mit den Drogen genauso wie mit dem Alkohol. Er konsumierte sie nur zu besonderen Anlässen und achtete darauf, nicht davon abhängig zu werden.