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Ein Massaker im Haus des Mafiabosses Leonardo Salvatore löschte seine ganze Familie aus. Der Tat dringend verdächtigt wurde sein Rivale Camillo Borghese. Kurz darauf ereignete sich am Hafen ein Anschlag, bei dem um ein Haar auch Phil und ich ums Leben gekommen wären. Zunächst sah es so aus, als wäre Borghese hier ebenfalls der Drahtzieher. Doch dann gab es Hinweise auf einen dritten Player im Drogengeschäft, der mit einer Gruppe von kampferprobten Kindern in den Krieg zog und vor keinem Mittel zurückschreckte. Als wir die Kids schließlich tief unter der Erde in den Tunneln von New York aufspürten, war es fast zu spät, um ein weiteres Blutbad zu verhindern ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Dark World
Vorschau
Impressum
Dark World
»Du weißt, wie es ist, einen Menschen zu töten«, sagte die maskierte Frau, die sich Elektra nannte.
»Klar.« Der Junge wusste es, obwohl er erst zehn Jahre alt war.
»Was denkst du, wie viele waren es?«
»Ist unwichtig«, antwortete der Junge. Er musste auf der Hut sein.
»Ich schätze mal«, sagte die Frau, »es waren eine ganze Menge.«
»Kann schon sein.«
»Ein paar Dutzend, oder?« Es klang amüsiert.
»Ein paar mehr waren es schon«, sagte der Junge leichthin.
»Du bist ein gottverdammter Killer«, entgegnete die Frau. »Ab jetzt tötest du nur noch, wenn ich es dir befehle.«
Der Junge erwiderte nichts. Er hatte gelernt, dass Schweigen seine wichtigste Waffe war.
Der Montagmorgen begann für mich um zwei Uhr nachts, als das Klingeln des Handys mich aus dem Schlaf riss. Eine halbe Stunde später sammelte ich Phil vor dem Apartmenthaus ein, in dem er wohnte, und nahm mit dem Jaguar Kurs auf die Beverly Road in Brooklyn.
Als wir auf dem Parkplatz vor dem palastartigen, von einem großen Park eingehegten Gebäude eintrafen, zu dem man uns geschickt hatte, standen dort schon die Fahrzeuge des NYPD. Hinter allen Fenstern im Haus brannte Licht. Wir wussten, dass da drinnen der Mafiaboss Leonardo Salvatore residierte und der Tod dort Einzug gehalten hatte.
Fünf Minuten später standen wir im Schlafzimmer des Hausherrn neben Captain Francis Flannigan von der Brooklyner Mordkommission, der uns gönnerhaft einen Rundgang unter seiner Führung angeboten hatte.
Der Anblick eines Ermordeten hat immer etwas Mitleiderregendes. Selbst wenn es sich bei dem Toten um eine Person handelt, die anderen das Leben zur Hölle gemacht hatte, solange sie atmete.
In diesem Fall war es die nackte Leiche des Cosa-Nostra-Paten, die mir diese Einsicht wieder einmal näherbrachte. Der Körper war nicht nur von Kugeln durchsiebt, jemand hatte sich überdies die Mühe gemacht, Nase und Ohren des Opfers säuberlich vom Kopf abzutrennen und sie auf einem mit Blumenmuster bepinselten Teller neben dem Kingsizebett abzulegen, auf dessen Laken Salvatore zusammengekrümmt lag wie ein blutiger Embryo.
Im gleißenden Scheinwerferlicht der Spurensicherung wirkte der ganze Raum wie eingegipst. Die hüfthohe Wandverkleidung aus Eichenholz, die schwerfälligen dunklen Möbel im historischen Countrystil, die Kuhfellimitate auf dem glänzenden Parkettboden und der prunkvolle goldene Kronleuchter verwiesen in eine weit zurückliegende Zeit, ebenso verblichen und entseelt wie der Gangster auf seiner rot getünchten Ruhestätte.
Die Beamten der Spurensicherung des NYPD in ihrer weißen Schutzkleidung gingen so geräuschlos und routiniert ihrer Arbeit nach, als legten sie es darauf an, nicht bemerkt zu werden.
»Das ist nur der Auftakt«, kommentierte Flannigan die beklemmende Szenerie. »Los, kommen Sie, da hinten geht die Show weiter.«
Der sechzigjährige Captain war berüchtigt für seine groben Manieren und stand im Ruf, bei Vernehmungen gelegentlich zu martialischen Mitteln zu greifen. Er hatte die Statur eines Footballspielers und die übertriebene Mimik eines schnell aufbrausenden Menschen. Er war erst kürzlich vom Los Angeles Police Department zum NYPD gewechselt. Weder Phil noch ich hatten bisher mit ihm zu tun gehabt.
Durch einen goldfarbenen Samtvorhang betraten wir ein weiteres Schlafzimmer.
»Sehen Sie sich das an«, sagte Flannigan und deutete auf eine ganzen Batterie von hohen Vasen mit frischen Blumen, die am Fuß eines hellblauen Himmelbetts stand. »Auf so was kommt nur eine Frau.« Er schnupperte missmutig. »Riecht wie in 'ner verdammten Friedhofsgärtnerei. Na ja, die passende Leiche gibt's immerhin.«
Ich kannte Salvatores Frau Maria von Bildern aus der Zeitung. Sie saß mit dem Rücken gegen die linke Wand gelehnt, unter einem der Gemälde von Jasper Johns, die die amerikanische Flagge darstellen. Obwohl Salvatore ein sehr reicher Mann gewesen sein musste, bezweifelte ich, dass er die achtzig Millionen Dollar hätte berappen können, die das Original kostete.
Im Gegensatz zu ihrem Mann war Maria bekleidet. Sie trug einen dunkelgrünen Seidenpyjama. Er bildete einen hübschen Kontrast zu dem welligen kastanienbraunen Haar, das effektvoll ihr schmales blasses Gesicht mit den vollen Lippen umrahmte. Ihre großen Augen starrten unverwandt zur Decke, als suchte sie dort oben die Antwort auf die Frage, warum man ihr die Kehle durchgeschnitten hatte.
Der Täter war nicht besonders professionell vorgegangen. Die klaffende und breit ausgefranste Wunde ließ darauf schließen, dass er das Messer öfter angesetzt hatte. Die Pyjamajacke war durchtränkt von Blut. Auf dem Boden links und rechts der Toten hatte sich das Blut in dunklen Pfützen gesammelt.
»Bevor Sie hier Wurzeln schlagen«, sagte der Captain, »müssen Sie noch hoch in den ersten Stock.«
»Was ist da oben?«, fragte Phil.
»Warten Sie es ab«, versetzte Flannigan schroff.
»Spielen Sie sich eigentlich immer so auf?«, fragte Phil, als wir ihm über eine Wendeltreppe in den ersten Stock folgten.
»Ich habe üble Erfahrungen mit euch Jungs vom FBI«, entgegnete der Captain.
»Wundert mich nicht«, konterte Phil, »Ihr rustikaler Charme ist nicht jedermanns Sache.«
Oben erstreckte sich ein langer Gang. Aus einer Tür auf der linken Seite fiel helles Licht auf den Flur. Gedämpfte Stimmen waren von dort zu hören.
»Mein Partner und ich gehen da allein rein«, beschied ich Flannigan.
Er runzelte missbilligend die Brauen, hatte aber begriffen, dass ich es ernst meinte.
»Meinetwegen, wir treffen uns dann unten in der Küche«, murrte er.
Ohne uns weiter um ihn zu kümmern, gingen Phil und ich zu dem erleuchteten Zimmer hinüber.
Zunächst wurde uns die Sicht von Beamten der Spurensicherung versperrt. Dann sahen wir die Kinder.
Zwei etwa siebenjährige Mädchen mit lockigen hellblonden Haaren, offensichtlich Zwillinge. Sie lagen in einem einfachen Holzbett auf einem rosafarbenen Laken mit Schmetterlingsmotiv. Sie hielten sich an den Händen, jemand hatte ihre Augen geschlossen. Beide hatten ein Einschussloch auf der Stirn, drei Finger breit über der Nasenwurzel.
Einer der Männer des forensischen Teams sagte etwas zu mir, doch ich hörte nicht hin. Ich brauchte ein paar Atemzüge, um einigermaßen zu verdauen, was ich da vor mir hatte. Ich ahnte, dass ich dieses verstörende Bild nie mehr loswerden würde.
Mein Blick löste sich von den toten Mädchen und streifte über die Wand hinter dem Bett. Jemand hatte dort mit schwarzer Farbe einen rätselhaften Schriftzug hin gesprayt: Hakuna maleika, entzifferte ich mühsam. Daneben ein grinsendes Totenkopfemblem mit einem Blutstropfen unter der linken vergitterten Augenhöhle.
»Hast du irgendeine Ahnung«, fragte Phil mich mit belegter Stimme, »was das alles zu bedeuten hat?«
»Nein, nicht die geringste.«
»Irgendwas ist anders als sonst, oder?«
Ich nickte stumm.
»Captain Flannigan muss es auch bemerkt haben«, vermutete Phil. »Irgendwie scheint es ihn auf Touren zu bringen. Kann sein, er wittert seine Chance, groß rauszukommen.«
»Teilen wir ihm mit, wie sich die Sache verhält«, schlug ich vor. »Er muss wissen, wer das Sagen hat. Aber wir sollten kein Ressentiment gegen ihn entwickeln.«
»Du hast recht«, sagte Phil. »Er ist ziemlich raubeinig, doch ich habe nichts dagegen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich wüsste gerne, welche Erklärung er für dieses Massaker hat. Immerhin hält man ihn in Los Angels für einen erstklassigen Ermittler.«
Wir gingen runter ins Erdgeschoss, wo gerade das forensische Team des FBI und der Gerichtsmediziner eingetroffen waren. Phil und ich zogen uns mit dem Captain in die überdimensionierte weiß gekachelte Küche zurück, die den Charme eines Autopsiesaals versprühte. Bis auf einen länglichen Tisch und durchsichtige Stühle aus Polycarbonat war sie komplett leer. Kochutensilien und Geschirr warteten vermutlich hinter den futuristisch anmutenden Schränken mit den glänzenden Oberflächen auf ihren Einsatz.
Flannigan fläzte sich breitbeinig auf einen Stuhl an der Längsseite des Tischs. Phil und ich nahmen ihm gegenüber Platz.
»Verdammt«, knurrte der Captain, »hier vergeht einem die Lust, sich einen Kaffee zu machen. Dabei könnte ich einen brauchen. Ich nehme an, die Einrichtung entspricht Salvatores Geschmack und der schwülstige Countrykitsch in den übrigen Zimmern geht auf das Konto seiner Frau.«
»Mich würde mehr interessieren«, sagte Phil, »welche Erklärung Sie für die Morde haben.«
Flannigan schnaubte gereizt. »Wo denken Sie hin? Ich habe keine Scheißerklärung, woher auch? Ich kann ebenso wenig hellsehen wie Sie. Natürlich gibt es jemanden, der allen Grund hatte, dem guten Leonardo an den Karren zu fahren.«
»Sie reden von Camillo Borghese?«, vergewisserte ich mich.
Der Italiener war Pate eines anderen Cosa-Nostra-Clans, dreißig Jahre jünger als Leonardo Salvatore und sein Intimfeind.
»Von wem sonst, Cotton? Das Dumme ist bloß, dass nichts in diesem Haus so aussieht, als hätten Camillos Leute was damit zu tun.«
Ich stimmte ihm zu. »Ganz gleich, ob es sich um einen oder mehrere Täter handelt, es ergibt keinen Sinn, dass die Opfer auf so unterschiedliche Weise umgebracht wurden. Warum sollten sich Profikiller diese Mühe machen?«
Flannigan lachte freudlos. »Na bitte, wenigstens geben Sie zu, dass Sie auch keinen Schimmer haben.«
»Was soll das heißen?«, fragte Phil.
»Die Typen aus eurem Verein, die ich kennenlernen dufte, hielten sich sämtlich für Genies.«
»Vielleicht«, spottete Phil »waren sie das auch, und Sie sind damit nicht klargekommen.«
Der Captain holte tief Luft, um etwas zu erwidern.
Ich ließ ihm keine Chance. »Sparen Sie sich Ihren Kommentar, Flannigan. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, welche Hinweise uns die unterschiedlichen Tötungsarten geben.«
Der Captain zuckte mit den Schultern, als hielte er nicht allzu viel von meinem Vorschlag, Dennoch bequemte er sich zu einer Antwort. »Meinetwegen, fangen wir mit Leonardo Salvatore an. Dass man ihm Nase und Ohren abgeschnippelt hat, kriege ich noch auf die Reihe. Ist nicht unüblich bei den Spaghettifressern, so was. Damit sollen die Gegner demoralisiert werden. Aber die vielen Kugeln, die man ihm in den Leib gejagt hat? Reine Verschwendung!«
»Ich frage mich auch«, sagte Phil, »warum er unbekleidet ist.«
»Womöglich«, sagte ich, »sollte das seine Würde untergraben, ihn lächerlich machen. Die Methode wäre nicht neu.«
Der Captain grinste anzüglich. »Vielleicht mochte er es auch nur, nackt zu schlafen.«
»Wäre verständlich bei dieser Bullenhitze«, sagte Phil.
Ich nickte. »Umso mehr wundert es mich, dass überall die Fenster geschlossen waren.«
Flannigan hob die Schultern. »Könnten die Täter gemacht haben, aus Diskretion gewissermaßen. Damit die Schreie ihrer Opfer nicht nach draußen drangen.«
Flannigans Zynismus war gewöhnungsbedürftig.«
Wir schwiegen eine Weile.
»Maria Salvatore«, nahm ich schließlich den Gesprächsfaden wieder auf, »wurde nicht erschossen, sondern mit einem Messer getötet. Die Wunde lässt darauf schließen, dass der Täter entweder sehr nervös oder kein Profi war. Nehmen wir an, dass es sich um mehrere Täter handelte, dann würde das eventuell die unterschiedlichen Vorgehensweisen erklären. Allerdings nicht, warum sie einen Amateur in ihren Reihen hatten.«
»Diese Kinder!« Phil schüttelte heftig den Kopf, als wollte er das Bild der toten Mädchen mit einem Bann belegen. »Das ist am schwierigsten zu begreifen. Wie sie daliegen, nebeneinander, Hand in Hand, scheinbar friedlich, das muss jemand nach ihrem Tod so arrangiert haben, als wären sie dem Täter irgendwie wichtig gewesen.«
Flannigan grunzte verächtlich. »Mit Verlaub, der Kerl hat einfach 'ne Schraube locker. Ist doch überflüssig darüber zu spekulieren, was bei dem im Oberstübchen falsch läuft.«
Ich wechselte das Thema. »Wer hat Sie eigentlich informiert, Captain?«
»Ein betrunkener Nachtschwärmer, der sich verlaufen hatte und checkte, dass die Eingangstür dieses viktorianischen Prachtbaus weit offen stand. In seinem zugedröhnten Schädel verstand er das als Einladung und ging hinein. Nachdem er in der Diele gegen die Tapete gepinkelt hatte, lief er ins Schlafzimmer und entdeckte dort Salvatores Leiche. Der Typ sitzt in einem unserer Wagen und wartet darauf, dass wir noch mal mit ihm reden. Er ist ein gottverdammter Freak, aber er hatte Mumm genug in den Knochen, uns anzurufen.«
»Gibt es keine weiteren Zeugen?«, wollte Phil wissen.
»Es hat sich niemand sonst gemeldet, doch die Befragung der Nachbarn hat gerade erst begonnen. Vermutlich bringt sie nicht viel. Sie haben ja gesehen, wie weit die Häuser von dem hier entfernt stehen.«
»Zwei Dinge wundern mich«, sagte ich. »Erstens, dass Salvatore offenbar keine Leibwächter hatte, die sein Haus überwachten. Und zweitens, dass die Täter so einfach hineinspazieren konnten. Ich habe bemerkt, dass an der Eingangstür mehrere Schlösser angebracht sind. Vielleicht besaßen die Täter Schlüssel dafür.«
»Oder«, überlegte Phil laut, »jemand, der im Haus war, hat sie eingelassen.«
»Jedenfalls gibt es keinen Hinweis«, sagte Flannigan, »dass sie irgendwo gewaltsam eingedrungen wären.«
Für einen Moment herrschte wieder Schweigen.
»Ich nehme an, die Botschaft im Zimmer der Mädchen stammt von den Tätern«, sagte Phil dann. »Hakuna maleika – womöglich bringt es uns weiter, wenn wir wissen, was sie bedeutet.«
»Womöglich!«, echote der Captain sarkastisch. »Vermutlich ist es nur einer von tausend sinnlosen Schriftzügen, mit denen irgendwelche Idioten Wände und Subways verzieren. Ich nehme nicht an, dass die Täter uns in Geheimschrift ihre Adresse hinterlassen haben.«
»Warum so skeptisch, Captain?«
Flannigan stutzte kurz. »Vermutlich eine Charakterfrage, für mich ist das Glas immer halb leer.«
Ein junger Beamter der Spurensicherung betrat die Küche.
»Sorry, Sir«, wandte er sich an den Captain, »draußen wartet ein gewisser Herb Mueller. Er will unbedingt mit Ihnen sprechen. Er sagt, er wurde von einem Nachbarn alarmiert, der das Auftauchen der Polizei bemerkt hat. Er ist der Hausmeister. Der Mann ist völlig verstört.«
»Ich komme gleich«, erwiderte Flannigan und gab dem Beamten mit einer knappen Geste zu verstehen, dass er uns noch für einen Moment alleine lassen sollte.
»Ich will Ihnen nichts vormachen«, erklärte er, nachdem der Beamte draußen war, »dieser Fall ist etwas Besonderes.« Er unterbrach sich kurz, und es war ihm deutlich anzumerken, dass es ihn Überwindung kostete, weiterzureden. »Ein Gottesgeschenk für einen leidgeprüften älteren Knaben wie mich, eine großartige Herausforderung. Ich würde gerne die Lorbeeren dafür ernten, ihn gelöst zu haben. Ich fände es schade, wenn Sie mir ständig dazwischenfunken würden. Sie sind noch jung, auf Sie warten noch 'ne Menge ehrenvolle Aufgaben.«
Ich warf Phil einen schnellen Seitenblick zu und sah, dass er lächelte.
»Hören Sie«, sagte ich zu Flannigan, »es ist nicht so einfach, wie Sie sich das wünschen. Seit Camillo Borghese vor drei Monaten mit seinem Clan in New York aufgetaucht ist und Leonardo Salvatore den Krieg erklärt hat, versuchen Agent Decker und ich, ihn und seinen Rivalen aus dem Verkehr zu ziehen. Soviel ich weiß, hat das NYPD in dieser Zeit kaum Notiz davon genommen, dass sich da ein waschechter Gangsterkrieg anbahnt.«
»Wir waren mit den Russen beschäftigt, die das Prostituiertenmilieu aufmischen, Cotton. Ich gebe zu, das hat uns komplett in Anspruch genommen.«
»Ich werfe Ihnen nichts vor, Captain, und Sie können das FBI gerne unterstützen. Aber Agent Decker und ich leiten diese Ermittlungen. Falls Sie ein Problem damit haben, wenden Sie sich an Ihren Vorgesetzten. Es wird allerdings nichts bringen, glauben Sie mir.«
Flannigan schwieg. Sein Mund war leicht geöffnet, und er sog leise die Luft durch die Zähne. Dabei hatte er Augen halb geschlossen. Es dauerte etwas, bis er aufstand, seinen Stuhl zur Seite stieß und die Küche verließ.
Eddie Nash störte es nicht zu warten.
Er hockte am Boden, gegen die kalte Steinwand gelehnt. In dem weitläufigen feuchten Gemäuer roch es nach Pisse, Fäkalien und faulenden Kadavern. Das Licht des anbrechenden Tages drang nicht bis hierher vor. Einziges Geräusch war das Quieken der Ratten und das Scharren ihrer Pfoten auf dem harten Untergrund. Vor einiger Zeit hatten ein paar Obdachlose in dieser Gruft gehaust.
Eddie Nash, Kampfname Snake, fühlte sich sauwohl in dieser lauschigen Atmosphäre. Sie entsprach genau dem, was er in seinen Songs immer wieder heraufbeschworen hatte, eine Welt im Zerfall, jenseits von Moral und Gesetz.
Dark World war sein erster und größter Hit gewesen. Bizarr gekleidete und blass geschminkte Rockfans aus ganz Amerika waren zu seinen Konzerten geströmt, hatten ihn frenetisch gefeiert und die Sau rausgelassen.
Bei seinem letzten Konzert vor ein paar Jahren in Atlanta war Snake drei Stunden lang singend, delirierend, wild zuckend und schreiend über die Bühne getobt, bis er vorne an der Rampe ins Publikum kotzte und danach ohnmächtig zusammenbrach.
Aus.
Es war das Ende seiner Karriere gewesen. Er brauchte ein Jahr, bis er von den Drogen runterkam und ein weiteres, um seinen geschundenen Körper wieder in Gebrauch zu nehmen.
Nicht dass seine durchgeknallten Fans ihm seine Ausschweifungen vorgeworfen hätten, im Gegenteil. Aber er hatte nach seiner Genesung einige Interviews gegeben, die ihm selbst hartgesottene Anhänger übelnahmen. Interviews, in denen er der gesamten menschlichen Spezies das Recht auf dauerhaften Verbleib im Scheißuniversum absprach.
Na und?
Er bedauerte nichts. Er war dabei, seine Wiedergeburt zu organisieren. Seine glorreiche Auferstehung als Führer, der keine hämmernden Rhythmen mehr benötigte, um Massen in Ekstase zu versetzen, sondern lediglich eine Armee williger Geschöpfe, die ihm den Weg in den Olymp freikämpfte.
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Irritiert hob er die Taschenlampe und leuchtete in die Richtung, aus der er es vernommen zu haben glaubte. Der Lichtkegel versickerte nach wenigen Yards in der pappigen Dunkelheit.
Wieder hörte er das Geräusch. Diesmal erkannte er es. Es handelte sich um das feine Klirren metallischer Armbänder, die gegeneinanderschlugen.
Er entspannte sich und wartete geduldig, bis im Kegel seiner Lampe ein Mann und eine Frau sichtbar wurden, keine zehn Yards von ihm entfernt.
»Nett hier unten«, sagte die Frau. Sie steckte in einem knielangen, ärmellosen und schwarzen Kleid, die Haare waren im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Das Gesicht wirkte im Licht der Lampe hohl und starr. Die silbernen Reifen, die sie am rechten Unterarm trug, stellten einen Verweis auf antike Vorbilder dar. Ihre diesbezügliche Affinität hatte ihr den Tarnnamen Elektra eingetragen.