1,99 €
In Brooklyn wurde in einem ehemaligen Lagerhaus die übel zugerichtete Leiche eines Polizisten gefunden. Es war nicht der erste Todesfall unter den Cops der Stadt, im Gegenteil. Seit Monaten stieg die Todesrate unter den New Yorker Beamten rapide an. Wir vom FBI übernahmen den Fall und entdeckten seltsame Botschaften bei den Leichen. Manche wirkten wie Abschiedsbriefe, andere wurden an den Tatorten nicht auf den ersten Blick als solche identifiziert, da sie in Form von Postkarten oder Graffiti daherkamen. Gemeinsam hatten sie jedoch alle, dass sie aus der Feder eines weltberühmten Horrorautors stammten. Und so eröffneten wir die Jagd auf den Horror-Mörder!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Wir jagten den Horror-Mörder
Vorschau
Impressum
Wir jagten den Horror-Mörder
Ihre Lungen brannten, der Atem ging rasselnd. Trotz der kühlen Nacht standen ihr Schweißperlen auf der Stirn. Sie war gut in Form. Aber vergebens, sie war auf der Flucht. Und der Jäger trieb sie vor sich her wie ein Reh kurz vor dem Fangschuss.
Die Lichtkegel zweier Scheinwerfer erfassten sie, blendeten sie. Überrascht blieb sie stehen, hob den Arm, um die Augen gegen das grelle Licht abzuschirmen, und versuchte gleichzeitig, ihre Panik niederzuringen. Dann drehte sie sich um.
Wohin? Sie sah sich rasch nach allen Seiten um. Es musste einen Ausweg geben. Das konnte nicht sein. Doch langsam fraß sich die Erkenntnis durch. Sie saß in der Falle. Und je länger sie wartete, desto brenzliger wurde die Situation. Ein letzter Versuch. Sie würde es wagen. Sie musste es wagen.
Rasch kamen die Strahlen der LED-Leuchten näher. Der schwarze SUV schoss brüllend und fauchend wie ein Drache auf sie zu. Es war vorbei. Der Jäger würde seine Beute erlegen.
Verdammt! Es gab immer einen Ausweg, diese Lektion hatte sie in ihrem Leben gelernt. Niemals aufgeben. Dieser letzte Funken Hoffnung pumpte Adrenalin in ihre Adern. Sie preschte los, so schnell sie konnte, ignorierte das lodernde Feuer ihrer Lungen. Keine fünfzig Yards weiter verlor sie den Halt, rutschte mit ihren Sneakers in einer dreckigen, schmierigen Pfütze auf dem Asphalt aus und schlug hart auf den Boden. Sie hörte Knochen brechen, als sie den Sturz bremsen und mit dem linken Arm abfangen wollte. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie wie der Blitz in einen Baum. Ein Schrei gellte durch die Nacht. Laut, schrill, wütend. Und es dauerte einen Moment, ehe sie registrierte, dass es ihre Stimme war. Keuchend und stöhnend warf sie einen raschen Blick über die Schulter, stemmte sich nach oben, befahl ihrem Körper, den Schmerz zu ignorieren. Aus dem Dunkel schoss der Wagen wie ein gewaltiges brüllendes Monster mit glühend leuchtenden Augen auf sie zu. Es war zu spät. Es gab kein Entkommen aus der Hölle. Nur den Tod.
Er hatte hinter dem Steuer seines schwarzen Jeep Cherokee mit getönten Scheiben gewartet und das Haus beobachtet.
Er wusste, was er zu tun hatte, und würde sie aus dem Verkehr ziehen. Für immer.
Gegen kurz nach drei Uhr in der Nacht war sie endlich in den dunklen BMW X5 gestiegen. Er war erstaunt, wie man sich mit ihrem Job solch einen Wagen und solch eine Wohnung in dieser Gegend leisten konnte. Die Antwort war einfach, wie er aus ihrem Steckbrief wusste, den ihm sein Auftraggeber ausgehändigt hatte. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie. Als wäre das nicht genug, hatte sie einen Mann geheiratet, der mit einem Start-up in der IT-Branche vor einigen Jahren eine unanständig große Menge Geld auf seriöse Art verdient hatte. Finanziell musste sich das Paar keine Sorgen machen.
Stumm fuhr das elektrische Garagentor zur Seite. Dann verschwand sie in der Nacht. Nur das leise Grummeln des Auspuffs hallte einige Augenblicke nach.
Mit etwas Abstand heftete er sich an sie und folgte ihr von New Haven Richtung Manhattan und dann über die Interstate 278 nach Brooklyn. Auf Höhe von Greenwood Heights verlangsamte sie das Tempo, ganz wie er erwartet hatte. Er hatte vorsichtig gebremst, damit er nicht zu dicht auffuhr.
Er hatte Zeit.
Sie war schön, und er wollte sie beobachten, bevor sie starb. Schade, dass sie die Nacht nicht überleben wird, schoss es ihm durch den Kopf.
Doch sie war ahnungslos, wusste nichts davon, was sie erwartete. Sie glaubte, ein wichtiger Informant würde in der Gegend auf sie warten.
Viel war um diese Zeit nicht los auf den Straßen, selbst in der Stadt, die angeblich niemals schläft. Wenige Gestalten säumten die dunklen Ecken, bemühten sich, dem Licht der Laternen zu entgehen und ihre Geschäfte im Verborgenen abzuwickeln.
Er musste die Kleine unbedingt erwischen und zum Schweigen bringen, sonst würde sie Unruhe stiften. Sein Auftraggeber setzte auf die reinigende Wirkung dieser Aktion.
Auf der rechten Seite tauchten die Docks auf. Plötzlich beschleunigte der BMW vor ihm und bog unvermittelt in das Hafenviertel auf die 27th Street ab.
Er drehte das Lenkrad und folgte ihr.
Hatte sie ihn bemerkt? Unwahrscheinlich. Sie war unterwegs zum Treffpunkt, den er ihr vorgeschlagen hatte. Natürlich wusste sie das nicht. Sie konnte nicht ahnen, dass er sich in ihre virtuellen Chats gehackt und sich als ihr Informant ausgegeben hatte. Daher rechnete sie wahrscheinlich nicht mit einem Verfolger. Und selbst wenn, war das egal.
Er bog in die 28th Street. Der BMW war verschwunden, und für einen winzigen Moment verspürte er Nervosität.
Dann sah er den SUV am Straßenrand im trüben Licht der wenigen Straßenlaternen.
Sie hatte ihn also doch bemerkt. Die Fahrertür stand offen. Er brachte seinen Cherokee neben dem BMW zum Stehen und warf einen Blick in den Innenraum. Niemand mehr drin.
Vorsichtig den Fuß von der Bremse nehmend, rollte der schwere Wagen sanft brummend voran.
Aus dem Augenwinkel registrierte er eine Bewegung. Da war sie, wollte sich im Schutz der Nacht verstecken. Trotz der Dunkelheit konnte er die Angst in ihrem Gesicht sehen. Er lächelte. Der Anblick erregte ihn.
Sie bewegte sich im Schatten dicht an der Wand eines Lagerhauses entlang. Kameras gab es hier keine, wie er wusste, maximal Attrappen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Ihre Augen waren weit aufgerissen, voller Furcht und Panik. Als er sie so sah, verspürte er noch mehr Lust und Gier.
Dann stürmte sie unvermittelt los. Weit würde sie nicht kommen. In der Richtung, in die sie sich bewegte, wartete am Ende nur das schmutzige Wasser der Gowanus Bay.
Er sah sie über den Asphalt eines Wendekreises am Ende der Straße rennen und stolpern. Als sie erneut stürzte, war er zur Stelle. Aber nicht um ihr zu Hilfe zu eilen, sondern um dem Ganzen ein Ende zu setzen. Der Motor brüllte auf, der Wagen schoss auf die am Boden liegende Frau zu, als wollte er sie zu Matsch fahren wie einen heruntergefallenen Apfel am Straßenrand.
Kurz bevor er ihren Körper zerquetschte, kam der Koloss zum Stehen. Ein schriller Schrei flog durch die Luft ins Innere des Jeeps.
Er zog seine Beretta 92 aus der Jacke und schraubte in aller Ruhe den Schalldämpfer auf den Lauf. Er hatte keine Eile. Er öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen.
»Nein!«, schrie sie ihm schrill entgegen, als er sich gemächlich auf die Frau zubewegte.
Sie kreischte immer lauter, doch das nutzte ihr nichts. Nicht hier. Niemand würde sie schreien hören.
Er trat neben sein Opfer, ergötzte sich an der nackten Todesangst. Ein mildes Lächeln im Gesicht, hob er die Waffe und ließ ess dreimal ploppen.
Ich saß in unserem Büro im dreiundzwanzigsten Stock des Federal Office Building und erledigte lästigen Bürokram. Phil betrat den Raum und balancierte dabei zwei randvolle Becher mit Kaffee zu seinem Schreibtisch.
Er schob mir breit grinsend einen davon rüber. »Für dich, Partner. Mit schönem Gruß von Helen. Sie hat vorhin dein trübes Gesicht gesehen und wollte dich etwas aufmuntern.«
Jetzt konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Phil wusste genau, was mir durch den Kopf schoss. Ich nahm einen Schluck und fühlte, wie mir die duftende Flüssigkeit sofort neue Lebensgeister einhauchte. Helen war ein Engel und ihr Kaffee unschlagbar.
»Genau das habe ich gebraucht.« Ich schloss die Augen und lehnte mich entspannt in meinem Stuhl nach hinten.
Phil trat neben mich und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Der lästige Verwaltungskram war uns beiden ein Graus. Wir waren lieber im Einsatz. Doch um den inzwischen zum Glück fast komplett digitalisierten Formularberg konnten wir uns am Ende nicht drücken.
»Den kenne ich«, brummte Phil, als er auf den Stream eines großen Nachrichtensenders auf meinem Bildschirm schaute.
Ich öffnete die Augen und zog die Brauen zusammen. »Woher?«
»Weil ich den Newsletter lese und gerne weiß, welcher unserer Freunde nach langer Zeit hinter schwedischen Gardinen wieder auf freien Fuß kommt.«
Das Bild zeigte Anthony Cruise, einen mehrfachen Polizistenmörder, der nach fünfzehn Jahren Gefängnis entlassen worden war. Seine Anwälte bemängelten in ausschweifenden Statements die lange Haftzeit und ein unrechtmäßiges Urteil. Der Gefängnisaufenthalt habe ihren Mandaten krank gemacht. Außerdem seien die Haftbedingungen unmenschlich gewesen.
Wir schüttelten beide den Kopf.
»Da hat der Kerl mindestens ein halbes Dutzend Menschen kaltblütig getötet«, schimpfte Phil, »und diese Winkeladvokaten beklagen sich über die gerechte Strafe, eine zu kleine Zelle und schlechtes Essen? Ich glaub, ich bin im falschen Film. Wir riskieren unser Leben, um solche Schweinehunde hinter Gitter zu bringen, und diese publicitygeilen Anzugträger schieben uns und der Justiz den schwarzen Peter zu. Unfassbar.«
Ich bewegte den Cursor und drehte den Ton lauter.
»Ich komme von ganz unten«, sagte Cruise auf dem Bildschirm.
Er war ein Koloss von einem Mann, überragte alle anderen um mindestens einen halben Kopf. Sein kahl geschorener Schädel glänzte im Licht der Kamerascheinwerfer. Tätowierungen schlängelten sich vom Stiernacken auf die Kopfhaut. Das Gesicht hart, kantig, wie aus einem Block Granit geschlagen. Ein überwiegend grauer Bart wucherte von den Wangenknochen bis zum Kinn und über die Oberlippe bis zur Unterkante der mehrfach gebrochenen Nase. Seine harten und durchtrainierten Muskeln zeichneten sich unter dem teuren Stoff bei jeder Bewegung ab. Die Augen waren schwarz und leer. Dennoch war seine Stimme erstaunlich hoch und kippte immer wieder, während er seine mit Sicherheit stundenlang geprobte Geschichte erzählte.
»Meine Eltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern vor Stalin und seiner Roten Armee aus unserer alten Heimat geflohen. Und später sind sie aus der DDR nach Westdeutschland abgehauen. Wir waren ständig auf der Flucht, bis wir hierher kamen, in meine Heimat, nach New York. Doch die guten Zeiten durften sie leider nicht mehr selbst erleben. Meine Eltern sind früh gestorben, als ich noch ein kleines Kind war. Mein einziger Bruder hat sich umgebracht, und mich hat man in ein kirchliches Kinderheim gesteckt.«
Der Kameramann zoomte auf das Gesicht des Mannes, sodass es in Großaufnahme fast den ganzen Bildschirm einnahm. Er saß so aufrecht wie eine Kommunionskerze. Seine Worte unterstrich er, indem seine Hände durch die Luft wirbelten, als wollten sie mit einem unsichtbaren Messer etwas zerschneiden. Der Sender blendete den Namen des Mannes ein. Anthony Cruise. Wahrlich kein Unbekannter in New York.
»Mit der Nächstenliebe war es dort nicht weit her.« Cruise setzte eine Leidensmiene auf. »Es gab jeden Abend nur eine bestimmte Menge an Wurst. Und wenn man nicht schnell oder stark genug war, bekam man nichts ab. Und während wir verschimmeltes Brot auf dem Tisch hatten, haben sich unsere Betreuer jeden Tag den Wanst vollgeschlagen. Dann hat man mich viel später zahlreicher Verbrechen bezichtigt, die ich nicht begangen habe, mich weggesperrt wie ein Tier in einen Käfig. Das war eine schlimme Zeit. Schuld waren die fehlgeleiteten Ermittlungen von NYPD und FBI. Deshalb fordere ich jetzt Gerechtigkeit. Eine späte Wiedergutmachung für das Leid, das mir angetan wurde, ist besser als keine. Ich bin ein aufrechter Amerikaner und habe mir nichts zuschulden kommen lassen.«
Phil verzog das Gesicht und tippte auf die Taste, mit der der Ton wieder abgestellt wurde. »Also ich habe genug von dieser Phrasendrescherei. Der spinnt doch.«
Ich überging seine Anmerkung, als das Telefon klingelte. Rasch griff ich zum Hörer und lauschte einen Moment.
»Alles klar, wir kommen«, sagte ich wenige Sekunden später und legte auf. »Das war Helen. Mister High erwartet uns.«
Das bedeutete Arbeit, einen neuen Fall. Ich freute mich und sagte der Büroarbeit schon mal leise Goodbye für heute. Phil nickte nur und stellte die Kaffeetasse ab.
Auf dem Weg zogen wir die Sakkos über. Selbst an Tagen ohne geplante Außentermine waren wir korrekt gekleidet. Man wusste nie, was einen erwartete.
Mr. Highs geräumiges Büro befand sich auf derselben Etage und wirkte gediegen und zweckmäßig zugleich. Kein modischer Schick oder teurer Schnickschnack, aber der Position angemessen. Helen, seine überaus attraktive Assistentin, winkte uns durch die offene Tür, lächelte und schloss sie lautlos hinter uns.
Der Assistant Director in Charge begrüßte uns mit einem kurzen Lächeln und bedeutete uns mit seinen feingliedrigen Fingern, die den Händen eines Chirurgen alle Ehre machten, auf den ledergepolsterten Stühlen am Besprechungstisch Platz zu nehmen.
»Guten Morgen, Sir«, begrüßten wir unseren Chef im Chor.
»Gentlemen, wir haben eine Leiche.«
Kurz darauf steuerte ich meinen Jaguar von der Federal Plaza Richtung Brooklyn Bridge. Der rote Sportwagen schnurrte im Stadtverkehr wie eine zufriedene Hauskatze. Allerdings war der F-Type mit seinen fast 400 PS eher eine reinrassige Wildkatze auf der Jagd, und ich wusste, welche Kräfte mit einem sanften Druck auf das Gaspedal entfesselt wurden. Über die pulsierende Verkehrsader der östlichen Stadtbezirke, die Interstate 278, gelangten wir durch Gobble Hill und Carroll Gardens in gut einer Viertelstunde zum Tatort. Das war schneller als erwartet, denn der berühmt-berüchtigte Stau auf den wichtigen Verkehrsachsen der Stadt hatte uns heute ausnahmsweise keinen Strich durch die Rechnung gemacht.
Phil kontaktierte von unterwegs aus die Kollegen vom NYPD vor Ort und kündigte unser Erscheinen an. Die Informationen, die uns Mr. High mit auf den Weg gegeben hatte, waren dünn. Arbeiter waren in den Docks über eine weibliche Leiche gestolpert. Das war für New York nicht unbedingt aufregend und schien auf den ersten Blick eher ein Fall für die Cops des New York Police Department zu sein. Doch die Medien würden sofort in eine hysterische Berichterstattung verfallen, wenn sie davon erfuhren. Wir verstanden die Hintergründe schnell, nachdem Mr. High sie uns skizziert hatte.
»Laut den Kollegen wurde die Frau mit drei Schüssen getötet«, hatte unser Chef die wenigen bekannten Fakten zusammengefasst. »Einer in den Kopf und zwei in die Brust.«
Phil und mir war sofort klar, was das bedeutete. Also kein Mord, der von Straßenkids für ein paar Dollar oder ein Päckchen Crack begangen wurde. Hier war ein Profi am Werk. Drei Schüsse. Das deutete auf einen klassischen Auftragsmord hin oder zumindest auf einen, der danach aussehen sollte.
»Das ist noch nicht alles.« Mr. High strich sich über das silbergraue Haar, und auf sein schmales, markantes Gesicht legte sich ein Schatten. »Die Ermordete ist eine Polizistin. Maria Coppola.«
Phil und ich sahen uns an. Der Namen sagte uns nichts.
Mr. High spannte uns nicht lange auf die Folter, als er in unsere fragenden Gesichter sah. »Sie war Mordermittlerin beim NYPD und verfolgte Serientäter.«
Spätestens jetzt waren wir hellhörig geworden.
Der Tatort war weiträumig abgesperrt. Das gelb-schwarze Band flatterte im Wind, der vom Ausläufer des Hudson River herüberwehte. Dahinter zahlreiche weiß-blaue Einsatzfahrzeuge der Polizei mit blitzenden Warnlichtern auf dem Dach. Einer der Cops in der dunkelblauen Uniform des New York Police Department bemerkte uns, hob das Absperrband hoch, und wir fuhren mit unserem flachen Flitzer bequem darunter durch.
Als wir ausstiegen, kam ein quirliger Hispano mit ernstem Gesicht, aber freundlich blitzenden Augen auf uns zu. Er war der zuständige Police Officer des 72. Bezirks und als Erster am Tatort gewesen. Er stellte sich uns als Randy Gonzales vor.
»Das ist Special Agent Decker, und ich bin Special Agent Cotton vom FBI«, sagte ich zur Begrüßung, während Phil ihm den Cup Carrier aus Pappmasche mit vier Bechern heißem Kaffee entgegenstreckte, die wir unterwegs in einem Coffeeshop mitgenommen hatten.
Er griff sich einen, bedankte sich und nahm einen Schluck von dem dampfenden Gebräu. Die restlichen Becher verteilte Phil an die umstehenden Beamten, die sich freundlich bedankten. Ein guter Einstand bei den Kollegen war nie verkehrt.
»Die Tote ist eine Frau Mitte vierzig. Eine Kollegin, wie Sie wahrscheinlich wissen«, begann Gonzales. Ein Profi, der sich nicht lange mit Floskeln aufhielt. Das gefiel mir. »Ein Hafenarbeiter hat sie heute früh zu Beginn seiner Schicht gefunden. Er arbeitet in einem der Lagerhäuser.«
Gonzales deutete auf einen großen Bau in unserem Rücken. Durch riesige Tore wurden mithilfe von Gabelstablern Paletten rein und raus transportiert. Auch hier verhinderte das Flatterband Unbefugten den Zutritt zum Tatort. Obwohl dieser Ort abseits lag, hatten sich mehrere Schaulustige eingefunden. Sie beobachteten die Arbeit der Polizei. Einige schossen mit ihren Smartphones Bilder oder drehten Videos. Echte Reporter waren keine darunter, wie es aussah.
»Er hat von sich aus die Polizei gerufen?«
»Ja, Agent Cotton, wir sind gleich mit einer Streife losgefahren, nachdem der Anruf bei uns eingegangen ist. Es macht auf uns nicht den Eindruck, als hätte er etwas mit der Tat zu tun.«
Langsam bewegten wir uns auf einen Körper am Boden zu. während wir redeten. Was brachte eine Polizistin in Zivil in eine Gegend wie diese? Sicher, es gab schlimmere Ecken in der Stadt, aber selbst das Szeneviertel Red Hook war ein paar Blocks entfernt. Hatte sie der Täter hierhergelockt? Oder war sie woanders getötet worden, und er hatte die Leiche nur hier abgeladen?
Drei in die typischen atmungsaktiven Schutzanzüge der Spurensicherung gehüllte Gestalten untersuchten den Tatort. Jedes Detail war wichtig und lieferte womöglich Aufschlüsse über den Tathergang. Alles wurde mit Fotos dokumentiert. Kleinste Spuren biometrischen Materials führten uns vielleicht schon bald auf die Spur des Mörders. Damit mögliche Beweismittel vor Gericht standhielten, durfte ein Tatort keinesfalls kontaminiert werden.
Die Kollegen des NYPD waren vorausschauend genug und hatten die Absperrung so weiträumig angebracht, dass wenigstens der Leichnam von den Blicken der Gaffer abgeschirmt war. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Bilder vom Tatort den Weg ins Netz fanden. So war sie, die schöne neue Welt der sozialen Medien. Ein schickes Selfie mit einer echten Leiche im Hintergrund, das brachte im Zweifel einige Likes und mehr Follower.
»Wisst ihr schon, ob sie hier getötet wurde und wann?«, wollte Phil vom Kollegen des NYPD wissen.
»Laut ersten Erkenntnissen der Spurensicherung sind Tatort und Fundort der Leiche identisch. Darauf deuten zahlreiche Blutspuren hin. Wann sie getötet wurde, da können die Kolleginnen vielleicht inzwischen mehr dazu sagen.«