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Randal Roeder trat an die Tür seines Apartments, um einem Paketboten zu öffnen. Der Mann erstach ihn und verschwand. Wir vom FBI übernahmen den Fall, da das Opfer aus Iowa stammte. Roeder war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte ein Stipendium in Harvard erhalten und Jura studiert. Seit drei Monaten war er in einer renommierten New Yorker Anwaltskanzlei tätig gewesen. Sein Tod gab uns Rätsel auf, und wir mussten uns fragen, ob einer seiner zwielichtigen Mandanten damit zu tun hatte ...
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Advokat des Teufels
Vorschau
Impressum
Advokat des Teufels
»Darling, es hat geklingelt!«, rief Zoe ihm aus der Küche zu. »Kannst du aufmachen?«
»Ich gehe schon«, erwiderte Roeder und legte die Zeitschrift zur Seite.
Als er die Tür des Apartments öffnete, stand ihm ein Paketbote gegenüber. Seine Schirmmütze war tief ins Gesicht gezogen.
»Paket für Randal Roeder«, sagte er, machte allerdings keine Anstalten, das Päckchen auszuhändigen.
»Für mich? Ich kann mich nicht erinnern, etwas bestellt zu haben.«
Als Roeder einen Blick auf das Paket werfen wollte, zog der Bote ein Messer hervor und rammte es ihm in den Bauch. Weitere Stiche in Brust und Unterleib folgten.
»Warum?«, brachte Roeder röchelnd hervor und sackte zusammen.
Der Mann wischte das Blut von der Klinge, steckte das Messer weg und verschwand.
Randal Roeder versuchte zu schreien, brachte aber nicht mehr als ein Krächzen zustande.
»War es für dich oder für mich?«, rief seine Freundin.
Da er nicht antwortete, kam sie an die Tür. Als sie ihn blutüberströmt auf der Türschwelle liegen sah, schrie sie entsetzt und lief zu ihm.
»Randal, was ist passiert?«, schluchzte sie.
»Ein Mann ...«, stöhnte er und schloss die Augen. »Ich ... ich liebe dich!«
»Du musst wach bleiben, bleib wach!«, rief sie und zog ihr Handy hervor, um den Notruf zu wählen.
Es dauerte nur drei Minuten, bis sein Herz zu schlagen aufhörte.
Mein Handy klingelte, als Phil und ich gerade Feierabend gemacht hatten und mit dem Jaguar aus der Tiefgarage des Javits Federal Office Building an der Federal Plaza in New York fahren wollten.
Der Anruf kam von Mr. High. »Hallo, Jerry, sind Sie noch im Gebäude?«
»Ja, Sir, in der Tiefgarage«, antwortete ich.
»Ich bin gerade über einen Mord an einem jungen Anwalt informiert worden, der im Zusammenhang mit der Mafia stehen könnte«, sagte der Chef. »Ich möchte Ihnen den Fall übergeben. Das Opfer lebte auf der Upper West Side, also in Ihrer Wohngegend. Die Kollegen vom NYPD sind vor Ort.«
»Das werden wir auch gleich sein«, sagte ich. »Können Sie uns die Infos schicken?«
»Wird erledigt«, sagte Mr. High. »Geben Sie mir bitte nach Möglichkeit noch heute Abend einen kurzen Bericht.«
»Natürlich, Sir.«
»Viel Erfolg!«
Er beendete das Gespräch.
Phil verzog das Gesicht. »Das hörte sich so an, als könnte ich mein Date heute Abend vergessen.«
»Mag sein«, sagte ich. »Vielleicht musst du es auch nur verschieben.«
»Dann werde ich Claire besser Bescheid geben, dass es etwas später werden kann.«
»Claire? Hieß sie nicht Heather?«
Phil grinste. »Das ist eine lustige Geschichte. Ich denke, es ging Heather von Anfang an darum, ein Date für Claire zu organisieren. Ihr Freund hat sie kürzlich verlassen, was sie ziemlich getroffen hat, und ...«
»... und du hast dich angeboten, sie zu trösten.«
»So würde ich das nicht formulieren.«
»Hat Ihr Freund Sie verlassen? Ist Ihr Herz gebrochen? Spricht alles gegen Sie? Rufen Sie Phil Decker an!«, textete ich und fuhr los.
Während der Fahrt rief Phil die Informationen über den Mordfall ab, die Mr. High uns geschickt hatte.
»Tödlicher Angriff mit einem Messer auf den Anwalt Randal Roeder«, sagte er. »Unbekannter Täter, männlich, hat ohne Vorwarnung auf das Opfer eingestochen und ist verschwunden. Rettung war nicht mehr möglich.«
»War das Opfer allein?«, wollte ich wissen.
»Nein, seine Freundin war im gemeinsamen Apartment anwesend. Sie hat den Angriff nicht gesehen, auch den Täter nicht. Das Opfer hat gesagt, dass es ein Mann war, mehr nicht.«
»Und was hat dieser Rechtsanwalt mit der Mafia zu tun?«
»In seiner Wohnung haben die Kollegen vom NYPD Akten gefunden. Dem Detective vor Ort ist wohl aufgefallen, dass einer der Fälle von Roeder mit einem Mafiamitglied zu tun hatte, und dachte, der Fall könnte uns interessieren.«
»Wir sollten mehr über den Anwalt und seine Mandanten herausfinden. Steht da, für welche Kanzlei er tätig war?«
Phil schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht.«
»Sollte nicht schwer herauszufinden sein«, sagte ich und bremste scharf ab, da die Ampel vor uns gerade auf Rot umgeschaltet hatte.
Leider war es nicht nur eine rote Ampel, die uns aufhielt. Auch der Verkehr, der um diese Zeit selbst für New Yorker Verhältnisse besonders dicht war, behinderte unser Vorankommen, sodass wir über eine Stunde zum Ziel brauchten.
Das Opfer hatte in einem fünfstöckigen Gebäude am Riverside Drive gewohnt.
»Noble Wohngegend«, kommentierte Phil, als wir ausgestiegen waren. »Ich wette, man kann von oben den Hudson River sehen.«
»Ja, wer hier wohnt, der muss eine Stange Geld verdienen. Wie alt war das Opfer?«
»Vierundzwanzig«, antwortete Phil. »Aus Iowa. Unverheiratet. Kein Hinweis darauf, dass er aus reichem Elternhaus stammt. Vielleicht hat er in der Lotterie gewonnen.«
»Eher unwahrscheinlich. Du weißt ja, wie schlecht da die Chancen stehen.«
Wir betraten das Gebäude. Die Kollegen vom NYPD waren noch anwesend, die Crime Scene Unit schien ihre Arbeit gerade zu beenden.
»Wer ist hier zuständig?«, fragte Phil einen stämmigen schwarzen Officer.
»Detective Johnson, sollte oben im Penthouse sein«, antwortete er.
Wir gingen die letzten Treppenstufen hinauf und blieben vor dem Apartment des Opfers stehen. Es war nicht schwer zu finden, denn bei der Wohnungstür befand sich eine große Blutlache, darauf das Opfer.
»Viel Blut«, sagte Phil. »Der Täter wollte dem Opfer offenbar keine Chance lassen.«
»Armer Kerl.«
»Sind Sie die angekündigten Agents vom FBI?«, rief uns eine Frau Mitte vierzig mit rauchiger Stimme aus dem Apartment zu.
Ich nickte und zeigte meine Marke. »Genau die sind wir. Detective Johnson?«
»In Person. Sie können hereinkommen, die Crime Scene Unit hat bereits alle Spuren gesichert. Und das Blut ist schon trocken. Mehr oder weniger. Sie sollten trotzdem besser einen Bogen darum machen.«
»Ich glaube nicht, dass wir schon das Vergnügen hatten«, meinte Phil. »Sind Sie neu hier?«
»Wenn man nach drei Monaten noch als neu gilt, dann ja«, antwortete sie. »Komme aus Chicago. Wollte mal was anderes sehen. Aber Leichen sind überall Leichen. Das ist in New York kaum anders als in Illinois.«
»Was können Sie uns zu Opfer und Tathergang sagen?«, fragte ich.
»Randal Roeder, aufstrebender junger Anwalt, wohnte hier mit seiner langjährigen Freundin Zoe Zane. In Harvard hat er mit einem Stipendium Jura studiert und als einer der Besten seines Jahrgangs abgeschlossen. Anschließend ist er in New York von der Kanzlei Wolfram & Stark eingestellt worden. Die finanzieren auch dieses Apartment. Ist wohl so ein elitärer Juristenschuppen.«
Phil konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Elitärer Juristenschuppen?«
Sie seufzte. »Ja, Sie wissen schon, Typen in maßgeschneiderten Anzügen, die Schweizer Chronometer am Handgelenk tragen und immer gleich die Uhr mitlaufen lassen, wenn man mit ihnen redet, um ihre horrenden Honorare minutengenau abzurechnen.«
»Ja, solche Typen sind mir nur zu gut bekannt«, erwiderte Phil. »Und weiter?«
»Mehr weiß ich über Wolfram & Stark nicht. Was ich weiß, hat mir Miss Zane erzählt.«
»Und der Mord? Sie hat den Täter nicht gesehen, oder?«, hakte ich nach.
»Sie sagt Nein«, bestätigte Detective Johnson. »Ich glaube ihr. Ehrlich gesagt, kann ich mir vorstellen, dass sie auch hätte dran glauben müssen, wenn sie ihn gesehen hätte. Das war ein gezielter Mord, kein Streit, der eskaliert ist oder etwas in der Art. Der Typ, der das getan hat, wollte Roeder töten.«
Ich stimmte ihr zu. »Sie hatten das FBI informiert, weil es hier Dokumente geben soll, die mit der Mafia zu tun haben.«
»So ist es«, bestätigte sie. »Ich habe mich umgesehen. Es gibt mehrere Akten. Meiner Einschätzung nach handelt es sich um Fälle, die Roeder bearbeitet hat. Und bei einem geht es um ein Mitglied der Tresco-Familie. Ich habe nicht viel weiter gelesen, sondern mich daran erinnert, dass das FBI eine Task Force zur Bekämpfung der Mafia hat.«
»Stimmt, wir sind Teil davon.«
»Dann wird das hier wohl Ihr Fall, Agent Cotton, oder? Mafiamorde fallen in Ihren Zuständigkeitsbereich.«
»Sicher«, sagte ich. »Wenn es sich um einen Mafiamord handelt.«
»Wenn ich bedenke, wie Roeder getötet wurde, war das eine Hinrichtung«, sagte sie.
Ich nickte.
»Können Sie mich auf dem Laufenden halten?«, fragte sie und reichte Phil ihre Visitenkarte.
»Versprechen kann ich nichts, aber ich denke, in gewissem Rahmen wird das möglich sein«, sagte er.
»Natürlich.«
»Könnten Sie uns die Akte zeigen, die mit der Mafia zu tun hat?«
»Sicher, Agent Decker.« Sie holte eine Mappe von einem Schreibtisch und reichte sie uns.
In der Akte gab es ein paar Namen, die uns bekannt vorkamen, und Fotos. Phil nahm die Akte an sich.
»Wo ist die Freundin des Opfers?«, fragte ich. »Wir würden uns gern mit ihr unterhalten.«
»Hinter der Tür dort«, sagte Detective Johnson und zeigte in die Richtung. »Sie ist ziemlich mitgenommen. Kein Wunder, sie war dabei, als er starb, und konnte es nicht verhindern. Eine traumatische Situation.«
Wir bedankten uns und traten zu Zoe Zane. Sie saß wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa im Nebenzimmer. Ihre Augen waren leicht geschwollen, an den Händen klebten noch Blutreste.
»Guten Tag«, sagte ich. »Wir sind vom FBI New York, die Agents Decker und Cotton. Zunächst einmal unser aufrichtiges Beileid.«
Sie nickte fast unmerklich und brach in Tränen aus. Die Ermordung ihres Freundes war auch erst wenige Stunden her. Phil und ich hatten schon oft mit Angehörigen von Opfern gesprochen und wussten, wie wir uns zu verhalten und was wir zu erwarten hatten.
»Sie haben versucht, ihn zu retten, nicht wahr?«, fragte ich.
Wieder nickte sie und schluchzte noch stärker. »Ja-a-a, aber es hat nichts ge-genutzt. Er ... er ist einfach g-g-gestorben und hat mich allein gelassen!«
»Konnte er sich noch verabschieden?«
Zoe Zane holte tief Luft.
»Er sagte, dass er mich liebt. Das waren seine letzten Worte. Ich wollte die Blutung stoppen und habe mich darauf konzentriert. Wenn ich gewusst hätte, dass es zu Ende geht und dass das unsere letzten gemeinsamen Augenblicke sind ...« Sie brauchte eine Weile, dann hatte sie sich etwas beruhigt und fuhr fort. »Es ist ungerecht! Er hat so hart gearbeitet, um es bis nach New York zu schaffen und diesen Job zu bekommen. Alles lief prima. Und jetzt das! Ich kann nicht glauben, dass das wirklich geschehen ist. Es ist so surreal.«
Sie suchte nach einem trockenen Taschentuch und wischte sich das Gesicht ab. Ich gab ihr einen Moment. Jemand, der gerade ein derart traumatisches Erlebnis hinter sich hatte, musste mit Feingefühl behandelt werden. Ansonsten war eine Befragung zum Scheitern verurteilt.
»Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, sagte ich. »In meinem Job habe ich es oft mit Gewalttaten zu tun. Ich kenne den Schmerz, den sie verursachen. Die nächsten Stunden und Tage werden nicht leicht für Sie werden.«
Sie schluckte, hob den Kopf und schaute mich aus verweinten Augen an. »Es geht mir furchtbar. Am liebsten würde ich sterben. Zumindest fühlt es sich so an.«
»Das verstehe ich. Ihr Freund würde sicher wollen, dass Sie weiterleben.«
»Sicher würde er das. Aber er ist weg und ich bin allein.« Wieder rann ein Schwall Tränen ihre Wangen hinunter.
Es dauerte eine Weile, bis sie vernehmbar war.
»Sie sagten, Sie sind vom FBI. Wieso ist Randals Tod eine FBI-Angelegenheit?«
»Möglicherweise hat der Täter Verbindungen zur Mafia«, sagte ich. »Ihr Freund hatte einen Fall, der darauf hindeutet. Hat er mit Ihnen über seine Mandate geredet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat darauf bestanden, Job und Privatleben zu trennen. Ich meine, er hat ab und zu Akten mit nach Hause genommen, ich sollte jedoch nicht reinschauen. Habe ich auch nicht gemacht. Diesbezüglich kann ich Ihnen also nicht weiterhelfen.«
»Kein Problem«, sagte ich. »Wüssten Sie jemand, der Probleme mit Ihrem Freund hatte? Jemand, mit dem er kürzlich oder auch früher Stress hatte?«
»Über seine Heimat weiß ich nicht viel«, antwortete sie. »Er stammt aus einem Kaff in Iowa. Ich bin mal mit ihm hingefahren, allerdings nur kurz, da konnte ich keinen kennenlernen. Er war unheimlich schlau und wissbegierig. Deshalb hat er ein Stipendium in Harvard erhalten. Dort sind wir uns zum ersten Mal begegnet.«
»Sie haben auch in Harvard studiert?«, wollte ich wissen.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe im Marketing in der Nähe der Uni gearbeitet. Wir haben uns auf einer Party kennengelernt. Wie das eben so ist. Er war ein schüchterner Mann, aber unheimlich nett. Ich fand ihn gleich toll. Das war etwa ein Jahr vor seinem Abschluss.«
Ich nickte.
»Nachher hat er das Angebot bekommen, in New York bei Wolfram & Stark zu arbeiten. Darüber hat er sich riesig gefreut. Und ich war so stolz, dass er mich mitnehmen wollte. New York ist völlig anders als Cambridge, die Stadt, in der die Harvard Universität ihren Sitz hat. Cambridge hat etwas mehr als hunderttausend Einwohner und New York ... Das wissen Sie ja selbst. Wir sind jetzt einige Monate hier, und es ist uns wirklich gut ergangen. Die Kanzlei ist spitze, und die Leute dort haben uns freundlich empfangen. Nie habe ich mir Sorgen um unsere Sicherheit gemacht. Und nun das ...«
»Also gab es keine keine Drohungen oder etwas in der Art?«, hakte ich nach.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht!«
Phil legte die Akte, in der Fotos und Namen von Mafiamitgliedern auftauchten, auf den Tisch und schlug sie auf. »Schauen Sie sich bitte die Fotos an. Kommt Ihnen einer der Männer bekannt vor?«
Zoe Zane beugte sich vor und musterte die Aufnahmen. »Nein, ich glaube nicht, einen von denen schon mal gesehen zu haben. Und wie gesagt, Randal hat mir nichts über die Fälle erzählt.«
»Natürlich hatte er sich an die anwaltliche Schweigepflicht zu halten, das ist verständlich«, sagte ich. »Ich weiß, dass es hart ist, aber könnten Sie uns bitte erzählen, was genau passiert ist, als Ihr Freund angegriffen wurde?«