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Seltsame Todesfälle unter gesuchten Verbrechern ließen Phil und mich aufhorchen. Erst kam ein Raubmörder namens Scarf in einer Hütte ums Leben, in der er sich versteckt hatte, dann fuhr der Frauenmörder Cris Mason seinen Fluchtwagen geradewegs ins Meer und ertrank. Als Zeugen auftauchten, die die Gesuchten angeblich nach deren Ableben gesehen hatten, wurden wir endgültig misstrauisch. Und uns wurde klar, dass wir einem Komplott auf der Spur waren, dem noch ganz andere lange gesuchte Kriminelle angehörten ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Wer jagt schon einen Toten?
Vorschau
Impressum
Wer jagt schon einen Toten?
Adam Scarf sah auf seine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde. Er blickte die Flushing Avenue entlang. Die Straße war ziemlich belebt. Sicher gab es hier Überwachungskameras. Besser, er nutzte Nebenwege, um nach Bushwick zu gelangen. Also bog er ab, verlangsamte seine Schritte und entdeckte an der nächsten Ecke ein Fast-Food-Restaurant.
Er wusste nicht, wie seine Flucht verlaufen würde, wenn er weitere Anweisungen erhalten hatte. Etwas zu essen, um die Sache gestärkt anzugehen, war bestimmt nicht falsch. Er tastete in seiner Tasche nach Geld, betrat das Lokal und bestellte einen Burger.
Zum Essen verzog er sich in den hintersten Winkel. Keine zwei Yards von ihm entfernt saß ein Mann mit einem Tablet. Er wischte, und jetzt konnte Scarf sein eigenes Gesicht auf dem Computer sehen. Zusammen mit der Schlagzeile: Raubmörder immer noch auf der Flucht!
Verdammt, er hatte einen Fehler begangen.
Wenn sich der Mann mit dem Tablet umdrehte und ihn erkannte, war es aus. Wäre er doch irgendwo draußen geblieben, hätte sich bis zum Termin an einem anderen Platz verborgen gehalten.
Er senkte den Kopf. Gleichzeitig aß er den Hamburger und äugte zu dem Mann hinüber, der den Artikel gewissenhaft zu lesen schien.
Ich muss hier raus!, schrie Scarfs innere Stimme. Ich muss hier raus, und zwar sofort!
Mit großen Bissen gab er dem Hamburger den Rest. Dann drückte er sich aus dem Sitz und wollte an dem Mann vorbei. Es war offensichtlich ein Büroangestellter, der gerade Mittagspause machte.
Der Durchgang zwischen den fest montierten Tischen war eng. Scarf konnte nicht verhindern, dass er den Mann mit dem Tablet kurz berührte.
»Entschuldigung«, murmelte Scarf und ging weiter zum Ausgang, das Tablett mit den Verpackungsresten seiner Mahlzeit in der Hand. Mitten im Sitzbereich des Lokals hing an einer Säule ein Schild. Darauf war zu lesen, dass die Gäste gebeten wurden, die Tabletts zu einem dafür vorgesehenen Ständer zu bringen.
Scarf musste sich zur Seite drehen, um einen freien Platz in den Fächern zu finden. Da streifte sein Blick den Mann, der den flachen Computer in der Hand hielt. Und der Mann sah ihm genau ins Gesicht.
»He, Moment mal!«, rief der Mann in der Ecke.
Da war Scarf schon auf die Straße getreten. Und es traf ihn wie ein Blitz, als vor ihm ein blau-weißer Wagen des New York Police Department hielt. Zwei Cops stiegen aus. Scarf wandte sich ab. Hinter ihm im Lokal rief der Mann wieder etwas. Die Polizisten waren sofort alarmiert, verstanden jedoch offenbar nicht, dass es um Scarf ging.
So schnell es ging und so unauffällig wie möglich versuchte er, Abstand zwischen sich und das Fast-Food-Lokal zu bekommen.
Bis zur nächsten Ecke ähnelte das, was er da vollführte, einem schnellen Spaziergang. Ein Stück weiter gelangte er zu einer Straßenecke mit einem Parkplatz, auf dem sich die verschiedensten Fahrzeuge drängten, darunter einige Trucks und Wohnmobile. Scarf bog auf das Gelände ab und nutzte die Deckung. Als er die nächste Straße erreicht hatte, lief er los.
Immer wieder blickte er zurück.
Stopp, sagte er sich. Mach langsam. Rennende Leute fallen auf. Die New Yorker gehen schnell und haben es immer eilig, aber sie rennen nur in den seltensten Fällen.
Ihm brach der Schweiß aus. Er verlangsamte sein Tempo und sah immer wieder auf die Uhr. Man hatte ihm eingeschärft, auf keinen Fall früher an der vereinbarten Stelle in Bushwick zu erscheinen.
Klar, dachte er. Die wissen, dass ich unter Umständen ein paar Cops hinter mir herziehe, und mit denen wollen sie keine Bekanntschaft machen ...
Weiter, immer weiter, durch die endlosen Straßen von Brooklyn. Vorbei an den typischen Wohnhäusern aus New Yorker Brownstone mit den typischen Hochparterretreppen davor. Vorbei an anderen Fast-Food-Restaurants, an Tattooläden und Geschäften für Secondhandkleidung. Weiter, weiter.
Nach mehr als zwanzig Minuten tauchte vor Scarf die Bahnlinie auf, die nördlich von Bushwick verlief. An der Metropolitan Avenue ging sie an einer riesigen Mall vorbei, die über einen gigantischen Parkplatz verfügte. An der Ostseite war er mit einem Drahtzaun von dem eigentlichen Gleiskörper abgetrennt, der an vielen Stellen deutliche Schäden hatte.
Scarf tat so, als wäre er ein Kunde, der sich auf dem Weg zu seinem Auto befand. Gleichzeitig hielt er nach Überwachungskameras Ausschau. Hier im hinteren Parkplatzbereich schien es keine zu geben. Die Leute, mit denen er zusammenarbeitete, hatten die Ecke klug ausgewählt.
Er blieb stehen und sah durch die Maschen des Zauns. Gestrüpp und kleine Büsche verdeckten die Sicht auf die Bahngleise. Es wirkte, als befände sich Scarf an einem Waldrand. Doch dahinter ging die Stadt weiter, da lag der Faiths Cemetery, einer der Friedhöfe von Brooklyn.
Alles, was er zu tun hatte, war, die Pfosten des Zauns abzuzählen. Die Zahl, die er im Kopf hatte, lautete zweiundzwanzig. Am Pfosten Nummer zweiundzwanzig wartete etwas auf ihn.
Tatsächlich. Eine der Bodenplatten, die den Pfosten umgaben, war etwas schief und stand nach oben ab, sodass darunter ein kleiner Hohlraum entstanden war. Wer nicht wusste, dass das ein Versteck war, konnte glauben, irgendwelche Wurzeln hätten die Platte nach oben gedrückt.
Scarf bückte sich, griff in den Hohlraum, ertastete einen Gegenstand und zog ihn heraus. Es war ein Handy, in Plastik eingewickelt. Scarf wusste, dass er mit dem Telefon, das über eine anonyme Prepaidkarte verfügte, jemanden anrufen sollte. Und die dafür einprogrammierte Kurzwahl war die gleiche wie die Nummer des Pfostens.
Das Handy war eingeschaltet. Scarf drückte zweimal die Ziffer Zwei. Sofort meldete sich eine Männerstimme.
»Sie sind pünktlich.«
Scarfs Herz raste, und er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Das Ganze machte sich in einer Ungeduld Luft, die ihn plötzlich überfiel.
»Was passiert jetzt?«, rief er ungehalten. »Wollen Sie weiter mit mir Verstecken spielen? Wir haben einen Deal.«
Der Mann auf der anderen Seite der Leitung blieb ruhig. »Ja, und wie Sie gerade bemerkt haben, halten wir den Teil, den wir dazu beitragen sollen, auch ein. Sie haben keinen Grund sich zu beschweren. Es ist doch alles gut gegangen.«
Scarf konnte sich gerade noch beherrschen, damit herauszuplatzen, dass nichts gut war, dass er in dem Fast-Food-Restaurant erkannt worden war. Zum Glück kam ihm rechtzeitig der Gedanke, dass es sicher besser war, wenn die Leute, die ihm zur Flucht verhelfen sollten, nichts davon wussten. Wenn sie erfuhren, dass man ihn vor einer halben Stunde in Brooklyn erkannt hatte, machten sie vielleicht einen Rückzieher. Und was sollte dann aus ihm werden? Dann konnte er sich gleich freiwillig stellen und lebenslängliche Haft antreten.
»Ja, es ist gut gegangen«, sagte Scarf und gab sich größte Mühe, so entspannt zu wirken wie der Mann. »Und was ist jetzt?«
»Es ist bald so weit. Wir sorgen dafür, dass die Polizei Sie nicht mehr jagt. Sie müssen in ein Versteck. Es befindet sich allerdings nicht in New York.«
»Nicht in New York?«, fragte Scarf. »Wo dann?«
»In Ossining«, kam die Antwort. »Genaueres erfahren Sie später. Und übrigens, falls Sie unterwegs gesehen werden, ist das nicht schlecht. Es wäre sogar gut, wenn man Ihre Spur nach Ossining verfolgt. Natürlich dürfen Sie sich nicht schnappen lassen. Kriegen Sie das hin?«
»Ja«, sagte Scarf. »Das kriege ich hin. Aber warum ist es nicht schlimm, wenn sie mich sehen?«
»Weil Sie in Ossining von der Bildfläche verschwinden«, sagte die Stimme. »Und zwar für immer. Sie werden für die Behörden tot sein. Und wer jagt schon einen Toten?«
Phil gähnte herzzerreißend. Dazu rieb er sich die Augen. Er nahm einen großen Schluck Kaffee, um sich wieder auf den Computer zu konzentrieren.
Ich brauchte meinen Partner nicht zu fragen, warum er so müde war. Es war die langweilige Aktenarbeit, die seine Leistungskurve nach unten brachte. Mir ging es ähnlich, und auch ich nahm einen großen Schluck des köstlichen Heißgetränks aus Helens Kaffeemaschine.
»Das ist jetzt schon der zweite Tag, an dem wir uns mit nichts als Papierkram befassen«, sagte Phil mürrisch.
»Wobei der Papierkram ja mittlerweile eher Computerkram ist«, verbesserte ich ihn.
»Für deine Spitzfindigkeit kann ich mir auch nichts kaufen«, gab er schlecht gelaunt zurück und sah auf die Uhr. »Wir haben übrigens längst Mittagspause. Vielleicht sollten wir runter in den Sandwichladen gehen und ...«
Das Festnetztelefon auf meinem Schreibtisch unterbrach ihn. Auf dem Display sah ich, dass es unser Kollege Steve Dillaggio war, der von seinem Büro aus anrief. Es befand sich nur ein paar Räume weiter auf demselben Gang.
»Na, zu faul, zu Fuß zu uns herüberzukommen?«, fragte ich, nachdem ich abgehoben hatte. »Dabei würde dir ein bisschen Bewegung guttun.«
»Das wäre die falsche Richtung, Jerry«, sagte Steve. »Wir sollen zu Mister High kommen. Ich habe ja schon mitgekriegt, dass ihr euch mit den Akten langweilt. Ich glaube, das hat jetzt ein Ende.«
Ein paar Minuten später saßen wir in der Besprechungsecke bei unserem Chef. Steve war dessen Stellvertreter, Mr. High erteilte ihm das Wort.
»Es geht um diesen Mann«, sagte Steve und zog ein Bild aus einer Mappe. Es zeigte einen großen bulligen Typ um die vierzig mit Vollglatze. »Sein Name ist Adam Scarf. Er hat in verschiedenen US-Bundesstaaten Raubmorde begangen und wird gesucht. Vier Menschenleben hat er auf dem Gewissen. Es wurde sogar eine Belohnung auf ihn ausgesetzt. Gerade heute war wieder ein Artikel über ihn in der Zeitung. Und prompt hat ihn jemand angeblich gesehen. In Brooklyn, in der Nähe der Flushing Avenue.«
»Das wäre die erste Spur seit über einem Monat«, ergänzte Mr. High. »Und wenn es stimmt, dass er in New York ist, haben wir die Chance, ihn zu kriegen.«
Ich wollte etwas sagen, Phil kam mir zuvor. »Aber so was kennen wir doch schon, Sir. Kaum ist ein Artikel über einen gesuchten Verbrecher in der Zeitung, kriegen wir alle möglichen Hinweise, die sich leider oft als falsch herausstellen. Vor allem, wenn es auch noch eine Belohnung gibt. Die Aussicht auf das Geld heizt die Fantasie der Leute an. Sie bilden sich ein, denjenigen gesehen zu haben.«
Es war genau das, was ich auch hatte sagen wollen.
»Das stimmt, Phil«, sagte Steve. »Aber erstens haben wir in diesem Fall nur diesen einen Hinweis, und zweitens kamen kurz nachdem der Zeuge Scarf gesehen hat, zwei Polizisten hinzu, die ihn ebenfalls erkannt haben.«
Die Sache war also ernst zu nehmen. Cops waren darin geschult, genaue Beobachtungen zu machen.
»Wieso haben sie ihn nicht festgenommen?«, fragte ich.
Mr. High bat Steve, den ganzen Ablauf zu schildern. Wir erfuhren, dass Scarf in einem Fast-Food-Restaurant gesessen hatte, wo just ein Angestellter in seiner Mittagspause auf seinem Tablet den besagten Zeitungsartikel las. Scarf war nach draußen gegangen, wo gerade die beiden Cops ankamen, die ebenfalls nur hatten essen wollen. Erst als der Gesuchte schon weg war, wurde ihnen klar, dass er es gewesen war.
»Sie dachten, es wäre in dem Restaurant etwas passiert«, sagte Steve. »Sie haben nicht verstanden, was der Mann gerufen hat. Und dann war es schon zu spät.«
»Wir müssen der Sache nachgehen, und zwar schnell«, meinte Mr. High. »Jerry und Phil, Sie haben den Auftrag. Sie sind hiermit von der Aktenarbeit entbunden.«
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Sofort gingen wir in das Büro von Dr. Ben Bruckner, der uns als Computerexperte unterstützte und dessen Hilfe wir unbedingt brauchten. Das Bild von Scarf hatten wir mitgenommen. Ich bat unseren Kollegen, sämtliche Überwachungskameras zu checken und zu schauen, ob Scarf irgendwo aufgetaucht war. In einer so großen Stadt wie New York war das eine gigantische Aufgabe. Doch Ben war ein Genie, weshalb ihm die Sache nur ein Schulterzucken entlockte.
»Ich scanne das Bild ein und schreibe ein Programm zum Datenabgleich«, sagte er. »Es dauert ein bisschen, bis es durch die Aufnahmen von den vielen Tausend Kameras durchgelaufen ist, aber wenn sich was ergibt, melde ich mich.«
Wir fuhren hinunter in die Tiefgarage, wo mein roter Jaguar wartete. In Brooklyn trugen wir in dem besagten Restaurant in der Nähe der Flushing Avenue noch einmal alles zusammen. Wir befragten die Servicekräfte an der Theke und einige Gäste, die schon heute am früheren Mittag hier gewesen waren. Sie erkannten Scarf sofort, sobald wir ihnen das Bild zeigten. Einige fragten nach der versprochenen Belohnung. Wir konnten nur darauf verweisen, dass das Geld erst floss, wenn wir aufgrund der Hinweise den Gesuchten auch festnehmen konnten.
Der Mann, der auf seinem Tablet Scarf in der Zeitung gesehen hatte, war wieder an seinem Arbeitsplatz. Es war eine Buchhaltungsfirma gleich nebenan. Auch er beteuerte, Scarf einwandfrei erkannt zu haben. Von der Belohnung wusste er nichts.
»Scarf ist also hier gewesen«, sagte Phil, als wir wieder auf der Straße standen. »Seltsam, dass er das Risiko eingeht und sich einen Hamburger genehmigt, wo doch so eine große Suche nach ihm läuft.«
»Zumal er sich so lange so erfolgreich versteckt gehalten hat«, fügte ich hinzu.
»Vielleicht hat er nach all der Zeit einfach nur einen Fehler gemacht. Wollte mal raus, wieder mal einen Hamburger essen ...«
»Kann sein, Phil«, meinte ich. »Oder es steckt etwas anderes dahinter.«
Mein Partner nickte. »In dem Fall werden wir wahrscheinlich noch mal mit ihm zu tun bekommen. Hoffen wir, dass die Liste seiner Opfer bis dahin nicht noch länger geworden ist.«
Skip war schon so lange obdachlos, dass er sich kaum an das Leben erinnerte, das er vorher geführt hatte, bevor er mit seinen Plastiktüten von Abfalleimer zu Abfalleimer gewandert war, immer auf der Suche nach etwas Verwertbarem. Immer auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz.
Sogar sein Nachname gehörte einer weit entfernten Vergangenheit an, die ihm wie ein anderes Leben erschien. Für sich selbst und für die anderen Obdachlosen war er einfach nur Skip.
Doch vor ein paar Wochen hatte sich etwas verändert. Ein Neuer war in den Kreisen der Abfallsucher mit den Plastiktüten aufgetaucht. Ein Typ namens Al. Skip hatte ihn im Norden von Queens getroffen. Auf einem Abbruchgelände, wo es noch ein paar intakte Gebäude gab, in denen man übernachten konnte.
Skip hatte zuerst gedacht, Al wollte ihm die Gelegenheit streitig machen, aber es war ja Platz genug vorhanden, und so hatten sie sich eine Weile unterhalten. Und da hatte Al bereits angekündigt, dass es ihm bald besser gehen würde. Viel besser.
Skip war neugierig und wollte wissen, was Al damit meinte. Und da erzählte Al ihm eine unglaubliche Geschichte.
In White Plains, einer Stadt nördlich von New York City, wohnten reiche Leute. Und reiche Leute waren nicht immer rücksichtlos und schlecht. Manche halfen auch den Mitmenschen, denen es schlechter ging. Man musste nur hinfahren und sich mit ihnen treffen. Sie hatten eine Organisation gegründet, um Obdachlose aus New York wenigstens über den Winter warm und trocken unterzubringen.
Skip wollte mehr darüber wissen. Al war auf einmal verschlossen und sagte nichts mehr dazu. Und eines Tages war er plötzlich verschwunden, nachdem Skip ihn jeden Abend auf dem Gelände in Queens getroffen hatte.
Al hatte jedoch etwas hinterlassen.
Eine Nachricht.
Und einen Zwanzigdollarschein. Das Fahrgeld nach White Plains. In der Nachricht war eine Telefonnummer angegeben. Skip suchte sich ein öffentliches Telefon und wählte sie. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine freundlich klingende weibliche Stimme, die ihn ermunterte, nach White Plains zu kommen. Sie sagte ihm sogar, welchen Zug er am besten nehmen sollte.
»Damit wir Sie direkt am Bahnhof abholen können«, fügte sie hinzu.
Skip konnte es nicht fassen. Die Stadt war nur eine Stunde Zugfahrt von New York City entfernt. Ein Katzensprung. Er brauchte das Angebot nur anzunehmen und der Winter würde ihm in diesem Jahr nichts ausmachen.
Wie ferngesteuert ging Skip zum Bahnhof und zog eine Fahrkarte. Eine leise Stimme in ihm versuchte verzweifelt, ihm klarzumachen, dass es so etwas nicht geben konnte. Reiche Leute, die Obdachlosen Fahrgeld zukommen ließen, sie an einem Bahnhof abholten und in eine Unterkunft brachten. Doch als Skip das Ticket in den Händen hielt, wurde die Stimme immer leiser und leiser.
Manchmal nahm Skip in New York die U-Bahn, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Und er war es gewohnt, argwöhnisch von den anderen Reisenden beäugt zu werden. Auch diesmal erlebte er das wieder, aber er kümmerte sich nicht darum. Mit seinen Plastiktüten belegte er in dem Waggon eine ganze Vierergruppe von Plätzen. Schließlich fuhr der Zug ein.
Als er bremste, wurde Skip klar, dass er fast kein Geld mehr hatte. In New York hatte er das letzte Mal etwas gegessen. Wenn sich das Ganze als Scherz herausstellen sollte oder wenn sich in White Plains niemand um ihn kümmerte, würde er nicht so leicht nach New York zurückkommen. Wieder wollte sich die Stimme in ihm melden und ihm sagen, dass er dann in der Falle saß. Sie verstummte sofort, als Skip durch die Bahnhofsvorhalle ging, wo ihn ein Mann ansprach.
»Sind Sie Skip?«, fragte er.
Skip sah ihn genauer an. Der Mann hatte blaue Augen, deren Farbton unnatürlich stechend war. Er verzog den Mund zu einem Lächeln.
»Mein Name ist Taylor«, fuhr er fort. »Ich soll Sie abholen, Skip. Sie haben doch mit uns telefoniert, oder nicht? Kommen Sie.«
Ein schwarzer Wagen wartete. Skip war dem Mann gefolgt und zögerte.
»Wollen Sie zu Fuß gehen?«, fragte Taylor und grinste wieder. »Das brauchen Sie nicht. Vertrauen Sie uns.«
Bevor sich die warnende Stimme erneut melden konnte, gelang es Skip, sie niederzuringen.
Taylor nahm Skips Plastiktüten und verstaute sie im Kofferraum. Dann ging die Fahrt los. Nach ein paar Minuten hatten sie die Stadt schon verlassen und folgten einer Straße, die durch einen Wald führte.
Jetzt brach sich die warnende Stimme in Skip erneut Bahn, und er hatte ihr nichts entgegenzusetzen.
Wo wollten die mit ihm hin? Wenn sie eine Unterkunft für Obdachlose hatten, befand die sich dann nicht in der Stadt?