1,99 €
Die frühere Krimiautorin Dana Nichols erschoss den ehemaligen Gangsterboss Leonard Mitchell vor einer Kirche, in der gerade seine Tochter Lara ihren Mann Sam Davenport geheiratet hatte. Der Fall war rätselhaft, denn Dana Nichols, die in einem New Yorker Seniorenheim lebte, und Mitchell waren sich offenbar nie zuvor begegnet. Fraglich war auch, woher sie den Revolver hatte, mit dem sie die Tat beging. Lara Davenport war überzeugt, dass Stuart Clasner, ein alter Konkurrent ihres Vaters, etwas mit dem Mord zu tun hatte, und wollte sich an ihm rächen. Während Phil und ich herauszufinden versuchten, wieso die alte Lady Mitchell getötet hatte, mussten wir gleichzeitig weiteres Blutvergießen verhindern ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Die alte Frau und der Tod
Vorschau
Impressum
Die alte Frau und der Tod
Seine Eltern hatten ihm beigebracht, dass Rache etwas Schlechtes war.
Doch das lag lange zurück. Schlecht oder nicht, nur die Rache würde seinen Schmerz lindern, davon war er inzwischen vollkommen überzeugt. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so hatte er es sogar irgendwann in der Bibel gelesen. Also musste da etwas dran sein.
War es vollbracht, würden vielleicht auch die Träume ein Ende haben, die ihn in so vielen Nächten quälten, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Er konnte es kaum abwarten.
Blut für Blut.
Vincent Bellgardt atmete auf, als er durch das mächtige Tor der St. Patrick's Cathedral ins Freie trat. Kirchen hatten schon immer eine beklemmende Wirkung auf ihn ausgeübt. Das lag auch daran, dass er in ihnen stets einen Hauch von Tod wahrzunehmen glaubte, was ihn wiederum an seine eigene Sterblichkeit erinnerte. Hier draußen dagegen tobte das Leben, und er fühlte sich gleich viel wohler. Wie um diese Uhrzeit üblich waren eine Menge Leute auf der Fifth Avenue unterwegs. Autos schoben sich Stoßstange an Stoßstange über den Asphalt. Der gewohnte Lärmteppich aus Stimmen, Motoren- und Hupgeräuschen sowie fernen Sirenen lag über allem.
Ja, so war es viel besser.
Der Tag war sonnig und angenehm warm, wie geschaffen für die Hochzeit von Lara Mitchell, die seit kurzem Davenport hieß. Bellgardt gehörte zu den Gästen des glücklichen Bräutigams Sam Davenport. Bis vor drei Jahren hatten sie gemeinsam für Laras Vater Leonard Mitchell gearbeitet und nach Feierabend gemeinsam so manches Glas Bier geleert, bevor der sich entschieden hatte, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Leo war ein guter Boss gewesen, der zu schätzen wusste, was er an seinen Leuten hatte. Bellgardt hatte es aufrichtig bedauert, sich einen neuen Brötchengeber suchen zu müssen.
Ihm fiel ein, dass er keine Ahnung hatte, wie sich Sam inzwischen seine Dollars verdiente. Angeblich hatte er ein Maklerbüro aufmachen wollen. Es waren wenigstens zweieinhalb Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Nicht dass sie Streit gehabt hätten, ihre Wege hatten sich einfach getrennt und bis heute nicht mehr gekreuzt, wie das Leben eben manchmal so spielte. Entsprechend überrascht war er gewesen, als er die Einladung in seinem Briefkasten gefunden hatte. Scheinbar gehörte Sam zu der Sorte Mensch, die keine alten Freunde vergaß.
Ein feiner Kerl war er immer gewesen. Raue Schale, weicher Kern, womöglich ein bisschen zu weich für jemanden, zu dessen Aufgaben es gehörte, Leute einzuschüchtern und hin und wieder einen kleinen oder größeren Knochen zu brechen. Manchmal hatte ihm Bellgardt ansehen können, dass ihm ein Auftrag nicht schmeckte. Trotzdem hatte Sam immer durchgezogen, was Bellgardt wiederum Respekt abgenötigt hatte.
Nur fragte er sich, was Sam dabei geritten hatte, ausgerechnet Lara vor den Traualtar zu führen. Sicher, schon damals war es ein offenes Geheimnis gewesen, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte. Mit ihren blonden Locken, den wasserblauen Augen, dem fein geschnittenen Gesicht und der schlanken Figur mit der beachtlichen Oberweite, der kein Chirurg nachgeholfen hatte, war sie zweifelsohne ein scharfes Geschoss. Selbst Bellgardt hätte sie nicht von der Bettkante gestoßen. Allerdings hätte er sie auch nicht bei sich einziehen lassen.
Denn so sehr ihr Aussehen auch dem eines Engels glich, seiner Meinung nach war Lara ein echtes Miststück. Sie als verwöhnt zu bezeichnen, wäre in seinen Augen mehr als geschmeichelt gewesen. Sie wusste genau, dass ihr Daddy seine schützende Hand über sie hielt, ganz gleich wie sie sich aufführte und mit anderen Leuten umsprang. Und das hatte sie weidlich auszunutzen gepflegt.
Wenigstens lag sie ihrem alten Herrn nicht auf der Tasche, sondern hatte sich eine kleine Karriere als Sängerin aufgebaut. Soweit Bellgardt das verfolgt hatte, reichte ihre Bekanntheit zwar noch nicht über New York hinaus. Zumindest war sie bei der großen Weihnachtsbaumparty am Rockefeller Center im vergangenen Jahr aufgetreten, was durchaus etwas heißen wollte, und das gleich nach einem echten Weltstar, den Bellgardt aufrichtig verehrte. Nur deshalb hatte er sich das Spektakel überhaupt im Fernsehen angeschaut. Ihm waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als plötzlich Lara in einem waldgrünen Lederoverall ins Bild getreten war.
Hinter ihm wurden Stimmen laut. Er warf einen Blick über die Schulter und sah die ersten Hochzeitsgäste aus dem Gebäude strömen. Er war kurz vor Ende der Zeremonie rausgegangen, weil er es drinnen nicht mehr ausgehalten hatte.
Die Hände lässig in den Hosentaschen, stieg er die drei Stufen zu dem Vorplatz hinunter, postierte sich neben einer Säule und ließ seine Blicke aufmerksam über die Umgebung wandern. Dazu bestand eigentlich kein Anlass, schließlich arbeitete er nicht mehr für Leo, der außerdem vor seinem Rückzug in den Ruhestand sämtliche Kriegsbeile begraben und offenen Rechnungen bezahlt hatte. Aber von alten Gewohnheiten hatte er schon immer nur schwer lassen können.
Mit der rechten Hand strich er in Brusthöhe über seinen Mantel und betastete den handliche kleine Smith & Wesson Equalizer, der in einem Holster unter seinem Jackett steckte. Wenn es jemand seltsam gefunden hätte, dass er mit einer Pistole bei einer Hochzeit auftauchte, hätte ihm Bellgardt das nicht übelnehmen können. Doch zu seinen Gewohnheiten gehörte es eben auch, niemals unbewaffnet das Haus zu verlassen.
Aus einer ein paar Yards entfernten Seitenstraße bog eine schneeweiße Lincoln Stretchlimousine in die Fifth Avenue ein. Zweifellos hatte jemand den Fahrer angerufen und Bescheid gegeben, dass sein Einsatz anstand. Direkt gegenüber dem Eingang der Kathedrale kam das riesige Gefährt zum Stehen. Die Feier würde im großen Ballsaal des Mandarin Oriental stattfinden. In der Einladung hatte gestanden, dass für die Gäste ein Shuttleservice bereitstehen sollte. Bellgardt vermutete, dass in Kürze eine Flotte Vans auftauchen würde.
Applaus brandete auf. Er drehte sich um und sah Lara und Sam aus der Kathedrale kommen. Der Bräutigam grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte dabei ebenmäßige weiße Zähne. In seinem teuren grauen Anzug mit dem roten Einstecktuch in der Brusttasche sah er aus wie aus dem Ei gepellt. Sein blondes Haar war sorgfältig frisiert und gescheitelt, die Haut tief gebräunt, als hätte er ein paar Extrarunden auf der Sonnenbank gedreht.
In ihrem strahlend weißen Kleid, das todsicher ein Vermögen gekostet hatte, wirkte Lara wie aus einem Märchen entsprungen. Sie lächelte und winkte wie eine Königin, die die Huldigungen ihrer Untertanen entgegennahm. Bellgardt wäre jede Wette eingegangen, dass sie sich auch genauso vorkam.
Neben ihr stand Leo, ganz der glückliche Brautvater. Er war fast kahl geworden, sah in seinem schnieken blauen Anzug aber wenigstens zehn Jahre jünger aus. In diesem Augenblick setzte er sich in Bewegung, um dem Paar vorauszugehen, wobei er unablässig applaudierte.
Bei dem Anblick musste Bellgardt lächeln. Dann wandte er sich wieder der Straße zu. Der Fahrer der Stretchlimousine, ein bulliger Asiate in einem dunklen Anzug und einer Mütze auf dem kantigen Schädel, war ausgestiegen und neben dem Wagen in Position gegangen, bereit, den Mitchells die Tür aufzuhalten. Wie Bellgardt vorausgesehen hatte, waren die ersten schwarzen Vans eingetroffen und hatten hinter der Limousine angehalten.
Später hätte er nicht sagen können, warum ihm die alte Frau aufgefallen war. Vielleicht weil sie wie für eine Festgesellschaft gekleidet war, obwohl sie nicht dazugehörte. Ihr magerer Körper steckte in einem schwarzen Kleid, auf dem Legionen von Strasssteinen in der Sonne funkelten. Dazu trug sie flache dunkle Schuhe und eine glänzende braune Lederhandtasche. Das graue Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden. Er schätzte sie auf wenigstens Ende siebzig. Mit schnellen, kleinen Schritten überquerte sie auf Höhe der Kathedrale die Fifth Avenue.
Als sie den Bordstein erreicht hatte, blieb sie stehen und starrte Richtung Brautpaar. Ihr hageres, von tiefen Falten übersätes Gesicht verzog sich zu einem düsteren Lächeln.
Bellgardt runzelte die Stirn. Was mochte das zu bedeuten haben?
Ohne den Blick von den Davenports abzuwenden, streifte sich die Alte die Handtasche von der Schulter, öffnete den Schnappverschluss, griff hinein und zog einen silbernen Gegenstand heraus.
Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand einen Eimer eiskaltes Wasser ins Genick geschüttet. Sie hatte einen Revolver in der Hand!
Jetzt ließ sie die Tasche fallen. Mit beiden Händen umfasste sie den Kolben, hob die Waffe und zielte auf einen Punkt hinter ihm.
Wie automatisch glitt eine Hand unter seinen Mantel. Er wusste, dass es zu spät war, doch er wollte es wenigstens versuchen.
Jemand schrie auf.
Dann peitschte der erste Schuss. Noch mehr Schreie. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass sich die Menschen um ihn herum zu Boden warfen.
Die Waffe ziehen, das Ziel anvisieren und abdrücken, dauerte kaum länger als einen Herzschlag. Trotzdem schaffte sie es, zweite weitere Schüsse abzufeuern.
Bellgardts Kugel traf sie mitten in die Brust. Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, taumelte sie einen Schritt zurück, bevor sie zusammenbrach und reglos liegen blieb.
Er wirbelte herum. Das Lächeln aus Laras Gesicht war verschwunden und hatte einem Ausdruck grenzenlosen Entsetzens Platz gemacht. Sam kniete neben ihr und hielt ihren Arm gepackt, als wollte er sie zu Boden zerren.
Leonard Mitchell lag zu ihren Füßen. Blut floss aus Wunden an seinem Hals und in seiner Brust. Seine toten Augen starrten in den blauen Himmel.
Rosa Perez strich das beigefarbenes Oberteil glatt und richtete ihre Frisur, bevor sie ihre erste abendliche Runde antrat. Ein gepflegtes Äußeres war ihr nicht nur wichtig, weil es die Geschäftsleitung von ihr erwartete, sondern auch ganz persönlich. Für sie war es ein Zeichen des Respekts gegenüber ihren Gästen, wie sie die Bewohner der Seniorenresidenz The Watermark of Brooklyn Heights nannte. Zwar würden diese Gäste nie wieder auschecken, doch bevor sie auf Pflegerin umgesattelt hatte, hatte Rosa viele Jahre als Zimmermädchen in verschiedenen Hotels gearbeitet und deshalb den Begriff beibehalten.
Hier waren die alten Leute nicht in Zimmern, sondern in Apartments untergebracht. Viele von ihnen bewältigten ihren Alltag vollkommen eigenständig, manche benötigten bei diversen Verrichtungen wie Anziehen oder Waschen die Unterstützung des Personals. Ihre Mahlzeiten nahmen die meisten im Speisesaal ein, der eher einem schicken Restaurant glich, und zum Fernsehen kam ein Großteil der Bewohner im mit bequemen Sesseln ausgestatteten Gemeinschaftsraum zusammen. Die Einrichtung verfügte über einen Pool, einen Fitnessraum, einen Frisörsalon und eine Bibliothek. Alles vom Feinsten.
Rosa selbst würde sich hier niemals ein Apartment leisten können, denn die Monatsmieten begannen bei achttausend Dollar. Jedoch liebte sie es, hier zu arbeiten. Die alten Leute behandelten sie fast durch die Bank ausgesprochen höflich und waren dankbar, wenn man sich um sie kümmerte, was Rosa von den meisten Gästen in den zweitklassigen Hotels, in denen sie vorher beschäftigt gewesen war, nicht hätte sagen können.
Dazu kam die bessere Bezahlung. Ausreichend für sie und ihre beiden Söhne, deren Vater sich vor acht Jahren aus dem Staub gemacht hatte. Anfangs hatte Rosa ihn jeden Tag dafür verflucht, inzwischen hatte sie ihren Frieden mit ihm gemacht. Es brachte nichts, sich über die Steine zu beklagen, die einem das Leben in den Weg legte. Man musste drübersteigen und weitergehen.
Sie durchquerte den mit braunem Teppich ausgelegten Korridor und machte vor der offenen Tür zum Gemeinschaftsraum Halt. Um diese Uhrzeit waren viele Bewohner beim Abendessen, weswegen die meisten Sessel leer waren. Lediglich drei Frauen und zwei Männer schauten sich auf dem riesigen Flachbildschirm die frühen Abendnachrichten an, darunter Mr. Pak, dessen Kopf sofort herumflog, als sie den Raum betrat.
Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er sie erblickte. Offenbar war er glänzender Laune, was bei Mr. Pak ein Alarmzeichen war. In diesem Zustand neigte er seit einiger Zeit dazu, seine Finger nicht bei sich zu behalten, wenn eine weibliche Angestellte in seine Nähe kam. Nach einem ernsten Gespräch mit dem Direktor vor vier Wochen hatte es bislang keine weiteren Vorfälle gegeben. Trotzdem entschied sich Rosa, auf der Hut zu sein.
»Guten Abend, Mrs. Perez!«, rief er.
Auch die anderen Anwesenden hatten sie bemerkt und nickten ihr freundlich zu. Nur Mrs. Mason starrte weiter wie gebannt auf den Fernseher, was Rosa seltsam vorkam. Normalerweise verfügte Mrs. Mason über ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis und verwickelte jeden, den sie zu Gesicht bekam, umgehend in ein ausführliches Gespräch. Heute schien sie daran keinerlei Interesse zu haben.
»Guten Abend, Ladys und Gentlemen«, begrüßte Rosa sie, wobei sie versuchte, Mr. Pak und Mrs. Mason gleichzeitig im Auge zu behalten.
»Sie haben einen sehr schönen Hintern, Mrs. Perez«, sagte Mr. Pak unvermittelt.
Rosa hob eine Braue. Einerseits hatte er recht, ihr Hintern war definitiv das Beste an ihr. Andererseits war diese Feststellung aus seinem Mund unangebracht. Trotzdem hätte sie beinahe lächeln müssen. In seinem blauen NYPD-Shirt und der gleichfarbigen Jogginghose wirkte der zierliche grauhaarige Mann wie die Unschuld in Person, als hätte er lediglich eine Bemerkung über das Wetter gemacht.
»Ts, ts, ts«, machte Mrs. Birdland, eine ehemalige Bankerin mit einem Faible für Mozart-Opern.
Mrs. Masons Blick blieb auf den Fernseher geheftet.
Blitzschnell überlegte Rosa, wie sie mit der Situation umgehen sollte, dann sagte sie: »Sie haben recht, Mister Park, mein Hintern ist schön. Dennoch hätten Sie diese Feststellung besser für sich behalten, meinen Sie nicht? Denken Sie an Ihr Gespräch mit Direktor Flowers.«
Er zuckte mit den Schultern, und sein Grinsen verwandelte sich in das verlegene Lächeln eines kleinen Jungen, der bei einem Streich erwischt worden war.
»Ganz recht«, kommentierte Mrs. Birdland. »So etwas Ungehöriges.«
»Mrs. Perez«, meldete sich erstmals Mrs. Mason zu Wort, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden.
Rosa trat auf sie zu. »Ja, Mrs. Mason?«
Sie hob die Hand und deutete auf den Bildschirm. »Ist das nicht Mrs. Nichols?«
Rosa hob den Kopf und sah zum Fernseher. Dort war ein offensichtlich mit einem Mobiltelefon aufgenommenes, verwackeltes Video zu sehen, das eine Menschenansammlung vor einer Kirche zeigte. Anhand dessen, was von dem Gebäude zu sehen war, schloss sie, dass es sich um die St. Patrick's Cathedral handeln musste. Eine Frau in einem schneeweißen Brautkleid trat ins Freie, an ihrer Seite ein Mann in einem grauen Anzug. Die Umstehenden begannen zu applaudieren.
Plötzlich gab es einen Knall, gefolgt von Schreien. Die Kamera vollführte einen leichten Schwenk und zoomte dann hektisch auf eine Frau in einem schwarzen Kleid, die mit beiden Händen einen Revolver hielt und zwei weitere Schüsse abgab, bevor sie zurücktaumelte und gleich darauf zusammenbrach.
Für einen Moment hatte Rosa das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Das Bild verschwand und machte einem Nachrichtensprecher in einem blauen Anzug Platz. Seine Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihre Ohren.
»Die Identität der Schützin ist weiterhin ungeklärt«, sagte er. »Sie hatte keine Papiere bei sich. Sollten Sie die Frau auf dem Video erkannt haben, wenden Sie sich bitte an die Polizei. Weiter zum Sport.«
»Was meinen Sie dazu?«, riss Mrs. Mason Rosa aus ihrer Erstarrung.
Sie war sich nicht sicher. Die Frau mit dem Revolver hatte Dana Nichols zweifellos ähnlich gesehen. Andererseits war die Aufnahme nicht besonders gut gewesen.
Das war unmöglich.
Oder?
Ohne auf Mrs. Masons Frage einzugehen, verließ sie den Raum und eilte mit schnellen Schritten ins Sekretariat. Als sie ohne anzuklopfen die Tür öffnete, hob Janet Myers hinter ihrem Schreibtisch den Kopf.
»Was ist denn mit dir los, Rosa?«, fragte sie. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
Genauso kam sie sich gerade vor.
»Könntest du nachschauen, ob Dana Nichols im Haus ist?«, bat sie ihre Kollegin. Wenn die Bewohner das Gebäude verließen oder zurückkehrten, checkten sie mit einer Magnetkarte aus oder ein.
»Aber ...«
»Bitte!«
Janet tippte etwas in ihren Computer und zog die Stirn kraus. »Sie hat das Haus heute Vormittag gegen elf Uhr verlassen und ist seitdem nicht wiedergekommen.«
Rosas Beine wurden so weich, dass sie sich am Schreibtisch festhalten musste.
»Wir müssen die Polizei anrufen«, hauchte sie.
Zwei Tage später
Lara Davenport nahm einen tiefen Zug von ihrer frisch angezündeten Zigarette und blies gleich darauf den Rauch aus, der sich nebelartig in dem schick eingerichteten Wohnzimmer ihres Penthouse verteilte.
Sam Davenport lehnte sich in seinem Lieblingssessel zurück und biss sich auf die Lippen. Es war kaum acht Monate her, dass Lara nach über zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte. Es war ihr nicht leicht gefallen, doch sie hatte tapfer durchgehalten und kaum zugenommen, weil sie mit eiserner Disziplin darauf geachtet hatte, die Sucht nach Nikotin nicht gegen die Sucht nach Schokolade oder anderen Süßigkeiten einzutauschen. Davenport war mächtig stolz auf sie und gleichzeitig erleichtert gewesen. Er hasste Zigarettenrauch, was in der Vergangenheit zu einigen hitzigen Diskussionen zwischen ihnen geführt hatte.
Dem gefüllten Aschenbecher nach zu urteilen, hatte sie heute bereits wenigstens eine Schachtel geleert. Nur war das nicht der richtige Zeitpunkt, um sie auf ihren Rückfall anzusprechen.
Sie hatte noch am Abend ihrer Hochzeit wieder damit angefangen, was er ihr zugegebenermaßen nicht verdenken konnte. Ihr schönster Tag im Leben hatte sich binnen Sekunden in einen Tag des Grauens verwandelt. So vernarrt der alte Leo in seine Tochter gewesen war, so abgöttisch hatte Lara ihren Vater geliebt. Und nun lag er im Leichenschauhaus.
Nie zuvor hatte Davenport seine Frau so am Boden zerstört gesehen. Tiefe Ringe lagen unter ihren Augen, und ihr Gesicht hatte eine gräuliche Farbe angenommen. Dazu passend trug sie einen schwarzen Jogginganzug mit dem grauen Schriftzug eines bekannten Modedesigners auf der Brust.
Mit einem leisen Seufzer warf er einen Blick durch das riesige Panoramafenster, das eine fantastische Aussicht auf die Stadt bot. Die untergehende Sonne tauchte die Wolkenkratzer in ein warmes Orange. Am Horizont flog lautlos ein Hubschrauber vorbei. Das dicke Glas schirmte die Bewohner von allen Geräuschen der Außenwelt ab.
Natürlich hatte Leo das Apartment bezahlt. Davenport hatte keine Ahnung, wie viel er dafür hingeblättert hatte. Wahrscheinlich mehr, als er selbst in seinem bisherigen Leben verdient hatte. Leo dagegen hatte sich solche Ausgaben problemlos leisten können. In seiner aktiven Zeit hatte er ein stattliches Vermögen angehäuft.