Jerry Cotton 3474 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3474 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In einem Haus in High Falls, Upstate New York, hatte es eine Schießerei gegeben. Fünf Menschen waren tot, nur ein Mann hatte überlebt. Angeblich hatte er sich im oberen Stockwerk versteckt und die Füße gegen die Tür gestemmt, sodass die Mörder ihn nicht hatten finden können. Ein derartiges Massaker sah nach einem Racheakt der Mafia oder eines Drogenkartells aus. Doch schon bald stellte sich heraus, dass es sich um die Verzweiflungstat einer einzelnen Person handelte ...


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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Ausgelöscht

Vorschau

Impressum

Ausgelöscht

Verena Bogdanov fuhr hoch. Das war doch ein Schuss? Ja, kein Zweifel, das war ein Schuss gewesen. Draußen hatte jemand geschossen.

»Werner?«, rief sie.

Ihr Mann antwortete nicht. Draußen fielen weitere Schüsse. Verena Bogdanov erhob sich vom Sofa. Sie hatte gleich gedacht, dass die Geschichte gestern mit dem Schuss in die Luft noch nicht zu Ende gewesen war. Diesen Kerlen war alles zuzutrauen. An der Wand hing Werners Jagdgewehr. Sie nahm es vom Haken. Ganz gleich, was passieren würde, sie würde sich zur Wehr setzen.

Eine Weile geschah gar nichts. Plötzlich wurde die Haustür aufgerissen. In der Türöffnung stand ein Mann. Mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Er hielt einen Revolver in der Hand. Verena Bogdanov drückte ab. Klick. Die Waffe war nicht geladen.

Aus!, dachte sie.

Der Mann schoss, sie stürzte zu Boden, dann dachte sie gar nichts mehr.

Als wir am nächsten Morgen in High Falls eintrafen, war die Straße noch abgesperrt. Sheriff Harvey Knox führte uns im Haus herum.

»Schöne Schweinerei«, sagte er. »Fünf Tote, und das in unserem friedlichen kleinen Ort. Niemals hätten wir damit gerechnet.«

»Nirgendwo ist man vollkommen sicher«, sagte ich.

»Das ist wohl wahr. Sehen Sie es sich an. Wir haben nichts verändert. Nur die Toten haben wir inzwischen abtransportiert.«

Phil und ich hatten die Pressekonferenz gestern Abend verpasst. Wir hatten nur die Aufzeichnung gesehen. Natürlich war ein Ereignis wie dieses immer auch ein Ereignis für die Medien. Eine Schießerei, bei der es mindestens vier Tote gab, fiel unter die Kategorie Mass Shooting.

Die Presse hatte nicht allzu viel berichten können. Der Sheriff sprach von einem tragischen Ereignis, ohne auf die Details einzugehen und ohne irgendwelche Spekulationen über den Grund dieser Schießerei anzustellen. Die Leute vom Fernsehen löcherten ihn, er antwortete ausweichend und gab nichts preis. Die Medien hatten das Haus von außen fotografiert. Möglichst wenig Leute sollten nach drinnen gelassen werden, um eventuelle Spuren nicht zu verwischen, bevor das FBI den Tatort in Augenschein genommen hatte.

»Was ich Ihnen jetzt sagen kann, ist nur vorläufig«, fuhr Knox fort. »Wir müssen die Untersuchung durch den Gerichtsmediziner abwarten. Dave Noble arbeitet sehr schnell und zuverlässig. Er hat uns gleich auf eine Besonderheit aufmerksam gemacht. Alle Opfer weisen mehrere Schussverletzungen auf. Die meisten hätten früher oder später zum Tod geführt. Der Täter hat zur Sicherheit jedem Opfer zusätzlich einen Genickschuss verpasst. Da lagen sie schon am Boden. Es war eine regelrechte Hinrichtung.«

»Wer sind die Opfer?«, fragte ich.

»Fast alle stammen aus einer Familie. Die Toten sind der achtzigjährige Abraham Bogdanov, seine Schwiegertochter Verena Bogdanov, deren Sohn Scott, seine Freundin Beatrice Frazier und Irvin Schwartz, ein Feriengast, der als Tourist nach High Falls gekommen ist.«

»Haben Sie irgendeine Erklärung für dieses Massaker?«, wollte Phil wissen.

Knox schüttelte den Kopf. »Ich bin seit zehn Jahren Sheriff und habe schon einiges erlebt. Aber solch eine brutale Tat habe ich noch nicht gesehen. Die Bogdanovs sind Bauern, haben niemandem etwas getan. Es ist mir vollkommen unbegreiflich, wie es zu diesem Blutbad kommen konnte.«

Ich sah den Mann fragend an.

Harvey Knox zuckte mit den Schultern. »Mehr weiß ich nicht. Vielleicht kann uns ja der Überlebende nähere Auskünfte geben.«

»Einer hat also überlebt?«, wunderte ich mich.

Der Sheriff nickte. »Werner Bogdanov, der Eigentümer des Hauses.«

»Ist er vernehmungsfähig?«, wollte ich wissen.

»Er hat die Schießerei unverletzt überstanden, er hatte sich im oberen Stockwerk versteckt. Natürlich hat er einen Schock, und wir haben ihn zunächst einmal zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht, aber ich denke, dass er vernehmungsfähig ist.«

Ich nickte.

»Als die Schießerei begann, stand der Feriengast offenbar gerade in der Haustür. Er war das erste Opfer. Er hat sich noch nach drinnen geschleppt. Die Blutspuren sind eindeutig. Im Wohnzimmer hat Verena Bogdanov gesessen. Die Ehefrau, vierzig Jahre alt. Sie war das zweite Opfer. Als die Schießerei losging, ist sie wohl aufgesprungen und hat nach dem Gewehr gegriffen. Sie hatte keine Chance.«

»Ist das das Gewehr?« Phil deutete auf eine Waffe, die an der Wand hing.

Der Sheriff nickte. »Wir haben es aufgehoben und wieder dort hingehängt, wo es hingehört.«

»Sie wussten, dass das Gewehr normalerweise dort an der Wand hing?«, fragte ich.

»Ich bin schon öfter hier gewesen«, erwiderte der Sheriff.

Ich sah ihn an. »Beruflich?«

Knox schüttelte den Kopf. »Die Bogdanovs sind sehr gastfreundliche Leute. Zum Sommeranfang haben sie immer ein großes Fest ausgerichtet, zu dem alle Nachbarn und Bekannte gekommen sind. Ich wohne in Kingston. Das ist nicht weit weg und auch nicht gerade nebenan. Elf Meilen. Ich war dabei, auch in diesem Jahr.«

»Weil Sie wussten, dass es immer dieses Fest gibt?«, wollte Phil wissen.

»Nein, das nicht. Das heißt, ich habe es gewusst. Dann habe ich ungefähr eine Woche vorher Werner Bogdanov in der Stadt getroffen, und er hat mich noch einmal ausdrücklich eingeladen.«

»Gab es irgendeinen speziellen Grund dafür?«, fragte ich.

Der Sheriff schüttelte den Kopf. »Warum wollen Sie das wissen?«

»Wir sind neugierige Leute«, erwiderte Phil. »Wir wollen alles wissen. Alles, was in irgendeinem Zusammenhang mit den Bogdanovs und damit möglicherweise mit diesem Mord stehen könnte.«

»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Wir haben uns begrüßt, wir haben uns zugeprostet, ansonsten haben wir nicht miteinander gesprochen. Diese Feier war ja vor allem ein Treffen, um gemeinsam Bier zu trinken, nicht so sehr, um miteinander zu reden.«

»Und da haben Sie gesehen, dass diese Schusswaffe im Wohnzimmer an der Wand hing«, stellte ich fest.

»Ja. Ich habe schon immer gewusst, dass das Gewehr da hing. Doch diese Waffe war neu. Und in dem Zusammenhang habe ich ein paar Worte mit Bogdanov gewechselt. Daran hatte ich eben nicht gedacht. Früher hing da nämlich immer eine ziemlich alte Winchester. Bogdanov sagte, dass sie ihm nicht mehr gut genug sei. Da sei er kurz zu F&E gefahren und hat sich ein neues Gewehr geholt.«

»F&E?«, fragte Phil.

»F&E Shooters Supply. Die sitzen auch hier im Ulster County. Ein sehr guter Laden, sehr kulant. Sie haben sogar Bogdanovs alte Winchester in Zahlung genommen. Und dann haben sie ihm diese Mossberg 100 angeboten, auch gebraucht, aber in sehr gutem Zustand.«

Ich nahm die Waffe von der Wand. Sie war ungewöhnlich leicht. »Ist er damit auf die Jagd gegangen?«

Das wusste der Sheriff nicht.

Fest stand, dass aus der Waffe kürzlich geschossen worden war, und sie war danach nicht gereinigt worden.

»Zurück zum Ablauf der Ereignisse«, sagte ich. »Also, der Feriengast und Mrs. Bogdanov waren die ersten Opfer. Wo waren die anderen Familienmitglieder?«

Der Großvater war draußen gewesen, hatte Holz für den Kamin gehackt. Hier wurde mit Holz geheizt. Das Grundstück war riesig, und das meiste davon war Wald. Und das Haus war klein genug, sodass man es normalerweise wohl vollständig mit dem Kamin im Wohnzimmer heizen konnte. Es gab auch eine Elektroheizung, die wurde vermutlich selten genutzt. Das eigene Holz kostete nichts.

»Die Kinder waren auch draußen«, sagte der Sheriff. »Scott Bogdanov, der Sohn, achtzehn Jahre alt, und seine Freundin Beatrice Frazier, siebzehn. Als geschossen wurde, sind sie die Straße hinuntergerannt. Sie sind nicht weit gekommen. Leider. Es sah aus, als hätten sie sich an den Händen gehalten, als die Schüsse fielen.«

Über den Feriengast wusste der Sheriff nicht viel. Er hieß Irvin Schwartz. Der Name stand in seinem Führerschein. Die Fahrerlaubnis war in Illinois ausgestellt. Angeblich war der Mann Kunstmaler. Schwartz war seit gut zwei Wochen auf Urlaub in diesem Haus. Die Bogdanovs vermieteten an Sommergäste.

»Gibt es denn hier viele Sommergäste?«, fragte ich. High Falls war zwar ein netter kleiner Ort, aber ich konnte mir nur schwer vorstellen, hier mehrere Wochen zu verbringen.

»Der Tourismus hat deutlich zugenommen in den letzten Jahren«, sagte der Sheriff.

»Was heißt das?«, wollte Phil wissen.

»Es gibt Sommergäste. Einige davon kommen jedes Jahr wieder hierher nach High Falls. Und wer nicht so sehr am Trubel in einer Stadt wie Kingston interessiert ist und außerdem ein preisgünstiges Quartier sucht, landet am Ende bei Leuten wie den Bogdanovs.«

»War der Maler einer der Gäste, die Jahr für Jahr wiederkommen?«, fragte ich.

Der Sheriff schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, war er zum ersten Mal da.«

»Ich habe immer gedacht, das wäre eine Bergbaugegend«, warf Phil ein.

»Früher war das so«, sagte Sheriff Knox. »Kalkstein. Die Minen sind lange stillgelegt. Die Eisenbahn und der Kanal, über die damals das Gestein abtransportiert worden ist, auch. So kommt es, dass wir außer der malerischen Landschaft ein paar Industriedenkmäler zu bieten haben. Neuerdings kommen immer mehr Touristen, die sich speziell für diese Dinge interessieren.«

»Und es gibt ja noch die Museumsbahn«, ergänzte Phil.

Der Sheriff nickte. »Ja, unsere Catskill Mountain Railroad. Lange stillgelegt, dann vor vierzig Jahren auf einem kleinen Teilstück der alten Strecke wieder in Betrieb genommen und inzwischen eine Attraktion, vor allem für Kinder.«

Das Haus der Bogdanovs sah so aus, als könnte es Teil der historischen Attraktionen dieser Urlaubsgegend sein. Es machte einen ungemein friedlichen Eindruck – bis auf die Blutflecke.

»Wie haben Sie die Opfer überhaupt identifizieren können?«, wollte Phil wissen. Wir hatten die Fotos vom Tatort gesehen.

»Das war nicht so schwierig«, erläuterte Knox. »Es kamen ja nicht allzu viele Personen infrage. Da waren zunächst einmal die beiden Frauen. Eine alt, eine jung. Ähnliches gilt für die Männer. Und der Maler, dieser Schwartz, den kannten wir nicht so gut, aber der hatte seinen Führerschein in der Tasche. Auf dem Führerschein stand die Anschrift, die stimmt nicht mehr. Den Führerschein muss man ja nicht ändern lassen, wenn man umzieht.«

Diese Art der Identifizierung reichte mir nicht aus. »Wir sollten auf jeden Fall eine DNA-Analyse machen lassen.«

»Schon in die Wege geleitet«, erwiderte der Sheriff. »Das machen wir standardmäßig, wenn eine Leiche so stark verstümmelt ist, dass man sie anhand ihrer körperlichen Merkmale nicht eindeutig identifizieren kann.«

Ich fragte den Sheriff, welchen Sinn die Genickschüsse gehabt haben könnten.

Er zuckte mit den Schultern. »Völlig überflüssig. Haben die Killer bei dem Massaker in Kalifornien neulich das nicht auch so gemacht? Um ganz sicherzugehen?«

Nein, das hatten sie nicht. Sie hatten in den meisten Fällen einen zweiten Schuss abgegeben, allerdings keinen Genickschuss. Ein Genickschuss bei einem Sterbenden oder Toten bewirkte nur eines mit absoluter Sicherheit: Die Kugel zerschmetterte das Gesicht.

»Wir haben nichts verändert«, wiederholte der Sheriff. »Na ja, fast nichts. Vor dem Haus hing die amerikanische Fahne. Wir fanden es unpassend, an einem solchen Ort die Nationalflagge wehen zu lassen. Wir haben sie abgenommen.«

Die Flagge lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Tisch.

Das Haus war ein altes Holzhaus.

»Jahrgang 1900«, sagte Knox. »So steht es in den Unterlagen, genau weiß man das nicht. Es kann auch viel älter sein.«

Zumindest sah es sehr alt aus. Holzfußboden, hölzerne Deckenbalken, unregelmäßig bearbeitet, hölzerne Täfelung an den Wänden, aus sehr ungleichmäßigen Brettern zusammengefügt. Die Möbel sahen so aus, als hätten sie schon immer hier gestanden. Über dem Plüschsofa hing ein Bild mit neun kreisrunden Fotografien. Die Farbaufnahmen waren im Laufe der Jahre verblichen und jetzt in zartem Rosa.

Der Sheriff deutete auf die Fotos. »Das sind Aufnahmen von Scott Bogdanov, vom Kinderwagen bis zur Schulzeit. Und oben die beiden Bilder rechts und links, das sind Scotts Eltern Verena und Werner.«

Die Fotos zeigten die Eltern als junge Leute, vielleicht zwanzig Jahre alt. Verena Bogdanov war damals offenbar eine sehr hübsche Frau gewesen. Ihr Mann wirkte auf mich dagegen finster und verschlossen.

»Hier hat Verena Bogdanov gelegen«, sagte Knox. »Die Ehefrau. Vierzig Jahre alt. Sie hat wohl nach dem Gewehr gegriffen. Leider zu spät.«

»Was wissen Sie über die Bogdanovs?«, wollte ich wissen.

»Nicht viel. Abraham Bogdanov, der Großvater, war in seiner Jugend ein gefürchteter Raufbold. Das ist längst Vergangenheit. Als Achtzigjähriger schlägt man sich nicht mehr in irgendwelchen Kneipen mit Jugendlichen herum. Er hatte schon seit einigen Jahren nicht mehr oben geschlafen wie die anderen, sondern unten im Wohnzimmer. Die Treppe war zu steil für ihn gewesen.«

»Seine Frau lebt nicht mehr?«

Der Polizist schüttelte den Kopf. »Ist vor vier Jahren gestorben.«

»Nach dem Foto zu urteilen, würde ich Werner Bogdanov auch für jemanden halten, der notfalls zuschlägt.« Ich wies auf das Bild an der Wand. »Selbstverständlich sagt so ein altes Foto sehr wenig über einen Menschen aus.«

»Er würde notfalls zuschlagen«, bestätigte Knox. »Seinen Sohn hat er kürzlich erst verprügelt. Da war der Junior ihm wohl irgendwie dumm gekommen. Ansonsten ist Werner Bogdanov eine Seele von Mensch.«

»Die Schießerei gestern hat niemand gesehen oder gehört?«, fragte Phil.

Der Sheriff schüttelte den Kopf. »Das Haus liegt ziemlich isoliert. Es gibt nur einen direkten Nachbarn, das Haus auf der linken Seite. Dorian Lynn wohnt da mit seiner Frau.«

»Und der Nachbar hat von der Schießerei nichts mitbekommen?«

»Nein, Agent Decker. Er war gar nicht zu Hause. Es war ja ein ganz normaler Werktag. Lynn arbeitet im Wasserwerk. Das liegt hier an der Straße auf der linken Seite, auf halbem Weg nach High Falls. Und seine Frau war in Kingston zum Einkaufen.«

»Wissen Sie, ob jemand unter den Opfern schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist?«, fragte ich.

Der Sheriff nickte. »Die beiden Jugendlichen. Autodiebstahl, Drogen. Eine Dreierbande war das angeblich. Scott und Beatrice und Bolko, der Bruder des Mädchens.«

»Eine Bande?« Phil hob die Brauen.

Der Sheriff hob die Schultern. »Das hat nicht viel zu bedeuten.«

Der Überlebende lag im Health Alliance Hospital in Kingston. Das Opfer einer Schießerei wird in der Regel zunächst einmal in einem Krankenhaus medizinisch untersucht. Bogdanov war physisch unversehrt, natürlich musste man davon ausgehen, dass das traumatische Erlebnis seine Spuren hinterlassen hatte. Wir sprachen deshalb zunächst mit Dr. Andrews, dem Mediziner, der ihn behandelt hatte.

»Werner Bogdanov hat das Massaker erstaunlich gut weggesteckt«, sagte der Arzt. »Man übersteht ein solches Ereignis nicht psychologisch völlig unversehrt, aber wenn man heute mit ihm spricht und nicht weiß, was er gerade durchgemacht hat, könnte man glauben, dass er beinahe ausgeglichen ist.«

»Wann kann er das Krankenhaus verlassen?«, fragte ich.

»Das hängt von ihm ab. Wir können ihn ja nicht gegen seinen Willen festhalten. Wenn er sagt, dass er gesund ist, kann er jederzeit gehen.«

»Sie halten das für keine gute Idee?«, fragte Phil.

»Ich würde es vorziehen, wenn er noch ein paar Tage bei uns bleiben würde.«

Ich nickte. »Das wäre auf jeden Fall besser. Wir dürfen nicht vergessen, dass Mister Bogdanov nicht nur Opfer eines geradezu unglaublichen Verbrechens ist, sondern er ist auch ein Zeuge. Im Krankenhaus ist er sehr viel sicherer untergebracht als bei sich zu Hause. Und wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir einen Polizisten einsetzen, der ihn bewacht und dafür sorgt, dass ihm ganz sicher nichts zustößt.«

»Das halte ich für eine vernünftige Lösung«, erwiderte der Arzt.

Werner Bogdanov war bereit, sich mit uns zu unterhalten.

»Mister Bogdanov«, sagte ich, »wir möchten Ihnen zunächst einmal unser Beileid aussprechen. Es ist eine ganz schreckliche Geschichte, was hier passiert ist ...«

»Meine ganze Familie«, er seufzte, »meine ganze Familie ausgelöscht. Ohne Sinn und Verstand. Einfach so.«

»Es ist auch für uns unbegreiflich«, sagte ich. »Wir sind damit beauftragt, dieses Verbrechen zu untersuchen. Damit können wir es zwar nicht ungeschehen lassen, doch ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den oder die Schuldigen vor Gericht zu stellen.«

»Sinnlos.« Es war eine mechanische Antwort. Nach allem, was er erlebt hatte, war es ihm vermutlich relativ gleichgültig, was die Polizei noch herausfinden würde.

»Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit. Der Sheriff hat uns berichtet, was er und seine Leute bisher herausgefunden haben. Aber, um ehrlich zu sein, das hilft uns nicht weiter. Die reinen Fakten geben nicht viel her. Wir müssen deshalb noch einmal ganz von vorne anfangen. Und wir müssen Ihnen leider noch einmal die gleichen Fragen stellen, die Ihnen wahrscheinlich der Sheriff gestern schon gestellt hat.«

»Fragen Sie. Ich bin bereit.«

»Auch wenn das wahrscheinlich wehtut, könnten Sie uns bitte noch einmal möglichst genau schildern, wie sich der Überfall abgespielt hat?«

»Möglichst genau, ja, das ist so eine Sache. Das Ganze ist wie ein Unwetter über uns hereingebrochen. Blitzschnell. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Ich war oben in unserem Schlafzimmer. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich nach oben gegangen bin. Vielleicht wollte ich mein Notizbuch holen. Oder den Kalender, in dem wir unsere Termine eintragen. Jedenfalls war ich oben, als plötzlich ein Schuss fiel. Und dann noch einer. Es klang sehr nah.«

»Im Haus?«, hakte Phil nach.