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Mord im Untersuchungsgefängnis, so etwas gab es leider ziemlich oft. In diesem Fall war das allerdings besonders brisant. Das Opfer war Angelo Delosi, dem der tödliche Schuss auf einen Mafiaboss namens Rafael Silverstone vorgeworfen wurde. Schnell zeigte sich, dass jemand den Mord an Delosi von außerhalb der Gefängnismauern in Auftrag gegeben hatte. Während wir uns noch damit beschäftigten, wer dahintersteckte, durfte sich mein Partner und Freund Phil Decker Urlaub gönnen, um auf dem Weg dorthin spurlos zu verschwinden. Mr. High versetzte das FBI in höchste Alarmstufe. Als wir erkannten, dass die Fälle zusammenhingen, drohte uns die Zeit davonzulaufen. Und ich machte mich schon einmal darauf gefasst, auf Phils Leiche zu stoßen ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Ein Racheengel für Phil Decker
Vorschau
Impressum
Ein Racheengelfür Phil Decker
Angelo Delosi drehte das Wasser auf. Der Strahl der Dusche schoss auf seinen Körper. Alle drei Tage war im Gefängnis Duschtag. Jetzt war es wieder so weit.
Delosi hatte diesen Morgen herbeigesehnt, denn das war einer der wenigen Momente, in denen er den kreisenden Gedanken entfliehen konnte. Den Gedanken darüber, dass er unschuldig hier drin saß. Delosi genoss das frische Wasser, ging ganz in dem Gefühl auf.
Dann wurde er brutal in die Realität zurückgerissen, als ihn jemand von hinten packte.
Delosi hatte geglaubt, der Einzige in dem großen Duschraum zu sein. Er ließ sich immer absichtlich Zeit, bevor er hineinging. Die meisten anderen Gefangenen waren schon fertig und zurück in den Nebenraum gewechselt, wo Handtücher und ihre Kleider warteten. So hatte er wenigstens ein paar Minuten Zeit für sich, blieb als Letzter allein unter der Brause und konnte umso besser der Gefängniswelt entfliehen, zumindest innerlich.
Jetzt war es damit vorbei. Delosi hatte den Angreifer nicht kommen hören. Ihn umgab nur das laute Rauschen von Wasser, das alle anderen Geräusche wie ein Vorhang verbarg.
Der Unbekannte hatte ihn von hinten gepackt und versucht, mit irgendetwas nach ihm zu stoßen. Delosis nasser Körper war vom Wasser glitschig. So gelang es ihm für einen Moment, sich dem Griff zu entwinden. Der Stoß ging ins Leere. Aber das, was der Angreifer in der Hand hatte, berührte Delosis Bein.
Es war ein Stück Metall.
Hatte der Angreifer ein Messer?
Delosi mobilisierte alle Reserven. Es gelang ihm, ruckartig den Ellenbogen nach hinten zu stoßen. Er traf den Angreifer in den unteren Bauch. Delosi hörte ein Stöhnen und im nächsten Moment ein Klirren, als etwas zu Boden fiel.
Tatsächlich, ein Messer. Zurecht geschliffen aus einem flachen Eisenstück.
Sofort setzte Delosi einen Schlag nach, doch der Angreifer hatte sich zur Seite gedreht, sodass das Manöver ins Leere ging. Delosi geriet auf dem nassen Boden ins Rutschen.
Ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf.
Weg hier.
Sofort weg hier!
Raus in den Vorraum, dann auf den Gang. Spätestens dort war ein Aufseher, zumindest in Rufweite.
Der Angreifer machte einen Satz und bekam ihn am Unterschenkel zu fassen. Delosi stürzte.
Er war nur anderthalb Yards von der Tür entfernt, die in den Vorraum führte.
Delosi sprang auf und rannte los.
Hinter der Tür stand er einer Wand gegenüber, einer Wand aus orangefarbenen Gefangenenanzügen.
Sie hatten auf ihn gewartet. Ein Dutzend Gefangene, die aus der Dusche zurückgekehrt, sich abgetrocknet und wieder angezogen hatten.
Sie sahen Delosi finster an, ihn, der ihnen nun nackt und nass gegenüberstand und nicht an ihnen vorbeikam.
Niemand sagte ein Wort.
Aus dem Duschraum trat der Angreifer.
Da wusste Delosi, dass er verloren hatte.
Phil wartete an der Straßenecke und sah hellwach aus. Als ich anhielt, damit er einsteigen konnte, tänzelte er geradezu meinem Jaguar entgegen und begrüßte mich so fröhlich wie schon lange nicht mehr.
»Guten Morgen, mein Freund«, sagte er und ließ sich in den mit Premiumvelours bezogenen Sportsitz fallen. »Ist das nicht ein herrlicher Tag?«
Der Tag war alles andere als herrlich. Wir hatten wieder mal nur vier Stunden Schlaf gehabt. Das Wetter war grau. Über New York hing seit Tagen eine Schicht aus Wolken, die für einen beständigen Nieselregen sorgten. Eigentlich waren das Bedingungen, unter denen Phil stets mit schlechter Laune zum Dienst erschien. Und mir ging es dann kaum anders.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. »Und was haben Sie mit Special Agent Decker gemacht?«
Phil zog spaßeshalber seine ID Card heraus und hielt sie mir vor die Nase.
»Manchmal gibt es eben Gründe für gute Laune, Jerry«, sagte er. »Du kannst ja raten, welcher bei mir für gute Stimmung sorgt. Vergiss aber nicht, dabei zum Dienst zu fahren. Wir wollen doch pünktlich sein.«
Ich seufzte, setzte den Blinker und fädelte meinen Wagen in den morgendlichen Verkehr in Richtung Manhattans Süden ein. Dabei beschloss ich, mich an dem Ratespiel zu beteiligen.
»Hast du Sally gestern noch getroffen?«, überlegte ich laut, um sofort den Kopf zu schütteln. »Nein, das kann nicht sein«, korrigierte ich mich. »Dafür war die Nacht viel zu kurz. Und wenn ihr zusammen ... na, du weißt schon ... Dann wärst du nicht so wach. Oder hat die Frau vielleicht Wunderkräfte?«
Phil grinste mich an. »Erstens heißt sie nicht Sally, sondern Sandy. Außerdem habe ich sie seit etwa einer Woche nicht mehr gesehen. Nein, meine gute Laune hat nichts mit Sandy zu tun. Mal sehen, ob du es errätst.«
Wir waren mittlerweile etwa auf Höhe des Central Park. Ich wollte mir gerade weitere Gedanken machen, da meldete sich mein Handy, das mit dem Soundsystem des Jaguar verbunden war, sodass Phil mithören konnte.
Es war unser Kollege Steve Dillaggio, der anrief. Er leitete das New Yorker Field Office des FBI und war Stellvertreter unseres Chefs Assistant Director in Charge John D. High.
»Guten Morgen, Sir«, meldete ich mich absichtlich militärisch, als wäre Steve unser Sergeant in der Grundausbildung. »Melde gehorsamst, sind auf dem Weg zur Arbeit, Sir.«
»Was ist denn mit euch los?«, fragte Steve verwundert.
»Eigentlich nichts«, sagte ich im normalen Ton. »Aber Phil hat gute Laune, und da dachte ich, ich mache auch mal einen Spaß.«
»Dafür gibt's leider keinen Grund«, erwiderte Steve. »Es hat vor drei Tagen einen Vorfall im Untersuchungsgefängnis auf Rikers Island gegeben, der uns Rätsel aufgibt. Lest bitte unterwegs schon mal die Meldungen im System. Wir haben dann gleich ein Meeting beim Chef.«
Wir schalteten sofort um. Der ernste Ton in Steves Stimme sagte uns, dass wir keine Zeit verlieren durften.
»Alles klar, Steve«, sagte ich und legte auf.
Phil nahm das Tablet, das Teil der digitalen Ausstattung meines Wagens war, loggte sich ein und wischte darauf herum, bis er die Meldungen gefunden hatte, die Steve meinte.
»Angelo Delosi wurde im Gefängnis ermordet«, sagte er dann.
»Das klingt, als würde dir der Name etwas sagen«, meinte ich.
»Allerdings, Jerry. Ich habe Delosi festgenommen. Du hattest damals in Ohio zu tun, vielleicht erinnerst du dich ...« Er biss sich auf die Unterlippe. »Wenn das mehr war als eine der üblichen Reibereien unter Gefangenen, haben wir wirklich ein Problem. Steve hat recht.«
Ich schaltete Sirene und Warnlicht ein, damit wir schneller vorankamen. Der Verkehr war leider so stark, dass wir gerade mal eine Viertelstunde sparten.
Im dreiundzwanzigsten Stock des Jacob K. Javits Federal Building an der Federal Plaza warteten bereits Mr. High und Steve im Büro des Chefs auf uns.
Mittlerweile wusste ich, warum Angelo Delosi in Untersuchungshaft gewesen war. Ihm wurde vorgeworfen, einen reichen Mafiaboss namens Rafael Silverstone ermordet zu haben. Und das wahrscheinlich im Auftrag von jemand anders, dessen Identität niemand kannte.
»Wir hatten gehofft, dass im Laufe des Prozesses herauskommt, wer Delosi für diesen Mord beauftragt hat«, sagte Mr. High nachdenklich. »Das hätte uns bei weiteren Ermittlungen im New Yorker Gangland sicher geholfen. Mit Delosis Tod ist diese Hoffnung dahin.«
»Hat er denn überhaupt keine Aussage dazu gemacht?«, fragte Phil.
Der Chef schüttelte den Kopf. »Er hat ja sogar immer bestritten, die Tat überhaupt begangen zu haben. Dabei gibt es dafür einen Zeugen, und er hat kein Alibi gehabt. Die Sache war eigentlich wasserdicht.« Er sah Phil an. »Das weiß niemand besser als Sie selbst, Phil. Sie haben ihn ja verhaftet.«
Mein Partner nickte. »Ich erinnere mich gut daran. Als wir seine Wohnung stürmten, wirkte er, als würde er aus allen Wolken fallen. Das konnte natürlich gut gespielt sein.«
»Wer hat ihn umgebracht?«, fragte ich. »Wie ist das genau passiert? Wir müssen ja davon ausgehen, dass derjenige, der ihn beauftragt hat, seine Finger im Spiel hat, damit er selbst nicht entlarvt wird.«
Uns war klar, dass für die Mafiafamilien in New York Gefängnismauern kein Hindernis darstellten, wenn es darum ging, Einfluss auf die Insassen auszuüben. Es gelang sogar oft, Gegenstände einzuschmuggeln. Drogen, Handys, manchmal auch Waffen.
»Und Delosis Ermordung ist nun schon drei Tage her«, fuhr ich fort. »Wieso erfahren wir erst jetzt davon?«
Steve hatte ein paar Papiere vor sich liegen. Wahrscheinlich war das der ausgedruckte Bericht aus dem Gefängnis.
»Sie haben im Gefängnis das Ereignis in keinen größeren Zusammenhang gebracht«, sagte er. »Gewalt unter Häftlingen ist leider weit verbreitet. Jedenfalls ist er erstochen worden, in der Dusche.«
»Der Klassiker«, meinte Phil. »Sie duschen in größeren Gruppen. Einer ersticht ihn. Viele waren in dem Raum. Niemand kann genau sagen, wer der Täter war, selbst wenn man die Waffe findet.«
»Die Waffe hat man gefunden«, sagte Steve. »Ein zurecht gefeiltes Stück Metall aus einer der Gefangenenwerkstätten.«
»Und noch ein Klassiker«, sagte ich.
»Wir müssen herausfinden, was dahintersteckt«, sagte Mr. High. »Da es ja zu keinem Prozess mehr kommt, müssen wir ermitteln, wer hinter dem Mord an Rafael Silverstone steckt. Wenn Delosi ihn getötet hat, war er nur das Werkzeug. Und sollte er doch unschuldig gewesen sein, dann ist die Sache noch viel ernster. Dann läuft da draußen jemand herum, der im Gangland eine Menge Unruhe anrichtet und den wir unbedingt schnappen müssen.«
Heloise Silverstone hatte wunderbar geschlafen.
Sie sah auf den digitalen Wecker neben ihrem Bett, der seit Jahren nicht mehr dafür verwendet wurde, jemanden aufzuwecken, sondern nur noch, um die Zeit anzuzeigen.
Halb zehn.
Heloise konnte so lange schlafen, wie sie wollte.
Sie konnte sowieso tun und lassen, was sie wollte. Denn sie war reich. Und attraktiv war sie auch, obwohl sie sich altersmäßig in den späten Vierzigern befand.
Kein Problem. Fünfzig war das neue Dreißig. Und die Reaktionen der Männer auf ihr Aussehen zeigten ihr, dass sie durchaus noch mit den jungen Dingern mithalten konnte, sie sogar übertraf. Zu den langen, schön geformten Beinen, einem großen, völlig natürlichen Busen und einer Topfigur hatte sie das gewisse Etwas zu bieten, das Lebenserfahrung und vor allem reiche erotische Erfahrungen ausstrahlte. Das war etwas, das in der Männerwelt von heute ankam.
Und das nutzte sie seit dem Tod ihres Mannes weidlich aus.
Sie erhob sich, zog einen dünnen Morgenrock über und betrachtete sich kurz im Spiegel des breiten Wandschranks.
Eine reife, sehr attraktive Frau sah ihr entgegen.
Nachdem sie geduscht hatte, ging sie gut gelaunt nach unten ins Esszimmer, wo das Dienstmädchen bereits das vorbereitet hatte, was Heloise als Frühstück bevorzugte. Ein wenig Obst und Kaffee. Dazu las sie die Zeitung, und das elektronisch auf einem Tablet. Dort waren die Nachrichten aktueller als in der Printpresse.
Während sie den Kaffee trank, wischte sie durch die Nachrichten und blieb an einer bestimmten Meldung hängen.
Delosi war tot.
Der Mann, der beschuldigt wurde, Heloises Ehemann umgebracht zu haben.
Man hatte ihn vor drei Tagen im Gefängnis ermordet.
Ein Gefühl der Befriedigung durchfloss Heloise, als sie das las. Im selben Moment ertönte von weit her eine tiefe Glocke, die drei harmonisch aufeinander abgestimmte Töne von sich gab. Jemand war an der Haustür.
Kurz darauf erschien das Dienstmädchen und erklärte, dass draußen eine Frau stand.
»Sie sagt, sie muss Sie sprechen, Ma'am«, sagte die junge Frau. »Ich konnte sie nicht abwimmeln. Sie sagt, es hat etwas mit Ihrem verstorben Mann zu tun. Und mit einem Mann namens«, sie musste einen Moment nachdenken, »Delosi. Das hat sie gesagt.«
Heloise war drauf und dran gewesen zu verlangen, dass die Besucherin weggeschickt wurde. Als der Name fiel, zögerte sie.
»Ist die Frau von der Polizei?«, fragte sie das Dienstmädchen.
»Ich glaube nicht, Ma'am. Sie hat jedoch ihren Namen gesagt. Sie heißt Susan Wallace.«
Was sollte das? Was wollte die Frau?
Es gab nur einen Weg, das sofort herauszufinden. Und was sollte schon passieren?
»Führ sie ins Wohnzimmer«, sagte sie. »Ich brauche noch ein bisschen.«
Dass sie die Frau warten ließ, war ein psychologisches Spielchen, mit dem Heloise ihre Überlegenheit zur Schau stellen wollte. Wer warten musste, war auf unterer Stufe.
Gemächlich trank sie ihren Kaffee aus und ging dann, immer noch im Morgenmantel, hinüber ins Wohnzimmer. Dort saß eine Frau Mitte zwanzig. Leger gekleidet, in Jeans, Sneakers und einer dunklen Jacke. Eine hübsche Blondine, die aufsah, als Heloise hereinkam und sie mit einem Blick musterte, der sogar Heloise für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Blick der eiskalten blauen Augen drückte etwas aus.
Unbändigen Hass.
Die junge Frau stand auf und gab ihr die Hand.
»Wer sind Sie?«, fragte Heloise. »Was wollen Sie von mir?«
»Mein Name ist Susan Wallace«, sagte die junge Frau mit fester Stimme. »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
»Einen Vorschlag?« Heloise schüttelte verwundert den Kopf. »Was für einen Vorschlag? Kennen wir uns von irgendwo her?«
»Nein, Mrs. Silverstone«, sagte sie. »Wir kennen uns nicht, aber wir haben gemeinsame Ziele.«
Heloise bat sie, sich wieder zu setzen, und nahm ihr gegenüber in einem Sessel Platz. Dabei schlug sie die Beine übereinander, sodass der Morgenrock unten etwas auseinanderfiel und einiges preisgab. Wenn Susan Wallace ein Mann gewesen wäre, hätte Heloise ein weiteres Mal erlebt, was Stilaugen waren.
Die junge Frau sah ihr mit kaltem Blick in die Augen.
»Ich bin die Freundin von Angelo Delosi«, sagte sie. »Von dem Mann, der angeblich Ihren Mann ermordet hat und nun selbst ermordet wurde.«
Heloise war schwer zu überraschen. Doch das war ein Moment, in dem genau das geschah. Sie hatte sich so weit im Griff, dass sie ihr Gegenüber nichts davon merken ließ, so tat, als wäre es das Normalste von der Welt, dass ausgerechnet diese Frau sie besuchte.
»So haben wir beide einen großen Verlust erlitten«, sagte Heloise. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
Susan Wallace' Blick wurde noch eisiger. Er traf auf Heloise wie ein spitzer Pfeil.
»Ich will keinen Kaffee«, sagte sie hart. »Ich will Rache für meinen toten Freund. Wir waren verlobt. Wir wollten heiraten und eine Familie gründen. Er hatte dem kriminellen Leben abgeschworen, und das für immer.«
»Außer der nicht unerheblichen Tatsache, dass er meinen Mann ermordet hat«, sagte Heloise.
»Er hat es nicht getan, Mrs. Silverstone. Man hat ihm das angehängt. Und ich will Rache, verstehen Sie?«
Der Ton der jungen Frau war so scharf, dass Heloise ein weiteres Mal überrascht war. Von dieser jungen Frau ging eine böse Energie aus, die wie eine schwarze Wolke im Raum schwebte.
»Nun gut, das verstehe ich«, sagte Heloise ruhig. »Ich meine Ihr Rachegefühl. Dass Mister Delosi der Mörder meines Mannes war, steht ja außer Zweifel. Und wenn es welche gab, hätte die Gerichtsverhandlung sicher gezeigt, dass er der Täter war.«
»Er war es nicht«, zischte Susan Wallace. »Es gibt Beweise dafür, die verschwunden sind«. Beim Wort verschwunden zeichnete sie Anführungszeichen in die Luft. »Aber das ist egal. Ich will Rache, und zwar an demjenigen, der für all das verantwortlich ist. Jemandem, der weiterermitteln wird. Übrigens auch gegen Ihre Familie, denn jetzt wird der Fall sicher neu aufgemacht. Angelo hat mir das bei meinem letzten Besuch im Gefängnis erklärt. Er hat mir sogar gesagt, was ich tun soll, wenn ihm etwas passiert.«
Heloise spürte die Verbissenheit, von der die junge Frau angetrieben wurde. Sie versuchte, alles mit einem Lächeln wegzuwischen, was nicht gelang.
»Und er hat Ihnen gesagt, Sie sollen zu mir kommen?«, sagte sie leicht belustigt. »Ausgerechnet zu mir? Was habe ich mit Ihrem Verlobten zu tun?«
»Ich weiß alles, Mrs. Silverstone. Er hat früher für Ihren Mann gearbeitet. Und wie Sie es mit den meisten Mitarbeitern Ihres Mannes gehalten haben, haben Sie auch ihn in Ihr Bett gezerrt. Das ist kein Problem für mich, denn er hat sich ja dann für mich entschieden. Aber tun Sie nicht so, als hätten Sie ihn nicht gekannt.«
Heloise schluckte, wollte etwas sagen, kam jedoch nicht zu Wort.
»Vergessen wir das«, sagte Susan Wallace. »Ich will Rache. Und die nützt Ihnen ebenso. Der Mann, der Angelo festgenommen hat, ermittelt nun auch wieder gegen Sie und Ihren Clan. Sie haben also auch etwas davon, wenn Sie mir helfen.«
In Heloise wirbelten die Gedanken.
»Ihnen helfen?«, echote sie.
»Natürlich. Sie haben die Mittel, Immobilien, Verstecke, Leute. Und niemand würde Sie verdächtigen. Denn Sie haben ja kein Motiv, sich an demjenigen zu rächen, der Angelo verhaftet hat. Denn aus Ihrer Sicht war er ja der Täter, und nun ist er tot. Ganz praktisch. Warum sollten Sie dann weiter tätig werden? Wenn Sie mir helfen, gibt es einen Cop in New York weniger, der die Verstrickungen Ihrer Familie entwirren kann. Und ich rede genau von dem Cop, der Angelo verhaftet hat. Ein Agent vom FBI, um genau zu sein. Ein korrupter Agent. Ich bin mir sicher, dass da Korruption im Spiel war. Sonst wäre das Beweismittel, das Angelo entlastet hätte, nicht verschwunden.« Sie machte eine Pause. »Und deswegen muss der Agent sterben.«
Die Gedanken wirbelten immer noch. Zuerst hatte Heloise gedacht, dass Susan Wallace verrückt sein musste, ausgerechnet sie um Hilfe zu bitten. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto deutlicher zeichnete sich ein Plan ab. Sekunden später war Heloise klar, dass darin eine Chance lag. Eine Chance, von der diese junge Frau nichts ahnte.
Nichts ahnen durfte.
»Also gut«, sagte Heloise. »Ich höre Ihnen weiter zu. Ich fasse zusammen. Sie wollen Rache. Ich soll Ihnen helfen. Wie heißt der Agent, auf den Sie es abgesehen haben?«
Susan Wallace sah sie entschlossen an. »Er heißt Decker. Phil Decker.«
Als sie alles besprochen hatten und Susan Wallace ging, bog ein grüner Sportwagen in die kiesbestreute Einfahrt des Hauses und hielt vor einer der Garagen.
Es war Heloises Sohn Timothy, der ausstieg. Während er auf das Haus zuhielt, sah er Susan Wallace nach, die ihrem Kompaktwagen zustrebte.