Jerry Cotton 3478 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3478 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Fluggast stand nach der Landung auf dem John F. Kennedy Airport nicht mehr von seinem Sitz auf. Er war tot. Ein Arzt unter den Passagieren stellte aufgrund der ungewöhnlichen Haltung des Kopfes fest, dass der Mann an einem Genickbruch gestorben war. Der Fall landete auf unseren Schreibtischen, denn der Tote war zu Lebzeiten ein gesuchter Terrorist gewesen. Und der brachte uns geradewegs in die 432 Park Avenue, wo uns ein tödliches Empfangskomitee begrüßte!


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Terroristen in 432 Park Avenue

Vorschau

Impressum

Terroristen in 432 Park Avenue

Sarah Turner blickte in das Chaos der durcheinander wuselnden Passagiere. Nach jeder Landung verstopften sie den Gang und behinderten sich gegenseitig.

Sie stutzte. Irgendetwas war anders als sonst. Von weiter hinten drangen ärgerliche Stimmen zu ihr. Sie lauschte.

»He, Sie! Denken Sie, Sie sind allein hier? Ein Benehmen ist das! Unglaublich!«

Auch in Sarahs Nähe war Unruhe entstanden.

Eine ältere Lady winkte und rief: »Stewardess! Ist hier jemand Arzt?«

Sarah bahnte sich vorsichtig, aber entschlossen einen Weg zu ihr. »Wie kann ich Ihnen helfen, Ma'am?«

»Gut, dass Sie da sind. Schauen Sie.« Die Lady deutete auf einen Mann mittleren Alters, der in sich zusammengesunken am Fenster saß. »Dieser Gentleman bewegt sich nicht. Ich habe ihn angesprochen, doch er reagiert nicht.«

Sarah Turner wandte sich dem Unbekannten zu. »Sir, geht es Ihnen gut?«

Als keine Reaktion erfolgte, trat sie näher. Sein Kopf hing auf unnatürliche Weise nach vorn. Namenloses Grauen durchfuhr sie. Der Nacken befand sich unterhalb der Schultern in Brusthöhe.

»Entschuldigen Sie bitte, ich bin Arzt.« Ein älterer Mann in Jeans, T-Shirt und Strohhut stand freundlich lächelnd neben ihr.

Sie machte Platz. Er zwängte sich in die Sitzreihe, beugte sich über den Passagier und richtete sich sofort wieder auf.

»Das Genick dieses Gentleman ist gebrochen. Bitte informieren Sie die Polizei.«

Vorne im Cockpit ging Flugkapitän Levi Porter die Checkliste durch. Zwei Dinge geschahen nahezu gleichzeitig. Der ruhige Summton der Bordkommunikation machte darauf aufmerksam, eines der Crewmitglieder wünsche ihn zu sprechen, und als Porter aufsah, um den Anruf entgegenzunehmen, brach schriller Alarm aus. Hektisch blinkendes rotes Warnlicht signalisierte, eine der Notrutschen sei ausgefahren worden.

Vollkommen unmöglich, überlegte Porter. Die routinemäßige Deaktivierung der Rutschen war wie nach jeder Landung bereits erfolgt.

Verwirrt stellte er den Alarm ab.

»Porter hier. Was ist los?«, fragte er in sein Kopfhörermikrofon.

Sarah war am anderen Ende. »Levi, einer der Passagiere ist tot. Ein Arzt an Bord hat ihn untersucht und Genickbruch festgestellt. Wir müssen die Polizei verständigen.«

Porter reagierte ohne Panik. Die Crew war geschult, in Krisensituationen einen kühlen Kopf zu behalten. »Ich erledige das. Informiere bitte die Passagiere. Sie werden im Flughafengebäude warten müssen. Was ist mit der Notrutsche?«

»Keine Ahnung. Warum fragst du?«

»Die linke hintere Rutsche hat sich ausgeklappt.«

»Das kann nicht sein. Ich habe sie abgeschaltet.«

»Ich weiß. Die Cockpitkontrollen bestätigen das. Sie ist aber draußen. Ich schaue nach, was Sache ist.«

Er schnallte sich los und verließ die Kanzel. An der vorderen Eingangstür drängten sich Footballfans. Er bat sie zurückzutreten, löste die Verriegelung und öffnete die Außentür. Der Verbindungsschlauch zum Flughafengebäude war noch nicht angeflanscht. Unter Porter erstreckte sich das Rollfeld im Licht der Abendsonne. Ein Gepäcktransporter hielt wenige Schritte neben der Maschine.

Porter streckte den Kopf aus der Luke. Tatsächlich, am hinteren Ende des Rumpfs war die Rutsche draußen. Oberhalb des Flügels erkannte er die steil abwärtsführende aufgeblasene Kunststoffbahn. Flügel und Triebwerke verdeckten den Blick auf den Boden.

War dort jemand ausgestiegen?

Porter wollte die Tür schließen. Ungläubig registrierte er, dass ein bärtiger, schwarz gekleideter Mann unterhalb des Flügels zum Vorschein kam, sich umschaute und auf das Transportfahrzeug zu rannte.

Porter konnte nicht erkennen, was dort geschah, hörte jedoch aufgeregte Stimmen, einen grellen Schrei und dumpfes Poltern. Sekunden später fuhr der Truck mit Vollgas an und raste zum Flughafengebäude. An seiner Stelle lag die reglose, zusammengekrümmte Gestalt des Truckfahrers auf dem Asphalt.

Erleichtert schlenderte Mary Collins zum Parkplatz. Ihr Mann hatte die letzte Abendmaschine nach Chicago noch erreicht.

Sie tippte das Kennzeichen in den Kassenautomaten, bezahlte und fuhr bis zur Schranke. Als sie an der Reihe war, öffnete sich plötzlich die Beifahrertür. Ein fremder Mann stieg ein und zog die Tür hinter sich zu.

»Was soll das?«, herrschte sie ihn an. »Verlassen Sie auf der Stelle mein Auto, oder ich rufe die Polizei.«

»Fahr los, sonst drehe ich dir den Hals um.«

Sein Gesicht und die tiefe, emotionslose Stimme mit ausländischem Akzent machten ihr Angst. Entsetzt starrte sie ihn an.

»Losfahren!«, brüllte er mit wütend zusammengezogenen Brauen.

Wie in Trance nahm sie den Fuß von der Bremse.

Der Fremde hantierte am Navigationssystem. »Das ist unser Ziel.«

Es war eine Straße in der Bronx.

»Was wollen Sie von mir? Geld?«

Der Mann grinste. »Keine schlechte Idee.«

»Es ist in der Jacke auf dem Rücksitz, leider nur ein paar Scheine und Münzen. Nehmen Sie alles, aber lassen Sie mich bitte gehen.«

Der Fremde langte nach der Jacke und durchwühlte die Taschen.

»Mary Collins«, murmelte er und betrachtete ihren Führerschein. »Du bist hübsch, Mary.«

Ein eiskalter Schrecken durchfuhr sie. Wenn er sie anfasste, würde sie sich wehren. Im Handschuhfach lag ein Revolver.

Er steckte das Geld ein und durchsuchte die Ablagefächer. »Hast du sonst noch was Nettes für mich?«

Bevor sie antworten konnte, öffnete er das Handschuhfach und stieß erheitert die Luft aus.

»Mary, du bist nicht nur hübsch, sondern auch gefährlich.« Er zog den Revolver hervor, prüfte die Trommel und ließ ihn in die Jackentasche gleiten.

Schweigend setzten sie die Fahrt fort.

Als Mary versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, fuhr er sie an. »Schnauze halten! Fahr!«

Sie waren auf dem Cross Island Parkway zwischen Crocheron Park und Little Neck Bay, als hinter ihnen eine Polizeisirene aufheulte. Mary schaute in den Rückspiegel. Ein Streifenwagen des NYPD forderte sie zum Halten auf.

»Wenn du einen Mucks machst, schieße ich dich über den Haufen.« Er verbarg die Waffe unter seiner Jacke.

Mary stoppte am Fahrbahnrand und blieb hinter dem Lenkrad sitzen.

Der Streifenwagen kam mit eingeschalteten Scheinwerfern und blinkenden Warnleuchten hinter ihnen zum Stehen. Ein Officer stieg aus und trat an den Wagen heran.

Mary fuhr die Scheibe hinunter.

Der Cop tippte grüßend an die Mütze. »Ma'am, Ihr rechtes Rücklicht funktioniert nicht.«

»Oh, das ist mir gar nicht aufgefallen, Officer. Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam machen.«

»Darf ich bitte Ihre Fahrzeugpapiere sehen?« Er schaltete eine Stablampe ein, leuchtete in den Innenraum und bemerkte den Fremden. »Sir, können Sie sich ausweisen?«

Plötzlich fiel ein Schuss. Blut sickerte aus der Stirn des Officers.

Blitzschnell öffnete der Fremde die Tür, wandte sich nach hinten, feuerte, lief geduckt auf den Streifenwagen zu und öffnete dessen Beifahrertür.

Ohne Überlegung drehte Mary den Zündschlüssel und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Der Motor heulte auf, Reifen quietschten.

Plötzlich überzogen weiße Risse ihre Frontscheibe. Hatte er auf sie geschossen? Sie machte sich so klein wie möglich.

»Ungeklärte Todesursache, eben reingekommen«, murmelte eine Kollegin, legte ein Klemmbrett mit Aktenvermerk auf die Kante von Sergeant Martins Schreibtisch und eilte weiter.

Er seufzte, gähnte hinter vorgehaltener Hand und trank einen Schluck Kaffee. Die letzte Nachtschicht steckte ihm noch in den Knochen, und auch am Tag hatte er kein Auge zugetan.

Er überflog die Nachricht. JFK ... toter Flugpassagier ... medizinische Untersuchungen laufen ... mutmaßliche Todesursache Genickbruch.

Schlagartig war er hellwach. Er hob den Telefonhörer ans Ohr und drückte einen Knopf.

Während er wartete, wanderten seine Augen über das Schreiben und blieben an der Adresse der zuständigen Gerichtsmedizin in Queens hängen.

50 – 14 Jamaica Avenue

11432 Jamaica, New York

»NYPD Crime Lab«, war eine tiefe Frauenstimme in der Leitung zu hören.

Martin ließ sich mit dem zuständigen Arzt verbinden und erfuhr, die Flugzeugleiche sei eingeliefert worden, könne aber erst am nächsten Tag untersucht werden.

»Wir haben in den letzten Stunden vier neue Fälle reinbekommen. Tut mir leid, Sergeant. Morgen ab zehn Uhr können Sie mit ersten Ergebnissen rechnen.«

Ich zog die verdeckten Spielkarten vom Tisch und hielt sie mir dicht vor die Augen. Langsam schob ich die oberste nach links. Nach und nach kamen die hinteren zum Vorschein. Das war der Anfang einer Straße. Ich bemühte mich, keine Reaktion zu zeigen. Schon das Innehalten nach der dritten Karte war auffällig. Vielleicht vermuteten meine Mitspieler, dass ich auf ein Full House spekulierte.

Rechts neben mir fischte Supervisory Special Agent Dr. Ben Bruckner ein Lakritzstück aus der Tüte.

Ben war weit mehr als der Computerexperte unseres Teams. Wenn es ein Universalgenie gab, dann dieser knapp über zwanzigjährige Mann mit dem Milchbubengesicht.

Die anderen in der Runde hatten den Rang von Special Agents so wie ich. Joe Brandenburg, groß, breitschultrig, ehemaliger Captain des NYPD, an seiner Seite der kleinere dunkelhaarige Les Bedell, sein unauffälliger Partner. Neben mir lümmelte mein Freund Phil Decker.

Da im FBI Field Office an der Federal Plaza Routineermittlungen anstanden, hatten wir uns nach Dienstschluss bei Joe zum Pokern verabredet. Das geschah in unregelmäßigen Abständen alle paar Wochen.

Ohne Absprache wurde unsere Kollegin Supervisory Special Agent Dr. Iris McLane nicht mehr zu diesen Treffen einzuladen. Ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Wir alle mochten Iris gern, aber die Psychologin und Profilerin hatte uns regelmäßig beim Spiel über den Tisch gezogen. Ihr etwas vorzumachen, war unmöglich. In einer Vernehmung durchschaute sie jede Lüge, im Spiel jedes Täuschungsmanöver.

»He, Jerry, schläfst du?« Joe sah mich irritiert an. Das dunkle, abgewetzte Holster des legendären Smith & Wesson Revolvers Kaliber 357 Magnum unter seiner Schulter hob sich deutlich von seinem weißen Oberhemd ab.

Im Hintergrund hing unter der Zimmerdecke das Holzmodell eines Wright Flyers von 1903, des ersten Doppeldeckers der Luftfahrtgeschichte. Die Gebrüder Wright waren damit ein paar Hundert Yards weit gehüpft. Heutzutage waren die Möglichkeiten fantastisch.

Joe bastelte in seiner Freizeit neuerdings an solchen Dingern herum. Sein Apartment war voll davon. Ihre Vorbilder stammten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Modernere Luftfahrzeuge interessierten Joe ebenso wenig wie unsere aktuellen FBI-Dienstwaffen.

»Sorry, Joe. Ich habe daran gedacht, dass Iris hoffentlich beim FBI bleibt und keine zweite Karriere in Las Vegas startet.«

Die anderen verstanden und grinsten zurück. Nur Phil war ungeduldig.

»Also, was ist, Partner?« Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn.

Offenbar rechnete er sich gute Gewinnchancen aus. Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern trank einen Schluck.

Es war ein schwülwarmer Juliabend in New York City, der Stadt, die ich liebte. Den ganzen Tag über hatte sie unter drückender Hitze gestöhnt, und selbst jetzt, gegen neun Uhr abends, war es kaum auszuhalten.

Da die Klimaanlage wegen Überforderung streikte, saßen wir in kurzärmeligen Hemden um Joes Wohnzimmertisch. Sogar der stets im Businesslook auftretende Ben hatte sein Jackett abgelegt und die Krawatte gelockert. Die messerscharfen Bügelfalten seiner Hemdsärmel stachen umso mehr hervor.

»Zwei Neue.« Ich nahm die Karten in Empfang, warf einen Blick auf mein Blatt und jubilierte innerlich.

Als es ans Aufdecken ging, ließ ich den anderen den Vortritt. Phil grinste siegesgewiss. Als sie mich erwartungsvoll ansahen, ließ ich mir Zeit, um die Spannung zu erhöhen. Ein bisschen Show gehörte zum Spiel. Langsam legte ich eine Karte nach der anderen offen auf den Tisch.

»Neun, Zehn, Bube, Dame. Gentlemen, diese Straße führt«, mit einer lässigen Handbewegung schnippte ich die letzte Karte in die Tischmitte, ,«zum König.«

Am nächsten Tag ließ sich Sergeant Martin in einem Streifenwagen nach Queens fahren. Wenn es Resultate gab, wollte er sie aus erster Hand erfahren. Um Viertel vor zehn stand er am Eingang des Großlabors.

Der Doorman reichte ihm einen gelben Zettel mit Zimmernummer.

»Aha, danke.«

Das Großlabor machte seinem Namen alle Ehre. Nach strammem Fußmarsch erreichte Martin den angegebenen Raum, klingelte und nannte sein Anliegen.

Der Türsummer gab den Weg frei. Die Gerichtsmedizin roch wie eh und je, er würde sich nie daran gewöhnen. Auf einem der Seziertische lag eine Leiche, Kopf und Brust offen, der Rest mit einem weißen Tuch abgedeckt.

Dr. Johnson bestätigte die Diagnose seines unbekannten Kollegen im Flugzeug und wies mit einem Skalpell auf Druckspuren an Hals und Kopf des Verstorbenen. »Schauen Sie, Sergeant. Der Tod trat zweifellos durch Fremdeinwirkung ein.«

»Also Mord.«

»Ja.« Der Tonfall des Arztes war bestimmt. »Ich habe sofort Abstriche im Bereich der Druckstellen gemacht. Das Material ist in der DNA-Untersuchung.«

Martin nickte anerkennend. »Gut, Doktor. Dort würde ich mich gern informieren.«

Der Arzt ging zum Fensterbrett, notierte etwas und drückte Martin einen blauen Zettel mit Zimmernummer in die Hand.

Martin grinste.

Im Labortrakt für DNA-Analysen musste er sich gedulden. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen.

Er setzte sich auf die Wartebank im Flur und wischte sich Schweißtropfen von der Stirn.

Nach wenigen Minuten öffnete eine Frau in weißem Kittel die Schiebetür und hielt nach ihm Ausschau.

»Sergeant Martin? Hier ist das Ergebnis der DNA-Analyse.« Sie hielt Papiere in den Händen. »Wir konnten das untersuchte Material eindeutig einer Person aus den erweiterten Datenbanken zuordnen. Es handelt sich«, sie blätterte in ihrem Bericht, »um einen gewissen Eran Sumodan, männlich, sechsunddreißig Jahre.«

Dieser Name sagte Martin nichts. Und erweiterte Datenbanken konnte alles Mögliche bedeuten. Offenbar gab es keine Übereinstimmung in der normalen Datenbank des NYPD. In Fällen der Identitätssuche im Rahmen von Straftaten erhielt das NYPD unbürokratisch Zugriff auf genau definierte Bereiche von Datenbeständen anderer staatlicher Behörden, einschließlich aller Geheimdienste. Das war offenbar bereits erfolgt.

Die Ärztin steckte die Papiere in einen Briefumschlag und reichte ihn Martin. »Sumodans Biografie liegt dem Bericht bei.«

Martin staunte. »Erstklassige Arbeit. Vielen Dank, Doc.«

Als sie in ihrem Büro verschwand, öffnete Martin den Umschlag, setzte sich und las die Lebensgeschichte des mutmaßlichen Flugzeugmörders.

Kopfschüttelnd holte er sein Mobiltelefon aus der Uniformtasche. Die Nummer war gespeichert. Er hielt das Gerät ans Ohr und blickte auf. Die Glasscheibe der gegenüberliegenden Flurseite zeigte sein Gesicht, die Stirn gefurcht von Sorgenfalten.

Nach dem ersten Klingelton meldete sich eine Frauenstimme. »FBI Field Office New York, was kann ich für Sie tun?«

Es klopfte an der Bürotür.

»Helen«, vermutete Phil, der mir gegenüber saß. Ohne aufzusehen, tippte er weiter auf der Computertastatur.

Ab und zu machten wir uns den Spaß, Besucher an der Art des Anklopfens zu erraten.

»Ja bitte!«, rief ich.

Mr. Highs Sekretärin trat lächelnd ein. Sie sah klasse aus, hatte ihr braunes Haar hochgesteckt und trug eine lindgrüne Seidenbluse, dazu einen ockerfarbenen Rock mit schmalem braunem Gürtel.

»Es ist dringend«, sagte sie und legte zwei hellblaue Pappmappen auf unsere Tische. »Um zehn nach elf habt ihr in dieser Angelegenheit eine Meeting beim Chef.«

»Danke, Helen.« Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass Eile geboten war. »Zehn vor elf«, informierte ich meinen Partner.

Phil stellte das Tippen ein, blickte auf und verzog den Mund. »Da scheint's irgendwo zu brennen.«

Ich öffnete die Mappe. »Eran Sumodan. Kennen wir den?«

Phil überlegte. »Hm, bei dem Namen geht mir kein Licht auf.«

»Willkommen im Klub, Partner.«

Schweigend vertieften wir uns in die Inforeader. Ich überflog Angaben zu Sumodans Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, Staatsangehörigkeit und Geburtsort und wandte mich dem Lebenslauf zu. Seine Kindheit verlief alles andere als glücklich, Vater und Mutter starben früh. Eine Schule sah er selten von innen. Keine Berufsausbildung und, soweit bekannt, keinerlei persönlichen Bindungen. Schon im Kindesalter nahm ihn die Terrororganisation Brüder der Gerechtigkeit unter ihre Fittiche. Sumodan war einer der führenden Köpfe und international zur Fahndung ausgeschrieben.

Es folgten Hintergrundinformationen zu diesen ominösen Brüdern der Gerechtigkeit. Ihr Ziel war, Sumodans Heimatland von der westlich geprägten Demokratie zu »befreien«. Dafür scheuten sie kein verbrecherisches Mittel. Auch außerhalb ihres Heimatlandes hatten sie ihre schmutzigen Finger im Kampf um die Macht im Staat.

Die strafrechtlich relevanten Details enthielten eine drei Seiten lange Aufzählung von Verbrechen, die verschiedene Länder Sumodan zur Last legten, darunter sein Heimatland. Der schieren Menge wegen hatte man sie unterteilt in Bomben- und Brandanschläge auf öffentliche Einrichtungen, Erpressung, Raub, Mord, Folter, Bestechung und Erpressung.

Aus Phils Richtung hörte ich einen leisen Pfiff. Offenbar war er an derselben Stelle angekommen. Er starrte mich mit großen Augen an, sagte aber nichts.

Meine Armbanduhr zeigte 11:05 Uhr, als wir unser Büro verließen.

An Helens Schreibtisch hatte sich eine Schlange gebildet. Augenscheinlich waren wir nicht die Einzigen, die an der Besprechung im Chefzimmer teilnahmen. Alle hatten mit Kaffee gefüllte Tassen samt Untertassen in der Hand und warteten.

Auf die Minute genau bewegten wir uns zu der Holztür mit der Aufschrift Assistant Director in Charge John D. High. Den Anfang machte Les Bedell, gefolgt von Joe Brandenburg.

Suchend blickte ich mich nach meinem Partner um. Er stand an Helens Schreibtisch und plauderte mit Dr. Iris McLane. Sie lachten und hatten nichts vom allgemeinen Aufbruch mitbekommen.

Ich ging zu ihnen. »Iris, Phil, darf ich bitten?«

Iris verzog einen Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln.