Jerry Cotton 3486 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3486 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Die Filmproduzentin Louise Sandman aus San Francisco verschwand in New York, die äußeren Umstände deuteten darauf hin, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden war. In den Fokus der Ermittlungen geriet ihr aalglatter Nachfolger Nat Buckland. Verdächtig waren aber auch die beiden Männer, die sie kurz zuvor bei einem Filmfestival kennengelernt und mit denen sie ein geheimnisvolles Projekt geplant hatte. Es blieb nicht bei einer Toten. Und schon bald spielte sich in der Upper Bay ein U-Boot-Drama ab ...

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Inhalt

Cover

U-Boot-Drama in der Upper Bay

Vorschau

Impressum

U-Boot-Drama in der Upper Bay

Aus dem Vernehmungsprotokoll

»Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrem Vater beschreiben?«

»Dad war mein Gott.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ohne ihn wäre ich nichts. Abschaum. Ein Wurm.«

»Finden Sie nicht, dass Sie ein bisschen übertreiben?«

»Ich wollte immer sein wie er. Erfolgreich, charmant, dominant. Alle lieben Dad. Alle respektieren ihn.«

»Er war Ihr Vorbild.«

»Er war mehr als ein Vorbild. Viel mehr. Aber das verstehen Sie nicht. Wie war Ihr Dad?«

»Seine dunkle Seite haben Sie nicht gesehen?«

»Wovon reden Sie? Dad hatte so was nicht. Er war der beste Dad der Welt!«

»Haben Sie nie gespürt, dass seine Liebe zu Ihnen nicht ... gesund war?«

»Sie kapieren gar nichts! Null Komma null! Beenden wir das hier! Es macht keinen Sinn!«

»Dass seine Gefühle krankhaft übersteigert waren? Und gefährlich werden könnten?«

»Hören Sie auf damit! Das ist eine Lüge! Ich sage kein Wort mehr! Kein. Einziges. Verdammtes. Wort!«

»Bobby! Inya! Eine halbe Stunde. Nicht länger. Ist das klar?«

»Ja, Mom.«

»Und lauft nicht über die Straße. Wartet, bis die Ampel grün wird.«

»Dürfen wir jetzt?«

»Eine halbe Stunde. Und immer im Park bleiben. Habt ihr verstanden?«

Sie liefen los. Bobbys Mom war okay. Sie konnte aber auch furchtbar anstrengend sein, besonders wenn es so heiß war wie heute.

Den ganzen Tag hatten sie Jadens Geburtstag feiern müssen. Dabei hatten sie bis gestern nicht mal gewusst, dass es Jaden überhaupt gab.

Er war der jüngste Sohn von Inyas Tante zweiten Grades aus Connecticut. Oder doch der Großneffe ihrer Cousine Laura aus New Hampshire?

Wie auch immer, Jaden war eine Nervensäge allererster Güte, und sein gottverdammter Geburtstag hatte sie einen wertvollen Ferientag gekostet.

An der Freiheitsstatue waren sie gewesen, gähn, im Central Park und auf dem Empire State Building, stöhn, und zum Schluss wollte Jaden dann natürlich auch noch ins Eiscrememuseum am Broadway.

Dabei sah man jetzt schon auf den ersten Blick, dass er in den ersten acht Jahren seines Lebens mehr Eiscreme verspeist hatte als andere Leute in ihrem ganzen Leben.

»Ich finde, er sieht aus wie eine Kröte«, stellte Bobby erbarmungslos fest. »Eine fette, eingebildete Kröte.«

»Eine fette, eingebildete, hypochondrische Kröte«, ergänzte Inya der Vollständigkeit halber.

»Was ist hypochondrisch?«

»Wenn Jaden furzt, denkt er, er hat Darmkrebs.«

»Was ist Darmkrebs?«

Inya verdrehte die Augen. »Unsere Unterhaltung mäandert.«

Bobby bewunderte seine Cousine grenzenlos. Nur dieses Wort hatte sie garantiert eben erst erfunden.

»Da hinten ist Musik! Los, wer zuerst da ist!«

Inya lief los. Sie war neun, Bobby sieben. Obwohl sie ein Mädchen war, würde sie immer in allem besser sein als er. Schneller, geschickter, cleverer.

Er bemühte sich darum, diesen Punkt gelassen und ohne größere Gefühlsregung zu akzeptieren, was ihm nicht immer gelang.

Aber er arbeitete dran.

Die kleine Kapelle hatte sich an einem der Hauptwege im Park aufgestellt, im Schatten einer mächtigen Buche. Gut dreißig Spaziergänger hatten sich darum versammelt und lauschten der temperamentvollen Musik. Einige Frauen tanzten versunken.

»Mexikaner«, raunte Inya ihm zu, »Mariachi-Musik.«

Wieder so ein Wort. Heute legt sie es echt drauf an, mich alt aussehen zu lassen, dachte Bobby und nickte cool wie ein Mariachi-Experte.

Es waren sieben Musiker, drei Frauen und vier Männer. Die Männer trugen lächerlich große Strohhüte und schwarze Westen mit großen goldenen Knöpfen. Zwei Männer spielten Gitarre, einer Trompete, und der vierte schlug mit einem Tamburin im Takt gegen sein Knie.

Eine Frau spielte Geige, die beiden anderen wiegten sich im Takt und sangen dazu in einer merkwürdigen Sprache.

Auch Inya hatte angefangen, sich im Takt der Musik zu bewegen, was Bobby megapeinlich war. Er stellte sich etwas abseits und betrachtete konzentriert seinen rechten Daumennagel, den er in seinem bisherigen Leben sträflich vernachlässigt hatte.

Plötzlich meldete sich sein Magen, und ihm wurde nachdrücklich bewusst, dass auch er sich im Eiscrememuseum besser etwas zurückgehalten hätte. Auf einmal hatte er den Geschmack der zwei Frühlingsrollen im Mund, die er gerade im Happy Wok runtergewürgt hatte und die so gar nicht mit dem Drachenfruchteis harmonierten, auf das sie im Magen getroffen waren.

Und diese hysterische Musik wirkte zusätzlich alles andere als beruhigend auf seinen aus dem Gleichgewicht geratenen Verdauungsprozess.

Endlich endete das Stück in einem lang anhaltenden Rasseln des Tamburins. Während ringsum begeistert Beifall geklatscht wurde, zupfte er Inya am Ärmel.

»Lass uns zurückgehen. Mir ist schlecht.«

»Zurück zu der fetten Kröte? Spinnst du? Erst will ich mir den Zirkus angucken!«

»Welchen Zirkus?«

»Bist du blind?«

Tatsächlich, ganz hinten, am anderen Ende des Parks, war ein sonnengelbes Zirkuszelt zu sehen. Bobby blieb nichts anderes übrig, als seiner Cousine hinterher zu hetzen. Allein hätte er den Weg zum Happy Wok nicht gefunden, wo ihre Familien den hektischen Tag bei Chop Suey und Pekingente ausklingen ließen.

Rund um das Zelt war jede Menge los. Die Abendvorstellung begann erst in zwei Stunden, und die kleinen Islandponys, die später in der Manege ihre Kunststücke vorführen würden, tollten noch ausgelassen über die Weide, die mit einem provisorischen Zaun abgesteckt war. Dazwischen stolzierten zwei stattliche Kamele mit majestätisch erhobenen Köpfen umher, als wollte sie der ganzen Welt demonstrieren, dass ohne sie hier gar nichts lief.

Ein alter Clown saß auf der Treppe vor seinem Zirkuswagen und jonglierte versunken mit zwei Orangen, drei Tennisbällen und einer kleinen Gurke. Die rote und schwarze Schminke, die er von der letzten Vorstellung noch nicht ganz abgewischt hatte, zerlief in der Nachmittagssonne.

»Ich will jonglieren lernen!«, entschied Inya spontan und machte Anstalten, auf den Clown zuzugehen.

Bobby hielt sie fest.

»Wir müssen zurück, Inya, sonst gibt's Ärger. Die halbe Stunde ist längst vorbei.«

»Spielverderber! Geh doch. Ich lerne erst Jonglieren.«

Als hätte er geahnt, was auf ihn zukam, erhob sich der Clown in diesem Moment und verschwand in seinem Wagen.

»Also?«

Bobby hatte sich zu früh gefreut. Inya war es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen, und würde auch jetzt nicht klein beigeben.

»Dann gehen wir wenigstens noch zum Fluss.«

»Welcher Fluss?«

»Der Passaic River. Ist gleich hinterm Park. Da gibt es Muscheln.«

Mit Muscheln kriegte man Bobby immer. Von seinem letzten Sommerferien auf Long Island hatte er hundertsiebzehn Muscheln mitgebracht.

»Also gut, aber nur fünf Minuten.«

Sie überquerten die Passaic Ave und einen großen, staubigen Parkplatz, dann erreichten sie das Ufer. Bobby sah sich gierig um.

»Wo sind die Muscheln?«

»Kein Stress, wir finden deine blöden Muscheln schon. Guck mal, was ist das denn?« Inya hatte eine große, schwarze Tonne entdeckt, die sanft im brackigen Wasser dümpelte. »Komm, wir ziehen sie raus.«

Sie sprang die leicht abschüssige Böschung hinunter, Bobby folgte ihr notgedrungen.

»Los, fass mal mit an!«

Die Tonne war schwer. Mit vereinten Kräften und mithilfe einer verfaulten Holzplanke, die Inya aus dem Wasser fischte und als Hebel einsetzte, gelang es ihnen, sie an Land zu hieven.

Inya strahlte triumphierend. »Wetten, die ist voll Gold!«

Bobby verzog das Gesicht und wandte sich ab. »Uuhhh, das stinkt ja mega!«

»Weichei! Stell dich nicht so an.«

Sie sah sich um, entdeckte einen großen, weichgespülten Stein und schlug kräftig auf den Deckel ein.

Der Deckel war rostig und porös, und schon nach wenigen Schlägen gab er nach. Eine stinkende gelbliche Brühe floss heraus. Jetzt musste sich auch Inya abwenden, denn der Gestank war bestialisch.

»Gold, genau!«, ätzte Bobby. »Den Mief kriegen wir nie mehr raus aus den Klamotten.«

»Wir werden ja sehen ...« Todesmutig hielt Inya die Luft an und steckte eine Hand tief in das Fass hinein.

Was sie hervorholte, war kein Klumpen Gold.

Es war ein verwitterter, von grünen Algen bedeckter menschlicher Schädel.

Ein feiner Regen fiel, als ich meinen Partner Phil Decker um kurz nach acht an der üblichen Ecke aufnahm. Das ganze Wochenende hatte die Stadt unter einer schwül warmen Hitzeglocke gestöhnt. Der Regen war die willkommene Abkühlung, nach der sich alle Menschen gesehnt hatten.

»Schönes Wochenende gehabt?«

Phil seufzte. »Da mein Apartment über keine Klimaanlage verfügt, würde ich eher von einem Kochenende sprechen.«

»Warum bist du nicht runter in den Central Park? Im Schatten war es einigermaßen auszuhalten.«

»Ich hab mir stattdessen eine Neun-Stunden-Doku über die Antarktis reingezogen.«

»Auch nicht schlecht.« Ich grinste.

»Was dagegen, wenn ich das Fenster öffne?«

Wir ließen die Seitenfenster hinuntergleiten und genossen die frische Luft, während wir den Columbus Circle passierten und uns in den Broadway einfädelten.

Weil noch Ferienzeit war und die Menschen in allen Teilen der Welt Urlaub machten, waren die Straßen rund um den Times Square angenehm leer, und der Verkehr floss entspannt Richtung Village und Lower Manhattan.

In Höhe der Chase Manhattan Bank klingelte mein Handy. Ich schaltete die Freisprechanlage ein.

Helen begrüßte uns aufgeräumt, dann sagte sie die Worte, die sie vielleicht sogar manchmal im Schlaf murmelte, einfach weil sie ihr ein gutes Gefühl von Ordnung und Zuständigkeit vermittelten. »Der Chef will euch sprechen ...«

Im nächsten Moment meldete sich Mr. High. »Hallo, Jerry, hallo, Phil, ich hoffe, Sie hatten ein angenehmes Wochenende.«

Ich warf einen Seitenblick zu meinem Partner, der sich demonstrativ den imaginären Schweiß von der Stirn wischte.

»Alles bestens, Sir. Das Gleiche gilt hoffentlich für Sie?«

»Ich habe das Wochenende im Büro verbracht, das bekanntlich über eine exzellente Klimaanlage verfügt.«

Phil zog eine Grimasse.

Mr. High kam übergangslos zur Sache. »Wo sind Sie gerade, Jerry?«

»Höhe West 39th Street.«

»Sehr gut. Ich möchte, dass Sie kurz beim 10th Precinct vorbeischaut. Die Adresse ist 230 West 20th Street.«

Phil machte sich rasch eine Notiz.

»Officer Dylon Summers rief mich an. Eine Filmproduzentin aus San Francisco wird seit einigen Tagen vermisst, die äußeren Umstände deuten darauf hin, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Möglicherweise ist alles aber auch nur ein Missverständnis und klärt sich schnell auf. Geben Sie mir bitte kurz Bescheid, wenn Sie sich eine Meinung gebildet haben.«

»Alles klar, Sir, wir sind schon unterwegs«, erwiderte ich und schaltete die Freisprechanlage aus.

Der Sergeant am Eingang wies uns zu einer Tür, auf der mit Messingbuchstaben Commanding Officer Dylan Simmons stand. Wir klopften an und traten ein.

»FBI, mein Name ist Cotton, das ist mein Partner Agent Decker. Sie wissen Bescheid?«

Officer Simmons erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam mit einem breiten Lächeln auf uns zu.

»Das nenne ich mal eine zügige Zusammenarbeit«, dröhnte er in einem sonoren Bass, »vor zehn Minuten erst habe ich mit Ihrem Chef gesprochen.«

»Wir waren gerade in der Gegend und mussten nur noch einen Parkplatz finden«, erklärte ich.

Dabei warf ich einen Blick auf die Frau, die vor seinem Schreibtisch saß. Ich sah sie nur von hinten, aber schon aus dieser Perspektive war sie eine auffällige Erscheinung.

Sie trug einen großen Floppy-Strohhut mit ungewöhnlich breiter Krempe und einer bonbonrosa Schleife. Darunter eine weite Bluse im Ethnostyle, einen engen goldbraunen Lederrock und giftgrüne Cowboystiefel.

»Darf ich Ihnen Miss Kathleen Vandervelt vorstellen?«

»Mrs. Vandervelt«, korrigierte sie mit einem deutlich genervten Unterton.

»Sorry, Mrs. Vandervelt. Sie macht sich große Sorgen um ihre Freundin, eine gewisse ...« Der Officer trat hinter den Schreibtisch und scrollte auf dem Bildschirm durch seine Notizen.

»Lou Sandman«, kam ihm Mrs. Vandervelt zu Hilfe. »Ihr Name ist Louise Sandman, ich kann sie seit drei Tagen nicht erreichen. Das ist noch nie vorgekommen, Lou ist immer erreichbar. Ihr muss etwas passiert sein.«

Wir zogen uns zwei Stühle heran und setzten uns.

»Wann haben Sie zum letzten Mal mit Mrs. Sandman gesprochen?«, fragte ich.

»Miss Sandman, Lou ist unverheiratet. Sie kommt einfach nicht dazu. In meinem Terminkalender ist kein Platz für eine Hochzeit, sagt sie immer. Die nächsten zwei Jahre bin ich ausgebucht.«

Ich wiederholte meine Frage.

»Das war letzten Sonntagnachmittag. Das heißt, in New York war es natürlich erst Sonntagmorgen. Ich rief Lou vom Flughafen in Dubai an und wollte wissen, ob wir uns Montagabend auf einen Drink sehen könnten.«

»Und? Hatte sie Zeit für Sie?«

»Natürlich nicht. Es ist leichter, einen Backstageausweis bei Beyoncé zu bekommen als einen Termin bei Lou. Sie versprach aber, mich anzurufen.«

»Was sie nicht getan hat«, vermutete Phil.

»Richtig. Seitdem versuche ich pausenlos, sie zu erreichen. Offenbar hat sie ihr Smartphone ausgeschaltet. Das ist völlig unmöglich. Lou führt an einem Tag locker zweihundert Gespräche. Niemals würde sie ihr Handy ausschalten. Sie wäre gar nicht lebensfähig ohne Telefon.«

Officer Simmons schaltete sich ein.

»Vielleicht gebe ich Ihnen mal kurz die Fakten über Miss Sandman wieder, die Mrs. Vandervelt mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.« Er setzte seine randlose Lesebrille auf und wandte sich dem Bildschirm zu. »Louise Sandman, vierunddreißig Jahre alt, wohnhaft 1994 Bourbon Street, San Francisco. Miss Sandman ist CEO bei der TV-Produktionsfirma TVSanF mit Sitz in San Francisco. Sie entwickelt und betreut unterschiedliche TV-Formate im Bereich Talkshow, Reality-TV und Daily Soap. Seit vergangenen Samstag ist sie beruflich in New York und wohnt im Chelsea Hotel, Zimmer 411.« Er nahm die Brille ab und warf Mrs. Vandervelt einen prüfenden Blick zu. »Soweit korrekt?«

Kathleen Vandervelt nickte. Dann wandte sie sich an mich. »Glauben Sie, dass ihr etwas zugestoßen ist? Ich meine, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden ist?«

»Es ist wohl noch zu früh, darauf eine Antwort geben zu können«, versuchte ich, sie zu beruhigen. »Wissen Sie vielleicht, was sie in New York zu tun hatte? Wen sie treffen wollte? Wie lange sie bleiben wollte?«

Mrs. Vandervelt schüttelt traurig den Kopf. »Lou hat sich verändert. Früher haben wir immer über alles gesprochen. Bevor sie eine wichtige Entscheidung traf, hat sie mich nach meiner Meinung gefragt. Du hast den besseren Bauch, hat sie gesagt. Damit meinte sie wohl meine Menschenkenntnis.«

»Sind Sie mit Miss Sandman nur befreundet? Oder haben Sie auch beruflich mit ihr zu tun?«

»Ich bin ihr Casting Director. Das heißt, ich bringe ihr die Leute, die sie braucht. Für ihre Talkshow und Realityformate, aber auch junge Schauspielerinnen und Schauspieler für ihre Serien.«

Ich nickte Phil zu, der sich Notizen gemacht hatte, und wir erhoben uns.

»Bitte schicken Sie mir ein aktuelles Foto von Miss Sandman auf mein Smartphone, und halten Sie uns über Ihre Ermittlungen auf dem Laufenden.«

»Selbstverständlich, Agent Cotton«, bestätigte Officer Simmons. »Und wenn Sie etwas rausfinden ...«

»... erfahren Sie es als Erster.«

Kathleen Vandervelt stand auf, fasste meine Hand und sah mir eindringlich in die Augen. »Bitte, finden Sie Lou! Sie ist in Gefahr! Glauben Sie mir! Das sagt mein Bauch!«

Bevor wir zum Chelsea Hotel fuhren, genehmigten wir uns einen doppelten Espresso im Lamano, einer kleinen Tapasbar in der West 20th Street. Die runden Tische der Außengastronomie waren schon zu dieser frühen Stunde fast vollbesetzt. Gesprochen wurde hauptsächlich Spanisch.

»Was hältst du von der Lady?«, wollte Phil wissen, während er drei gehäufte Löffel Zucker in seinen dampfenden Kaffee gab.

»Vielleicht ein bisschen überdreht, aber durchaus ernst zu nehmen«, antwortete ich.

»Was bringt eine erfolgreiche, ehrgeizige junge Frau dazu, von heute auf morgen und ohne Vorwarnung alles stehen und liegen zu lassen und einfach von der Bildfläche zu verschwinden?«

»Das ist die große Frage.«

Eine Taube hatte sich unter den gelben Sonnenschirm verirrt und flatterte hektisch. Die Gäste unter dem Schirm sprangen auf und hätten um ein Haar den Kellner umgestoßen, der gerade ein Tablett mit Tapas durch die Tischreihen jonglierte.

»Vielleicht hatte sie schlicht die Nase voll von ihrem Job«, überlegte ich laut, »so was soll vorkommen. Sie ist schließlich jung genug, um irgendwo noch einmal ganz von vorne anzufangen.«

»Ziemlich romantische Vorstellung, findest du nicht?« Phil grinste. »Wahrscheinlicher ist doch, dass jemand anders dahintersteckt.«

»Du meinst, Miss Sandman ist entführt worden?«

»Warum nicht? Die Film- und Fernsehbranche ist ein Haifischbecken. Möglicherweise gibt es jemanden, dem sie bei der eigenen Karriere im Weg stand.«

Die Taube hatte mittlerweile den Weg in die Freiheit gefunden, und die Tapas waren am Nebentisch unfallfrei serviert worden.

»Ein Konkurrent? Vielleicht aus der eigenen Firma?«, fragte ich.

»Wäre das so ungewöhnlich? Wenn man so erfolgreich ist wie Lou Sandman, schafft man sich automatisch Feinde. Leute, die einem den Erfolg nicht gönnen. Die das Gefühl haben, zu kurz zu kommen.«

Der Espresso schmeckte köstlich. Ich mochte ihn am liebsten so heiß wie möglich und trank ihn in einem Zug.

»Du hast recht, so könnte es gewesen sein«, sagte ich nachdenklich, »es könnte aber auch ganz anders gewesen sein.«