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Dem Verbrecher Daniel Carter war auf spektakuläre Weise die Flucht aus einem Bundesgefängnis gelungen. Dabei hatte er rücksichtslos den Tod eines Aufsehers in Kauf genommen. Obwohl sich die Flucht in der Nähe von Boston ereignet hatte, waren wir in New York in höchster Alarmbereitschaft. Carter hatte fast seine ganze kriminelle Karriere im Big Apple absolviert, und wir mussten damit rechnen, dass er in Kürze hier aufkreuzen würde. Während Phil und ich nach dem Ausbrecher fahndeten, erhielten wir von einem seiner ehemaligen Zellengenossen einen Tipp. Carter hatte einen tödlichen Plan, der ihm eine Menge Geld einbringen sollte. Worin der bestand, sollten wir bald erfahren ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Der Zehn-Millionen-Dollar-Plan
Vorschau
Impressum
Der Zehn-Millionen-Dollar-Plan
Martin Miller hatte sich gerade einen Kaffee eingeschenkt, als sein Kollege Fred Callahan den Aufenthaltsraum betrat.
»Willst du etwa schon Pause machen, Marty?«, fragte Callahan. »Ich glaube, da ist noch was zu erledigen.«
Miller stellte die Tasse ab. Callahan war zwar nicht sein Vorgesetzter, doch er hatte ein paar mehr Dienstjahre als Gefängnisaufseher hinter sich und dadurch eine gewisse Autorität.
»Was gibt's denn?«, fragte er.
»Alle Häftlinge sind an ihren Arbeitsplätzen«, sagte Callahan, »nur Carter nicht. Die Zellentür ist offen, aber er hat wohl heute keine Lust. Wie wär's, wenn du ihn ein bisschen motivierst? Ich hab keine Lust, mich schon wieder mit ihm anzulegen.«
»Ich hoffe, ich bin zurück, bevor der Kaffee kalt ist«, sagte Miller und verließ den Raum, in den sich die Aufseher in ihren Pausen zurückziehen konnten.
Draußen auf dem Gang, der an den Zellen entlangführte, war es still. Callahan hatte zusammen mit einem anderen Kollegen dafür gesorgt, dass die Häftlinge in die Werkstätten verteilt worden waren. Dort hatten sie richtige kleine Jobs, mit denen sie sogar ein bisschen Geld verdienen konnten. Die meisten waren scharf darauf, aber nicht nur aus finanziellen Gründen. Die Arbeit bot Gelegenheit, den Alltag in der Haftanstalt etwas abwechslungsreicher zu gestalten.
Nur manche hatten hin und wieder keine Lust dazu. Und diesmal war es offenbar Daniel Carter, der seit einem guten Jahr hier einsaß.
Miller wusste, dass der Sträfling seine Taten vor allem in New York begangen hatte. Das war eine Stadt, die Miller verabscheute. Er liebte die großen Städte nicht. Sogar Boston, die nächste Metropole in der Nähe, war ihm nicht geheuer. Er war ein Mann der Natur, der gerne durch Wälder streifte, in seiner Freizeit auf die Jagd oder zum Fischen ging. Leider war das mit nur zwei Wochen Urlaub im Jahr nicht so einfach zu realisieren. Aber er freute sich wenigstens auf die langen Wochenenden, an denen er mit Kumpels in der freien Natur war.
Alle Zellentüren standen offen, während die Häftlinge bei der Arbeit waren. So konnte man leichter kontrollieren, ob sich irgendwo noch jemand verbarg.
Miller erreichte Carters Zelle und sah hinein. Der Häftling lag auf der Seite auf dem schmalen Bett, das Gesicht der Wand zugedreht.
Miller blieb in der Tür stehen.
»He, Carter!«, rief er. »Was ist los? Bist du krank? Dann hättest du das melden müssen. Oder bist du einfach nur faul? Bekommt dir das Gefängnisleben nicht?«
Miller ging in die Zelle.
»Ich schlage vor, dass du dich mal ein bisschen beeilst. Weißt du, mein Kaffee im Aufenthaltsraum wird kalt, und ich mag es gar nicht, wenn mein Kaffee ...«
Er verstummte. Plötzlich wurde ihm klar, dass das gar nicht Carter war, der da zugedeckt auf dem Bett lag. Es war nur ein Bündel Klamotten, so zurechtgemacht, dass es von der Tür aus täuschend echt wirkte.
»Was, zum ...?«, rief Miller.
Im selben Moment bohrte sich etwas Spitzes in seinen Rücken.
»Keinen Mucks«, flüsterte Carter ihm ins Ohr. Miller erkannte ihn an der Stimme. Er war so nah, dass er den Atem des Häftlings an seiner Wange vorbeistreichen fühlte. Er musste neben der Tür an die Wand gepresst gewartet haben, bis Miller hereingekommen war. »Beweg dich kein Stück«, hörte er ihn sagen. »Wenn du das tust, steche ich zu. Es wird verdammt wehtun, glaub mir. Und ich habe noch was.«
Wieder spürte Miller einen Stich. Diesmal am Hals.
Wenn Carter zustach, würde er sofort die Schlagader treffen.
Mit tödlichen Folgen.
Gab es eigentlich jemanden, der Montage liebte?
Ich gehörte jedenfalls nicht dazu, vor allem, wenn ein durchgearbeitetes Wochenende hinter mir lag.
Als mich mein Handy mit dem üblichen nervenden Piepton weckte, hatte ich gerade einmal vier Stunden Schlaf gehabt.
»Was beschwerst du dich, alter Junge?«, sagte ich zu meinem Spiegelbild im Bad. »Du hast es dir ja selbst ausgesucht.«
Eine knappe halbe Stunde später hatte ich mich in Windeseile auf Vordermann gebracht und war in die Tiefgarage zu meinem Jaguar F-Type hinuntergefahren, der mich und meinen Freund und Partner Phil zum Dienst bringen würde.
Als ich die Straßenecke erreichte, an der ich Phil üblicherweise abholte, sah ich ihn geistesabwesend auf sein Handy starren. Er war so in das versunken, was er da sah, dass er mich nicht bemerkte. Ich musste hupen, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
»Guten Morgen, Jerry«, begrüßte er mich. Das Telefon, auf dem ich vage ein laufendes Video erkennen konnte, hatte er immer noch nicht weggesteckt. Es war die Internetseite eines Nachrichtensenders.
»Die Meldung des Tages«, sagte Phil, während ich den Jaguar in den Verkehr Richtung Süden einfädelte. Hier von der Upper West Side aus würden wir sicher mehr als eine Stunde brauchen.
»Was ist die Meldung des Tages?«, fragte ich und gab Gas.
»Ach, das hast du nicht mitgekriegt, Jerry? Es gibt eine Geiselnahme in einem Gefängnis in Concord.«
Ich gähnte. »Ein Glück, dass es nicht in New York passiert ist. Das Wochenende war stressig genug.«
Phil behielt das Display seines Telefons im Blick. »Trotzdem, schlimme Sache. Ein Häftling hat einen Aufseher in seine Gewalt gebracht, und das mit einem zurechtgefeilten Aluminiummesser. Sie haben es nicht geschafft, die Sache zu beenden. Und jetzt steht der Häftling vor dem Gefängnis, und sie sind kurz davor, ihm einen Fluchtwagen zu stellen. Die Sache ist vollkommen eskaliert.«
Ich unterdrückte einen Fluch. Auch wenn das nicht in unseren Zuständigkeitsbereich fiel, war es doch etwas, das alle Sicherheitsbehörden betraf. Concord lag in der Nähe von Boston und befand sich nicht besonders weit von New York entfernt. Und wenn es dem Geiselnehmer tatsächlich gelang, seine Flucht fortzusetzen, und ihm in den Sinn kam, einen Abstecher in den Big Apple zu machen, konnte das alles noch zu unserem Problem werden.
Nach gut sechzig Minuten erreichten wir das FBI-Gebäude an der Federal Plaza. Kaum hatten wir unser Gemeinschaftsbüro betreten, klingelte an meinem Platz das Festnetztelefon. Es war Helen, die Vorzimmerdame von Mr. High, unserem Chef.
»Ihr werdet erwartet«, sagte sie, »und sollt sofort zu Mister High rüberkommen.«
Wir folgten der Aufforderung. Schon als wir im Vorzimmer eingetroffen waren, hörten wir, dass im Büro des Chefs der Fernseher lief. Wir klopften und gingen hinein. Dort saß Mr. High und verfolgte aufmerksam die Berichterstattung der Geiselnahme aus Concord. Jetzt sah man nicht mehr wie vorhin auf Phils Handy das Gefängnisgebäude in einer Liveaufnahme, sondern einen Sprecher im Studio. Die Aufnahme des Schauplatzes war zu einem kleinen Bild im Hintergrund zusammengeschrumpft.
Mr. High saß hinter seinem Schreibtisch. Er stand auf und begrüßte uns.
»Diese Sache geht uns leider auch an«, sagte er und bat uns, in der Besprechungsecke Platz zu nehmen.
»Ist der Geiselnehmer nach New York geflüchtet, Sir?«, fragte ich.
Mr. High schüttelte den Kopf. »Das wissen wir leider nicht. Sicher ist, dass ihm die Flucht gelungen ist. Ich habe bereits mit den Kollegen aus Boston telefoniert. Wir müssen auf alles gefasst sein, was Daniel Carter vorhaben könnte.«
»Daniel Carter, Sir?«, fragte Phil.
Mr. High nahm die Fernbedienung, stellte den Ton aus und tippte etwas in eine bereitliegende drahtlose Tastatur. Der Fernseher wurde zum Computer. Das Fernsehbild mit dem Sprecher, der gerade die neuesten Entwicklungen der Geiselnahme und anschließenden Flucht vortrug, wurde zu einem Fenster vor dem Desktophintergrund. Daneben erschien ein weiteres, in dem Mr. High eine elektronische Akte geöffnet hatte. Darin war das Foto eines dunkelhaarigen Mannes von etwa dreißig Jahren zu sehen.
»Daniel Carter ist der Name des Flüchtigen«, sagte Mr. High. »Er hat viele Kontakte nach New York. Er hat hier für einige Größen aus dem organisierten Verbrechen gearbeitet, war Drogenkurier, Geldeintreiber und hat wahrscheinlich auch einige Morde begangen. Er wurde festgenommen, als er versuchte, einen erpressten Restaurantbesitzer einzuschüchtern. Leider nur wegen Körperverletzung und Nötigung. Er wurde in New York geschnappt, kam nach Boston und nach Concord. Dass er ziemlich skrupellos ist, hat er bei der Geiselnahme bewiesen. Er hat einen der Aufseher mit seiner improvisierten Waffe erstochen, als der den Alarm ausgelöst hat. Sein Name war Fred Callahan. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder ...«
»Hat man Carter im Auge?«, fragte ich. »Weiß man, wohin er flieht?«
»Die Kollegen wissen natürlich mehr als die Presse«, sagte Mr. High. »Carter hat seine erste Geisel, einen Kollegen von Callahan, mit ins Fluchtauto genommen. Mittlerweile ist dieser Kollege namens Martin Miller wieder frei. Das Auto wurde an einer Landstraße entdeckt. Carter ist verschwunden, in der Nähe eines Orts namens Hudson, rund sieben Meilen von Concord entfernt. Es gibt dort sehr viel Wald. Dazu einige kleinere Städte, die Carter sicher meiden wird. Es ist nicht besonders schwer, sich dort verborgen zu halten.«
»Was können wir tun, Sir?«, fragte ich.
»Ich weiß, es ist schwierig, doch wir müssen herausfinden, ob er in New York auftaucht, und, wenn das der Fall ist, ihn wieder festnehmen und dorthin bringen, wo er hingehört. Ins Gefängnis.«
Carter hetzte durch ein Waldstück.
Ab und zu lauschte er. In der Ferne hörte er das typische Geräusch eines Hubschraubers. Das Blätterdach im Wald war dicht, man würde ihn nicht sehen. Trotz seiner auffälligen orangefarbenen Kleidung, die alle Häftlinge trugen.
Was ihm mehr Sorgen bereitete, war die Hundestaffel, die hier sicher bald auftauchen würde. In dem Moment, wo sie den Fluchtwagen fanden, würden sie ihn mit Hunden verfolgen, da war er sich sicher. Für die Tiere hinterließ er eine leicht verfolgbare Spur.
Also musste er sich beeilen.
Er hatte mit seinem Komplizen ausgeheckt, wie die Flucht ablaufen sollte. Er hatte genau gewusst, wo er den Fluchtwagen lassen und wo er sich dann hinwenden sollte.
In den Wald und immer geradeaus, ohne Rücksicht auf Wege oder Hindernisse.
Auf der Strecke befanden sich ein paar Bachläufe, durch die Carter waten musste und die die Hunde bestenfalls kurz aufhalten würden.
Hoffentlich hatte Klyte keinen Mist gebaut und alles sorgfältig geplant.
Carter hatte diese Flucht nicht allein durchführen können. Er hatte einen Helfer. Ken Klyte, der alles ausgekundschaftet und vorbereitet hatte.
Verdammt, wie lange ging es noch durch diesen Wald? Keine Meile sollte die Strecke betragen, die Carter zu absolvieren hatte. Keine Meile und dann ...
Tatsächlich. Hinter den Bäumen wurden Häuser sichtbar.
Nicht dass sich Carter ernsthaft Sorgen gemacht hätte, dass etwas schief ging. Aber er spürte doch die Erleichterung.
Carter verlangsamte seine Schritte. Die Häuser wurden deutlicher. Es waren die letzten Gebäude in einem Wendehammer einer Sackgasse. Alle standen weit auseinander. Dazwischen befanden sich großzügige Rasenflächen. Hier in Massachusetts hatte man mehr Platz als in New York. Eigentlich eine nette Gegend, dachte Carter. Leider geschäftlich nicht so lukrativ wie der Big Apple. Und deswegen setzte er alles daran, zurück nach New York zu gelangen, zumal er dort bald ein Ding drehen würde, das es in sich hatte und seinem Leben eine ganz neue Richtung geben würde. Mit einem Riesenvermögen.
Zehn Millionen Dollar ...
Kens Plan hatte wirklich funktioniert. Carter fand zwischen den letzten Bäumen unter einer Schicht von Ästen die große Mülltüte, in der sich alles befand, was er brauchte.
Neue Kleidung, mit der er endlich diesen orangefarbenen Overall loswurde. Dazu ein Prepaidhandy. Und einen Autoschlüssel.
Kens Nummer kannte er auswendig.
Er wollte gerade wählen, da hörte er, wie ein Wagen in die Sackgasse fuhr.
Instinktiv verbarg sich Carter hinter den Bäumen.
Was da herangefahren kam, war ein Streifenwagen.
Was nun? Zurück in den Wald?
Der Wagen stoppte vor dem vorletzten Haus. Die beiden Beamten waren noch nicht ausgestiegen, da trat eine ältere Frau heraus und ging ihnen entgegen. Sie hatte graues Haar, das eine Spur ins Bläuliche getönt war. Sie hatte die Streife gerade erreicht, da erschien in der Tür ein Mann im Rollstuhl. Ein Greis.
Die Cops waren nicht wegen Carter hier. Das war jetzt klar. Und es wurde noch klarer, als die Frau auf ein Kelleroberlicht am Sockel des Hauses deutete. Carter verstand genug von Einbrüchen, um zu erkennen, dass das Sicherheitsgitter herausgehebelt worden war. Dazu gab es ein faustgroßes Loch in der schmalen Scheibe.
Er zog sich etwa fünfzig Yards in den Wald zurück und rief Klyte an.
Der meldete sich sofort.
»Du hast also alles gefunden?«, fragte Klyte.
»Nicht nur das«, sagte Carter ungehalten. »Ich kam hier gerade an, und wer taucht auf? Die Cops.«
»Dafür kann ich nichts. Ich finde, du solltest mir etwas dankbarer sein. Es ist alles vorbereitet.«
»Wann hast du die Sachen versteckt, Ken?«
»He, spielt das eine Rolle?«, rief Klyte. »Wichtig ist doch, dass sie da ...«
»Wann, Ken?«, unterbrach er ihn.
»Heute Nacht, Mann, wie wir es ausgemacht haben.«
»Du hast nicht zufällig die Gelegenheit genutzt und bist noch schnell in ein Haus eingebrochen?«
»Die Hauptsache ist, dass ...«
»Verdammter Idiot«, zischte er. »Darüber sprechen wir noch.«
Er legte auf, steckte das Handy weg und tastete sich wieder in Richtung der Häuser vor.
Nur wegen Klyte musste er nun warten, bis die Cops endlich abzogen. Es dauerte eine gute halbe Stunde.
Carter wartete zur Sicherheit noch fünfzehn Minuten länger. Dann huschte er die Straße entlang, erreichte nach knapp zweihundert Yards die Hauptroute, wo es eine Buslinie gab. Hier in der Provinz brauchte er Überwachungskameras nicht zu fürchten. Außerdem hatte er sein Sträflingsäußeres inzwischen vollkommen abgelegt. Er trug eine Jeans, Hemd und ein legeres Jackett, dazu Sneaker. In der Tasche der Jacke hatte eine Sonnenbrille gesteckt, die er aufgesetzt hatte. Dazu ein paar Dollarscheine.
Am Rand von Hudson, gleich vor der Auffahrt zum Highway 495, erstreckte sich eine Mall mit einer Tankstelle und einem Fastfoodrestaurant.
Carter ging wie die unzähligen anderen Besucher über den Parkplatz, hielt sich jedoch etwas abseits und gelangte an den Rand eines Industriegebiets, das ziemlich heruntergekommen wirkte.
Die Firmen, die hier mal ihre Areale gehabt hatten, waren allesamt verschwunden. Offenbar hatte ein Investor das Gelände gekauft, um darauf die Mall zu erweitern. Trotzdem konnte man noch gut sehen, was dort mal gewesen war. Ein paar Lagerhallen, vor deren Toren inzwischen das Unkraut wuchs. Ein Schrottplatz, auf dem immer noch Einzelteile von Autos herumlagen. Daneben ein paar Carports, bei denen man Angst haben musste, dass sie bald einstürzten, denn die Dächer hingen bedenklich durch.
Unter einem davon ragte das Heck eines weißen Mitsubishi heraus.
Während Carter näher kam, tastete er schon nach dem Autoschlüssel. Und als er den Wagen erreicht hatte, sah er durch die Heckscheibe, dass jemand auf der Rückbank lag und schlief.
Gab es dieses Geschmeiß also sogar auf dem Land ... Und Ken Klyte hatte noch einen Fehler gemacht. Er hatte zwar den Wagen besorgt und dazu gestohlene Kennzeichen. Aber er hatte wohl vergessen, das Auto abzuschließen.
Carter riss die hintere Tür auf. Die Gestalt auf dem Rücksitz war in einen dreckigen Parker gehüllt. Ein furchtbarer Gestank ging von ihr aus.
»He, raus hier!«, brüllte er den Obdachlosen an, der sich langsam zu bewegen begann und jammernde Geräusch von sich gab. Neben ihm, im Fußraum vor dem Rücksitz, hatte er ein paar Decken und prall gefüllte Plastiktüten untergebracht.
Carter nahm sie und warf sie aus dem Wagen.
»Was ... was soll das?« Jetzt war der Obdachlose wach. Er hob den Kopf und sah Carter aus großen Augen an. Er mochte an die fünfzig Jahre alt sein, hatte wirres graues Haar, das ihm in die Stirn hing, und war unrasiert. Auch seine Bartstoppeln waren grau.
»Du haust jetzt hier ab!«, rief Carter, überwand seinen Ekel und zog den Mann an den Beinen aus dem Wagen.
»Hier wohne ich!«, protestierte der Obdachlose, der wohl zu schwach war, um sich zu wehren. »Du hast hier nichts verloren, du ...«
Er hat mich gesehen, dachte Carter. Und vielleicht befragen ihn die Cops.
Seine Gedanken waren völlig rational. Der Penner war ein Risiko, und ein Risiko musste ausgeschaltet werden.
»Du wohnst hier also?«, sagte Carter und sah den Mann an, der nun neben dem Auto auf dem Betonfußboden lag und nickte.
»Alles hat mal ein Ende«, sagte Carter und richtete sich auf.
Zwei Minuten später zog er den toten Obdachlosen ins Gebüsch. Seine Tat hatte Carters Wut auf Klyte etwas besänftigt. Er war fast gut gelaunt, als er den Wagen anließ, aus dem alten Carport zurücksetzte und auf die Straße Richtung Highway einbog.
»Das ist ja mal wieder wie die berühmte Nadel im Heuhaufen«, brummte Phil, als wir in unser Büro zurückkehrten.
Wir hatten uns bei Helen mit einer Kanne Kaffee eingedeckt, die wir auf meinem Schreibtisch abstellten. Dann fuhren wir unsere Computer hoch.
Ich ließ mich in meinen Bürostuhl fallen. »Sicher, alter Junge. Aber so aussichtslos, wie es scheint, ist das gar nicht. Wir haben Ben, der wieder irgendwelche Programme geschrieben hat, mit denen die Sicherheitskameras in unserer schönen Stadt gleich Alarm schlagen, falls sie Carter zu Gesicht kriegen.«
Dr. Ben Bruckner war unser Computerexperte, der die schwierigsten Aufgaben allein mit irgendwelchen Algorithmen lösen konnte, die er den Geräten einprogrammierte.
»Bis das passiert, versuchen wir es lieber mal auf die alte Tour«, meinte Phil, der seinen PC ebenfalls ans Laufen gebracht hatte. »Wenn Carter nach New York kommt, wohin würde er sich als Erstes wenden?«
Wir studierten die elektronische Akte über den Verbrecher. Bis wir unsere Tassen geleert hatten, fanden wir einige Adressen.
»Bevor er in Boston geschnappt wurde, hat er eine Wohnung in Queens gehabt«, stellte ich fest. »Vielleicht fangen wir einfach mal da an.«
»Guter Vorschlag, Jerry«, sagte Phil. »Mir ist es auch lieber, draußen zu ermitteln, als Akten zu wälzen.«