1,99 €
An einem Baum an der Seaview Avenue schaukelte eine nackte Frauenleiche sanft im Wind. Phil und ich erkannten in der Toten eine alte Bekannte wieder: Ingrid Peters, die oxidblonde Bankerin, die uns bei der Jagd auf die Terrorgruppe der Nihilisten vor rund einem Jahr entkommen war. Die Spur der Täter führte nach Uganda. Schnell war offensichtlich, dass die Frau ein blutiges Erbe hinterlassen hatte - einen schwunghaften Handel mit menschlichen Organen. Die Hintermänner saßen in New York und Kampala. Während unsere Kollegen Steve Dillaggio und Zeerookah im Big Apple gegen die Mafia ermittelten, nahm ich mit meinem Partner in Afrika den Kampf auf gegen eine mörderische Clique aus Politik, Militär und Polizei.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Schlussakkord für eine Tote
Vorschau
Impressum
Schlussakkord für eine Tote
Die ersten Fluten der Morgenröte tauchten den Himmel über dem mächtigen Platanenbaum an der Ecke Seaview Avenue in rötliches Licht. Man musste schon genauer hinsehen, um zu erkennen, was da oben zwischen den gezackten Ahornblättern vom auffrischenden Frühlingswind sanft hin und her geschaukelt wurde – der bleiche Körper einer kahl rasierten weiblichen Leiche, über deren Rumpf sich eine blutige Narbe zog.
Das noch verhaltene Rauschen des vorbeifließenden Verkehrs bildete den passenden Sound für das entrückt wirkende Bild einer Frau, die frühzeitig aus dem Leben gerissen worden war.
»Verdammt«, knirschte Phil leise. »Hast du es auch bemerkt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie kennen diese Frau«, schaltete sich Chief Michael Landon ein.
Ich blickte genauer hin, stattete die Tote in meiner Fantasie mit einem oxidblonden Haarschopf aus.
Und erkannte, wer sie einmal gewesen war.
Die Luft, die durch die weit geöffneten Fenster strömte, roch faulig.
Und das, obwohl das Gebäude der ugandischen Regierung oben auf einem Hügel im zentralen Geschäftsviertel von Kampala thronte, wo die Reichen und Mächtigen Quartier bezogen hatten und die Slums draußen vor der Stadt einer anderen Welt anzugehören schienen. Doch die Ausdünstungen der Müllberge, die sich über die ganze Stadt ausdehnten, fanden ihren Weg auch hierher, zum Missvergnügen Omari Ubayas, der einen exklusiven Lebensstil pflegte und sich heimlich wünschte, in einem anderen Land geboren zu sein.
Andererseits gab es für Ubaya keinen Grund zu klagen, denn als General der nationalen Streitkräfte genoss er weitreichende Privilegien in einem Land, das zu den ärmsten der Welt zählte.
»Woran, zum Teufel, denkst du?«, erkundige sich Chandu Kisembo gegenüber am Tisch mit grollendem Unterton. Seine Stimme verfügte über eine eindrucksvolle Ausdruckspalette, die es ihm erlaubte, damit jede Menge nonverbaler Botschaften auszusenden. In diesem Fall verhieß sie Ubaya, dass er auf der Hut sein musste. Der ugandische Präsident kochte vor Wut und suchte einen Blitzableiter.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, log Ubaya.
»Scheiß drauf!«, fauchte Kisembo. »Ich will niemanden, der mir die Wunden leckt, kapiert? Es wird Zeit, dass du endlich etwas unternimmst, um unsere Feinde in die Schranken zu weisen. Diese Dschihadisten-Hunde tanzen uns auf der Nase herum. Der Anschlag gestern muss gerächt werden.«
Ubaya nickte schweigend. Bei dem Angriff auf ein Internat an der Grenze zum Kongo hatten Kämpfer der Allied Democratic Forces mehrere Dutzend Schüler bei lebendigem Leib verbrannt und zwanzig weitere verschleppt, vermutlich zum Zwangsdienst in den Wäldern des Nachbarlandes.
»Dein Stuhl wackelt!«, fuhr Kisembo fort. »Wenn du so weitermachst, trete ich ihn dir unterm Hintern weg, kapiert? Ich habe heute morgen schon John gefeuert.«
John Natukunda war der Chef des Geheimdienstes und ein persönlicher Freund Ubayas.
»Du hast was?«, fragte Ubaya.
»Verdammt, Omari, er hätte darüber informiert sein müssen, was sich da angebahnt hat. Entweder er hatte keine Ahnung oder er macht gemeinsame Sache mit den ADF. Vergiss nicht, er ist ein Muslim, ich habe diesen Leuten noch nie getraut.«
Chandu Kisembo war nach Ubayas Urteil ein Mann mit drei Gesichtern. Einer Standardversion, bei der sich in seinen fleischigen Zügen keinerlei Regung zeigte. Eine zweite präsentierte ein breitflächiges Landesvatergrinsen mit entblößten Zähnen, und die dritte offenbarte in brutaler Offenheit, was sich tief im Inneren von Kisembos Seele abspielte. Ein immerwährendes Ringen gegensätzlicher Kräfte. Kontrollwahn und archaische Zerstörungslust konnten einander in schneller Folge ablösen.
Für den Moment bedeutete das zum einen, dass der Präsident befürchtete, die gestrigen Geschehnisse könnten seine Herrschaft gefährden. Zum anderen, dass er sich zu unüberlegten Handlungen hinreißen ließ, wie es die voreilige Entlassung des Geheimdienstchefs gezeigt hatte.
Ubaya überlegte fieberhaft, was er auf Kisembos Schimpftirade erwidern sollte. Der Präsident war launisch, reizbar und extrem misstrauisch. Jedes falsche Wort konnte Ubayas Schicksal besiegeln. Schon seit Längerem warf ihm der Präsident vor, nicht entschieden genug gegen die Dschihadisten der ADF vorzugehen.
Ubaya beschloss, von sich abzulenken und gleichzeitig einen vorsichtigen thematischen Spurenwechsel zu vollziehen.
»Du hast natürlich recht, Chandu, unser Geheimdienst war in den letzten Monaten nicht gerade erfolgreich. Es spricht nichts dagegen, John Natukunda gegen einen besseren Mann einzutauschen. Die Frage ist nur, ob jetzt der richtige Augenblick dafür ist. John unterhält beste Kontakte zur CIA. Die Amerikaner könnten es uns übelnehmen, wenn wir ihn fallen ließen.«
Genüsslich registrierte Ubaya, dass der Präsident für einen Moment wie ausgehebelt dasaß. Mit zusammengezogenen Brauen und offenem Mund starrte er Ubaya an, fassungslos über die Ungeheuerlichkeit, dass ihm widersprochen worden war. Dann schien es Kisembo zu dämmern, dass Ubaya lediglich die Wahrheit sagte. Seit der Präsident einige Gesetze erlassen hatte, die die Grundrechte der Bürger Ugandas empfindlich einschränkten, hatten sich die Beziehungen zu den USA massiv verschlechtert.
»Ich werde darüber nachdenken«, knurrte Kisembo schließlich. Doch der lauernde Blick, den er auf Ubaya heftete, war eine Warnung davor, ihn für naiv zu halten.
Ubaya senkte die Augen, um Kisembo nicht zu provozieren. Trotz allem ging er davon aus, dass Kisembo möglicherweise Natukundas Entlassung zurücknehmen würde, womöglich schon in wenigen Stunden.
»Ich will«, fuhr der Präsident fort, »dass deine Soldaten ab sofort in Kampala Präsenz zeigen. Sorge dafür, dass sie an allen strategisch wichtigen und besonders gefährdeten Stellen der Stadt dauerhaft positioniert sind.«
Eine verständliche Maßnahme, dachte Ubaya. Vor einem Monat hatte ein Terrorist der ADF versucht, eine Bombe auf dem Gelände der amerikanischen Botschaft zu zünden.
»Ich werde das sofort veranlassen«, versicherte er.
Sie standen beide auf. Kisembo trat auf Ubaya zu und klopfte ihm kräftig auf die Schultern. »Ni vizuri kuwa na rafiki, Omari, es ist gut, wenn man einen Freund hat.«
»Umoja ni nguvu, Einigkeit macht stark«, erwiderte Ubaya in herzlichem Tonfall.
Als er draußen auf dem Flur stand und der Präsident hinter ihm die Tür geschlossen hatte, atmete er mehrmals tief durch. Er verabscheute es, wenn Kisembo Swahili mit ihm sprach, um eine fadenscheinige und falsche Vertraulichkeit herzustellen.
Bis zwölf Uhr an diesem Donnerstag hatten Phil und ich genügend Informationen gesammelt, um uns mit Mr. High zu besprechen.
»Captain Landon vom NYPD hat Sie also über die Identität der Toten an der Seaview Avenue aufgeklärt?«, vergewisserte sich der Chef.
»Ja«, bestätigte ich. »Er ist ja der Nachfolger von Francis Flannigan, der bei den Ermittlungen gegen die sogenannten Nihilisten vor einem Jahr ums Leben gekommen ist. Landon weiß bis ins Detail um die Vorgänge von damals Bescheid.«
Die Nihilisten waren eine Gruppe von fünf Personen gewesen, die mit einer Armee von ehemaligen Kindersoldaten und Gettokids, die sie in New Yorks unterirdischem Tunnelsystem gefangen gehalten hatten, der Mafia das Drogengeschäft hatten streitig machen wollen. Bis auf die Finanzberaterin Ingrid Peters, die sich der Verhaftung entzogen hatte, verbüßten sie alle lebenslängliche Haftstrafen. Es handelte sich um den Anführer Eddie Nash, einen abgehalfterten Rockstar, die Journalistin Melanie Ward, den Philosophen Dutton Frisby und den Ex-Legionär Jean Le Bel. Sie alle hatten hübsche Einzelzellen im Hochsicherheitsgefängnis von Sing Sing am Hudson River in Ossining bezogen. Die Sicht auf den Fluss war ihnen allerdings dauerhaft versperrt.*
Und nun war irgendjemand auf die Idee gekommen, uns Ingrid Peters auszuliefern – aufgehängt an einem Platanenbaum an der Seaview Avenue.
»Gab es seit dem Verschwinden von Ingrid Peters irgendwelche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort?«, wollte der Chef wissen.
»Nichts Brauchbares«, erwiderte Phil. »Ein amerikanischer Rucksacktourist, der sich für zwei Wochen in Uganda aufhielt, glaubte sie auf einem Fahndungsfoto wiedererkannt zu haben und berichtete der Post telefonisch darüber. Er behauptete, sie in Begleitung eines Mannes in der City von Kampala gesehen zu haben, könne sich aber nicht daran erinnern, wo genau das gewesen sein sollte. Auf unsere Anfrage hin teilte die Zeitungsredaktion mit, dass der Mann Slim Davis geheißen habe. Eine Adresse sei nicht bekannt.«
»Wie lange ist das her?«
»Etwa acht Monate, Sir.«
Mr. High runzelte nachdenklich die Stirn. »Haben Sie damals mit der Polizei in Uganda Kontakt aufgenommen?«
»Ja«, sagte Phil, »aber die Sache hat sie nicht interessiert. Eine Suche sei aufgrund des vagen Hinweises aussichtslos, meinte man.«
»Was vermutlich auch stimmte«, ergänzte ich.
»Mag sein«, sagte Mr. High. »Womöglich ist die Beobachtung dieses Zeugen aus einem anderen Grund interessant. Falls sie stimmt, könnte es bedeuten, dass Ingrid Peters die alten Beziehungen genutzt hat, um irgendwie im Geschäft zu bleiben.«
Es waren Mitglieder der Warriors, einer ugandischen Kinderarmee, die die Nihilisten vor einem Jahr deren Führung abgekauft und nach New York entführt hatten. Ich fragte Mr. High, ob er meinte, dass Ingrid Peters in dieser Richtung weitergemacht haben könnte.
»Nein, Jerry, nicht direkt. Doch es gibt viele Formen von Menschenhandel. Peters kam aus der Finanzbranche, und sie hatte eine ausschweifende Fantasie. Wer weiß, worauf sie sich verlegt haben könnte?« Er schwieg kurz, ehe er hinzufügte: »Wir müssen damit rechnen, dass sie in New York etwas am Laufen hatte und von einem Komplizen oder Konkurrenten umgebracht wurde.«
»Donnerwetter!«, rief Phil. »Eigentlich wäre das Kapitel der Nihilisten mit Ingrid Peters' Tod ja abgeschlossen. Und jetzt sieht es so aus, als hätte die Frau uns möglicherweise ein Erbe hinterlassen.«
Mr. High nickte. »Wir müssen herausfinden, was sie nach New York geführt hat und mit wem sie hier Verbindung hatte. Gibt es Auffälligkeiten an der Leiche?«
»Ja, eine breite Narbe, die quer über den Rumpf verläuft«, antwortete Phil. »Der Doc geht davon aus, dass der Toten eine Niere entnommen wurde. Näheres wissen wir nach der Autopsie.«
Unwillkürlich rechnete ich zwei und zwei zusammen. »Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, Sir. Aber mir drängt sich der Gedanke auf, es könnte einen Zusammengang zwischen Ingrid Peters' Ermordung und illegalem Organhandel geben.«
Mr. High nickte. »Woran ist Peters gestorben?«
»Der Doc tippt auf Vergiftung. Das wäre für eine mögliche Transplantation natürlich abträglich. Der Tod trat etwa um zwei Uhr nachts ein. Anschließend wurde die Leiche dann zur Seaview Avenue transportiert, also in der Zeit zwischen zwei Uhr und dem Zeitpunkt ihrer Entdeckung um fünf Uhr dreißig.«
»Hat jemand beobachtet, wie die Leiche in den Baum gehängt wurde?«
»Bisher hat sich niemand gemeldet. Und Landons Beamte haben auch niemanden gefunden, den sie hätten fragen können. An dieser Stelle der Straße gibt es lediglich zwei großflächige Baugelände, auf denen neue Wohnkomplexe entstehen. Dort wird erst ab acht Uhr gearbeitet.«
»Wer hat die Leiche dann entdeckt?«
Phil übernahm die Antwort. »Ein volltrunkener Jugendlicher, der auf dem Weg nach Hause den Baum missbraucht hat, um sich zu erleichtern. Als er im Alkoholdunst die nackte Leiche über sich entdeckte, musste er sich dazu noch übergeben.«
»Dennoch«, sagt der Chef, »könnte es sein, dass ein Autofahrer etwas gesehen hat.«
»Na ja«, sagte Phil, »der Körper der Toten war von Weitem zwischen den Blättern kaum zu sehen.«
»Sie dort zu platzieren, muss aufwendig gewesen sein. Wie wurde es gemacht? Wohl kaum mit einer einfachen Leiter, eher mit einer Hebebühne. So was fällt auf. Veranlassen Sie eine entsprechende Meldung in den Medien. Und bitten Sie die Journalisten, ein Foto von Ingrid Peters zu veröffentlichen, verbunden mit der Frage, ob sie jemand in den letzten Monaten in New York gesehen hat.«
Ich nickte. »Geht in Ordnung, Sir. Sollen wir noch mal Kontakt mit der Polizei in Kampala aufnehmen?«
Mr. High dachte darüber nach. »Ja, warum nicht? Erkundigen Sie sich, ob Peters dort noch einmal auffällig geworden ist. Und noch etwas, finden Sie die Adresse von Slim Davis heraus, und reden Sie mit ihm.«
Phil und ich verließen das Büro des Chefs mit dem unguten Gefühl, dass eine alte Geschichte, die mit viel menschlichem Elend verbunden gewesen war, ihre Schatten in die Zukunft warf.
Sie hockten an diesem Mittag zu dritt in dem muffigen, als Salon betitelten Raum mit den zugezogenen Samtvorhängen und dem klobigen Deckenleuchter, der brackiges Gelblicht über das schwülstige Mobiliar verteilte.
Vito Borgheses Magen knurrte. Er hatte nicht gefrühstückt, das leidige Problem: häufige Anwandlungen von Übelkeit, die ihn vom Essen abhielten und schlechte Laune verursachten.
Borghese hasste, was er jetzt tun musste. Er hasste es deshalb, weil ihn Prostitution anwiderte. Die Beschäftigung damit empfand er als unerträglichen Makel. Wie konnte sich ein erwachsener Mann derart demütigen, dass er mithilfe verkorkster Weiber, die für jedes Stinktier ihre Beine öffneten, seinen Lebensunterhalt verdiente?
Du meine Güte, Zuhälter waren nichts weiter als erbärmliche Schlappschwänze!
Mit Drogen und Waffen ließen sich weit bessere Geschäfte machen und vor allem mit Immobilien, wenn man nur ein bisschen Grips im Schädel hatte. Borghese fand, dass es auf Dauer das Image der ehrenvollen Cosa Nostra beschädigte, wenn man weiterhin auf Weiber setzte, statt sich auf niveauvollere Einnahmequellen zu beschränken.
Geradezu sensationelle Gewinne versprach sein neuestes Afrikaprojekt. In gewisser Weise konnte man es sogar als Dienst an der Menschheit verstehen. Wenn man so wollte, machte dieser Aspekt seinen besonderen Reiz aus. Tue Gutes und verdiene dabei! Diesen Satz hatte er mal in einem schlauen Ratgeber gelesen und sich auf der Stelle zu eigen gemacht.
Leider würde es noch etwas dauern, bis er seine Rotlichtgeschäfte abgewickelt hatte. Vito Borghese hasste es, dass er Kreide fressen musste.
Es galt, Elena Gavrilov, genannt Elly, davon zu überzeugen, dass es besser für sie war, wenn sie sich als selbst ernannte Königin der Puffmütter demnächst selbstständig machte. Und er musste es auf eine Weise tun, die einigermaßen zivilisiert war. Denn Elly hatte immer noch Kontakt zur russischen Bratva, obwohl die Brüderschaft wegen Ellys Verbindung zur Cosa Nostra nicht allzu viel von ihr hielt. Jedenfalls legte Borghese keinen Wert darauf, sich ohne Not mit den Russen anzulegen.
Besonders schwer wog, dass Vito Borghese eine Frau mitgebracht hatte, die er Elly in der Übergangszeit an die Seite stellen wollte.
Borghese konnte sich selbst im in dem riesigen goldgerahmten Spiegel an der Rückwand des Raums sehen, in dem sich nachts die Huren den Freiern vorstellten. Wie er da saß an dem Mahagonitisch in seinem luxuriösen taubengrauen Anzug, dem weißen Hemd und der roten Krawatte und mit den penibel polierten schwarzen Schuhen, von denen einer eine Extraanfertigung war, weil Borgheses linkes Bein einer Verlängerung bedurfte.
Beide Frauen waren größer als er. Gegenüber von ihm thronte Elly mit ihren ausufernden Massen in einem orientalisch anmutenden Fummel mit viel zu tiefem Ausschnitt. Der Spiegel offenbarte, dass ihre Rückfront eine Menge welliges weißes Fleisch präsentierte. Rechts am Tisch bot Vito Borgheses Partnerin alles auf, was den Neid einer Frau wie Elly anzustacheln geeignet war. Tolle Rundungen, gelocktes schwarzes Haar, fein geschwungene Lippen und grüne Katzenaugen. Außerdem war sie dreißig Jahre jünger als die Bordellbetreiberin.
»Was hast du auf dem Herzen, Vito? Du wirkst bekümmert. Ich hoffe, nicht meinetwegen.« Es klang so kratzig, als hätte jemand ihre Stimmbänder mit einer Stahlbürste bearbeitet. »Wird wohl was Wichtiges sein, wenn du mich um die Zeit aus dem Schlaf holst. Ich bin erst heute Morgen ins Bett gekommen, scheiße, ich war so fertig, dass ich mich nicht mal abgeschminkt habe.«
Vito Borghese dachte, dass es diese Erklärung nicht gebraucht hätte. Ellys Make-up war verlaufen und in den Hautfalten und Poren ihres aufgedunsenen Gesichts geronnen. Die öligen grauen Haare klebten wie eine Folie auf der Kopfhaut. Reste des Lippenstifts zogen blassrosa Streifen über die untere Wangenpartie und das wulstige Kinn.
»Hör zu, Elly«, setzte Borghese vorsichtig an, »wir müssen über die Zukunft reden. Ich habe eine Menge am Laufen und will mich nicht mehr um alles kümmern, verstehst du?«
»Nee, Mann, kein Wort. Darf ich fragen, von was für einer Art Zukunft du da redest?«
Unwillkürlich fiel Borghese sein Cousin Camillo ein, den eine Kugel von Special Agent Cotton ins Jenseits befördert hatte. Gegenüber seinem Vorgänger als Cosa-Nostra-Boss in New York hätte Elly es wohl nicht gewagt, sich dermaßen respektlos zu äußern. Nun, sollte sie so weitermachen, würde er jegliche Vorsicht außer Acht lassen und ihr das dreckige Maul stopfen.
»Quindi aiutami dio, so wahr mir Gott helfe«, murmelte er.
»Ich verstehe kein Italienisch«, tadelte Elly ihn leicht verstimmt.
»Macht nichts«, wiegelte Borghese ab. »Also, es geht ums Geschäft, Elly. Bisher haben wir die Einnahmen geteilt.«
Die Pupillen in Ellys trüben Augen zogen sich zu winzigen Punkten zusammen. »Soll das heißen, du bist auf einen fetteren Anteil aus?«
»Es soll heißen«, ergriff Borgheses Begleiterin mit süffisantem Unterton das Wort, »Sie können in Zukunft alle Einnahmen behalten.«
Elly starrte sie verständnislos an. »Was sagst du da, Herzchen?«
»Ich bin nicht Ihr Herzchen, Miss Gavrilov. Vito Borghese steigt ganz aus dem Geschäft aus. Es wird dauern, bis alles geregelt ist. In dieser Zeit werde ich an Ihrer Seite stehen.«
Elly schluckte schwer und verstummte. Borghese beschloss zu warten, bis Elly die Nachricht verdaut hatte. Er wechselte einen schnellen Blick mit seiner Begleiterin und sah, dass sie lächelte.
Elly griff nach einer Schachtel Camel und einem Feuerzeug, die vor ihr in einem Aschenbecher auf dem Tisch lagen. Borghese beobachtete befriedigt, wie ihre Hände zitterten, als sie den Glimmstängel in Brand setzte. Sie inhalierte mehrfach hintereinander und wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt.
Als sie dann sprach, erstickte sie fast an dem Schleim, der sich dabei gelöst hatte. »Wer ist diese Frau, die du mir da anschleppst, Vito?«
»Ihr Name ist Samantha. Ich nenne sie Sam, mehr musst du nicht wissen.«
»Schön, schön.« Elly lachte grell. »Dann sage ich dir, dass mir Miss Musst-du-nicht-wissen am Arsch vorbeigeht. Was ist los mit dir, Vito, warum willst du aussteigen?«
»Es ist kompliziert, Elly. Ich habe immer viel von dir gehalten, das weißt du. Aber Dinge ändern sich. Und du hast dich auch geändert, womöglich hast du es gar nicht bemerkt. Du hast den Laden nicht mehr im Griff, ständig gibt es Ärger mit den Freiern.«