Jerry Cotton 3499 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3499 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Mitten in der Nacht tauchte im Finanzdistrikt von Manhattan eine verletzte Frau auf, die Hilfe bei einer Streifenwagenbesatzung suchte. Ehe sie sagen konnte, was ihr zugestoßen war, wurde sie aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen. Ihre leichte Bekleidung brachte uns vom FBI schnell darauf, dass sie womöglich aus einem Bordell geflüchtet war. Und bald fanden wir heraus, dass tatsächlich arglose Frauen aus Rumänien nach New York gelockt und hier sofort von Menschenhändlern entführt wurden. Einer unserer Kollegen war den Tätern wohl auf die Spur gekommen, wurde jedoch während eines Videocalls mit dem Field Office ermordet. Während wir fieberhaft weiterermittelten, kreuzte eine kämpferische Unbekannte unseren Weg - die Veteranin!

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Wir und die Veteranin

Vorschau

Impressum

Wir und die Veteranin

»Pass auf!«, rief Officer Sheila Clarke.

Im selben Moment trat ihr Kollege Tom Dempsey auf die Bremse. »Was war das?«

Sie waren in Downtown Manhattan unterwegs. Es schüttete wie aus Kübeln, und dazu war es spät in der Nacht. Hinter den schwer arbeitenden Scheibenwischern verzerrte sich das Gemisch aus Lichtreklamen und Straßenbeleuchtung zu einer schmierigen bunten Masse.

»Ich glaube, da ist uns jemand vors Auto gelaufen«, sagte Officer Clarke. »Ich steige aus und sehe nach.«

Im selben Moment tauchte an der Beifahrerseite des Streifenwagens ein Gesicht auf.

Es war eine stark geschminkte Frau. Der Regen hatte ihrem Make-up stark zugesetzt. Sie klopfte an die Scheibe und rief etwas. Es war durch das Glas und wegen des unablässigen Regenprasselns schwer zu verstehen. Doch Officer Clarke wusste, was sie sagte.

»Hilfe! Bitte! Hilfe!«

Clarke öffnete die Beifahrertür. Die Frau war völlig durchnässt. Ihr schulterlanges dunkles Haar hing wie ein Fetzen an ihr herab. Und jetzt sah Clarke, dass die Frau nur leicht bekleidet war. Sie trug ein Nichts von einem Slip, außerdem einen fast durchsichtigen BH und darüber ein Negligé. An den Füßen hatte sie High Heels.

»Ich kümmere mich um sie«, sagte Sheila Clarke zu ihrem Kollegen und stieg aus.

Die Frau wirkte wie ein gejagtes Tier.

Clarke legte den Arm um die nasse Schulter der Frau. Sie befanden sich in einer Seitenstraße der Wall Street, dem berühmten Finanzdistrikt von New York. Um diese Zeit herrschte hier kaum Verkehr. In der Gegend reihte sich ein Bankhaus an das andere. Manche hatten am Fuß der Häuserfronten Arkadengänge. In einen davon schob Officer Clarke die vor Kälte zitternde Frau, um sie vor dem Regen zu schützen.

»Hol eine Decke aus dem Wagen!«, rief sie Tom Dempsey zu, der gerade ausgestiegen war. »Was ist Ihnen passiert?«, fragte sie die Frau.

Die schüttelte nur den Kopf und sah sich ängstlich um. Immer wieder sagte sie etwas, das Officer Clarke nicht verstand, was sich jedoch wie eine seltsam betonte Version des Worts Polizei anhörte.

»Sprechen Sie kein Englisch?«, fragte sie. »Was dann? Spanisch? Russisch? Woher kommen Sie? Europa?«

Die Frau nickte und sagte ein anderes Wort.

»Rumänien«, sagte Clarkes Kollege, der herangekommen war und die Decke, die sie immer im Kofferraum des Streifenwagens für solche Fälle bereithielten, in der Hand hatte. Er wollte sie der Frau umlegen, aber sie zuckte zurück. Offenbar hatte sie Angst davor, dass ihr ein Mann zu nahe kam.

»Sie hat Rumänien gesagt«, erklärte Dempsey.

»Keine Angst«, sagte Officer Clarke. »Jetzt sind wir da.«

»Ich rufe Enni an«, sagte Dempsey.

Enni war ein anderer Streifenpolizist, der heute Nacht Dienst hatte. Er hieß eigentlich Enescu und hatte rumänische Vorfahren. Er beherrschte die Sprache ganz gut und würde ihnen sicher weiterhelfen können.

Während Dempsey sein Diensthandy hervorzog, um den Kollegen anzurufen, überlegte Sheila Clarke, woher die Frau wohl kam. Sie sah aus wie eine Prostituierte. Oder wie eine Frau, die in einem Stripklub arbeitete. Doch solche Etablissements gab es nicht im Finanzdistrikt. Abgesehen davon war Prostitution verboten.

»Enni ist dran«, sagte Dempsey und hielt Clarke das Telefon hin.

Die Frau schien es zu beruhigen, jemanden zu hören, der ihre Sprache sprach. Sie nahm das Handy, hielt es sich ans Ohr und unterhielt sich kurz mit dem Kollegen.

Nach etwa einer Minute gab sie Clarke das Telefon.

»Was hat sie gesagt, Enni?«, fragte sie.

»Sie ist völlig verstört«, antwortete Enescu. »Am besten, ihr bringt sie aufs Revier. Ich kann auch hinkommen und sie dort weiter befragen.«

»Gibt es in der Nähe irgendeinen illegalen Laden, aus dem sie geflüchtet sein könnte?«

»Ich konnte nur ganz wenig aus ihr rauskriegen. Tut mir leid. Sie sagte mir, sie sei aus Rumänien gekommen, weil sie in New York arbeiten wollte. Doch sie wurde gleich nach der Ankunft entführt. Und dann habe man sie zu bestimmten Dingen gezwungen.«

Die Frau klammerte sich an die Decke und zitterte immer noch. Dabei sah sie zu Boden.

»Alles klar, Enni«, sagte Sheila Clarke. »Wir nehmen sie mit und melden uns.«

Sie war professionell genug, um emotionalen Abstand zu der Frau zu behalten. Trotzdem ging ihr das Schicksal nahe, das sich bereits in diesen wenigen Worten angedeutet hatte. Fälle von Zwangsprostitution gab es in New York immer wieder.

»Mach schon mal den Wagen auf«, sagte sie zu ihrem Kollegen. »Ich glaube, sie hat es nicht gerne, wenn du in ihrer Nähe bist. Haben wir etwas zum Anziehen für sie?«

»Nicht im Kofferraum«, sagte Dempsey. »Aber auf dem Revier finden wir sicher was.« Er setzte sich in Bewegung, trat aus dem Vordach der Arkaden in den prasselnden Regen hinaus und rannte auf die Fahrerseite des Streifenwagens.

»Kommen Sie«, sagte Clarke zu der Frau und wollte wieder ihren Arm um sie legen, um sie sanft zum Auto zu führen. »Kommen Sie, wir bringen Sie in Sicherheit.«

Sie spürte Abwehr. Die Frau wollte sich nicht von der Stelle bewegen. Plötzlich hob sie den Kopf und schien auf irgendetwas zu lauschen.

Durch den rauschenden Regen näherte sich ein Fahrzeug. Eine Sekunde später sah sie es. Es war ein dunkler Wagen, der sich langsam näherte. Die breiten Reifen drückten das Wasser weg, das sich in Lachen auf der Straße gesammelt hatte.

Der Wagen machte der unbekannten Frau offensichtlich Angst.

Und nicht nur Angst.

Es war die schiere Panik.

Sheila Clarke versuchte, sie festzuhalten, sie riss sich los und rannte den Arkadengang entlang. Neben ihr bewegte sich der dunkle Wagen, der auf einmal abbremste. Inzwischen war die Frau fast fünfzig Yards entfernt. Ihre High Heels waren ihr nicht hinderlich.

Officer Clarke war so verblüfft, dass sie ein paar Sekunden brauchte, bevor sie die Verfolgung aufnahm.

Die Frau stoppte. Offenbar war sie jetzt doch auf einem der Stöckelschuhe umgeknickt. Sie wäre fast gefallen und wollte sich aufrappeln.

Da knallte ein Schuss. Und noch einer. Der Querschläger heulte in dem Arkadengang.

Der Motor des Wagens röhrte auf. Als Officer Clarke den Kopf hob, verschwand das Fahrzeug in der gläsernen Regenwand.

Die unbekannte Frau lag vor ihr auf dem Boden, die Decke neben sich.

Als Clarke bei ihr war, erkannte sie, dass jede Hilfe zu spät kam.

Als mich der Wecker aus dem wohlverdienten Schlaf holte, hörte ich, wie der Regen gegen die Scheiben meines Apartments klatschte.

Unsere Arbeitstage beim FBI waren schon anstrengend genug. Wenn schlechtes Wetter dazukam, machte es das nicht besser. Vor allem, wenn wir Außeneinsätze hatten.

Während ich frühstückte, hörte ich nebenher ein bisschen Radio New York Live. Das war einer der Sender, der mir morgens ein bisschen gute Laune bescherte. Leider erfuhr ich hier auch, dass der Regen erst am Nachmittag nachlassen würde. Frühestens. Und jetzt war es erst kurz nach sechs. Diesmal funktionierte das mit der guten Laune leider nicht.

»Eigentlich hasse ich ja Innendienst«, sagte auch mein Partner Phil, den ich eine halbe Stunde später an der gewohnten Ecke abholte. »Aber heute hoffe ich, dass wir nicht groß rausmüssen.«

Umständlich versuchte er, seinen nassen hellgrünen Regenschirm in meinem Jaguar unterzubringen, was ziemlich schwierig war, denn meine Raubkatze war nun mal ein Zweisitzer.

Ich informierte Phil darüber, was der Wetterbericht gemeldet hatte.

»Wenn der mal recht hat«, brummte mein Partner, kramte ein Papiertaschentuch hervor und wischte sich die nassen Hände ab. Während ich mich in den dichten Verkehr einfädelte, nahm er das Tablet und ging die Meldungen der Nacht durch.

Es dauerte keine fünf Minuten, da stieß er auf einen Fall im Finanzdistrikt. Es ging um eine erschossene Frau. Er las mir die Berichte vor, die die beiden beteiligten Officers und das später hinzugezogene Crime Scene Unit geschrieben hatten. Ich musste sowieso an einer Ampel halten. So konnte ich sie mir auch ansehen. Dazu die Fotos der Frau, die durchnässt auf dem Boden lag, mit einer Schusswunde am Kopf.

»Ich müsste mich schwer wundern, wenn die Sache nicht an uns übergeben wird«, sagte ich. Die Ampel sprang auf Grün. Ich fuhr weiter.

»Glaubst du, dass der Mob dahintersteckt?«, fragte Phil.

»Schwer zu sagen«, erwiderte ich.

Der Regen machte die Autofahrer offenbar aggressiv. Wir rollten an zwei Unfällen an Kreuzungen vorbei. Es handelte sich nur um Blechschäden, die trotzdem für zusätzliche Staus sorgten. Als wir endlich im dreiundzwanzigsten Stock des Jacob K. Javits Federal Building aus der Aufzugskabine stiegen, waren wir fast zwanzig Minuten zu spät.

Phil hatte seinen Schirm aus dem Wagen mitgebracht. Mittlerweile war das Ding etwas trockener. Er hängte ihn an den Garderobenhaken neben der Tür. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Stoff giftgrün leuchtete.

»Kannst du das Ding bitte woanders unterbringen?«, bat ich ihn. »Nicht so, dass ich ihn immer im Blick habe? Da kriegt man ja Augenkrebs.«

Ich wollte mich gerade hinter meinem Computer niederlassen, da rief Helen an, die Vorzimmerdame unseres Chefs.

»Der Assistant Director in Charge erwartet euch«, sagte sie fröhlich. Kein Wunder, dass sie gute Laune hatte. Sie hatte immer Innendienst.

Minuten später betraten wir das Büro des Chefs. Außer Mr High war unser Kollege Steve Dillaggio anwesend, der Stellvertreter des ADIC war und als Leiter des New Yorker Field Office des FBI engen Kontakt zu den anderen Ermittlungsbehörden wie dem NYPD unterhielt.

Auf dem Tisch lagen ein paar Papiere. Ich sah schon beim Näherkommen, dass es sich um die ausgedruckte Akte der toten Frau aus dem Finanzdistrikt handelte.

»Wir haben uns schon gedacht, dass das ein Fall für uns wird, Sir«, sagte ich und erklärte, dass wir uns auf der Herfahrt darüber informiert hatten.

Wir setzten uns.

»Es könnte sein, dass wir es hier mit einem neuen Zweig der europäischen Mafia zu tun haben, der bisher in New York noch nicht in Erscheinung getreten ist«, sagte der Chef. »Aus Rumänien. Steve kann mehr dazu sagen.«

»In der Nacht haben schon Ermittler vom NYPD mit Kollegen von uns zusammen überprüft, ob es in der Stadt organisiertes Verbrechen gibt, das mit Rumänien oder rumänischen Einwanderern zusammenhängt. Das hat wenig ergeben.«

Wir hatten Erfahrung genug, um zu wissen, dass sich die Rumänen in New York mit anderen Delikten einen nicht besonders guten Namen machten, vor allem mit Waffenschmuggel aus den Krisengebieten Osteuropas und interessanterweise mit der Einfuhr von illegal geschlagenem Holz aus rumänischen Wäldern. Es gab eine regelrechte Holzmafia. Doch das hatte nichts mit Prostitution zu tun.

Wir gingen noch einmal den Tatablauf durch. Was uns nachdenklich machte, war die Tatsache, dass es im Finanzdistrikt keine einschlägigen Klubs gab.

»Vielleicht wurde sie in ein Hotel bestellt«, überlegte ich laut.

»Oder in ein Büro?«, fügte Phil hinzu. »Darauf stehen manche Männer, die Prostituierte bestellen, ja.«

»Leider ist die Beschreibung des Wagens, aus dem die Schüsse kamen, ziemlich vage«, stellte ich fest.

Steve nickte. »Die beiden Officers vom NYPD waren durch den Regen gehandicapt. Sie konnten wenig sehen. Und Officer Clarke war damit beschäftigt, die Frau wieder einzufangen, weil sie plötzlich weggelaufen war. Jedenfalls hat die Frau den Wagen erkannt. Sie hatte Angst.«

Das Telefon auf Mr Highs Schreibtisch klingelte. Unser Chef ging hinüber und führte ein kurzes Gespräch.

»Das war Agent Macdonald«, sagte dann. »Er hat die Bilder der toten Frau durch ein Spezialprogramm laufen lassen.« Während er auf den Monitor sah, bewegte er die Computermaus und gab ein paar Daten ein.

»Wer ist Agent Macdonald?«, fragte Phil. »Macht so was sonst nicht Ben?«

»Ben hat eine Woche Urlaub«, erklärte Steve. »Rupert Macdonald vertritt ihn. Er hat gerade eine Sonderausbildung zum Thema digitale Ermittlung absolviert. Er kommt natürlich nicht an Bens Fähigkeiten heran.«

Das war uns allen klar. Niemand konnte Dr Ben Bruckner ersetzen. Unser gerade mal einundzwanzig Jahre alter Kollege war ein echtes Genie. Schon im Teenageralter hatte er hochspezialisierte Studiengänge besucht. Aber auch er musste mal Urlaub machen.

»Agent Macdonald hat die Identität der Frau herausgefunden«, fuhr Mr High fort. »Ihr Name ist Anyana Florescu. Sie stammt aus einer Kleinstadt östlich von Bukarest, fast an der Grenze zu Moldawien. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt.«

»Wir müssten uns mit den rumänischen Behörden in Verbindung setzen«, sagte ich, »um herauszufinden, wer sie in die USA gelockt hat. Wahrscheinlich wäre das ein Ansatzpunkt.«

»Das habe ich bereits veranlasst«, sagte Mr High. »Schon heute Nacht. Und auch dabei ist Agent Macdonald auf etwas gestoßen. Es gibt eine andere Frau, die aus derselben Stadt stammt und ebenfalls in die USA gereist ist. Nur ein Jahr früher. Und sie scheint ein ganz normales Leben in New York zu führen. Vielleicht gibt es ja eine Verbindung zwischen den beiden.«

Die Frau hieß Marina Johnson. Ihr Geburtsname lautete Marina Popescu. Sie war zwei Jahre älter als das Opfer aus dem Finanzdistrikt.

Wir besuchten Bens vorübergehenden Vertreter Agent Macdonald in seinem provisorischen Büro. Dass wir ihn nicht kannten, war nicht verwunderlich. Seine Dienststelle war eigentlich das Bostoner Field Office gewesen. Dann war er zu einem der untergeordneten FBI-Büros in New York, einer sogenannten Resident Agency, gewechselt, um dann die Zusatzausbildung im Digitalbereich anzutreten.

Er war ein freundlicher rothaariger Bursche, der ständig lächelte und dabei seine großen schiefen Schneidezähne zeigte. Markant war seine dicke Brille mit breiten schwarzen Bügeln, die seine Segelohren nach vorne zu drücken schienen.

Von ihm erhielten wir Marina Johnsons Adresse in Brooklyn. Als wir sie mit meinem Jaguar erreicht hatten, standen wir vor einem der typischen zweistöckigen Häuschen, wie sie sich in den Wohngegenden New Yorks zu Abertausenden aneinanderreihten.

Die ganze Fahrt über regnete es unablässig wie am Morgen, als wir zur Arbeit gefahren waren. Und auch als ich vor dem Haus anhielt, hörte es nicht auf.

Nachdem wir geklingelt hatten, dauerte es nicht lange und ein grauhaariger Mann um die fünfzig öffnete die Tür. Er trug eine Strickjacke und wirkte wie ein pensionierter Lehrer.

»Sie sind Mister Johnson?«, fragte ich, während wir unser ID Cards zeigten.

»FBI? Habe ich etwas verbrochen?«

»Wir wollten eigentlich nicht mit Ihnen sprechen, sondern mit einer Marina Johnson.«

»Das ist meine Frau«, sagte er. »Was wollen Sie von ihr?« Er machte eine kurze Pause. »Ich fürchte, sie ist nicht zu Hause. Sie ist ... auf einer Reise, wissen Sie?«

»Es geht eigentlich um eine gewisse Anyana Florescu«, erklärte ich. »Miss Florescu wurde Opfer eines Mordes. Und wir dachten, Ihre Frau würde sie vielleicht kennen und ...«

»Anyana ist tot?«, fragte plötzlich eine weibliche Stimme im Hintergrund.

Johnson drehte sich um. »Bitte, Liebling, lass mich das allein klären, ich ...«

»Schon gut«, sagte Marina Johnson und erschien in der Tür. Sie sah ihrer toten Landsfrau ein wenig ähnlich. Die gleichen dunklen Haare, eine ähnliche Figur.

»Wollen wir das nicht drinnen besprechen?«, schlug ich vor. »Dürfen wir hereinkommen?«

Als wir im Wohnzimmer saßen, erfuhren wir, dass Marina Johnson, damals noch unter ihrem Geburtsnamen Marina Popescu, wie Anyana Florescu aus Rumänien in die USA gekommen war.

»Ich hatte eine Website gefunden, auf der man sich für diesen Aufenthalt bewerben konnte«, erzählte sie in gutem Englisch. »Das war gar nicht so einfach. In unserem Haus gab es kein Internet, und ich bin extra in ein Internetcafé in der Stadt gefahren. Man sollte seine Unterlagen digital einschicken. Mit Informationen zur Schulbildung und Ausbildung und so weiter. Dann sollte man ausgelost werden, um zwei Monate in den USA zu arbeiten. In einer Familie Kinder hüten oder in einem Hotel. Angeblich steckte ein Verein dahinter, der solche Reisen fördert, gesponsert von rumänischen Geschäftsleuten in Amerika. Als ich dann die Zusage erhielt, war das wie ein Lottogewinn.«

Sie unterbrach sich kurz und sah zu Boden. Gleichzeitig wanderte ihre Hand auf den Oberschenkel ihres Mannes, der neben ihr auf dem Sofa saß.

»Und was geschah dann?«, fragte ich.

»Am Flughafen erwarteten mich zwei Personen. Ein Mann und eine Frau. Sie waren freundlich und führten mich zu einem Parkdeck, wo ein schwarzer Wagen wartete. In diesem Moment sah ich plötzlich, wie die Frau dem Mann einen verschlagenen Blick zuwarf. Und auf einmal war ich misstrauisch. Mir war klar, dass da irgendetwas Schlimmes im Gange war. In diesem Moment wusste ich, dass das eine Falle war. Ich rannte einfach davon.«

Ihre Hand krallte sich regelrecht in den Oberschenkel ihres Mannes. Sie konnte nicht weitersprechen. Johnson übernahm das.

»Sie hatte kein Geld, wusste nicht, wohin«, sagte er. »Ihre Eltern waren tot. Sie hat keine Geschwister. Immerhin hatte sie ihren Pass noch.« Er wandte sich seiner Frau zu und nahm sie in den Arm.

»Sie hat Sie kennengelernt«, brachte ich die Geschichte zu Ende. »Und Sie haben geheiratet?«

Er nickte. »Ich war zufällig am Flughafen, um einen Geschäftsfreund abzuholen.«

»Welche Verbindung hatten sie zu Anyana Florescu?«, fragte Phil die Frau.

»Ich kannte sie flüchtig«, sagte sie. »Sie wohnte im selben Haus wie ich. Und ich habe ihr erzählt, dass ich auf diese Website gestoßen bin und in die USA wollte.«

»Offenbar hat sie es Ihnen nachgemacht«, sagte Phil. »Nur eben ein Jahr später. Ihr ist es leider nicht gelungen zu fliehen.«

Marina Johnson nickte schweigend. Tränen liefen über ihre Wangen. »Ich hätte sie warnen sollen, als ich ihnen entkommen bin. Aber ich habe nicht daran gedacht. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt.«

Es war völlig verständlich, dass sie sich Vorwürfe machte. Vielleicht waren sie sogar berechtigt. Ich versuchte, sie zu trösten. »Sie konnten ja nicht wissen, dass Miss Florescu dasselbe machen würde wie Sie.«