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Mr High erhielt einen Anruf aus New Haven. Bernie Blanks war in der Nähe eines Diners in einem Wagen ermordet aufgefunden worden. In seinem Kalender hatte man eine Notiz entdeckt, dass er an diesem Tag mit John D. High verabredet gewesen war. Tatsächlich handelte es sich bei Blanks um einen alten Studienfreund, der erst kürzlich mit ihm in Kontakt getreten war. Blanks hatte ihm gesagt, dass er ihm unbedingt etwas anvertrauen müsse, was für das FBI von großer Wichtigkeit sei. Mr High bat Zeerookah, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Da wussten wir noch nicht, welche Dimensionen dieser lebensgefährliche Fall annehmen würde ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Angst über dem Land
Vorschau
Impressum
Angst über dem Land
Ich habe mein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen gewidmet. Im Dienst des FBI habe ich dem Bösen unzählige Male ins Auge geblickt, habe Auftragskiller, Serienmörder, Gangsterbosse und andere Kriminelle hinter Gitter gebracht. Doch diesmal hatte ich es mit einer Bedrohung zu tun, die alle vorherigen in den Schatten stellte. Meinen Gegnern ging es nicht um Geld. Nicht darum, einen Konkurrenten auszuschalten oder mehr Einfluss in der organisierten Kriminalität zu erlangen, wie ich es so oft erlebt hatte.
Ihnen ging es um Macht. Vollkommene, uneingeschränkte Macht. Sie wollten nicht weniger, als das ganze Land zu beherrschen.
Sein Spitzname lautete The Duke, weil er Wert auf gute Manieren und ein gepflegtes Äußeres legte. Jetzt glänzte seine Haut wie eine Speckschwarte, so sehr schwitzte er. Unter der schweren kugelsicheren Weste klebte ihm das Oberteil seines Einsatzoveralls am Körper. Schweiß rann ihm in die Augen, weswegen er ständig blinzeln musste. Das Gewicht des Helms auf seinem Kopf war drückend. Am liebsten hätte er ihn abgesetzt, nur das wagte er nicht. In seiner Situation konnte er auf keinen Schutz verzichten.
Seine Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen. In der Ferne sah er blau und rot blinkende Lichter, dann vernahm er das vertraute Motorengeräusch des Helikopters. Einer der beiden Black Hawks hob ab und gewann rasant an Höhe. Leuchtspurmunition raste in den Himmel, jedoch ohne ernsthaften Schaden anzurichten. Das Knattern der Rotoren wurde rasch leiser und verstummte schließlich ganz.
Ohne die Ausbildung in Fort Bragg wäre er längst in Panik geraten, so wie es jedem normalen Menschen in seiner Situation ergangen wäre. Allerdings war er nicht normal. Wie alle Angehörigen der Spezialeinheit hatte man ihn dafür trainiert, einen kühlen Kopf zu bewahren, selbst wenn die Welt um ihn herum unterging. Denn im Zustand einer Panik neigen Menschen dazu, nicht gründlich darüber nachzudenken, was sie als Nächstes tun sollten. Stattdessen übernimmt ihr Instinkt die Regie, was in einem komplexen Szenario nicht selten zu unklugen Entscheidungen führt.
Trotzdem fiel es ihm schwer, ruhig zu bleiben. Wenn sich auch noch der zweite Helikopter davonmachte, hatte er ein schwerwiegendes Problem. Seine Kameraden würden sein Fehlen zwar bemerken und versuchen, ihn zurückzuholen. Doch bis dahin hätten ihn die Feinde wahrscheinlich längst entdeckt und getötet.
Er drückte das M16 fester an sich. Wie hatte das nur passieren können?
Ihr Auftrag hatte gelautet, den Anführer der Terroristen dingfest zu machen. Es handelte sich um eine kleine Splittergruppe, die bislang nicht weiter aufgefallen war. Jetzt aber hatte der Geheimdienst Nachrichten aufgefangen, nach denen die Spinner ein gewaltiges Ding planten – einen Anschlag auf ein Gebäude in den USA.
Wie es genau laufen sollte und wo sich dieses Gebäude befand, war den Schnüffelnasen, wie sein Kommandoführer die Geheimdienstler zu betiteln pflegte, nicht bekannt. Auf jeden Fall wollten sie verhindern, dass es dazu kam, weswegen man The Duke und seine Einheit in diese elende Wüste geschickt hatte. Ihre Information hatte gelautet, dass The Big Man, wie sich der Chef der Gruppe nannte – hatte man so einen bescheuerten Namen schon mal gehört? – mit seinen Vertrauten in einem kleinen Camp jenseits der Zivilisation hockte und Vorbereitungen traf.
Nach The Dukes Meinung existierte so etwas wie Zivilisation in diesem Land nicht.
Ihr Befehl lautete, mit zwei Black Hawks im Schutz der Nacht hinzufliegen, das Camp zu stürmen, den Typen zu greifen und wieder abzudüsen. »Für euch Jungs ein Kinderspiel«, hatte die froschgesichtige Schnüffelnase behauptet, die sie gebrieft hatte. Dabei hatte der Kerl gegrinst wie eine Hyäne.
Von wegen! Wenn The Duke das Arschloch in die Finger bekam, konnte er sich auf was gefasst machen.
Sie waren in eine Falle geraten. Kaum hatten die Hubschrauber am Rand des Camps aufgesetzt, stürmten sie los und durchsuchten die Hütten. Zu ihrer Überraschung waren sie leer, und zwar alle. Nicht mal eine Pritsche, verschwitzte Klamotten oder Müll entdeckten sie, von den Terroristen ganz zu schweigen. Während sie sich noch darüber wunderten, tauchten die Kerle wie Gespenster aus dem Dunkel auf und nahmen sie unter Feuer. Dabei schoben sie sich wie ein Keil zwischen die Soldaten, die das Camp durchsuchten, und jene, die die Hubschrauber sicherten. Die Wucht des ersten Ansturms war so heftig, dass sich The Duke und seine Kameraden zurückziehen mussten, bevor sie ihre Gegenattacke starten konnten.
Ein heilloses Durcheinander brach aus. Ein wahnsinniges Konzert aus gebrüllten Befehlen, dem Rattern von Maschinengewehren und dem Pfeifen der Kugeln, die ihnen um die Ohren flogen. In dem Chaos hatte er seine Nebenmänner aus den Augen verloren und war von ihnen getrennt worden. Das war das Schlimmste, was in einer solchen Situation passieren konnte.
Er fragte sich, was The Big Man beabsichtigte. Wollte er in der Terroristenrangliste aufsteigen, indem er einen Trupp Special Forces niedermetzelte? Die Tatsache, dass der Helikopter aufgestiegen war und das Feuergefecht unvermindert tobte, nahm er als Zeichen dafür, dass dieser Plan fehlgeschlagen war, wenn er denn überhaupt existiert hatte. Seiner Erfahrung nach konnten die Idioten ein Gewehr zwar festhalten und abfeuern. Zielen und treffen beherrschten sie dagegen weniger. The Duke allein hatte drei von ihnen erwischt. Einen Gefallenen aus den eigenen Reihen hatte er bislang nicht entdecken können.
Aber jetzt musste er zum verbliebenen Hubschrauber, selbst wenn er dabei riskierte, ihnen im Dunkeln in die Arme zu laufen. Das war seine einzige Chance, aus dem Schlamassel herauszukommen. Die Entfernung betrug schätzungsweise hundert Yards. Eine so weite Strecke hätte er sich eigentlich niemals zurücktreiben lassen dürfen. Nur war diese Milch bereits verschüttet und keine Träne wert.
Mit zusammengebissenen Zähnen setzte er sich in Bewegung. Nach den ersten Schritten bemerkte er einen Schatten, der sich von drei Uhr her näherte. Feind oder Freund? Im Laufen hob er sein Gewehr. Helle Kleidung, kein Helm. Ein Gesicht, das fast mit der nächtlichen Schwärze verschwamm.
Feind!
Ohne anzuhalten, gab er eine Garbe ab. Die kleine Ratte wurde von den Füßen gerissen, als hätte ihr ein Riese eins mit der Faust verpasst. Kurz gestattete sich The Duke ein grimmiges Lächeln. Die ersten zehn Yards hatte er hinter sich gebracht und als Bonus einen weiteren von denen erledigt.
Beim nächsten Schritt verlor er abrupt den Boden unter den Stiefeln. Wie ein Stein rauschte er in die Tiefe und landete gleich darauf auf beiden Füßen. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen linken Knöchel, die Wucht des Aufpralls ließ ihn gegen eine Wand taumeln. Er brauchte drei Sekunden, um zu realisieren, dass er in eine Grube gestürzt war. Sie war gut sieben Fuß tief und so eng, dass er sich nicht drehen konnte, ohne mit den Schultern gegen die Wände zu schrammen. Wenn er den Arm ausstreckte, erreichte er mit seinen behandschuhten Fingern gerade so den Rand.
Eine weitere verfluchte Falle, und er war hineingetappt. Das konnte nicht wahr sein! Am liebsten hätte er geschrien vor Zorn und Verzweiflung, doch damit hätte er Feinde in der Nähe nur auf sich aufmerksam gemacht. Außerdem hatte er keine Zeit zu verlieren. Er stellte das Gewehr an die Wand, ging leicht in die Knie und stieß sich ab.
Der Schmerz in seinem verletzten Knöchel war rasend. Seine Fingerspitzen krallten sich in den Rand der Grube. Keuchend versuchte er sich hochzuziehen. Er rutschte ab und fiel zurück. Diesmal konnte er einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken.
Ein Gesicht schob sich über die Öffnung der Grube.
Seine Hand glitt zu seinem Gewehr, dann erkannte er, dass es Birdie gehörte. Er war ein Frischling, erst seit kurzem dabei. Diese Mission war sein erster Kampfeinsatz. Niemand wusste, wie er zu seinem Spitznamen gekommen war. Irgendwann hatte ihn jemand so genannt, und danach hatten es alle getan.
»Hilf mir, Birdie!«, rief The Duke. »Zieh mich hoch!«
Birdie streckte die Hand aus. Beinahe im selben Moment schwoll das Rotorengeräusch im Hintergrund an. Sein Kopf flog herum, die Hand zuckte zurück. The Duke griff ins Leere.
»Birdie!«, schrie er und konnte den hysterischen Unterton in seiner Stimme nicht verhindern. Er würde doch nicht ...?
Sein Kamerad wandte sich ihm wieder zu, unterließ es jedoch, ihm erneut die Hand zu reichen.
»Tut mir leid, Mann«, stieß er hervor, bevor er verschwand.
The Duke konnte es nicht glauben. Birdie hatte soeben die größte Todsünde begangen, die überhaupt möglich war. Dagegen war »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib« und das ganze andere Zeug der reinste Kinderkram. Dieser Hurensohn hatte einen Kameraden zurückgelassen. Einen, der auch noch atmete.
»Birdie!«, brüllte er ein weiteres Mal, obwohl er wusste, dass er nicht zurückkommen würde.
Das Geräusch wurde stärker, die Rotoren gewannen hörbar an Tempo. Während The Duke ebenso verzweifelt wie erfolglos versuchte, aus der Grube zu klettern, stieg die Maschine in die Luft und jagte gleich darauf wie zum Hohn über ihn hinweg. Ein paar letzte Schüsse krachten, dann wurde das Feuer eingestellt.
Dafür hörte er die Stimmen. Wortfetzen in einer Sprache, die er nicht verstand, die ihm jedoch nach diversen Einsätzen in diesem Land verhasst geworden war.
The Duke verhielt sich still, wagte kaum zu atmen. Das Camp war nur Fassade, deshalb die leeren Hütten. Ein Lockvogel für seine Einheit. Was bedeutete, dass die Typen ihre Toten einsammeln und sich in ihren eigentlichen Unterschlupf zurückziehen würden. Wenn sie erst mal weg waren, würde er es schon irgendwie rausschaffen. Dann brauchte er nur abzuwarten, bis seine Kameraden kamen, um ihn zu holen.
Kein Mann bleibt zurück.
Dieser Kodex war Birdie wohl entfallen. Dafür würde ihn The Duke vors Militärgericht bringen, aber vorher würde er ihm ein Ohr abschneiden. Wenigstens ein halbes.
Schritte näherten sich. Deutlich vernahm er das Geräusch, wie jemand durch den Sand stapfte. Wieder tastete er nach seinem Gewehr, doch dann überkam ihn die Erkenntnis, dass er nichts zu gewinnen hatte. Wenn er den Kerl abknallte, würden seine Kumpels die Grube mit Blei vollpumpen. Oder Schlimmeres.
Das Geräusch verstummte. Ein Gesicht erschien am Grubenrand.
Diesmal war es nicht Birdie. Und auch keiner von den Jungs.
Das hatte er auch nicht erwartet.
Siebenunddreißig Jahre später
Heather Chesnut musste sich beherrschen, um den Burger langsam zu essen. Der Hunger wütete schon seit gestern Abend in ihren Eingeweiden. Als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte sie den Geschmack ihres Lieblingsburgers aus ihrem bevorzugten Diner im Mund gehabt. Im Hank's wurden die besten serviert, obwohl der Laden ansonsten nicht viel hermachte. Schön fettig und dick mit extra Käse und Speck belegt, wie sie es liebte. Wenn sie das Exemplar auf dem Teller vor ihr herunterschlang wie ein ausgehungerter Wolf einen Brocken Fleisch, würde sie es mit Bauchschmerzen und einer halben Nacht neben der Toilette bezahlen müssen. Das kannte sie schon.
Hätte sie vor zwei Stunden den Freier nicht aufgegabelt, wäre sie zu knapp bei Kasse gewesen, um sich dieses Festmahl leisten zu können. Stattdessen hätte sie Fertigfraß aus dem Supermarkt klauen müssen, was immer schwieriger wurde, denn in den meisten Läden in ihrer Umgebung hatte sie längst Hausverbot.
Der Kerl war ein Mittvierziger. Einer von der Sorte, deren Foto im Lexikon neben dem Begriff langweilig zu finden war. Billige Brille, billiger Anzug, fahlweiße Haut, die nur selten die Sonne zu sehen bekam. Dazu ein Gesicht, an das sie sich schon jetzt kaum mehr erinnern konnte, und eine hohe, fast weibische Stimme. Mit seinem Ford – das Modell kannte sie nicht, aber er hatte genauso langweilig ausgesehen wie der Fahrer – hatte er an der Kreuzung angehalten und sie am Straßenrand entdeckt, während sie darauf wartete, dass die Fußgängerampel auf Gehen sprang.
Der Bursche starrte sie an und sie ihn. Nach wenigen Augenblicken entstand zwischen ihnen eine stumme Übereinkunft. Hüftschwingend trat sie an die Beifahrertür, woraufhin er die Seitenscheibe runterließ. Es bedurfte nicht vieler Worte, dann saß sie neben ihm und sie waren auf dem Weg zu dem kleinen Parkplatz am Stadtrand. Er lag abgeschirmt von neugierigen Blicken hinter einer ehemaligen Konservenfabrik und wurde nicht mehr genutzt, wenn man von den Jugendlichen absah, die an den Wochenenden zum Fummeln herkamen. Heathers bevorzugter Ort für Verabredungen dieser Art.
Ted, wie er sich nannte, war ein Handelsvertreter auf der Durchreise und entpuppte sich als nicht sonderlich anspruchsvoll. Eine schnelle Nummer mit dem Mund war alles, was er wollte. Wobei schnell im Wortsinn zu verstehen war, wie sie gleich darauf feststellte, denn sie hatte sein edelstes Teil kaum ausgepackt, da war es auch schon um ihn geschehen. So fix hatte sie lange keine dreißig Dollar mehr verdient.
Ihn störte es nicht gestört. Mit einem zufriedenen Seufzer zog er seine Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts und klappte sie auf, um das Geld herauszuholen. Wie immer an dieser Stelle verstand sie es, mit den Händen herumfuchtelnd ein kleines Chaos anzurichten, wodurch ihm die Börse entglitt und zu ihren Füßen landete. Als er sie von ihr zurückbekam, fehlten neben den dreißig vereinbarten fünfzig weitere Mäuse. Ihr Bonus fiel diesmal besonders üppig aus.
Als er sie zur Ampel zurückgebracht hatte, besorgte sie sich von ihrem bevorzugten Dealer genug Stoff, dass es für die nächsten zwei Tage locker reichte. Barby war ein schlaksiger Typ mit Glubschaugen und roch so penetrant nach Zwiebeln, als würde er jeden Tag drei Stück davon roh verdrücken. Aber sein Zeug war billig, da sah sie gerne über seine Ausdünstungen hinweg. Nachdem sie das Geschäft abgeschlossen hatten, war sie um fünfzig Dollar ärmer.
Blieben dreißig übrig. Das reichte für den riesigen Burger, von dem sie gerade den letzten Bissen vertilgte, und für eine Flasche günstigen Schnaps, den sie sich später an der Tankstelle in der Nähe ihres Apartments besorgen würde.
Heather kaute langsam, um den Geschmack nach Fleisch und Käse so lange wie möglich im Mund zu behalten. Ihr Blick fiel in den Spiegel an der Wand hinter dem Tresen, an dem sie auf einem roten Lederhocker Platz genommen hatte. Gottverflucht, sie hatte schon mal besser ausgesehen. Ihre blonden Locken, die ihr über die schmalen Schultern fielen, wirkten stumpf, das Gesicht blass und ausgemergelt. Tiefe Ringe lagen unter ihren Augen. Sie war keine dreißig und wäre glatt als Mitte vierzig durchgegangen. Das Leben forderte seinen Tribut von ihr. All die Männer, der schnelle Sex, der Alkohol, die Drogen.
Hätte sie nur nie Bob geheiratet.
Wäre sie bloß nie zu ihm nach Portland gezogen.
Hätte sie sich lieber gegen ihn zur Wehr gesetzt, als eines Nachts abzuhauen, mit nichts als ein paar Habseligkeiten in ihrem abgenutzten Lederkoffer und kaum hundert Dollar in der Tasche. Nur war es längst zu spät, um all die falschen Entscheidungen zu revidieren, die sie getroffen hatte. Wiederholungen gab es im Fernsehen, nicht im wahren Leben.
Erst jetzt fiel ihr der Mann auf, der am anderen Ende des Tresens saß. Er war groß und wirkte durchtrainiert. Auf seinem Kopf wuchsen nur wenige Haare, was normalerweise nicht ihr Fall war. Trotzdem fand sie ihn attraktiv. Seine Züge waren scharf geschnitten, die Nase schmal und gerade. Der sehnige Körper steckte in einem schwarzen Anzug, unter dem Jackett trug er ein blütenweißes Hemd. Offener Kragen, keine Krawatte. Vor ihm auf dem Tresen stand eine halbvolle Flasche Samuel Adams. Zu seinen Füßen lag ein kleiner brauner Rucksack auf dem Boden.
Sie beobachtete ihn und bemerkte, dass er nervös wirkte. Vor jedem Schluck aus der sich zügig leerenden Flasche warf er einen Blick über die Schulter und spähte durch die gläserne Eingangstür auf den Parkplatz, als ob er verfolgt wurde.
Ein Gangster? Den Eindruck machte er nicht auf sie.
Heather rückte ihre rote Lederjacke und das blaue Shirt darunter zurecht und schob ihren Oberkörper vor, um ihre kleinen Brüste besser zur Geltung zu bringen. Jetzt wünschte sie sich, heute Morgen den schwarzen Minirock angezogen zu haben. Sie hatte sich für die Jeans entschieden, weil sie nicht damit gerechnet hatte, an einem Montag einen Kunden an Land zu ziehen.
Mit etwas Glück würden es bald zwei sein.
Normalerweise bahnte sie ihre Geschäfte nicht in aller Öffentlichkeit an, doch von ihnen beiden abgesehen war der Laden leer. Die Angestellten schienen außerdem im Wochentakt ausgetauscht zu werden und blieben nie lange genug, um sich ihr Gesicht zu merken. Das mochte ein Hinweis darauf sein, dass Hank zwar prima Burger braten konnte, jedoch wenig Geschick im Umgang mit Mitarbeitern besaß. Die dunkelhaarige Kellnerin, die gelangweilt an einem der Tische saß und ein Loch in die Luft starrte, sah Heather heute zum ersten Mal. Das kleine Schild an ihrer Bluse wies sie als Dana aus. Sie hatte den Namen gelesen, als ihr der Burger serviert worden war.
In einer fließenden Bewegung glitt Heather vom Hocker und trat auf den Mann zu. Er war so in Gedanken, dass er sie erst bemerkte, als sie direkt neben ihm stand.
»Kann ich etwas für Sie tun, Lady?«
Seine Stimme klang angenehm, weich und dennoch bestimmt. Möglich, dass es ihr mit ihm Spaß machen würde. Das kam nur selten vor, aber hin und wieder war es so.
»Mein Name ist Heather. Heather Chesnut«, stellte sie sich vor.
»Bernie Blanks.«
In seinem Gesicht zuckte es, als hätte er etwas preisgegeben, was er eigentlich für sich behalten wollte.
Sie schob sich näher an ihn heran und sah ihm tief in die Augen, die groß und blau waren. »Ich habe mich gefragt, ob wir beide uns ein wenig amüsieren wollen, wenn Sie Ihr Bier ausgetrunken haben, Bernie.«
Seine Miene blieb ausdruckslos. »Ich nehme an, dass Sie dafür ein gewisses Honorar aufrufen würden.«
Ihr schönstes Lächeln gehörte ihm. »Nennen wir es ein Sponsoring. Wissen Sie, ich bin knapp bei Kasse und dachte, dass Sie der Richtige sein könnten, um sie aufzufüllen. Als Gegenleistung hätte ich einiges anzubieten, was Ihnen gefallen dürfte.«
»Hätte nicht gedacht, in einer kleinen Stadt wie dieser auf eine Prostituierte zu treffen«, erwiderte er trocken.
Es verlieh ihr einen Stich, dass er sie so nannte, obwohl er natürlich recht hatte.
»Ich bin auf der Durchreise.«