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Innerhalb weniger Tage wurden Leichenteile von zwei Personen an den Strand von Long Island gespült. Alles deutete darauf hin, dass die beiden einem Hai zum Opfer gefallen waren. Hatte sich ein besonders gefährliches Exemplar in diese Gewässer verirrt? Wir vom FBI wurden auf den Plan gerufen, als einer der Toten anhand seiner auffälligen Brandnarben als Dale Bookman identifiziert wurde. Der Mann stand wegen mehrerer Anschläge auf Pipelines und Ölförderanlagen auf unserer Most-Wanted-Liste. Was hatte ihn an die Küste von Long Island geführt? Hatte er einen weiteren Anschlag geplant, womöglich auf eine unterseeische Ölpipeline?
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Hai-Alarm auf Long Island
Vorschau
Impressum
Hai-Alarm auf Long Island
Stacey Brooks machte zwei lange Kraulzüge. Dann holte sie tief Luft und tauchte wie ein Delfin in die glitzernden Fluten der Great South Bay. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich treiben und genoss es, mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. Erst eine Berührung an der Schulter riss sie aus ihrer Trance. Mit den Füßen paddelnd, durchbrach sie die Oberfläche und wischte sich mit beiden Händen das Wasser aus dem Gesicht.
»Michael, was zum ...?«
Sie verstummte, als sie sah, dass ihr Verlobter gut zwanzig Yards hinter ihr schwamm. Fast gleichzeitig verspürte sie eine weitere kalte Berührung am Rücken. Mit klopfendem Herzen wirbelte sie herum – und erstarrte. Direkt vor ihr, nur eine Handbreit von ihrer Brust entfernt, trieb ein Arm.
Jacky Palmers Absätze klackten auf dem grauen Linoleum, während sie versuchte, mit dem Mann, der ihr vorauseile, Schritt zu halten. Sie holte ihn ein, als er vor einer schweren Metalltür stehen blieb.
Jacky hieß eigentlich Jacqueline, hatte Journalismus und Public Relations studiert, und arbeitete seit sechs Jahren als Tourismusbeauftragte für den Bezirk Suffolk County. Ein Job mit vielen Annehmlichkeiten, und nur wenigen Problemen, die es zu lösen galt. Zumindest bis heute. Suffolk bildete die östlichen zwei Drittel von Long Island und war außerdem der Bezirk, in dem die Tote an den Strand gespült worden war. Nun, zumindest Teile von ihr.
Jacky rümpfte die Nase, als ihr der Geruch von Desinfektionsmittel aus dem Raum jenseits der geöffneten Metalltür entgegenwehte. Sie rückte ihre runde, rot umrandete Brille zurecht, folgte dem auffordernden Nicken ihres Begleiters und trat über die Schwelle.
Der Raum dahinter war kalt und steril. Drei blitzblanke, parallel angeordnete Obduktionstische bildeten optisch den Mittelpunkt. Die obligatorischen Kühlzellen befanden sich in der Rückwand, und Jacky fragte sich unwillkürlich, wie viele davon aktuell belegt waren.
»Wir untersuchen hier über sechstausend Todesfälle im Jahr und führen etwa dreizehnhundert Autopsien durch«, sagte der kleine Mann in dem weißen Kittel, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »So etwas wie das hatten wir in meiner Laufbahn aber noch nie.«
Das medizinische Untersuchungslabor von Suffolk County befand sich im Herzen von Long Island, acht Meilen nördlich der Stelle, an der zwei arglose Schwimmer auf die Leichenteile gestoßen waren. Seit der gestrigen Bergung wurden sie hier in der Abteilung für medizinische Forensik aufbewahrt.
Wortlos trat der Mann mit dem schütteren Haarkranz, der sich ihr als Dr Friedman vorgestellt hatte, an ihr vorbei und öffnete eines der Schubfächer.
Jacky folgte ihm zögernd. Ihr Blick fiel auf einen abgetrennten Arm, der oberhalb des Ellenbogens endete, und einer Frau gehört haben musste. Die Nägel waren rot lackiert, auch wenn die Farbe inzwischen verblasst war. Die Haut war bläulich angelaufen und mit dunklen, hämatomartigen Flecken übersäht. Selbst als medizinischer Laie erkannte man auf den ersten Blick, dass das Körperteil nicht chirurgisch vom Rest des Körpers entfernt worden war. Die Wundränder und das tote Gewebe waren zerfranst, sodass es aussah, als wäre der Arm seiner Besitzerin mit roher Gewalt aus dem Leib gerissen worden.
Ein kalter Schauer rann Jacky über den Rücken, und sie schloss unwillkürlich die Augen.
»Polizeitaucher haben später den halb skelettierten Teil eines Schienbeins gefunden«, fügte Dr Friedman hinzu. Seine Stimme klang so beiläufig wie beim Small Talk auf einer Dinnerparty. »Wenn Sie möchten ...«
Jacky schüttelte etwas schneller den Kopf als beabsichtigt. »Eigentlich, Doktor Friedman, interessiert mich nur Ihre fachliche Einschätzung. Als Sie unser Büro heute Morgen um ein Gespräch unter vier Augen baten, da ...«
»... tat ich das, weil ich mir der Brisanz unserer Untersuchungsergebnisse für das County bewusst war und ich Ihnen Zeit für eine angemessene Reaktion geben wollte, mit der Sie an die Öffentlichkeit treten.«
Jacky zog die Stirn in Falten. Der Verlauf dieses Gesprächs behagte ihr immer weniger. »Könnten Sie vielleicht etwas deutlicher werden?«
»Nun, Mrs Palmer«, meinte Dr Friedman gedehnt, während er das Kühlfach wieder in die Wand zurückgleiten ließ. »Ich weiß, dass Sie Ihre Zeit nicht gepachtet haben, und will Sie nicht mit Details langweilen. Aber Spuren an Fleisch und Knochen deuten darauf hin, dass der Arm weder abgerissen noch chirurgisch entfernt wurde.«
»Sondern?«, fragte Jacky mit belegter Stimme.
Schatten legten sich auf Friedmans Gesicht, als er sich wieder zu ihr umdrehte und mit ernstem Ton sagte: »Ich würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Hai-Angriff tippen.«
Jacky zwang sich zu einem amüsierten Lächeln, das ihr bereits auf halbem Weg entglitt. »Ein Hai? Das ist unmöglich?«
»Warum?«, fragte Friedman. »Haie wurden in den Gewässern unserer Küste immer wieder gesichtet, darunter Exemplare des Großen Weißen und des Tigerhais. Sicher, in der Regel meiden sie Küste und Menschen, und bisher kam es zu keinem tödlichen Angriff. Aber einmal ist immer das erste Mal.«
Jackys Gedanken jagten einander, und das Bild des abgetrennten Arms tauchte noch einmal vor ihrem inneren Auge auf.
»Und Sie sind sich sicher, dass das Opfer nicht in eine Schiffsschraube geraten ist? Ich meine, dass Schwimmer von Booten übersehen werden, passiert immer wieder und ...«
»Ausgeschlossen, Mrs Palmer«, unterbrach Friedman sie. »Die Wundmerkmale entscheiden sich eklatant.« Er atmete tief durch und fixierte seine Schuhspitzen. »Mir ist klar, was ein solcher Vorfall für unser County und die anderen strandnahen Orte von Long Island bedeutet. Ich kann Ihnen aber nur mitteilen, was die Obduktion ergeben hat, und Ihnen einen Rat ans Herz legen. Die Badesaison beginnt erst in ein paar Wochen. Nutzen Sie bis dahin die Zeit. Sperren Sie fürs erste die Strände. Und dann trommeln Sie die Küstenwache und einige Meeresbiologen zusammen und machen Jagd auf einen großen, hungrigen Fisch!«
Jacky ließ den letzten Satz in der Stille des Obduktionsraums verhallen, bevor sie nickte und meinte: »Danke für Ihren gut gemeinten Rat, Dr Friedman. Er wird dem County Commissioner nicht gefallen, aber ich werde ihn an ihn herantragen.«
Es war das erste Wochenende im Mai, und die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, als gäbe es nichts Böses mehr auf der Welt.
Dass dieser Eindruck trog, davon hatte ich mich gerade im Verhandlungssaal 13 b des New York County Courthouse persönlich überzeugt. Dort wurde zurzeit der Prozess gegen Samuel Torrent, den ältesten Sohn von Mike Torrent, einem berüchtigten New Yorker Rotlichtbaron, geführt. Ihm wurden Menschenhandel und schwere Körperverletzung in über einem Dutzend Fällen zur Last gelegt.
Phil und ich hatten die Ermittlungen gegen Torrent geleitet, und das war der Grund, weshalb ich heute, stellvertretend für uns beide, in den Zeugenstand getreten war. Samuel Torrent hatte mich während meiner Befragung mit seinen stahlgrauen Augen fixiert, als würde er gleich über die Absperrung springen, um mir mit bloßen Händen den Hals umzudrehen.
Ich müsste lügen, würde ich behaupten, ich hätte es nicht genossen. Torrent war das Gegenteil eines Waisenknaben, und je früher er gesiebte Luft atmete, desto besser. Das Urteil stand zwar noch aus, doch die Beweislast war so erdrückend, dass ihn der beste Anwalt der Welt nicht vor einem Schuldspruch bewahrt hätte.
Entsprechend gelöst war meine Stimmung, als ich mich auf dem Parkplatz des Gerichtsgebäudes hinter das Lenkrad meines F-Type 75 R klemmte und mich auf den Weg ins Field Office machte.
Eigentlich lag das Federal Building buchstäblich um die Ecke, sodass ich den Weg auch zu Fuß hätte gehen können. Da ich heute Morgen ohne Zwischenstopp von zu Hause ins Gericht gefahren war, hätte ich meinen roten Flitzer vor dem Court-Gebäude stehen lassen müssen. Stattdessen parkte ich ihn, wie es sich gehörte, in der Tiefgarage des Federal Building und nahm den Aufzug in den dreiundzwanzigsten Stock.
Die Tür des Büros, das ich mir mit meinem Partner Phil Decker teilte, stand sperrangelweit offen, und von Phil fehlte jede Spur.
Bevor ich eintreten konnte, kam Helen im Flur auf mich zu und schenkte mir ein irritiertes Lächeln. »Du siehst aus wie bestellt und nicht abgeholt.«
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte schmal. »Ist Phil ausgeflogen?« Und als die Sekretärin nicht sofort reagierte, fügte ich scherzhaft hinzu: »Phil Decker. Blond, schlank, etwa so groß ...«
Helen musterte mich stirnrunzelnd. »Hat man dir nichts gesagt?«
»Ich bin gerade erst reingeschneit«, erklärte ich. »Gerichtstermin.«
»Sorry, das wusste ich nicht«, gab Helen zurück. »Der Chef hat zur Besprechung gebeten.«
Ich nickte verwundert. Diese war offenbar sehr kurzfristig einberufen worden, denn im Terminkalender für heute war nichts vermerkt.
Nachdem Helen mir den Raum genannt hatte, machte ich mich sofort auf den Weg. Er lag am gegenüberliegenden Ende unserer Etage. Die Tür war geschlossen, und ich öffnete, ohne zu klopfen.
Beim Eintreten wanderte mein Blick über die Runde.
Phil und Mr High befanden sich logischerweise unter den Anwesenden. Außerdem Steve Dillaggio und sein Partner Zeerookah, die sich einen der hufeisenförmig angeordneten Tische teilten. Die restlichen Stühle waren von etwa einem Dutzend weiterer Kollegen belegt.
In der Mitte des Hufeisens saß Dr Ben Bruckner vor einem Notebook, dessen Screen mit einem Beamer auf die weiße Wand gegenüber projiziert wurde.
Mein Blick fiel auf das Porträtfoto eines Mannes um die dreißig. Er hatte halblange blonde Haare und trug eine Brille mit getönten Gläsern. Sein Gesicht war seltsam eigenschaftslos.
»Jerry, Sie kommen gerade recht«, meinte Mr High, als ich die Tür hinter mir schloss. Ohne zu antworten, setzte ich mich auf den freien Platz neben Phil und sah unseren Chef abwartend an.
»Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, kam es in den letzten Tagen wohl zu tödlichen Hai-Angriffen vor der Küste von Long Island.«
»Ich hörte von zwei solcher Vorfälle«, gab ich zurück. »Man fand aber nur einzelne Körperteile der Opfer.«
»Ein männliches Bein und der Arm sowie das Schienbein einer Frau«, erwiderte Mr High in sachlichem Ton. »Eine Verbindung zwischen beiden Opfern besteht vermutlich nicht, da die Angriffe in einem Abstand von mehreren Tagen erfolgten.«
»Hat man einen Abgleich der Fingerabdrücke vorgenommen?«, wollte ich wissen.
»Dafür lagen die Extremitäten bereits zu lange im Wasser. Bisher liegen der Polizei auch keine Vermisstenanzeigen vor, die einen Hinweis auf die Identität der Opfer geben könnten. Dann, heute Morgen, meldeten Fischer den Fund eines weiteren Körperteils. Es handelt sich dabei um den Arm eines Mannes.«
»Ein drittes Opfer?«, fragte ich besorgt.
»Nein, die Untersuchung hat ergeben, dass er sich der ersten Person zuordnen lässt. Allerdings wies der Arm einige Besonderheiten auf, die Hinweise auf seine Identität liefern.«
Ich sah mir noch einmal das auf die Wand projizierte Foto an und hatte das unbestimmte Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben.
»Das ist Dale Bookman«, erklärte Mr High, der meinen Blick bemerkt hatte. »Ehemaliger Umweltaktivist und heutiger Terrorist. Er gilt als Drahtzieher mehrerer Anschläge auf Pipelines und Ölförderanlagen, sowohl hier in den Staaten als auch in Kanada.«
»Und dieser Bookman ist eines der beiden Hai-Opfer«, nahm ich an.
Mr High stützte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich vor, um an den Kollegen, die zwischen uns saßen, vorbeiblicken zu können.
»Da Bookman schon vor Jahren untergetaucht ist und davor nie polizeidienstlich behandelt wurde«, sagte er, »liegt uns kein DNA-Material zum Abgleich vor. Allerdings wissen wir von Bookman, dass er seit einem missglückten Bombenbau eine auffällig geformte Brandnarbe am rechten Oberarm hat. Dazu kommt eine Tätowierung am Handgelenk, die zwei gekreuzte Piratensäbel zeigt. Diese Erkenntnisse beruhen auf Aussagen seines früheren Umfelds. Fotos haben wir leider keine.«
Ich nickte bedächtig. »Ist denn sicher, dass Bookman einem Hai zum Opfer gefallen ist?«
Mr High nickte bestimmt. »Der Gerichtsmediziner, der die Leichenteile untersucht hat, ist davon überzeugt. Im untersuchten Gewebe lassen sich sogar Zahnspuren feststellen, die möglicherweise von einem Tigerhai stammen.«
Ich räusperte mich. Haie kamen vor unserer Küste durchaus vor, allerdings mieden sie in der Regel die von Menschen besuchten Gebiete. Ich erinnerte mich, dass es vor ein paar Monaten zu einem Angriff durch einen Tigerhai gekommen war, der glücklicherweise nicht tödlich verlaufen war. Dass nun innerhalb weniger Tage gleich zwei Menschen von einem solchen Tier regelrecht zerfleischt worden waren, war ungewöhnlich.
Unter normalen Umständen hätte ich mich gefragt, wie wir hier ins Spiel kamen. Das FBI war schließlich nicht für tödliche Tierattacken zuständig. Aber wenn es sich bei einem der Toten tatsächlich um den Ökoterroristen Dale Bookman handelte, warf das weitere Fragen auf.
Eine davon warf ich in die Runde. »Gibt es Hinweise darauf, was Dale Bookman nach Long Island geführt hat?«
Mr High warf Steve einen auffordernden Blick zu.
Der Special Agent in Charge hatte sich offenbar bereits mit dem Fall beschäftigt. »Da tappen wir bisher völlig im Dunkeln. Zuletzt wurde Bookman im Südosten von Ontario, Kanada, gesehen. Eine Wildtierkamera hat ihn zufällig vor die Linse bekommen. Deshalb gingen wir davon aus, dass er irgendwo in der kanadischen Wildnis untergetaucht ist.«
»Denkbar wäre, dass Bookman sein Exil in Kanada genutzt hat, um weitere Anschlagspläne vorzubereiten«, sagte Phil.
»Gibt es vor der Küste von Long Island ein lohnendes Ziel, für das sich Ökoterroristen interessieren könnten?«, fragte ich.
»Wir gehen derzeit allen Hinweisen nach«, erwiderte Mr High. »Wenn Bookman wirklich einen Anschlag vorbereitet hat, muss es Mitwisser geben. In den bekannten Sympathisantennetzwerken, die daran vermutlich beteiligt wären, ist bislang nichts durchgedrungen.«
»Homeland Security geht davon aus, dass Bookman mittlerweile Unterstützer auf dem gesamten amerikanischen Kontinent hat«, sagte Steve. »Er soll sogar Kontakte zu mittelamerikanischen Rebellengruppen und kolumbianischen Drogenkartellen geknüpft haben.«
»Er nimmt also jede Unterstützung, die er kriegen kann«, meinte Phil naserümpfend.
»Gibt es konkrete Personen, an die sich Bookman wenden würde, wenn er einen Anschlag an der Ostküste planen würde?«, fragte ich.
»Von Haus aus ist Bookman Wissenschaftler«, antwortete Steve. »In seinem früheren Leben hat er an der Columbia Meeresbiologie gelehrt. Aus dieser Zeit bestehen zahlreiche Kontakte, von denen die meisten seit seiner Radikalisierung ruhen.«
»Verstehe«, sagte ich.
»Aber wenn es jemanden gibt, den er vermutlich kontaktieren würde, dann ist das sein früherer Mitstreiter Harrison Gorski. Die beiden haben zusammen studiert und ihre erste Aktivistengruppe für den Erhalt der Meere gegründet. Während sich Bookman immer weiter radikalisiert hat, blieb Gorski beim ursprünglichen Plan und kämpft bis heute auf legalen Wegen für seine Ideale. Trotzdem hat er Bookman nie für seine Taten verurteilt, sondern immer wieder Partei für ihn ergriffen.«
»Interessant«, murmelte ich.
»Homeland vermutet, dass er ihn nach seinem ersten Anschlag auf eine Ölförderanlage in Baton Rouge gedeckt und ihm sogar zur Flucht verholfen hat. Bewiesen werden konnte das nie.«
»Harrison Gorski«, wiederholte ich leise. »Und wo finden wir ihn?«
»Gorski leitet heute ein Meeresinformationszentrum in Bellport, Long Island.«
Mr High wandte sich an Phil und mich. »Ich möchte, dass Sie beide Gorski auf die Finger klopfen. Vielleicht wird er weich, wenn er vom mutmaßlichen Tod seines früheren Mitstreiters erfährt. Alle anderen finden heraus, ob Bookman seit seiner Ankunft im New York irgendwelche Spuren hinterlassen hat. Zu diesem Zweck werde ich sein Foto an die Presse herausgeben, verbunden mit einem Zeugenaufruf.«
»Leicht wird das nicht«, gab Steve zu bedenken. »Bookman ist darin geübt, unter dem Radar zu fliegen.«
»Was in der kanadischen Wildnis leichter ist als in einer Großstadt«, sagte Phil. »Irgendjemand muss ihn auf seinem Weg bis an die Küste gesehen haben, und wenn es eine unserer zehntausend Überwachungskameras war.«
Nicht, wenn er auf dem Seeweg angereist ist, dachte ich. Aussprechen musste ich diesen Gedanken nicht. Mein Partner, mein Chef und alle anderen im Raum waren Vollprofis und erfahren genug, um auch diese Möglichkeit bereits im Hinterkopf zu haben.
Bellport lag an der Südküste von Long Island, unweit der Küstengebiete, wo Leichenteile geborgen worden waren. Ein schmucker kleiner Ort mit rund zweitausend Einwohnern, von denen die meisten in irgendeiner Form vom Tourismus lebten.
Von der Federal Plaza aus dauerte die Fahrt knapp über eine Stunde. Wären wir nicht dienstlich unterwegs gewesen, hätte ich den Trip durchaus genossen. Long Island zeigte sich an diesem sonnigen Frühlingstag von seiner Schokoladenseite. Cafés und Lokale hatten die Stühle und Tische, die sie über den Winter verstaut hatten, bereits nach draußen geräumt, und Sonnenhungrige tummelten sich auf den pittoresken Einkaufsstraßen und den Strandpromenaden.
Obwohl die Luft noch frisch war und das Wasser vermutlich eisig, hätten sich ersten Mutigen bestimmt bereits in die Fluten gestürzt. Doch die durchgehend rote Beflaggung an den Stränden wies deutlich darauf hin, dass das Wasser für Badende gesperrt war. Ein Grund wurde nirgends genannt, aber jeder auf der Insel, der nicht hinterm Mond lebte, hatte wohl mitbekommen, was in den letzten Tagen passiert war.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass die ungeklärte Situation die Verantwortlichen nervös machte. Noch hatte die Touristensaison nicht begonnen, doch schon in wenigen Wochen würden die Ortschaften der Halbinsel von Tagesbesuchern und Touristen gestürmt. Oder eben nicht. Alles hing davon ab, dass die Hai-Situation möglichst rasch aufgeklärt wurde, weshalb Spezialisten zusammen mit der Küstenwache das Gewässer seit Tagen fieberhaft absuchten. Bislang ohne Erfolg. Möglich, dass der Hai die Küstenbereiche längst wieder verlassen hatte. Aber sicher wissen konnte man es nicht.
Ich ging fest davon aus, dass man die Suche noch eine Woche fortsetzte und die Strände dann wieder öffnen würde. Was dann passierte, würde man sehen. Zumindest konnte man im Fall eines weiteren Angriffs selbstbewusst vor die Öffentlichkeit treten und versichern, man habe nichts unversucht gelassen. Ewig konnte man die Suche nach einem Phantom schließlich nicht durchhalten. Wer würde das besser verstehen als die Küstenbewohner, deren Lebensgrundlage ein brummendes Sommergeschäft war?
Das alles war nicht unser Problem. Und beschäftigte allein die Frage, was ein zu Tode gekommener Ökoterrorist auf Long Island zu suchen gehabt hatte. Und ob es Mitstreiter gab, die auch nach seinem Tod an einem möglicherweise vorbereiteten Anschlagsplan festhielten. Menschliche Raubtiere waren unser Metier. Um den Hai mussten sich andere kümmern.
Das Bellport Sea Life Center