Jerry Cotton 3510 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3510 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Das NYPD wurde zu einem angeblichen Tatort bestellt. Ein anonymer Anrufer behauptete, ein Mann würde seine Ehefrau mit einer Waffe bedrohen. Als die Polizei dort eintraf, stellte sich die Meldung als Fehlalarm heraus. Der Beschuldigte gab sich lammfromm, auch seine Frau beteuerte, dass sie sich nicht bedroht fühle. Tage später kam es in einem Bürogebäude zu einer Geiselnahme. Ein zunächst Unbekannter hatte fünf Mitarbeiterinnen einer Putzkolonne in seiner Gewalt - eine davon seine eigene Ehefrau. Bei der Überprüfung seiner Identität zeigte sich, dass es derselbe Mann war, den die Cops erst vor Kurzem überprüft hatten. Die Beamten versuchten, ihn zum Aufgeben zu bewegen, aber am Ende erschoss er seine Frau. Und wir vom FBI stießen auf Machenschaften, die nicht perfider hätten sein können ...

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Mindcrimes

Vorschau

Impressum

Mindcrimes

Die dunkel gekleidete Gestalt kam wie aus dem Nichts. Urplötzlich stand sie im Halbdunkel vor Marta Rodriguez, als wäre sie vor ihr aus dem Boden gewachsen – oder direkt der Hölle entstiegen.

»Sophia?«, hörte sie den Schwarzgekleideten fragen.

Dann sah sie, dass ein Pistolenlauf auf sie zeigte. Unfähig, auch nur einen Ton von sich zu geben, nahm sie die Hand vom Griff des Putzwagens und deutete zur Decke des Flurs.

Das Gesicht des Mannes verhärtete sich, er setzte sich in Bewegung.

Marta Rodriguez atmete bereits auf, als sich sein Finger im Vorbeigehen um den Abzug krümmte. Zielen war unnötig. Ein Schuss aus dieser kurzen Distanz brachte so gut wie immer den Tod.

Mit quietschenden Reifen brachte Joe Brandenburg den Ford Mustang vor der Polizeiabsperrung zum Stehen. Die Nachricht einer Geiselnahme hatte ihn noch im Office erreicht. Les Bedell war bereits auf dem Heimweg gewesen, sodass er und sein Partner in getrennten Autos nach Parkchester gedüst waren.

Joe hatte ihn schon bei der Anfahrt entdeckt. Les stand bei einem Grüppchen Uniformierter. Und alle richteten die Blicke auf das vierstöckige Bürogebäude, in dem die Tragödie seit gut einer Stunde ihren Lauf nahm.

Les bemerkte ihn, als Joe an die Gruppe herantrat, und nahm ihn beiseite.

»Ein Bewaffneter«, brachte er ihn auf Stand. »Mindestens ein Todesopfer. Zwei Personen haben sich im vierten Stock in einem Büroraum verschanzt, und die Tür mit einem Möbelstück verbarrikadiert. Sie waren es auch, die das NYPD informiert haben. Der Täter befindet sich wohl noch im Gebäude. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er es schafft, die Tür aufzubrechen.«

»Ist es schon gelungen, Kontakt herzustellen?«, fragte Joe.

Les zuckte mit den Schultern. »Leider nein. Deshalb wissen wir auch nichts über sein Motiv oder etwaige Forderungen.«

Joe nickte stoisch. »Was ist über die Geiseln bekannt?«

»Vier Frauen, alle arbeiten für dieselbe Putzkolonne. Von den Angestellten der Softwarefirma befindet sich offenbar niemand mehr in den Büros.«

»Besteht Sichtkontakt zu den Frauen?«, wollte Joe wissen.

»Theoretisch ja. Die Fenster des Büros zeigen allerdings in den Innenhof. Und die Kollegen, die sich dorthin vorgewagt haben, wurden sofort unter Beschuss genommen.«

Joe ballte die Hand zur Faust. Der vierte Stock war zu hoch, um sich mit einem Sprung zu retten. Aber mithilfe eines über den Asphalt gespannten Sprungtuchs würde eine Evakuierung vermutlich gelingen. Voraussetzung war, dass man sich dem Gebäude gefahrlos nähern konnte.

Joe sah einen Uniformierten auf sie zukommen. Der junge Officer hatte sein Handy am Ohr, ließ es jedoch sinken, als er vor ihnen stehen blieb, und deckte es mit der Hand ab.

»Eine der Putzfrauen«, meinte er. »Sie glaubt, dass der Bewaffnete ihr Ehemann ist.«

Joe und Les tauschten einen vielsagenden Blick. Sie hatten es also mit einer Beziehungstat zu tun. Tragödien wie diese wiederholten sich leider in unschöner Regelmäßigkeit.

»Steht sie aktuell mit ihm in Kontakt?«, fragte Joe.

Der Officer schüttelte leicht den Kopf, dann reichte er ihm das Telefon.

»Ma'am, hier spricht Special Agent Brandenburg vom FBI. Ich ...« Ein donnernder Schlag, gefolgt von einem gellenden Schrei riss ihm die Worte von den Lippen. Unwillkürlich hielt er das Handy ein Stück vom Ohr weg. »Ma'am ...?«

»Mein Mann!« Die weibliche Stimme sprach leise und vibrierte vor Angst. »Er hat eine Axt! Er fängt an, die Tür aufzu...« Ihre Worte gingen in einem weiteren Schlag unter.

Les wandte sich mit sorgenvoller Miene an den Officer. »Haben Sie das Sprungtuch bereit?«

Der junge Cop nickte stumm.

»Dann bringen Sie es in Position.«

»Aber der Schütze ...«

»Ist gerade anderweitig beschäftigt.« Joe erklärte in knappen Worten, was er gerade erfahren hatte.

Der Officer hörte zu, setzte sich wieder in Bewegung, um alles Weitere zu veranlassen.

Joe atmete tief durch und legte das Telefon wieder ans Ohr. »Ma'am, wir bereiten alles vor, um Sie da rauszuholen. Befindet sich Ihr Mann immer noch vor der Bürotür?«

Ein weiterer Schlag machte die Frage überflüssig. Joe verzog das Gesicht. Das Splittern, das sich unter den dumpfen Wumms mischte, verhieß nichts Gutes.

»Beeilen Sie sich!« Die Stimme der Frau klang jetzt schrill und überschlug sich.

»Meine Kollegen stürmen gleich das Gebäude«, erwiderte Joe ruhig und betont. »Ich hoffe, dass sie rechtzeitig eintreffen. Es kann sein, dass wir Sie vorher über das Fenster evakuieren müssen. Ich möchte, dass Sie und Ihre Kollegin sich schon mal dorthin begeben.«

Ein Zögern. Dann: »O-kay.«

Ein Krachen brachte das Telefon fast zum Vibrieren. Danach herrschte kurze Zeit Stille.

»Ma'am?«

»Ja?«

»Wie heißen Sie?«

»Sophia.« Jetzt wo sie in einem halbwegs normalen Ton sprach, klang ihre Stimme belegt. Joe glaubte, einen spanischen Akzent wahrzunehmen. So klangen häufig Latinos, die in den Staaten geboren, jedoch in spanischsprachigen Communitys aufgewachsen waren.

»Okay, Sophia, ich möchte, dass Sie das Fenster öffnen.«

Der nächste Satz der jungen Frau zog ihm fast den Boden unter den Füßen weg.

»Man ... man kann die Fenster nicht öffnen.«

Joe fuhr sich angestrengt durchs Haar. Insgeheim hatte er das befürchtet, aber bis zuletzt gehofft, dass er sich irrte. In vielen modernen Büros, die über ausgeklügelte Klima- und Luftaustauschanlagen verfügten, war ein manuelles Öffnen der Fenster nicht vorgesehen.

Während Joes Gedanken rasten, beobachtete er, wie sich in einiger Entfernung die eingetroffenen Männer des Spezialeinsatzteams formierten. Sie trugen Helme, ballistische Westen und Schutzschilde. Moderne Ritter, die in die Schlacht zogen, um die »verfolgte Unschuld« den Klauen des Ungetüms zu entreißen.

»Okay, kein Problem«, sagte er nicht ganz wahrheitsgemäß. »Sophia, schauen Sie sich bitte um. Sehen Sie irgendeinen schweren Gegenstand, der gerade noch leicht genug ist, dass Sie ihn in die Höhe wuchten können?«

Ein zischendes Knacken im Äther verriet, dass Sophia scharf ausatmete.

»Ich weiß nicht. Ein Bürostuhl vielleicht?«

»Versuchen Sie es. Heben Sie ihn hoch und donnern Sie ihn so fest Sie können gegen das Fenster!«

Eine Bewegung im Augenwinkel lenkte Joes Aufmerksamkeit auf die Gruppe der Uniformierten. Der Officer, dessen Telefon er in der Hand hielt, winkte ihm zu.

Joe und Les folgten ihm im Laufschritt zu einem Einsatzwagen in neutralem Weiß, der auf der anderen Straßenseite parkte.

Auf halbem Weg hörte er einen dumpfen Schlag, allerdings kein Splittern. Sophias Versuch, das Fenster einzuschlagen, war offensichtlich misslungen. Wahrscheinlich verfügte sie nicht über die nötige Kraft, den Stuhl fest genug gegen die Scheibe zu wuchten.

Während sich die Schiebetür des Vans hinter ihm und Les Bedell schloss, sagte er: »Sehen Sie sich noch einmal gut um. Vielleicht entdecken Sie etwas Kleineres, Handliches, mit dem ...«

»Die Tür!«, kreischte Sophia aus voller Kehle. »Sie gibt nach!«

Joe hatte das Telefon noch im Gehen auf laut gestellt, sodass die anderen mitbekamen, was gerade geschah. Neben ihm, Les und dem Officer saßen zwei weitere Uniformierte im Van. Einer von ihnen telefonierte hektisch. Vermutlich stand er mit dem Einsatzleiter des SWAT-Teams in Kontakt, mit dem er die Informationen teilte.

»Sehen Sie sich um! Finden Sie irgendwas?«

»Okay, sie gehen jetzt rein«, sagte der Officer an die Gruppe gewandt.

Alle Blicke richteten sich auf zwei kleine Monitore. Jeder übertrug Aufnahmen einer Helmkamera, die die Kollegen bei sich hatten. Auf dem linken war in wackelnden Bildern zu sehen, wie das erste Team den Innenhof stürmte.

Hinter einer Deckung blieb der Kameraträger stehen und richtete die Linse auf die Gebäudefassade. Hinter einem unbeleuchteten Fenster im vierten Stock konnte Joe verschwommene Bewegungen ausmachen.

»Sophia?«, fragte er eindringlich, ohne zu drängen.

Jetzt schälte sich auch auf dem zweiten Monitor ein klar erkennbares Bild hervor. Es zeigte den Vordereingang des Gebäudes, vor dem sich das zweite Einsatzkommando in Position brachte. Offenbar hatten sich die Männer einen Schlüssel besorgt, sodass es nicht nötig war, die Tür gewaltsam zu öffnen. Joe beobachtete, wie die Tür aufgedrückt wurde, und das Treppenhaus auftauchte.

»Sophia?« Wahrscheinlich meldete sie sich nur deshalb nicht mehr, weil sie noch immer seiner Anweisung folgte. Trotzdem wurde er mit jeder Sekunde nervöser.

»Achtung!«, hörte er sie rufen, und im nächsten Moment war auf dem ersten Monitor zu sehen, wie irgendetwas durch die geschlossene Scheibe krachte. Den Ton dazu lieferte das Smartphone an seinem Ohr.

Ein Scherbenregen ergoss sich in den Hof, auch der geworfene Gegenstand zersplitterte beim Aufprall. Joe glaubte, Teile einer Espressomaschine zu erkennen. Das war irrelevant. Viel wichtiger waren die Männer, die jetzt losstürmten und noch im Laufen das Sprungtuch zwischen sich ausbreiteten.

Der Mann mit der Helmkamera blieb unterhalb des Fensters stehen und blickte in die Höhe, wo sich das schmale Gesicht einer jungen Frau über den Sims schob. Ihre langen Haare fielen wie schwarze Wasserfälle über ihre Schultern und tauchten das Gesicht in tiefe Schatten. Joe konnte erkennen, dass sie die Hand hob und sich ein Telefon ans Ohr hielt.

»Vertrauen Sie den Cops, und folgen Sie ihren Anweisungen«, hielt Joe sie an.

»Ja, wir ...«

Eine zweite Frau tauchte neben ihr auf und blickte in die Tiefe. Schon im nächsten Moment drehte sie sich erschrocken um.

Joe hörte einen Schuss, und ihm war, als würde mit dem donnernden Laut seine eigene kleine Welt in Stücke zerfetzt. Ein Ruck ging durch Sophia, dann sackte sie nach unten und war nicht mehr zu sehen.

Die zweite Frau blickte gehetzt in die Tiefe, wo das Einsatzteam das Sprungtuch gespannt hatte.

Springen Sie!, wollte Joe ihr zurufen, als ihm bewusst wurde, dass sie ihn durch Sophias Smartphone nicht hörte.

Für einen Moment war er geneigt, an Gedankenübertragung zu glauben. Die Frau schwang sich sportlich über den Sims, zögerte, dann ließ sie sich fallen.

Eine atemlose Sekunde verging, bis sie sicher in den Luftpolstern des Sprungtuchs landete.

Joes Blick streifte den seines Partners. Les Bedells Miene war zum Zerreißen gespannt.

Das zweite Einsatzteam war inzwischen im vierten Stock angekommen. Der Monitor zeigte grünstichige Nachtsichtaufnahmen aus einem finsteren Gang, kurz darauf tauchte die zerstörte Tür auf. Die Männer sammelten sich und stürmten den Büroraum.

Ihnen wie den Kollegen im Van bot sich ein Schreckensszenario. Ein Mann, kahl rasiert und mit einer schwarzen Armyhose und einer Bomberjacke bekleidet, stand einige Schritte vom Fenster entfernt und richtete eine Schusswaffe auf Sophia, die unter dem Fensterbrett kauerte.

Ihr Handy lag neben ihr, aber die Verbindung war noch intakt, sodass Joe die lauten Rufe des SWAT-Teams vernahm.

Der Bewaffnete sah erst so aus, als wollte er den Aufforderungen Folge leisten. Er nahm die Waffe hoch, schlagartig senkte er sie wieder und drückte ab.

Im selben Moment wurde auch er von mehreren Kugeln erfasst. Sein Körper zuckte unkontrolliert, dann sank er auf die Knie, und die Waffe rollte über den Teppich.

Sofort waren drei Männer des Einsatzteams über ihm, drückten ihn auf den Boden und legten ihm Handschellen an.

Ein vierter kümmerte sich um Sophia. Sie schien verletzt. Joe konnte sehen, wie ihr Helfer zum Funkgerät griff, um den bereitstehenden Notarztwagen zu verständigen.

Sophias Handy beachtete niemand. Joe kappte deshalb die Verbindung und gab das Telefon seinem Besitzer zurück.

Dann sah er Les an, sein Partner erwiderte den Blick mit einem Nicken, das keiner Worte bedurfte. Die Situation war unter Kontrolle, der Einsatz beendet. Für sie beide gab es hier heute Abend nichts mehr zu tun.

Captain Jeff Paulson versenkte eine Brausetablette im Wasserglas und beobachtete, wie sie blasenbildend an die Oberfläche stieg. Er wartete nicht darauf, dass sie sich komplett aufgelöst hatte, sondern nahm den ersten Schluck. Sein Sodbrennen, das ihn seit Jahren quälte, war in letzter Zeit schlimmer geworden. Nach Meinung seines Hausarztes das Ergebnis von zu fetter und reichhaltiger Ernährung. Paulson war dagegen fest davon überzeugt, dass es der Stress war, der in seinem Magen rumorte.

Er blickte kopfschüttelnd auf den Bericht auf seinem Schreibtisch, griff zum Telefonhörer und tippte die 1, die ihn mit seinem Vorzimmer verband.

»Haben Sie Officer Brandon und Officer Moore Bescheid ge...?«

»Die beiden kommen gerade zur Tür herein«, war die helle Stimme seiner Sekretärin zu hören.

Paulson räusperte sich. »Dann schicken Sie sie zu mir. Worauf warten Sie noch?«

Er knallte den Hörer auf die Gabel, verzog das Gesicht und nahm einen zweiten Schluck von dem scheußlichen Alka-Seltzer. Er hatte das Glas noch nicht wieder abgestellt, als die Tür aufflog, und die beiden Polizisten Paulsons Büro betraten.

Paulson verzichtete auf lange Begrüßungsarien und kam gleich zur Sache. »Ich habe eine Anfrage des Chiefs wegen des Geiseldramas in Parkchester.«

»Was ist damit, Captain?«, fragte Officer Brandon, ein hagerer Mittdreißiger mit einem roten Bart, der ihm das Aussehen eines schmächtigen Wikingers verlieh. Seine Frage war berechtigt. Die Geiselnahme, die das NYPD in Kooperation mit den Kollegen des FBI beendet hatte, fiel gar nicht in den Zuständigkeitsbereich ihres Reviers.

»Der Name des Amoktäters lautet Emilio Gabina«, sagte er. »Klingelt da vielleicht etwas?«

Die beiden Cops sahen sich verwirrt an. Wenn sie ahnten, worauf die Frage abzielte, ließen sie es mit keiner Regung erkennen.

Paulson lehnte sich zurück und schob die losen Blätter des ausgedruckten Berichts zusammen. »Vergangenen Dienstag meldete sich ein anonymer Anrufer in unserer Notrufzentrale und gab an, ein Mann namens Emilio Gabina würde seine Frau mit einer Waffe bedrohen. Zwei Kollegen, die gerade in der Nähe waren, nahmen sich der Sache an, zogen allerdings unverrichteter Dinge wieder ab ...«

»Gabina war sauber«, verteidigte sich Officer Moore gegen den unausgesprochenen Vorwurf. »Obwohl wir keinen Durchsuchungsbeschluss hatten, ließ er uns in die Wohnung. Wir durften uns ungehindert umsehen und konnten sogar mit seiner Frau sprechen. Mrs Gabina bestätigte, dass es sich um falschen Alarm gehandelt hat.«

»Die Situation war vollkommen harmlos«, bestätigte Brandon. »Die Schwiegermutter und ein weiterer Verwandter saßen mit im Wohnzimmer. Die vier spielten eine Runde Canasta. Keiner war angetrunken oder legte aggressives Verhalten an den Tag.«

Paulson spürte Magensäure in seiner Speiseröhre aufsteigen und nahm einen weiteren Schluck. »Mein Problem ist, dass die Presse Wind von der Sache bekommen hat und bereits unbequeme Fragen stellt. Der Chief sitzt mir deshalb im Nacken. Wenn es also irgendetwas gibt, dass Sie beide in Ihrem Bericht verschwiegen haben ...«

»Es ist, wie wir gesagt haben«, versicherte Moore. »Und wenn die Pressefuzzis Mrs Gabina befragen, wird sie ihnen dasselbe sagen.«

Paulson nickte grimmig. »Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, schlampig zu arbeiten oder Hinweise aus der Bevölkerung nicht ernst genug zu nehmen. Irgendjemand wusste, dass Gabina eine Gefahr für sein Umfeld, insbesondere für seine eigene Ehefrau darstellt. Der Informant hat es uns wortwörtlich so mitgeteilt.«

»Sir, wir ...«

Paulson brachte Brandon mit einer Handbewegung zum Schweigen und fuhr ansatzlos fort. »Ihre Aussage, dass es bei Ihrem Eintreffen keinen Hinweis auf eine Bedrohung gab, wird zum Glück durch ein kleines, aber wichtiges Detail untermauert. Die ermittelnden Kollegen haben Kenntnis darüber, dass Gabina am Morgen der Tat erfuhr, dass seine Frau ihn betrügt, was vermutlich erst zu seiner Kurzschlusshandlung geführt hat.«

Moore zog die Stirn in Falten und kratzte sich am Kopf. »Wie konnte der anonyme Tippgeber das eine Woche im Voraus wissen?«

»Vielleicht ist er ein Hellseher«, gab Paulson bissig zurück.

Wahrscheinlicher war, dass er sich im direkten Umfeld der Gabinas bewegte. Vielleicht hatte er mitbekommen, dass sich der Mann eine Waffe besorgt hatte, und nur zufällig die richtigen Schlüsse gezogen. Doch das konnte Paulson egal sein. Ihm war nur wichtig, dass seinen Leuten kein Vorwurf gemacht werden konnte. Und das wiederum ließ sich anhand der Faktenlage durchaus glaubhaft argumentieren.

Sechs Tage später

Die ehemalige Kfz-Werkstatt lag im Norden von Staten Island und wirkte wie einer jener Lost Places, die irgendwann in Vergessenheit geraten waren. Direkt hinter dem umzäunten Grundstück erstreckten sich noch die Gleise, die zu der alten Metrostation führten. Mit der Stilllegung des Gewerbegebiets hatte auch für sie kein Bedarf mehr bestanden. Heute waren die Gleise verrostet und von Gras überwuchert. Und in der alten Station nisteten Ratten und Insekten.

Detective Carmichael hämmerte mit der Faust gegen die eingedellte Kunststofftür eines quadratischen Pavillons, der früher die Büros beherbergt hatte. Heute wirkte er genauso verlassen wie der gesamte Rest des Grundstücks. Die einzige Antwort auf sein monotones Klopfen war das weit entfernte Gebell eines Hundes.

Carmichaels Partner, Detective Johnson, hatte bereits damit begonnen, die Garage von außen zu inspizieren. Das demolierte Rolltor stand eine halbe Armlänge offen. Vermutlich ließ es sich gar nicht mehr komplett schließen. Johnson beugte sich hinunter und leuchtete mit der Stablampe ins Innere.

Carmichael klopfte noch einmal unmotiviert an die Tür des Pavillons und rief den Namen des Mannes, wegen dem sie gekommen waren.

»Mister Murkowski? NYPD! Wir müssen mit Ihnen sprechen.«

Der alte Dodge Challenger, der im Hof parkte und auf Murkowski zugelassen war, verriet, dass der Gesuchte hier sein musste. Wenn ihr Tippgeber recht hatte, dann hatte er allerdings guten Grund, sich vor den Behörden zu verstecken. Nützen würde ihm das nichts. Der richterliche Durchsuchungsbeschluss gab ihnen das Recht, jeden Stein auf dem Grundstück umzudrehen. In Murkowskis Anwesenheit oder ohne ihn.

Johnsons Pfiff ließ Carmichael herumfahren. Er trat an seinen Partner heran, der in der Hocke saß und die Hände um den unteren Rand des Rolltors gelegt hatte.

»Pack mal mit an«, sagte er leise. »Das Ding lässt sich öffnen. Hat sich nur etwas verklemmt.«

Begleitet von einem metallischen Quietschen stemmten sie das Tor so weit auf, dass sie gebückt darunter hindurchgehen konnten.

Johnson schaltete seine Taschenlampe ein und ließ den breiten Lichtkegel durch die Garage wandern. Obwohl sie schon lange leer stand, hing noch immer der Geruch von altem Öl und Autoabgasen in der Luft.