Jerry Cotton 3512 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3512 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In einem christlichen Begegnungscenter, das im kalifornischen Sonora Junction an der Kreuzung zweier Highways lag, starben mehrere Menschen, als ein vermeintlicher Amoklauf stattfand. Es handelte sich um zwölf Opfer, die keinerlei Verbindungen aufwiesen und vom Schützen offenbar willkürlich ausgesucht worden waren. Unter den Toten befand sich jedoch unerkannt ein Zeuge, der in einem großen Prozess gegen ein Syndikat in New York aussagen sollte. Umberto Ferraro, der zwölfte Tote. Er stand unter Zeugenschutz des US Marshals Service. Der Fall schien eindeutig, bis weitere Mordanschläge folgten ...

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Der zwölfte Tote

Vorschau

Impressum

Der zwölfte Tote

Alles sah nach einem Amoklauf aus, ausgerechnet in einem der beliebtesten Tourismusgebiete der USA. Doch als sich der Rauch des Massakers verzogen hatte und wir die zwölf Toten zählten, da passte einiges nicht zusammen. Weder der Suizid des vermeintlichen Amokläufers, dessen Herkunft auf eine religiös motivierte Tat hindeuten sollte, noch die benutzte Waffe. Meine Zweifel hatte ich jedoch vor allem, weil unter den Opfern ein Zeuge der Staatsanwaltschaft war, der unter dem Schutz der U.S. Marshals stand.

Als der erste Schuss fiel, nahmen die meisten das sicher nur als dumpfen Knall wahr, mehr wie ein Ploppen. Blicke richteten sich zur Decke, wo bunte Ballons hingen. Vielleicht war einer geplatzt? Auch als Tony MacCallan einen Augenblick später in die Knie ging, ahnte niemand etwas von einem sich anbahnenden Massaker.

MacCallan hatte ein Alkoholproblem. Jeder der Anwesenden im christlichen Begegnungszentrum wusste, dass er gerne mal einen über den Durst trank. Oder zwei oder drei. Vor allem an den Festtagen, wenn er sich einsam fühlte. Das war auch der Grund, weshalb er das Zentrum aufsuchte. Da er ein Trinker war, der sich aus Einsamkeit betrank, hoffte er, in der Gemeinschaft von Menschen den Alkohol sein lassen zu können. Als MacCallan zusammenklappte wie ein Taschenmesser, mussten das die meisten Umstehenden seiner Alkoholsucht zuschreiben.

Tony MacCallan ging würgend auf alle viere. Einige der anwesenden Frauen wandten sich angewidert ab, weil es so aussah, als würde sich MacCallan gleich über die neue grüne Styropormatte erbrechen, die das Zentrum kürzlich dank einer Spende für die Kinder angeschafft hatte. Auf der Matte war ein Spiel aufgedruckt, das man im Sitzen spielen konnte. Bei genauerem Hinsehen sah Tony MacCallan nicht so aus, als wollte er mitspielen.

Der zweite Schuss galt Eve Buchowski. Sie saß wie immer an der Registrierkasse und tippte von Hand. Das Begegnungszentrum konnte sich keine moderne Kasse mit Digitalanzeige und Scanner leisten. Das war Eve Buchowski recht, denn solange diese antiquierte Kasse bedient werden musste, hatte sie ihren Job auf sicher. Dabei ging es ihr weniger um die paar Dollar, die dieser Verein ihr zahlen konnte. Außerhalb des Begegnungszentrums war sie ein Nichts. An den Tagen, an denen sie hier immerhin den ganzen Tagesumsatz verwaltete, galt sie etwas. Trotz der vielen Fehler, die sie beim Tippen machte und die sie dann abends noch in Ordnung bringen musste. Die Wucht des Geschosses, das ihre Brust durchschlug und an ihrem Rücken austrat, drang selbst noch in die alte Registrierkasse hinter ihr ein.

Bevor die Frau an der Kasse leblos von ihrem Stuhl glitt, löste sich bereits der dritte Schuss. Bo Donaghue war Rentner und ein leichtes Ziel. Er hatte seit Langem einen Lieblingsplatz, die Bank gleich neben dem Springbrunnen, und er sah es nicht gerne, wenn sich jemand anders dort hinsetzte. Außerdem mochte er es nicht, wenn Leute ihre Kinder mitbrachten und diese lärmend herumrannten, aber er enthielt sich meist eines Kommentars. Donaghue war nicht besonders gläubig, doch er wusste mit seiner Zeit nichts anderes anzufangen. Dass seine Zeit am heutigen Nachmittag zu Ende ging, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Sonst hätte er vielleicht noch getan, was er sich vor seiner Pensionierung vorgenommen hatte. Fischen gehen. Endlich Golf lernen. Und vor allem mehr Zeit mit seinen Enkeln verbringen, die ihn kaum kannten. Das Projektil, das seinen Schädel zerschmetterte, setzte diesen Plänen ein Ende.

Menschen kreischten, als Bo Donaghue plötzlich ohne Kopf auf seiner Bank saß. Wo sein Schädel gewesen war, ragte nur ein blutiger Stumpf aus seinem Körper empor wie der Strunk eines gefällten Baums.

Als sich Pastor Jonathan W. Crawford klar wurde, dass sich ein schreckliches Verbrechen in seinem Begegnungszentrum abspielte, tauchte er geistesgegenwärtig unter das Pult, an dem er üblicherweise die Gäste begrüßte und am Computer eintippte, welcher Gast der heutigen Einladung gefolgt war. Auf allen vieren kroch er unter seinen Schreibtisch. Sein grauer Rollkragenpulli verlieh ihm das Aussehen einer Schildkröte, und wenn er gekonnt hätte, dann hätte er jetzt seinen Kopf eingezogen, bis er unter dem Rollkragen nicht mehr zu sehen gewesen wäre. Mit Händen, die nicht aufhören konnten zu zittern, wählte er die 911 auf seinem Mobiltelefon.

»Was ist Ihr Notfall?«

Crawford japste nach Luft. Er konnte kaum sprechen und sagte das erstbeste Wort, das ihm in den Sinn kam. »Amoklauf!«

Hinter sich hörte er das bösartige Fauchen des Schalldämpfers. Er schlotterte am ganzen Körper. Doch die Kugel galt nicht ihm. Er erkannte die Person, die tot neben ihm zu Boden glitt, obwohl ihr das halbe Gesicht fehlte. Das war Rosegard Azurro. Ihre größte Sorge war die nationale Verschuldung gewesen, weshalb sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit jedermann im Begegnungszentrum darauf hingewiesen hatte, dass die Regierung das Geld am falschen Ort gab. Was sie eigentlich meinte, war, dass die Regierung das Geld besser mal denen zukommen lassen sollte, die es auch wirklich verdienten, und damit hatte sie sich selbst mit eingeschlossen. Es war ein abstrakter Gedanke, der Jonathan W. Crawford durch den Kopf schoss, als die tote Frau schlaff auf dem Boden neben seinem Schreibtisch landete, aber er dachte, dass sich die gute Rosegard nun nicht mehr über die nationale Verschuldung sorgen musste.

»Sir? Ist der Täter noch im Gebäude?«

Die Polizeizentrale hatte ihre Frage wiederholt, als Crawford nicht geantwortet hatte. Seine Zunge war wie gelähmt. Dann schrie er es förmlich heraus: »Er schießt wie wild um sich!«

Crawford bedauerte seinen lauten Ausruf im selben Moment. Was, wenn er den Killer nun auf sich aufmerksam gemacht hatte?

Doch der Killer war mit einer anderen Person beschäftigt. Denn während die rund fünfzig Anwesenden nun Deckung suchten oder sich wimmernd auf dem Boden niedergelassen hatten, spurtete eine einzige Person auf den Schützen zu wie ein Verrückter. Das war Ronny Temple. Er hatte in der Highschool Football gespielt. Er war der Quarterback der Huskys der Mammoth High School gewesen, und solange er für das Team gespielt hatte, waren die Huskys ungeschlagen. Wäre nicht eine Knieverletzung dazwischen gekommen, hätte er es vielleicht bis in die Profiliga gebracht.

Knie hin oder her, er hielt sich immer fit, er lief alle paar Tage zehn Meilen und machte morgens nach dem Aufstehen zwanzig Liegestütze und doppelt so viele Rumpfbeugen. Als er den Killer sah, der sich seelenruhig sein nächstes Ziel aus der Menge aussuchte, da warf sich Ronny vorwärts. Er kam aus der geduckten Haltung hoch und stürmte vor, als müsste er den Ball über die gegnerische Ziellinie bringen. Sein lädiertes Knie schrie sicher protestierend auf, heute würde Ronny Temple nicht darauf hören. Er sah so aus, als würde er diesen Gegner mit ganzer Wucht umhauen und ihn auf den Boden werfen. Seine Sportlichkeit und sein eiserner Wille, für das Team einen Punkt zu holen, halfen Ronny an diesem Tag allerdings nichts. Als der Schütze ihn kommen sah, richtete er ganz einfach die Mündung auf ihn. Er drückte nur einmal ab.

»Sir, legen Sie nicht auf«, sagte die Frau in der Einsatzzentrale. Anrufe auf der 911 konnten nicht zurückverfolgt werden. Daher war es wichtig, dass der Anrufer in der Leitung blieb. Jonathan W. Crawford hatte der Zentrale bereits atemlos die Adresse genannt: das christliche Begegnungszentrum in Sonora Junction.

»Hilfe ist unterwegs.«

Jonathan W. Crawford glaubte nicht, dass er das Eintreffen der Polizei noch erleben würde. Sonora Junction lag siebzig Meilen vom Mammoth Lake Police Department entfernt. Selbst wenn die Polizei im Höchsttempo den Highway 395 herauffuhr, hätte dieser sündige Mensch genug Zeit, jeden der Anwesenden umzubringen – einschließlich ihn. Pastor Crawford konnte nicht aufhören, an seine Todesanzeige zu denken. Spätestens dann würde man ja wohl dahinterkommen, dass er sich das W in seinem Namen zugelegt hatte, das ihm gar nicht zustand. Er fand, es klänge irgendwie huldvoll. Dabei besaß er gar keinen Mittelnamen. Schon seltsam, dachte Jonathan W. Crawford, was einem durch den Kopf geht, wenn man auf das Ende wartet.

Die Gegend um Sonora Junction hatte in diesem Jahr einen Wirtschaftsabschwung erlebt. Eine ganze Anzahl von Leuten hatte ihren Job verloren. Von heute auf morgen. Es schien, als wäre die Region von einer Welle der Depression erfasst. Nicht wenige Menschen, die von der Kündigungswelle erfasst worden waren und heute das Begegnungszentrum aufgesucht hatten, erhofften sich etwas Verständnis und menschliche Wärme, das wusste Pastor Crawford.

Doch statt Verständnis und Wärme stieß Jeanne Theroux heute auf einen Mitmenschen, der ihr nie vorher begegnet war und der sie trotzdem unbarmherzig in den Tod schickte, ohne mit der Wimper zu zucken. Jeanne Theroux hatte von Sozialhilfe gelebt und zwei Kinder durchzufüttern, nachdem ihr Mann mit einer Immobilienmaklerin abgehauen war. Freunde hatten ihr zwar im Vertrauen gesagt, dass ihr Mann es auswärts treibe, aber sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Sie hatte stets an das Gute im Menschen geglaubt. So war sie auch heute nach Sonora Junction gekommen, weil sie für sich und ihre Kinder einen neuen Ehemann suchte. Einen ehrlichen Menschen. Jeanne Theroux war Tote Nummer sechs.

Blanche Martin war eine schwarze Kreolin aus New Orleans. Sie hatte sich in Kalifornien nie an die vielen Einschränkungen gewöhnen können, die im Namen der Gesundheit angeordnet werden – meist der Gesundheit anderer. Wie immer sehnte sie sich nach einer Zigarette. Vor ein paar Jahren hatten Raucher draußen auf dem Vorplatz noch eine qualmen dürfen, doch jetzt Crawford diesen Aschenbecher entfernt. Natürlich, Blanche Theroux fürchtete bei jedem Lungenzug, dass sie dafür mit Lungenkrebs bezahlen würde. Gott war diesbezüglich unbarmherzig. Lungenkrebs war an diesem Sonntag, der in die Geschichte von Sonora Junction eingehen würde, ihr kleinstes Problem. Die Kugel traf ihr siebtes Ziel, als Blanche Theroux auf einem der billigen Plastikstühle saß und sich bestimmt nach einer Zigarette verzehrte.

Der Schütze verschwendete seine Kugeln nicht. Nur für ein einziges Ziel hatte er zwei Schüsse gebraucht. Joseph Buckman hatte gerade eine Handvoll Münzen in den Automaten geworfen, um sich eine Cola zu holen, und bückte sich, als die Flasche ins Ausgabefach rollte. Das war der Grund, dass der erste Schuss ihn verfehlte. Das schwere Kaliber durchschlug den Getränkeautomaten. Schaum zischte aus einer Dose. Die zweite Kugel traf, und Joseph Buckmans Durst hörte auf zu existieren.

Cliff Wellmanns Gesicht, das vorhin noch eine gute Farbe hatte, gebräunt von der kalifornischen Sonne, war nun eine Mischung aus Gelblich und Grün. Seine Augen traten blicklos aus ihren Höhlen. Er hatte im letzten Sekundenbruchteil seines Lebens seinen Mörder gesehen. Eine Gestalt ganz in Schwarz, über den Kopf hatte sie sich eine lederne Sturmhaube gezogen. In die Augen konnte Wellmann seinem Mörder nicht blicken. Der Unbekannte trug eine polarisierte Schutzbrille, wie sie Schützen im Schiesstand verwendeten. Wellmann war selbst Jäger gewesen, er hatte in der letzten Saison oben in der Sierra einen kapitalen Bock erlegt.

Zehn Körper lagen leblos am Boden, und niemand der Anwesenden unternahm einen weiteren Versuch, den Killer davon abzuhalten, das Dutzend vollzumachen. Die maskierte Gestalt durchmaß mit ruhigen, weiten Schritten in Kampfstiefeln das runde Begegnungszentrum, in dem die Menschen wimmernd auf dem Boden lagen und darauf warteten, wer als Nächster an die Reihe kommen würde.

Karin Krebs verzog das Gesicht zu einer verzweifelten Grimasse. Jetzt, in diesem Moment ihres Lebens, das sie es dahinschwinden sah, musste ihr völlig egal sein, dass sich auf ihrem Küchentisch die unbezahlten Rechnungen türmten. Es musste ihr egal sein, dass sie keinen Ehemann finden konnte und beim Erbstreit mit ihren Schwestern leer ausgegangen war, weil ihre Eltern in Deutschland sie ausgeschlossen hatten, nur darum, weil sie ihr Vaterland verlassen und in die USA gezogen war. Sie musste es in dem Moment erkennen, als sie in die kalte Mündung der Waffe blickte.

Urano Fernanda war italienischer Abstammung, und obwohl seine Familie schon seit Generationen in New York lebte und Little Italy zu ihrer Heimat gemacht hatte, verstand er sich dennoch als Italoamerikaner, der die alte Heimat nicht vergaß. Er liebte Pasta di Aldo, seine Mamma und Juventus Turin. All das vermisste er hier an der Westküste.

Er wurde der zwölfte Tote.

Ich konnte es in meiner Magengrube fühlen, als der Learjet den Kurs änderte. Er ließ sich erst sinken, um dann eine weite Schleife nach Nordosten zu fliegen.

»Was ist los, drehen wir um?« Phil hatte es ebenfalls gemerkt.

Wie aufs Stichwort erschien der Co-Pilot im komfortablen Innenraum, in dem wir es uns bequem gemacht hatten. Wir waren eben erst in Los Angeles gestartet. Die Rückreise nach New York sollte wenige Stunden dauern. Wir hatten nichts Aufregendes hinter uns, reine Routine, nur eine Überwachung, aber mir und Phil fehlten einige Stunden Schlaf, die wir so bald wie möglich nachholen wollten. Nach einem Einsatz an der Westküste waren für uns zu Hause ein paar Tage Ruhe angesagt.

»Gentlemen, wir haben eben einen dringenden Funkspruch vom FBI New York erhalten. Mister High möchte mit Ihnen sprechen.« Der Co-Pilot bat uns, nach vorne zu kommen.

Im Cockpit reichte er mir seine Kopfhörer. Phil stülpte sich die Kopfhörer über, die als Ersatz an einem Haken baumelten.

Der Pilot nannte das Flugerkennungszeichen und rief die Zentrale. »New York, Cotton und Decker können Sie hören. Bitte sprechen Sie.«

Mr Highs Stimme drang an unsere Ohren. »Jerry, Phil, tut mir leid, dass ich Sie umleiten muss.«

Ich fragte den Chef nach dem Grund.

»Amoklauf in einem Begegnungszentrum, an der Kreuzung Sonora Junction.«

Amokläufer fielen nicht ganz in unsere Domäne. Wir warteten geduldig ab, bis der Chef zum Punkt kam.

»Unter den Toten befindet sich ein gewisser Umberto Ferraro. Der Name müsste Ihnen bekannt sein, Jerry.«

Ich sprach meine Antwort ins Bügelmikrofon. Ferraro war mir tatsächlich nicht unbekannt. Er hatte als Zeuge in einem unserer Prozesse ausgesagt. So viel ich wusste, sollte er demnächst noch einmal als Kronzeuge auftreten. Die Anklage gegen einen der großen Bosse war in Vorbereitung.

»Dazu wird es ja nun nicht mehr kommen«, konstatierte ich.

»Vielleicht Zufall, vielleicht nicht.«

Mit vier Worten hatte der Chef alles klargemacht. Wir sollten herausfinden, ob der New Yorker Boss das Zeugenschutzprogramm des U. S. Marshals Office geknackt hatte. Wenn ja, war die Jagd auf weitere Zeugen eröffnet. Wenn nicht, war der Amoklauf eine Sache für die örtliche Polizei.

Der zweistrahlige Jet beschrieb eine enge Linkskurve. Wir hielten uns an den Sitzen fest, um nicht gegen die Wand des Cockpits gedrückt zu werden. Das war nicht der Kurs zurück zum Flughafen LAX. Mr High nannte uns die neue Destination.

»Das U. S. Marshals Office nimmt Sie am Mammoth Yosemite Airport in Empfang. Der dortige Marshal ist zuständig für den Zeugenschutz.«

Durch das Fenster konnten wir bereits wieder das weite tiefe Blau des Pazifiks sehen, von dem wir uns eben verabschiedet hatten. Ich hatte mit auf das dunklere, vertraute Blau des Atlantiks gefreut. Es würde warten müssen.

Nachdem der Learjet des FBI zwanzig Minuten der Sierra Nevada gefolgt war und wir die schneebedeckten Bergspitzen zu unserer Linken gehabt hatten, setzte er mit quietschenden Reifen auf dem Airport auf. Durch mein Fenster konnte ich sehen, wie sich ein langer schwarzer Chevrolet Suburban 2500 HD neben der Landebahn in Bewegung setze, noch bevor wir ausrollten. Natürlich war der Wagen nicht markiert, doch ich wusste, dass es sich um das bevorzugte – und sehr wahrscheinlich gepanzerte – Fahrzeug des USMS handelte, des United States Marshals Service.

Der Co-Pilot entriegelte die Tür, womit er auch die Leiter ausfahren ließ. Der Fahrer des Chevy brachte den Wagen nur wenige Yards neben dem Flugzeug zum Stillstand, sodass wir bloß ein paar Schritte zu gehen hatten. Der Wind blies eisig von den Sierras herunter und zerrte an unseren Mänteln. Phil warf einen missbilligenden Blick zu den Schneekappen der Berggipfel.

»Hamilton Bogardes, Deputy Marshal des USMS.« Ein stämmiger, untersetzter Mann streckte uns die Hand entgegen, kaum dass unsere Füße wieder kalifornischen Boden betreten hatten.

Wir schüttelten ihm die Hand. Ihm war an einem fest zupackenden Handshake gelegen. Einer von denen, nach dem man sich die Finger einzeln sortieren musste.

Bogardes trug einen Trenchcoat und an einer Kette um den Hals seinen Deputy Marshal Badge, für jedermann gut sichtbar. Eher ungewöhnlich. Ich fand immer, dass sich Staatsbeamte in Zivil nicht gleich zu erkennen geben brauchten. Polizisten, die Wert auf diese Zurschaustellung legten, waren meist junge Macker mit zu viel Testosteron im Blut. Aber ich wollte den Deputy nicht aufgrund eines ersten Eindrucks in diese Ecke stellen.

Er hatte den Motor laufen lassen. Im Gitter des Kühlers drehte sich eine Sirene.

»Beeilung. Der Täter ist möglicherweise noch vor Ort.«