Jerry Cotton 3520 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3520 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Staatsanwalt Mike Hearn wurde auf offener Straße erschossen. Eine blondgelockte Frau entfernte sich vom Tatort. Bald darauf fand man den Gerichtspsychologen Frank Ferguson nackt und tot in seinem Apartment. Sein Kopf steckte in einer Fetischmaske. Mutmaßliche Täterin war eine schwarzhaarige Schönheit. Beiden Taten konnten private Motive zugrunde liegen. Bald wurde allerdings klar, dass die Morde eine ganz andere Dimension hatten. Und auch Phil und ich gerieten auf die Todesliste der Killer!

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Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Pakt der Killer

Vorschau

Impressum

Pakt der Killer

Der Morgen dämmerte herauf, als Staatsanwalt Mike Hearn aus der Tür der Good Judy Bar in Brooklyn heraustaumelte und sich anschickte, über die regennasse Straße den Heimweg anzutreten.

In der von Feuchtigkeit getränkten Luft verschwammen die Lichtkegel der Laternen in Hearns Kopf zu vibrierenden Energiefeldern. Mit leichter Panik registrierte er, dass der Alkohol es ihm schwermachte, sich auf den Beinen zu halten. Wütendes Hupen verriet ihm, dass er auf die Fahrbahn geraten sein musste.

Jemand packte ihn am Arm und riss ihn jäh zurück.

»Wär' fast schiefgegangen, Kumpel«, sagte eine Männerstimme.

Hearn versuchte krampfhaft, sich auf das Gesicht seines Retters zu konzentrieren. Was er sah, waren blondgewellte Haare und ein blutrot geschminkter Mund, der sich zu einem breiten Grinsen öffnete.

»Ich muss auf Nummer sicher gehen«, sagte die Stimme.

Den trockenen Knall des ersten Schusses hörte Hearn kaum noch.

Es war ein Treffen auf höchster Ebene.

Die New Yorker Cosa-Nostra-Bosse Elaine Ruggero und Toni Mancini hatten ganz oben in einem vierzigstöckigen Glaspalast an der Fifth Avenue zu einem konspirativen Treffen geladen.

Elaine stand am Fenster, mit dem Rücken zu dem kleinen Raum, in den sie sich mit dem Paten der Mancini-Familie zurückgezogen hatte. Gegen ihre Gewohnheiten hatte sie sich als Lady verkleidet, das kleine Schwarze angelegt, wie sie es ironisch nannte.

Sie warf einen zerstreuten Blick auf die maskuline Rolex Daytona, für die sie schlappe dreißigtausend Dollar hingeblättert hatte.

Neun Uhr. Auf die Sekunde.

Eine gute Zeit, um Geschäfte zu machen. Früh genug, dass die Menschen noch nicht entnervt im trägen Strom ihrer alltäglichen Verrichtungen dahintrieben. In der sie offen waren für Einflüsterungen und Manipulationen.

»Keine Sorge, du siehst richtig edel aus.« Toni hockte breitbeinig auf einem für seine imposante Gestalt viel zu niedrigem Stuhl und rauchte. Er lächelte mit der Selbstgewissheit eines Mannes, der sich für unwiderstehlich hielt.

Elaine Ruggero klappte den Schminkspiegel zu, nachdem sie ihr sparsames Make-up überprüft hatte, und verstaute ihn in ihrer beigefarbenen Gucci-Tasche.

»Nettes Kompliment«, sagte sie leichthin. Doch sie wusste selbst, was ihre Augen ausdrückten: nichts als Abweisung und Härte.

Kein Wunder, Toni war mit seinen siebzig Lenzen dreißig Jahre älter als sie und mit seiner knittrigen eingedrückten Boxervisage weiß Gott kein Prachtexemplar betörender Männlichkeit. Jedenfalls nicht, wenn man wie Elaine junge, gut riechende Menschen mit glatter Haut und perfekten Umgangsformen bevorzugte.

Toni konnte trotz seines dunkelblauen Tausenddollaranzugs nicht verhehlen, dass er einer lausigen sizilianischen Bauernfamilie entstammte. Bestenfalls mochte man ihn aufgrund seiner grobschlächtigen Manieren als modernen Barbaren bezeichnen. Diese Rohheit war gepaart mit einem Hang zum Närrischen und Selbstdarstellerischen.

Elaine hingegen war die Tochter einer genuesischen Familie, die mit schmutzigen Immobiliendeals auf Platz zehn der prominentesten Bürger der norditalienischen Stadt vorgerückt war und als besonders vornehm galt. Ihre Eltern liebten Opernmusik oder taten immerhin so. Elaine stand seit jeher auf düsteren Rock, mochte aber auch klassische Romantik und den Gesang von Jeanne Moreau. Alle Musik eben, die machtvolle Energien heraufbeschwor.

Vor Beginn der Konferenz hatte sie mit Toni noch mal allein sprechen wollen, um ihm etwas Wichtiges zu verklickern. Gegenüber, auf der anderen Seite des endlosen Flurs, warteten die Repräsentanten der übrigen Clans darauf, dass es losging. Einige Bosse waren selbst erschienen, andere hatten einen oder gleich mehrere Stellvertreter geschickt. Sie kamen aus Columbus in Ohio, Lansing in Michigan, Austin in Texas, Boston in Massachusetts und Chicago in Illinois. Mit New York waren heute also sechs Bundesstaaten vertreten.

Bisher hatte Toni geduldig darauf gewartet, dass Elaine mit ihrem Anliegen herausrückte.

»Also«, drängte er nun schroff, »was liegt noch an? Ich denke nicht, dass du mir deine Schminkkünste vorführen wolltest.«

Elaine gab sich einen Ruck.

»Du musst etwas wissen.« Sie presste kurz die Lippen zusammen, ehe sie weitersprach. »Was wir hier anzetteln, ist ein Riesending. Falls einer deiner Leute uns verrät, mache ich dir die Hölle heiß.«

Toni zog geräuschvoll die Nase hoch. »Was soll das heißen, General?«

Sie mochte es nicht, wenn er sie so nannte, nur weil es in ihrem Clan so üblich war.

»Stell dich nicht dumm, Toni. Vor zwei Monaten hat das FBI einen deiner Revolverhelden weichgekocht, Ed Snyder. Der Kerl hat 'ne Menge ausgeplaudert und dich ganz schön reingeritten.«

»Na und? Ich meine, er war lebensmüde, hat sich im Knast einen Strick um den Hals gelegt, damit war der Fall erledigt. Warum kommst du mir jetzt mit dem Mist?«

»Geht mich nichts an, meinst du?«

»Richtig.«

»Stimmt, und es würde mich auch einen Scheiß interessieren, was in deiner Familie schiefläuft. Nur jetzt sind wir Partner. Falls du deine Leute künftig nicht im Griff hast, bedroht es mich auch, capisci?«

Toni fletschte grimassenhaft die Zähne und schwieg.

»Sind wir uns einig?«, fragte Elaine unbeeindruckt.

»Du solltest mir nicht drohen.«

»Nenn es, wie du willst. Ich möchte, dass Klarheit herrscht zwischen uns.«

Toni setzte erneut sein Lächeln auf, dieses Mal wirkte es gefräßig und angriffslustig. »Ich denke, ich sollte ich es dir mal so richtig besorgen. Vermutlich würde das unsere Beziehung entspannen.«

»Das würdest du nicht überleben«, stellte Elaine sachlich fest.

»Okay«, gab sich Toni versöhnlich, »wir haben Besseres zu tun, als uns gegenseitig mit Dreck zu bewerfen.«

Elaine hob abwehrend die Hände. »Du hast dich nicht im Griff, Toni, das ist dein Problem. Und du hast keinen Respekt.«

Toni zuckte genervt mit den Schultern, schnipste seinen Zigarettenstummel auf den Teppichboden und zerquetschte ihn mit dem Schuhabsatz.

»Also schön«, knurrte er, »war's das?« Er stemmte sich aus dem Stuhl hoch. »Man wartet auf uns.«

»Moment mal!«, hielt Elaine ihn auf.

»Was?«, stieß er ungehalten hervor.

Sie deutete in die Richtung des Konferenzraums. »Hast du ihre skeptischen Gesichter gesehen?«

»Keine Ahnung, ist das wichtig?«

»Was, wenn sie auf die Idee kommen, wir wollten sie unserem Kommando unterwerfen, um an ihren Geschäften mitzuverdienen?«

»Sie haben dasselbe Problem wie wir. Der Unterschied ist, wir können es lösen. Wir haben Hearn erledigt, und das ist erst der Anfang. Spätestens wenn sie feststellen, dass wir diesem Staat gewaltig in die Eier treten, werden sie uns aus der Hand fressen.«

»Sie sind Wölfe, Toni, sie fressen niemandem aus der Hand.«

Er trat auf sie zu und starrte ihr stumm in die Augen. Es war seine Masche. Da er einen Kopf größer war als sie und doppelt so breit, hoffte er wohl, sie damit zu beeindrucken. Elaine musterte demonstrativ seine gekräuselten gelblichen Haare, die dunklen stechenden Augen, die tief in den knochigen Höhlen lauerten, und die dünne, fleckige Haut, die sich über die wulstigen Wangenknochen spannte. Befriedigt spürte sie, wie ihn das verunsicherte.

»Hör zu, General, wir beide haben einen Pakt geschlossen«, sagte Toni. »Und wir wollen andere Cosa-Nostra-Familien daran beteiligen. Das schaffen wir nur, wenn wir gleich einen starken Auftritt haben.« Seine heisere Stimme war eine Etage tiefer gerutscht und klang wie das Grollen eines aufziehenden Gewitters. »Aber wenn du so daher quatschst, denke ich, du hast es nicht drauf. Vielleicht hätte ich 'ner Frau nicht so viel zutrauen dürfen.«

Schwere Männer fallen schwer. Der Spruch fiel Elaine unversehens ein und erheiterte sie. Auch für Toni würde eine Kugel reichen, um ihn aus den großen Stiefeln zu heben. Sollte es an der Zeit sein, würde sie dafür sorgen.

»Komm«, forderte sie Toni auf, »stellen wir uns der Meute!«

Schulterzuckend wandte sich Toni von ihr ab und stapfte zur Tür.

Elaine folgte ihm lächelnd.

Um neun Uhr am Donnerstagmorgen war Mr High von einer Reise nach London zurückgekehrt, wo er mit Director Fuller an einem internationalen Symposium von Leitern westlicher Ermittlungsbehörden teilgenommen hatte. Es war um den gemeinsamen Kampf gegen die organisierte Kriminalität gegangen. »Krieg gegen den Staat«, hatte das Thema gelautet.

Unterschiedliche Mafiaverbindungen bedrohten zunehmend die innere Sicherheit und Integrität der demokratisch verfassten Staaten: durch offene Gewalt und Infiltration sozialer und ökonomischer Strukturen sowie politischer Netzwerke. Aus diesem Grund hatte es in jüngerer Zeit immer häufiger Treffen wie das in der englischen Hauptstadt gegeben.

Noch während Mr Highs Abwesenheit hatte das Federal Bureau anonyme Hinweise darauf erhalten, dass sich die New Yorker Cosa-Nostra-Familien der Mancini und Ruggero verbündet hätten, um unter anderem gemeinsam Aktionen gegen FBI und NYPD durchzuführen. Allein dadurch gewann das Thema der Tagung für New York zusätzliche Aktualität.

Dass die Warnung ernst zu nehmen war, hatte die vorige Nacht erwiesen. Gegen halb sieben Uhr früh war Staatsanwalt Mike Hearn vor einer Bar in Brooklyn durch zwei Schüsse regelrecht hingerichtet worden. Hearn hatte die Anklage gegen Lupetto Genaro, einen Mobster des Mancini-Clans, vertreten, der als engster Vertrauter von Boss Toni und als sein Leibwächter galt. Genaro wurde beschuldigt, die schwarze Studentin Imani Kilomba vergewaltigt zu haben.

Seit zehn Uhr saßen Phil, Steve und ich mit Mr High am Besprechungstisch in seinem Office, um zu berichten, was wir bisher über den Mord wussten, und um das weitere Vorgehen zu besprechen.

»Haben Sie am Tatort mit dem Gerichtsmediziner gesprochen?«, fragte der Chef.

»Ja, er glaubt, dass der Schütze Hearn zuerst in den Kopf geschossen hat«, erwiderte ich. »Es gibt keine Stelle, wo die Kugel wieder ausgetreten ist. Der Doc vermutet, dass der Killer ein kleineres Kaliber benutzte. So ein Geschoss kann den Schädelknochen zwar durchschlagen, aber um auf der anderen Seite wieder auszutreten, reicht die Energie nicht aus. Die Kugel prallt ab und zieht eine weitere Bahn durch die Hirnmasse, prallt erneut ab. Wie eine schnell geschlagene Billardkugel. Dadurch wird das Hirn völlig zerstört, und der Tod tritt zwangsläufig ein.«

»Demnach ist der Täter ein Profi?«

»Ja, Sir, er ging auf Nummer sicher«, sagte Phil. »Und damit nicht genug, verpasste er Hearn eine weitere Kugel, die Brustraum und Herzmuskel durchschlug.«

»Verdammt kaltblütig«, kommentierte Steve, »wenn man bedenkt, dass er Hearn auf einer Straße erschossen hat, an der sich ein Vergnügungsschuppen an den anderen reiht.«

»Na ja, um fünf Uhr morgens ist in der Chester Street nicht mehr viel los«, schränkte Phil ein. »Dennoch gab es einen Zeugen, der auch die Polizei benachrichtigt hat. Einen älteren Mann, sein Name ist Benjamin Atkins, ein pensionierter Lehrer. Jerry und ich haben mit ihm geredet.

»Was hat er gesehen?«, wollte der Chef wissen.

»Eine Person, die auf dem Bürgersteig lag, und eine blonde Frau, die sich schnell von ihr entfernte. Nach Atkins' Schilderung starrte er ihr nach, bis sie in einer Seitenstraße verschwand.«

»Er hat nicht beobachtet, wie Hearn erschossen wurde?«

»Nein, Sir.«

»Warum hat er nicht schneller reagiert, Phil?«

»Atkins sagt, er sei zunächst wie hypnotisiert gewesen, was wohl auch an seinem Alkoholpegel lag. Erst als er näher an Hearn herangetreten sei, habe er realisiert, was da passiert sei.«

»Wir reden die ganze Zeit von einem männlichen Täter«, sagte der Chef. »Was ist mit dieser blonden Frau?«

»Die Frage haben wir uns auch gestellt«, erwiderte ich. »Vielleicht war sie lediglich eine weitere Zeugin, die keine Lust hatte, in irgendwas reingezogen zu werden. Ebenso gut könnte sie es natürlich auch sein, die Hearn getötet hat.«

»Hat Atkins keine weiteren Aussagen gemacht?«

»Nein, Sir, er stand unter Schock, es fiel ihm schwer zu sprechen. Wir müssen auf jeden Fall noch mal mit ihm reden.«

»Was machte er eigentlich in der Chester Street am frühen Morgen?«

»Er amüsierte sich in der Good Judy Bar«, antwortete Phil. »Als er auf die Straße trat, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, entdeckte er die reglose Gestalt auf dem Bürgersteig.«

»Was ist das Good Judy für eine Bar?«

»Eine, in der sich homosexuelle Männer mit einer Vorliebe für ausgefallene Garderobe treffen«, sagte ich.

»Haben Sie den Zeugen gefragt, ob sich Hearn auch in der Bar aufgehalten hatte?«

»Na ja, er hat Hearn gar nicht erkannt, was vielleicht auch daran lag, dass von dessen Gesicht nicht mehr allzu viel übrig war.

»Ich kannte Staatsanwalt Hearn gut«, erklärte Mr High stirnrunzelnd. »Er war streng konservativ und stellte sich immer als pflichtbewussten, wenn auch geschiedenen Familienvater mit eisernen moralischen Grundsätzen dar. Die kleine Tochter lebt bei der Mutter in Frankreich. Was also machte er in der Chester Street?«

»Vielleicht führte er ein Doppelleben«, sagte Phil.

»Das ist ein Aspekt, den wir berücksichtigen sollten«, gab Mr High zurück. »Es liegt zwar nahe, die Ermordung Mike Hearns in Verbindung mit seiner staatsanwaltlichen Tätigkeit zu bringen, weil Hearn Toni Mancinis Vertrauten Lupetto Genaro durch die Mangel drehte. Es wäre aber auch möglich, dass der Mord ein private Motiv hatte. Wir sollten in beide Richtungen ermitteln.« Er schwieg kurz. »Gibt es weitere Hinweise oder Spuren?«, fragte er dann in die Runde.

»Die Arbeit des Spurensicherungsteams hat bisher keine relevanten Ergebnisse gebracht«, erklärte Steve. »Immerhin wurde eine Patronenhülse entdeckt. Und das Projektil, das Hearns Leben auslöschte, wird sich noch in seinem Gehirn finden lassen. Wir werden also Rückschlüsse auf die Waffe ziehen können.«

Mr High nickte.

»Bedauerlicherweise sind die beiden Sicherheitskameras vor der Good Judy Bar defekt«, fuhr Steve fort. »Eventuell hat jemand in einem vorbeifahrenden Auto etwas mitgekriegt.«

»Oder die blonde Frau wurde irgendwo in der weiteren Umgebung der Bar von einem Passanten gesehen«, ergänzte Phil. »Die Medien könnten uns bei der Suche nach weiteren Zeugen helfen.«

»Kümmern Sie sich darum«, bat der Chef. »Und prüfen Sie auch, ob sie von Straßenkameras in der Umgebung der Bar gefilmt wurde.«

Phil nickte. »Geht in Ordnung, Sir.«

»Wer ist beim NYPD für die Ermittlungen zuständig?«, wechselte der Chef das Thema.

»Ein Lieutenant Jim Cooper«, antwortete ich. Er ist erst seit Kurzem in New York.«

»Wie ist Ihr Eindruck, Jerry?«

»Na ja, er hat eine ziemlich hohe Meinung von sich, steht damit aber ziemlich allein.«

»Genau genommen«, sagte Phil, »ist er ein aufgeblasenes Milchgesicht.«

Der Chef lächelte amüsiert.

»Ich denke, jetzt habe ich ein klares Bild vor Augen.« Das Lächeln verschwand, und ein Schatten fiel über sein Gesicht, bevor er sagte: »Teilen Sie Cooper vorerst nicht mit, dass wir diesen anonymen Anruf erhalten haben. Warten Sie damit, bis Sie ihn besser einschätzen können. Und sehen Sie ansonsten zu, dass Sie mit ihm zurechtkommen. Für die Presse wäre es ein gefundenes Fressen, wenn sich FBI und NYPD in die Haare gerieten.«

Ich nickte. Dieser Fall war heikel.

»Über die angebliche und tatsächliche Ohnmacht der Sicherheitsbehörden gegen die Machenschaften der international operierenden Mafia wurde bei der Londoner Tagung heiß diskutiert. Neben der Gefahr, die von der Mafia ausgeht, hat sich die Panikmache in den Medien zu einem ernsthaften Problem entwickelt.«

Das konnte ich mir lebhaft vorstellen.

»Besonders in den Vereinigten Staaten reagiert die Öffentlichkeit hochsensibel auf Hiobsbotschaften. Angeheizt wird die Stimmung in der Bevölkerung zusätzlich von populistischen Politikern wie Callum O'Daly. Der Bursche ist brandgefährlich. Er gießt Öl in die Flammen, um dann nach der Feuerwehr zu rufen. Er hat es auch darauf abgesehen, das FBI in den Schmutz zu ziehen, zumindest gibt es einige Äußerungen von ihm, die darauf schließen lassen. Falls er Ihnen auf den Pelz rückt, seien Sie auf der Hut. Aber geben Sie ihm ruhig Kontra.«

Es klang nüchtern und sachlich. Doch die winzige Pause, die Mr High vor dem Namen des republikanischen Politikers eingebaut hatte, stellte einen diskreten Hinweis auf seine Verachtung dar.

O'Daly war der Mann der Stunde. Er wurde von vielen Republikanern als potenzieller Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur gehandelt und tat sich großmäulig mit scharfmacherischen Parolen hervor.

Ich nickte nachdenklich. »Wenn es stimmen sollte, dass hinter der Ermordung von Staatsanwalt Hearn Toni Mancini steckt, müssen wir schnell handeln. Zumal, wenn Mancini unter einer Decke steckt mit Elaine Ruggero. Das Ganze käme einer Kriegserklärung gleich.«

»So sehe ich das auch«, sagte Mr High. »Das Dumme ist nur, dass Sie trotz aller Dringlichkeit besonnen vorgehen müssen. Wir stehen von allen Seiten unter verschärfter Beobachtung und dürfen uns keine Fehler leisten.«

»Wie sollen wir's anpacken, Sir?«, wollte Steve wissen.

»Sie und Zeerookah reden in Ruhe mit dem Zeugen Atkins. Vielleicht ist ihm inzwischen noch die ein oder andere Erinnerung gekommen. Jerry und Phil, Sie knöpfen sich noch mal Lupetto Genaro im Gefängnis vor. Sagen Sie ihm, Hearns Mörder zu erwischen, habe für uns oberste Priorität. Wenn er dabei helfe, könne er mit erheblicher Strafmilderung rechnen. Und statten Sie Toni Mancini einen Besuch ab. Versuchen Sie herauszufinden, worum es ihm geht und was er vorhat. Kristen und Dionne werde ich bitten, Elaine Ruggero auf den Zahn zu fühlen.«

»Wir wissen von unseren Informanten«, warf Steve ein, »dass beide Clans in Brooklyn Bars und Cafés unterhalten, die offiziell irgendwelchen Strohmännern gehören. Das Sidetrack ist das Stammlokal der Mancini-Truppe, dort treffen sich Tonis Capos und Soldaten. Es könnte einiges bringen, sich da mal umzuhören.«

»Gute Idee«, sagte Mr High. »Sie und Zeerookah übernehmen das. Und vergessen Sie alle nicht, auch nach privaten Motiven für den Mord an Hearn zu forschen. Vermeiden Sie dabei aber jede unnötige Indiskretion.« Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr. »Wenn ich jetzt aufbreche, komme ich gerade noch rechtzeitig zur City Hall. Bürgermeister Wayne interessiert sich für meine Erfahrungen in London.«

Nachdem Phil, Steve und ich uns mit Kristen Steele, Dionne Jackson und Zeerookah besprochen hatten, nahmen Phil und ich Kurs auf Rikers Island. Eine halbe Stunde warteten Phil und ich in einem Vernehmungszimmer des Gefängniskomplexes geduldig darauf, dass uns der Strafgefangene Lupetto Genaro zugeführt wurde.