Jerry Cotton 3531 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3531 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Passanten kreischten. Ein Mann schlug auf dem Boden unter dem Eiffelturm auf. Phil und ich hörten den dumpfen Aufprall. Der Mann war ein Agent des FBI. Wir kannten ihn nur unter seinem Codenamen in dieser Geheimoperation: Nummer 9. Ich hielt meinen Partner zurück, der zum Unfallopfer eilen wollte. Wir könnten nicht nur beobachtet werden, wir würden gefilmt - von Hunderten Überwachungs- oder Handykameras der Touristen. Wir befanden uns nicht in Paris, sondern unter dem nachgebauten, fünfhundertachtunddreißig Fuß hohen Eiffelturm im Spielerparadies Las Vegas, der Stadt mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras im Land. Und es dauerte nicht lange, da standen wir selbst auf der Todesliste!

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Ein Toter unterm Eiffelturm

Vorschau

Impressum

Ein Toter unterm Eiffelturm

Erst stieß der fallende Körper mit einer der Metallstreben zusammen. Das klang so hart, als schlüge ein Hammer auf einen Amboss. Dann landete der Mann mit einem grässlichen Geräusch auf dem Boden zwischen den metallenen Trägern des Eiffelturms. Es klang dumpf, als hätte man einen Mehlsack aus großer Höhe fallen lassen. Dass es nicht so war, sagte mir das folgende Kreischen von Passanten, die den Mann aufschlagen sahen.

Eine Frau warf bei diesem Anblick die Hände vors Gesicht. Ihr Mann nahm sie in den Arm, während er selbst den Blick nicht abwenden konnte. Die Faszination des Todes hatte auf manchen eine magnetische Wirkung. Unglaublich, aber ein Tourist hielt sein Handy hoch, um die Leiche zu filmen. Eine schon fast automatische Geste.

Obwohl der Tote mit dem Gesicht – oder was davon übrig war – nach unten lag, erkannten Phil und ich ihn gleich. Ein G-man lag tot unter dem Eiffelturm. Er trug wie wir einen schwarzen Anzug. Ich hielt meinen Partner am Ellenbogen zurück, als er instinktiv zu dem Kollegen rennen wollte. Dem Mann war sowieso nicht mehr zu helfen.

Phil verstand sofort und trat mit mir in der Menge zurück, die sich nun nach vorne drängte, um sich in einem Halbkreis um das Unglücksopfer zu versammeln. Halb angewidert, halb fasziniert. Als wäre den vielen Attraktionen dieser Stadt nun noch eine weitere gratis hinzugefügt worden. Und mehr und mehr Handys fotografierten. Manche der Gaffer redeten sich wohl ein, dass ein Fotodokument zur Aufklärung dieses Falls – und ein Fall war es im wahrsten Sinne des Wortes – den Behörden nützen würde. Langsam breitete sich unter dem toten Agent eine Blutlache aus.

Dieser Eiffelturm war kleiner als das Original, nur etwa halb so groß wie das Wahrzeichen von Paris. Die Nachbildung stand in Las Vegas und war fünfhundertachtunddreißig Fuß hoch. Immer noch genug, damit man sich bei einem Sturz von der oberen Plattform jeden Knochen brechen konnte.

Wir hatten den Mann zwar erkannt. Wir kannten ihn aber nicht unter seinem Namen. Wir kannten ihn nur unter seinem Codenamen in dieser Operation: Nummer neun.

Das Paris Las Vegas verfügte über einen eigenen Sanitätsdienst. Die meisten größeren Casinos beschäftigten Rettungssanitäter. Es kam täglich mehrmals vor, dass Spieler einen Kreislaufkollaps erlitten, wenn sie stundenlang vor dem einarmigen Banditen hockten. Andere sackten am Spieltisch mit einem Herzinfarkt zusammen, wenn sie einen hohen Betrag verloren. Oder gewannen.

Zwei dieser Sanitäter in Weiß rannten durch die Flügeltüren des Hauptportals. Bestimmt hatten sie sich auch schon mit Suiziden beschäftigen müssen. Das hatte das Spielerparadies so an sich. In Las Vegas konnte man die Freude am Leben ebenso genießen wie die Lust daran zu verlieren. Sie knieten sich neben Nummer neun und suchten nutzloserweise nach einem nicht mehr vorhandenen Puls.

Ich blickte am beleuchteten Metallgerüst hoch, das der französische Ingenieur Eiffel erdacht hatte und dessen Konstruktion hier so schamlos kopiert wurde. Oben an er Spitze war eine Webcam angebracht, die man online aufrufen konnte, um den Rundumblick über Las Vegas zu sehen. Auch an den vier Streben, die sich in die Höhe schraubten, filmten Kameras pausenlos. Wir waren nicht in ihr Blickfeld geraten. Und die Zuschauer fotografierten die Leiche, nicht uns.

Von hinten spürte ich mehrere Menschen gegen meinen Rücken drücken. Eine Männerhand fasste mich an der Schulter. Das war der Agent, den ich nur unter der Nummer sieben kannte. Er sah mich fragend an. Fast anklagend. Was immer er sich gerade dachte, welche Schlüsse er immer daraus zog, dass ich da war, als Nummer neun ums Leben gekommen war, er sprach es nicht aus. Er presste die dünnen Lippen zusammen, bis kein Blut mehr darin war.

Dann umringten uns die anderen Agents. Zehn waren wir insgesamt. Nach dem fatalen Sturz nur noch neun. Sie alle reagierten so geistesgegenwärtig wie Phil und ich. Ließen sich nicht dazu hinreißen, zum Kollegen zu eilen. Sie waren Profis. Und dennoch konnten sie in ihren Gesichtern die Bestürzung nicht so gut unterdrücken wie ihre Reaktionen.

Als sie sich vom Schock erholt hatten, einen Kollegen zu sehen, der nur noch ein Sack voller Knochensplitter war, da tauchte auch in ihren Gesichter die drängende Frage auf, und ich konnte es hinter ihrer Stirn arbeiten sehen. War es ein Unfall? Nein, wie konnte es ein Unfall sein. Wurde er gestoßen? Wenn ja, wie hatte der FBI-Spezialist seinen Mörder so nah an sich herankommen lassen? Doch nur, weil er ihn gekannt haben musste. Weil er ihm vertraute. Vielleicht, weil er einer von uns war.

Zwölf Stunden vor diesem tragischen Ereignis war das Kreischen der Reifen, als mein Flugzeug auf dem McCarran Airport in Las Vegas aufsetzte, wie ein Vorbote jener kreischenden Frau, die den Toten unterm Eiffelturm als Erste gesehen hatte. Dass sich die Ereignisse so schnell überschlagen würden, konnte ich nicht ahnen, als ich mit einem Linienflug der Southwestern Airlines aus LaGuardia ankam. Unser Field Office hatte Phil in einen anderen Flieger gesetzt, der von JFK aus gestartet war, ein Flug mit der Delta-Fluggesellschaft. Ein bequemer und glücklicherweise kurzer Flug. Wir kamen nur eine halbe Stunde voneinander an.

Noch im Sitz angeschnallt, konnte ich durch das Fenster sehen, wie andere Flugzeuge zum Anflug ansetzten oder bereits ausrollten. In jedem Flieger saß ein G-man. Insgesamt zehn Agents aus zehn verschiedenen Field Offices des FBI.

Wir hatten nur Handgepäck und erreichten von den verschiedenen Gates schnell den vorgeschriebenen Meeting Point. Ich konnte Phil sehen, wie er von einer anderen Seite her auf den Treffpunkt zuhielt. Er war gut gelaunt. So viel er wusste, handelte es sich lediglich um eine groß angelegte Übung des FBI. Mehr war ihm nicht gesagt worden, also durfte Phil sich erlauben, Urlaubsgefühle aufkommen zu lassen. Nicht einmal die WhatsApp, die ich ihm geschickt hatte, sobald mein Flieger den Boden berührte, hatte ihn offenbar daran zweifeln lassen, dass wir in der Spielerstadt zur Abwechslung ein paar ruhige Tage verbringen würden.

Lass dir nicht anmerken, dass du mich kennst, alter Knabe.

Er sandte als Antwort ein fragendes Emoji, worauf ich ihm textete: Das gehört zur Übung.

Als wir gleichzeitig am verabredeten Treffpunkt in der Empfangshalle von Terminal 1 eintrafen, hatte Phil sein Pokerface aufgesetzt.

Jemand rempelte mich von der Seite an. Ich zuckte in einer Abwehrreaktion zusammen. Es handelte sich um einen ankommenden Touristen, der es wohl nicht abwarten konnte, die Geldspielautomaten zu füttern. Ebenso wenig wie Las Vegas es abwarten konnte, die Touristen auszunehmen. Die einarmigen Banditen lauerten bereits in der Ankunftshalle auf ihre Opfer.

Phil war meine Reaktion nicht entgangen. Ich machte augenscheinlich einen leicht nervösen Eindruck auf ihn. Mein Partner konnte nicht wissen, dass mein Puls zu Recht ein paar Takte schneller ging als seiner. Er dachte nicht an einen gefährlichen Einsatz.

Am Meeting Point im Terminal, wo die großen Letter Welcome to Las Vegas in Leuchtschrift prangten, stellten sich wortlos weitere Personen zu uns. Wir konnten unsere Verwandtschaft daran erkennen, dass wir alle schwarze Anzüge trugen. Sehr konservativ und für Las Vegas nicht sehr kleidsam, wo die Uniform eigentlich aus bunten T-Shirts und Shorts bestand. Wir würden uns von der Masse abheben wie die Kirsche auf einem Pudding.

Das FBI unterhielt insgesamt sechsundfünfzig Field Offices. Genauso wie wir stellten die Agents ihr Handgepäck neben sich ab und harrten geduldig der Dinge, die da kommen würden. Ich hatte keinen von ihnen je zuvor gesehen.

Wir schauten eine Weile zu, wie die Verrückten die Automaten fütterten. Sie würden bankrott gehen, noch bevor sie in ihr Hotel eincheckten. Immer mehr Männer in dunklen Anzügen gesellten sich zu uns, bis wir schließlich zehn an der Zahl waren. Keiner von uns wechselte ein Wort.

Auch ohne seine Uniform wäre der junge Mann, der auf unsere Gruppe zulief, sofort als Soldat zu erkennen gewesen. Nur Soldaten marschierten so. Er trug die Winkel eines Sergeant. An seiner Schulter war das Symbol der Air Force zu erkennen, zwei gefiederte Flügel. Seine roten Haare waren keinen Deut länger als die Vorschrift erlaubte.

Unter dem Arm trug er ein Klemmbrett, das er schneidig hervorzog, als er uns erreichte. Er musterte uns so gründlich, als stünden blutjunge Rekruten vor ihm, die unter seinem Befehl in den Krieg ziehen sollten. Er fragte nicht nach unseren Namen, sondern verglich unsere Gesichter mit den Passfotos, die auf seiner Akte abgebildet waren.

Vor ihm standen Vertreter des Field Office aus Kansas, aus Kalifornien, aus Washington, D. C., aus Arizona, aus Pennsylvania, aus Oklahoma, aus Florida, aus Texas. Und zwei Mann aus New York. Er nickte, während er jeden von uns in Gedanken abhakte.

»Folgen Sie mir bitte, Gentlemen.« Seine Aufforderung ließ keine Widerrede zu. Er schritt uns zackig voran, ohne sich noch einmal umzublicken, ob wir seinem Befehl wirklich Folge leisteten oder ob er allein Richtung Ausgang marschierte.

Der rothaarige Sergeant hatte uns in einen weißen Ford Mustang XI verfrachtet, den die USAF als Shuttle für solche Fahrten nutzte. Bis auf die militärischen Nummernschilder war dem beeindruckenden Vehikel von außen seine Militärzugehörigkeit nicht anzusehen, auch wenn der Wagen durch seine Flügeltüren entfernt an ein Flugzeug erinnerte. Ein Blick auf die Kontrollkonsolen und Extras machte jedoch klar, dass es sich um eine Sonderausführung für die Air Force handelte.

Unser Chauffeur umfuhr gekonnt das Gewühl von Taxis und Uber-Fahrzeugen, die vor dem Flughafen Gäste aufpickten, und setzte die Schnauze nach Norden. Es war Mittag. Um diese Zeit herrschte auf dem Las Vegas Boulevard wenig Verkehr. Es war Juli, und die Hitze konnte einem zusetzen, sodass die meisten Touristen ihre klimatisierten Hotels erst nach Einbruch der Dämmerung verließen.

Das klimatisierte Shuttle – alles in Las Vegas war klimatisiert, sonst würde man in der Hitze eingehen – erreichte die Stadtgrenze und das ikonische Emblem Welcome to Las Vegas, das durch ein Gruppenfoto des Rat Pack Berühmtheit erlangt hatte. Sobald wir die Glitzermetropole hinter uns gelassen hatten, wurde uns wieder bewusst, dass Vegas mitten in der Wüste lag. Meilenweit erstreckte sich die menschenleere Mojave in alle Richtungen.

Phil saß zwei Sitze vor mir. Er hatte den Kopf gesenkt, ich konnte sehen, dass er eine Nachricht in sein Handy tippte.

Ein Sekunde später hatte ich sie auf dem Display. Schon gemerkt? Zehn Typen. Alle gleich groß. Alle gleich alt. Alle weiß. Keine Schwarzen. Keine Diversity.

Natürlich war mir das aufgefallen. Ich wusste sogar, weshalb unsere Gruppe so zusammengesetzt war. Ich schrieb zurück. Du bist ein schlaues Bürschchen. Du solltest zum FBI gehen.

Das quittierte er mit einem lachenden Emoji. Seit Phil die Emojis entdeckt hatte, kam er kaum noch ohne aus.

Der Ford Mustang bog vom Highway auf eine Landstraße ab. Sie war gesäumt von Gestrüpp, das genügsam genug war, um in der Wüste zu gedeihen. Wir folgten dem einspurigen Weg, der pfeilgerade auf einen Armystützpunkt zuführte und der beidseits von Stacheldraht begrenzt war. Die Vorderfront des Camps war mit Wachttürmen auf Eisenstelzen bestückt.

Auf dem Schild direkt vor dem Kontrollpunkt, wo sich der Sergeant auswies, war das Logo der Air Force Base zu sehen, eine pechschwarze Figur mit Fledermausohren, die Blitze schleuderte. Sehr passend. Die Creech Air Force Base war das Drohnenzentrum unserer Streitkräfte. Von hier aus wurde Krieg aus der Luft geführt. Mit der Fernbedienung. Sogar in diesem Moment kreisten die Augen, denen nichts entging, über Kriegsgebieten, in denen die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten unterstützten oder selbst Streitkräfte im Einsatz hatten. In Syrien, Irak, Afrika und wohl auch in einigen Gebieten, von denen wir offiziell nichts wussten.

Der Sergeant reichte seinen Ausweis durch das Fenster. Der Wachtposten, ein USAF Airman, der vor der Brust eine M16 Kaliber 5,56 Millimeter trug, kontrollierte den Ausweis, sah uns der Reihe nach an und winkte uns durch.

Der Schlagbaum öffnete sich für uns. Das Shuttle bog noch zweimal ab, bis es seinen Bestimmungspunkt erreicht hatte, einen Hangar, vor dem eine MQ-9 Reaper startbereit geparkt war. Der Drohnentyp, der den lautlosen Tod aus der Luft brachte und der von hier aus gesteuert wurde.

»Willkommen auf Creech Air Force Base, Gentlemen«, sagte der Sergeant bedeutungsvoll, als er die Handbremse härter als nötig anzog.

Creech Air Force Base war das Nervenzentrum des Drohnenprogramms der US-Streitkräfte. Der Standort in der Wüste verfügte über eine Vielzahl besonders leistungsfähiger Server, die es den Computern der Air Force ermöglichten, die Daten der Drohnen in Realtime auszuwerten. Ein fliegendes Auge konnte aus sechzigtausend Fuß Höhe eine Briefmarke am Boden erkennen. Daher war die Creech Air Force Base für die nächsten drei Tage auch das Nervenzentrum des FBI.

Ich teilte dieses Wissen mit niemandem. Die Kollegen würden früh genug dahinterkommen.

Unser Sergeant führte uns in einen voluminösen, etwa zwanzig Fuß hohen, aber leer stehenden Hangar, in dem üblicherweise die Reaper, die ich draußen gesehen hatte, bereit stand. Weiter hinten war die Arbeitsstation, an der die Drohne manövriert wurde. Sie war abgeschaltet.

Es war so kühl wie in einer Eisbox. Die einzige Person, die augenscheinlich erhöhte Temperatur hatte, war der Mann mit dem roten Kopf, der uns erwartete. Er hatte die Ärmel in militärischer Manier bis über die Ellenbogen gekrempelt und die Arme über der Brust gefaltet. Ich erkannte seinen Rang an den Epauletten: ein silberner Adler, der in seinen Krallen Pfeile trug, das Rangabzeichen eines Colonels. Das machte ihm zum Oberbefehlshaber der Air Force Base. Sein Adlerblick musterte uns abschätzig, als wären wir Rekruten, die zu spät zum Morgenappell antraten.

Im hinteren Teil des Hangars waren Techniker damit beschäftigt, Computer anzuschließen und auf Arbeitstischen zu platzieren. Ein Gewusel aus Kabeln führte zu Steckleisten, die im Boden versenkt waren. Jemand nahm gerade ein Gerät in Betrieb, das eines der wichtigsten bei solchen Aktionen mit Schichtbetrieb und langen Arbeitsstunden ist, die Kaffeemaschine.

Die Personen selbst waren mir unbekannt – bis auf eine. Eine Afroamerikanerin Ende zwanzig. Dionne Jackson. Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich unseren Supervisory Special Agent erkannt hatte und war Phil einen prüfenden Blick zu. Er hatte Dionne ebenfalls gesehen und blieb so gleichgültig, als säße er an einem Pokertisch, an dem eben der Gegenspieler den Einsatz erhöht hatte.

Unsere Kollegin war mit einem Techniker mit dem Aufstarten ihrer Arbeitsgeräte beschäftigt, doch ich war mir ziemlich sicher, dass sie uns ebenfalls gesehen hatte. Auf den zufälligen Betrachter wirkte sie wohl jung und entsprechend unerfahren, und das war gut so. Niemand brauchte zu wissen, dass es sich bei Dionne Jackson um eine der besten Recognizerinnen der Gegenwart handelte. Auf ihren zierlichen Schultern ruhte ein Kopf wie ein Computer, der mit einer Gesichtserkennungssoftware geladen war.

»Gentlemen des Federal Bureau of Investigation«, sagte der Mann im Rang des Colonels ungeduldig, als könnte jede verlorene Sekunde den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage in einer Schlacht ausmachen. »Treten Sie bitte näher.«

Er beschrieb mit der Hand einen Halbkreis, in dem wir uns um ihn aufstellen sollten. Der Oberbefehlshaber des Stützpunkts war an ein Rednerpult getreten, das vom Logo der Base geziert war, der blitzeschleudernden Fledermausfigur.

Obwohl ein Rednerpult wirklich nicht nötig war, wenn man sich nur an zehn Personen wandte, verlieh es ihm ein zusätzliches Level an Autorität. Als ob die bärenhafte Haltung und der kurz geschorene Schädel, der wie aus Stein gemeißelt schien, sowie unser rothaariger Sergeant, der sich in Habachtstellung hinter ihm aufgebaut hatte, nicht schon ausreichend gewesen wären.

»Mein Name ist Mark Thompson, Colonel der Air Force, Kommandant Creech Air Force Base.«

Wir wussten nicht, ob wir salutieren sollten. Ich konnte es aber zwei oder drei FBI-Männern ansehen, dass sie wohl Militärdienst geleistet hatten, denn sie standen sofort etwas aufrechter. An Thompsons scharfer Bügelfalte hätte man sich rasieren können.

»Ich werde Sie nicht darüber im Unklaren lassen, dass ich von der Anwesenheit des Federal Bureau of Investigation auf meinem Stützpunkt wenig halte, Gentlemen. Doch meine vorgesetzte Stelle hat mich angewiesen, dass Sie für die Dauer Ihres Einsatzes Gastrecht auf Creech genießen und somit während genau drei Tagen Zugriff auf unsere Anlagen haben.«

Sein Unmut konnte vielleicht daher rühren, dass er nicht über den tatsächlichen Grund dieses Einsatzes unserer Behörde eingeweiht wurde. Das war für den Luftwaffen-Colonel ein größerer Affront, als wenn jemand in seiner Truppe nicht im Gleichschritt marschierte.

»Vielen Dank, Colonel.« Hinter Thompson war ein Mann in Zivil erschienen. »Wenn Sie gestatten, übernehme ich jetzt.«

Colonel Thompson trat von seinem Rednerpult herab, als hätte er gerade vor einem übermächtigen Gegner kapituliert und die Waffen strecken müssen. Breitbeinig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Stiernacken hochgereckt, überließ er dem Mann seinen Platz, der an seiner Stelle das Pult bestieg.

Daniel Vadim stellte sich etwas weniger breitspurig vor. Es war nicht seine Art, um jeden Preis auffallen zu müssen. Er war Mitte vierzig und gut gebaut. Braunschwarze Haare krönten ein Gesicht mit intelligenten Gesichtszügen.

Allerdings hatte Vadim eines jener Gesichter, die man mindestens dreimal sehen musste, um sich daran erinnern zu können. Ein durchschnittliches Aussehen war für seinen Job ein Plus. Hätte ich nicht gewusst, dass er erst kürzlich für diesen Spezialauftrag von einer Abteilung der Counter Intelligence zum FBI abgestellt worden war, hätte ich ihn für einen CEO einer großen Firma gehalten oder für einen Chefingenieur der NASA, auf jeden Fall für einen Mann, der seine Macht im Stillen ausübte. Er behielt die Sonnenbrille auf.