Jerry Cotton 3541 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3541 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Das neue PC-Game I-pocalypse wurde mit großem Aufwand präsentiert. Der Clou: Jedes erfolgreich absolvierte Level wurde mit einer Ziffer belohnt. Wer alle sieben Level schaffte, gelangte an eine siebenstellige Zahl und erhielt fünfzig Millionen Dollar. Produzent des Spiels war ein alter Bekannter von uns. Verne Wanamaker war in der Vergangenheit immer wieder in dubiose Waffen- und Drogendeals verstrickt gewesen. Allerdings war es uns bisher nie gelungen, ihm eine konkrete Beteiligung nachzuweisen. Als ein Gefangenentransport angegriffen wurde, wurde eine Apokalypse der anderen Art entfesselt!

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

I-pocalypse now!

Vorschau

Impressum

I-pocalypse now!

Die Welt, in der ich gelandet war, war weiß. Vor mir türmte sich ein gnadenloses Gebirge aus monströsen Eisbergen, deren Gipfel hinter Wolken aus Kristall verschwanden.

Routiniert überprüfte ich meine Ausrüstung, die magische Rüstung, die mir das Schattenwandeln erlaubte, das römische Rundschild, das einen Zauber zurückwerfen konnte, der Krummsäbel mit geflammter Klinge und die zweihändige Axt.

Mit diesen Waffen hatte ich blutrünstige Orks besiegt, pestzerfressene Zombies und bösartige Drachen, die mit ihrem Feuer ganze Kontinente in Schutt und Asche gelegt hatten.

Plötzlich bebte die Erde, und neben mir tat sich eine abgrundtiefe Schlucht auf, aus der ein Brüllen kam, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aus der Tiefe tauchte der riesige rostüberzogene Schädel eines Frostriesen auf.

Ich trat ein paar Schritte zur Seite und legte einen stählernen Bolzen in die Armbrust. Noch bevor der Bolzen sein Ziel erreichte, schleuderte der Frostriese eine glühende Scheibe aus brennendem Eis in meine Richtung.

Die Scheibe trennte meinen Kopf vom Rumpf.

Ich war tot.

Vorsichtig nahm ich das schicke VR-Headset herunter und legte es zusammen mit dem Controller zurück in die Schale.

»Drittes Level. Gar nicht schlecht für einen Anfänger. Wenn du weiter fleißig übst, hast du in ein paar Monaten eine echte Chance gegen mich.«

Das Waypoint Café, in das mich mein junger Kollege Dr Ben Bruckner entführt hatte, um einen gerade gemeinsam erreichten Erfolg im Kampf gegen eine Gruppe asiatischer Cyberkrimineller zu feiern, war reichlich mit Spiegeln ausgestattet. Mein Lächeln fiel einigermaßen gequält aus.

»Du hättest mich besser vor diesem apokalyptischen Klabautermann warnen können«, gab ich trocken zurück. »Als er seinen hässlichen Kopf aus dem Eis gestreckt hat, war es für eine Verteidigung viel zu spät.«

»Richtig«, mein Kollege lächelte nachsichtig, »du hättest dich eben rechtzeitig im Schnee eingraben müssen, statt minutenlang das Gebirge der tausend Schmerzen anzustarren.«

»So heißt das? Gebirge der tausend Schmerzen?«

»Genau. Und ich denke, du weißt jetzt, warum.«

Das Gaming Center war so früh am Abend schon gut besucht. Der Altersschnitt lag dabei geschätzt knapp über zwanzig, ich war bei Weitem der älteste Gast.

Mir war nicht klar, was ich davon halten sollte.

Die jungen Leute, hauptsächlich Männer, saßen konzentriert vor ihren Gaming-PCs und Konsolen, entweder allein oder in kleinen Gruppen, und schienen darüber alles zu vergessen, was sich jenseits ihrer Headsets und VR-Brillen ereignete.

Auch in diesem Punkt war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte.

Natürlich tat es gut und diente der Entspannung, wenn man sich gönnte, mal vom Alltag und den täglichen Sorgen komplett abzuschalten.

Aber was passierte, wenn man es damit übertrieb? Konnte man dann irgendwann die eine Wirklichkeit nicht mehr von der anderen unterscheiden? Und welche Folgen hätte das für das eigene, das echte Leben?

»Spielen wir noch ein anderes Spiel? Oder ist dein Bedarf für heute gedeckt?«, wollte Ben wissen.

Was er selbst wollte, war unschwer zu erkennen. An der gegenüberliegenden Wand löste sich gerade eine vierköpfige Gruppe von einem PC, was er aufmerksam registrierte.

»Lass uns lieber irgendwo ein Feierabend-Bier trinken«, schlug ich vor. »Morgen müssen wir einen ausführlichen Bericht schreiben. Dafür habe ich gerne einen klaren Kopf.«

Die Ermittlungen im Zusammenhang mit den Cybergangstern hatten uns monatelang in Atem gehalten. Sie hatten sensible Daten von Betrieben aller Branchen im Großraum New York, in New Jersey und Connecticut gehackt und die Unternehmensleitung anschließend um hohe Beträge damit erpresst, diese Daten öffentlich zu machen oder ganz zu löschen.

Die Delikte, die zur Anzeige gebracht wurden, waren dabei nur die Spitze des Eisbergs. Viele Unternehmen verzichteten auf eine Anzeige und zahlten lieber die geforderte Summe, weil sie befürchteten, ihr Ruf und damit verbunden ihr Standing im Markt könnten andernfalls beschädigt werden und in der Folge zu Gewinneinbußen führen.

Ich konnte beide Strategien verstehen.

Obwohl es mir lieber war, wenn die Strafverfolgungsbehörden informiert und die Täter schlussendlich hinter Schloss und Riegel gebracht wurden.

Im vorliegenden Fall hatte unser junger promovierter Kollege die Ermittlungen durch seine umfassenden Kenntnisse in den Bereichen Programmiersprachen, Internetprotokolle und Algorithmen entscheidend vorangebracht. Dafür war er drei Stunden zuvor ausdrücklich von unserem Chef Mr High gelobt worden, und alle Kollegen und Kolleginnen hatten Beifall geklatscht.

Ich manövrierte den Jaguar vorsichtig aus der engen Parklücke in der Ludlow Street.

»Wir könnten uns das Bier in einer Bar in der Nähe deiner Wohnung genehmigen«, sagte ich, »dann musst du anschließend nicht die Metro nehmen.«

»Im Prinzip ein guter Plan«, erwiderte Ben, »aber ich will noch gar nicht nach Hause.«

Ich runzelte die Stirn. »Sondern?«

»Kennst du das Javits Center?«

»Du meinst das Kongresszentrum am Lincoln Tunnel?«

»Genau.«

»Da willst du heute Abend hin?«

»Das ist der Plan.«

»Lass mich raten. Taylor Swift gibt ein Exklusivkonzert für den Mann, der der Cyberkriminalität in diesem Land einen entscheidenden Schlag versetzt hat.«

Ben musste lachen. »Wäre angebracht. Trifft es allerdings nicht ganz. Schon mal was von I-pocalypse gehört?«

»Was ist das? Ein neues Mittel gegen Haarausfall?«

»Falsch. Ein neues PC-Game. Ganz heißer Shit. Wird heute Abend um Punkt zwölf präsentiert. Im Javits.«

»Ein Computerspiel mehr, na und? Sind sich die am Ende nicht alle ziemlich ähnlich?«

Mein Kollege warf mir einen nachsichtigen Blick zu. »Sorry, Jerry, aber man merkt, dass du keine Ahnung hast. Da gibt es Riesenunterschiede. Und I-pocalypse soll der absolute Hammer sein. Quasi der Olymp unter den Games. Außerdem soll man eine Menge Kohle gewinnen können.«

Ich runzelte ungläubig die Stirn. »Kohle? Du meinst Dollars? Dafür dass man dieses Spiel spielt?«

»Dafür dass man dieses Spiel gewinnt«, korrigierte Ben. »Das Spiel soll extrem anspruchsvoll sein. Selbst ausgefuchste Gamer sollen Schwierigkeiten haben, alle Level durchzuspielen.«

»Und warum schlägst du dir dafür die Nacht um die Ohren und gehst nicht einfach morgen in den Supermarkt und kaufst dir das heiße Teil?«

Mein junger Kollege schüttelte altersweise den Kopf. »Erinnerst du dich an die Kids, die in den Neunzigern um Mitternacht Schlange vor den Buchläden standen, um den neuesten Harry-Potter-Band zu kaufen?«

»Die waren zehn. Oder elf. Das waren Kinder«, sagte ich.

»Damals waren es Bücher. Heute ist es ein Game. Doch im Prinzip geht es um das Gleiche. Jerry, die Präsentation von I-pocalypse ist ein historischer Moment!«

An diesen Satz meines jungen Kollegen musste ich in den nächsten Tagen immer wieder denken.

Detective Lieutenant Roger Grint klopfte ungeduldig mit seinem Taser auf die hölzerne Barriere, die ihn vom Schreibtisch des Einsatzleiters trennte.

»Keine Chance, Rich. Zwei Leute sind für diesen Einsatz viel zu wenig. Gib mir noch zwei Männer. Besser drei. Sonst kannst du dir den Job sonst wo hinschieben.«

»Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich habe keine Männer. Es ist Urlaubszeit, Roger. Wir fahren eine Notbesetzung.«

»Sorry, dann bin ich raus. Die Kiste ist mir echt zu heiß.«

Sie standen im Büro des U. S. Marshal Service im Federal Correctional Institute in Fairton, New Jersey. Dabei handelte es sich um eine Einrichtung des Federal Bureau of Prisons, einem Gefängnis für männliche Häftlinge, die gegen Bundesrecht verstoßen hatten.

»Tut mir leid, Roger, aber der Transport muss heute laufen. Du kennst die Vorschriften.«

»Dann fordere zwei Leute vom Revier an.«

»Hab ich schon versucht, Roger. Die haben dasselbe Problem wie wir. Können keinen einzigen Beamten abstellen.«

»Was ist mit Mark Williams?«

»Urlaub.«

»Harry Shaw?«

»Krank.«

»Verdammt noch mal, sind wir beide die einzigen Idioten, die heute Abend Dienst schieben?«

»Vergiss nicht Sergeant Dave Branagh. Er wird den Transporter fahren.«

Lieutenant Grint lachte sarkastisch auf. »Super! Und ich sitze hinten allein mit zwei Gorillas, die zusammen neunundzwanzig Morde auf dem Gewissen haben. So was nennt man ein Himmelfahrtskommando, Rich!«

Denn das war sein Job: Er sollte zwei ehemalige Auftragskiller vom FCI Fairton nach Rikers Island überführen. Sie saßen eine lebenslange Freiheitsstrafe ab und galten als extrem gefährlich. Zuletzt waren Ausbruchspläne bekannt geworden, darum hatte die Gefängnisleitung beschlossen, die beiden Häftlinge zu verlegen, bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnten.

»Ganz ehrlich, Roger. Die Typen tragen Handschellen und Fußfesseln. Außerdem hat der Doc ihnen vor zwei Stunden einen Beruhigungscocktail verpasst. Das Einzige, wovor du Angst haben musst, ist, dass sie anfangen zu schnarchen.«

Doch auch dieses Argument konnte ihn nicht besänftigen. »Hast du die Risikoanalyse gelesen?«

Der Einsatzleiter nickte müde.

»Höchste Sicherheitsstufe. Als Begleitung werden fünf erfahrene Beamte empfohlen. Nicht zwei. Nicht drei. Fünf erfahrene Beamte, Rich!«

Richard Felton hob bedauernd die Schultern. »Ich weiß Bescheid, Roger. Aber ich kann dir nur geben, was ich habe.«

Lieutenant Grint warf einen Blick auf die schmucklose Wanduhr. Ursprünglich war der Gefangenentransport für ein Uhr am Mittag terminiert gewesen. Aus Gründen, die er nicht kannte, war er immer wieder verschoben worden. Jetzt war es fast neun Uhr abends. Eigentlich hatte er seit vier Stunden Feierabend.

»Wer hat Bereitschaft?«, fragte er.

»Sergeant Alan Hardy.«

Ein Milchgesicht, das erst vor drei Monaten von der Polizeischule gekommen war.

»Okay, besser als gar nichts«, Grint seufzte, »gib mir wenigstens den Jungen.«

Richard Felton nickte und griff zum Telefon. »Hab ich dir eigentlich gesagt, dass noch ein dritter Mann dabei ist?«

»Du machst Witze, oder?«

»Keine Angst, der Typ ist völlig harmlos. Vierundzwanzig Jahre alt, ein Hänfling, sitzt wegen wiederholten Diebstahls und ein paar naiven Betrugsdelikten.«

»Was hat er dann in einem Bundesgefängnis zu suchen?«, fragte Grint.

»Er hat nicht nur in Jersey geklaut, sondern auch in New York und Connecticut. Außerdem war Jamesburg voll.«

Jamesburg war die größte Jugendhaftanstalt in New Jersey und litt seit Jahren unter chronischem Platzmangel.

Zehn Minuten später meldete sich Officer Hardy zum Dienst, Lieutenant Grint unterschrieb die üblichen Formulare, dann nickte er dem Einsatzleiter zum Abschied zu.

»Wird schon schiefgehen!«, rief Richard Felton ihm hinterher.

Ben Bruckner war zu früh. Aber auch schon jetzt, knapp zwei Stunden vor Beginn der Präsentation, drängte sich eine riesige Menschenmenge vor dem Eingang zum Javits Center und skandierte immer wieder lautstark: »I-po-ca-lypse now! I-po-ca-lypse now! I-po-ca-lypse now!«

Ben war froh, dass er sich rechtzeitig ein Ticket besorgt hatte. Schon im Laufe des Vormittags war in den sozialen Netzwerken verkündet worden, dass die Veranstaltung ausverkauft sei und keine Abendkassen geöffnet würden.

Obwohl es inzwischen dunkel war und die Straßenbeleuchtung eingeschaltet, lag die Hitze des Tages wie eine Glocke über der Stadt. Die Menschen sehnten sich nach ein paar Tropfen Regen oder, besser noch, einem schweren Gewitter, das die Temperaturen senken und die unerträgliche Schwüle klären würde.

Aber die Wetterexperten gaben keine Entwarnung. Auch in den nächsten Tagen sollte es heiß bleiben und die Klimaanlagen weiter Schwerstarbeit verrichten müssen.

Ben setzte sich auf die Treppenstufen eines Friseursalons, aus dem ein penetranter Geruch nach Feuchtigkeitscreme und billigen Haarpflegemitteln nach außen drang.

Vor zehn Minuten hatte er sich von Jerry verabschiedet, seinem unangefochtenen Lieblingskollegen im Field Office. Sie hatten sich an einem Foodtruck zwei Tacos und zwei Flaschen Coors besorgt und sich damit in einen kleinen Park gesetzt.

Die Atmosphäre war sehr entspannt. Auf dem Spielplatz amüsierten sich Kinder aller Altersklassen und Nationalitäten. Verliebte Paare flanierten zwischen duftendem Lavendel und knallgelben Forsythien. Auch ein älteres Paar jenseits der achtzig spazierte händchenhaltend vorüber und genoss den späten Sommerabend.

Ben erzählte launig vom turbulenten Leben in seiner Wohngemeinschaft, später sprachen sie über den letzten Fall, den sie gerade erfolgreich abgeschlossen hatten. Jerry lobte noch einmal den vorbildlichen Einsatz und die herausragenden Fähigkeiten seines jungen Kollegen.

»Bevor du zum Field Office kamst, hatten wir keinen IT-Spezialisten mit deinen Fähigkeiten im Team. Gerade im Bereich Cyberkriminalität mussten wir uns immer wieder an die Experten in Washington wenden. Das war nicht immer angenehm, wie du dir denken kannst.«

Ben grinste. Die Konkurrenz zwischen dem New Yorker Field Office und der FBI-Zentrale in Washington war legendär und Gegenstand zahlreicher Anekdoten.

»Seit du unser Team verstärkst, haben wir auf dem Gebiet kein Defizit mehr, sondern im Gegenteil, den wahrscheinlich fähigsten IT-Spezialisten, und zwar landesweit. Und das in deinem jugendlichen Alter. Wenn du so weitermachst, bringst du es beim FBI noch zum Legendenstatus!«

Ben musste lächeln, als er an Jerrys Worte dachte. Im selben Moment wurde in der großen Eingangshalle des Javits Center die Beleuchtung eingeschaltet. Dann ertönte aus den Lautsprechern eine sanfte Frauenstimme.

»Die Eingänge sind jetzt geöffnet für alle Leute, die ein Ticket besitzen. Alle anderen bitten wir zurückzutreten. Die Veranstaltung beginnt pünktlich in einer halben Stunde.«

Ben erhob sich und machte sich auf den Weg zum Eingang. Kurz bevor er die Halle betrat, bekam er eine Meldung über den Police Scanner. Es hatte einen Überfall auf einen Gefangenentransport in der Upper East Side gegeben. Die Rede war von Toten und Verletzten.

Einen Moment überlegte er, ob er sich angesprochen fühlen musste. Dann entschied er kurzerhand, dass das ein Job fürs NYPD war, zog sein Ticket hervor und betrat voller Vorfreude das hell erleuchtete Kongresszentrum.

Es war heiß, es war stickig. Die Luft roch nach altem Männerschweiß und Schlimmerem. Lieutenant Roger Grint holte sein letztes Papiertaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Acht zerknüllte Taschentücher lagen vor ihm auf dem Boden.

In der Nacht davor hatte er Bereitschaftsdienst gehabt und war zu einem Einsatz in Bridgeton gerufen worden. Am Rand einer Hochzeitsgesellschaft war eine Familienfehde eskaliert. Die angetrunkenen Gäste waren mit Knüppeln und Bowiemessern aufeinander losgegangen.

Der Einsatz hatte die ganze Nacht gedauert und war nahtlos in seine reguläre Schicht übergegangen. Er war seit zweiundzwanzig Stunden im Dienst und hatte in dieser Zeit lediglich einen Hotdog, eine Tüte Tortilla Nachos mit süßem Chiligeschmack und neun Becher Kaffee zu sich genommen.

Und genauso fühlte er sich.

Nach knapp drei Stunden Fahrt im Hartschalensitz des Gefangenentransporters tat ihm der Hintern weh, ein bohrendes Sodbrennen zerfraß ihm die Magenwände, und ohne die zuverlässig wiederkehrenden Schlaglöcher auf der Straße wäre er vermutlich längst eingeschlafen.

Neben ihm döste Sergeant Alan Hardy vor sich hin wie eine junge Robbe an der Sonnenküste von Honolulu. In der ersten halben Stunde hatte er noch versucht, mit dem jungen Kollegen ein Gespräch anzuknüpfen. Über die letzten Baseballergebnisse, den Dalai Lama oder die sommerlichen Wetterkapriolen in Atlanta. Aber es waren nur einsilbige Antworten zurückgekommen, sodass er es schließlich aufgegeben hatte.

Jenseits der Trennwand aus durchsichtigem Hartplastik hockten die drei Männer, die sie nach Rikers Island bringen sollten. Zwei furchteinflößende Muskelpakete, von denen einer unmittelbar nach Fahrtantritt in einen unerschütterlichen Tiefschlaf gefallen war. Der andere starrte unentwegt mit bösem Blick in eine fremde Welt, von der man hoffte, sie nie betreten zu müssen.

Der dritte Mann war offensichtlich ein Sonderling. Vierundzwanzig Jahre alt, schmal, mit großen, weit aufgerissenen Augen, die sicher alles um ihn herum registrierten und anhand der erhobenen Daten Berechnungen anstellte, die einen Durchschnittsmenschen vielfach überfordert hätten.

Als der Transporter die George Washington Bridge erreichte und Lieutenant Grint unter sich das tiefschwarze Wasser des Hudson River schimmern sah, griff er zu seinem Funkgerät und schaltete es ein.

»Hörst du mich, Dave?«

Dave Branagh saß vorne am Steuer und meldete sich umgehend. »Was gibt's, Detective Lieutenant?«

»Wir gehen kaputt hier hinten. Fahr mal kurz raus, damit wir unseren Flüssigkeitshaushalt regulieren können.«

»Geht klar, Detective Lieutenant!«

Wenige Minuten später verließ der Gefangenentransporter die West 178th Street und bog in die Wadsworth Avenue ein, auf der Suche nach einem Deli oder einem Corner Store.

Als Lieutenant Grint einen Blick durch die Heckscheibe warf, fiel ihm der schwarze Jeep Grand Cherokee auf, der ihnen seit einiger Zeit folgte.

Für einen Moment war ihm, als hätte er den schweren SUV schon in Fairton vor dem Gefängnistor gesehen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. Es gab zu viele SUVs auf den Straßen, und im Dunkeln sahen sie alle irgendwie gleich aus.

In der West 181st Street stoppte Dave Branagh vor einem 7-Eleven, der noch geöffnet hatte. Lieutenant Grint nickte dem Sergeant zu, und sie überquerten die Straße und betraten den kleinen Laden.

Kurze Zeit später kehrten sie mit zwei Sixpacks Coke und einem großen Paket Sandwiches zurück und legten eine kurze Trinkpause ein.

Die Straßen waren um diese Zeit fast menschenleer. Nur wenige Autos waren unterwegs. Als sie sich zehn Minuten später auf den Rückweg zur West 178th machten, kam ihnen auf der schmalen West 182nd Street plötzlich ein Wagen entgegen, was ungewöhnlich war, denn die 182nd war an dieser Stelle eine Einbahnstraße.

Lieutenant Grint erkannte den schwarzen Jeep Grand Cherokee. Sofort hatte er ein flaues Gefühl im Magen. Und wenn er sich doch nicht getäuscht hatte? Was, zum Teufel, ging hier vor?

Dave Branagh hupte wie verrückt und betätigte gleichzeitig die Lichthupe. Der Jeep hielt unverändert auf sie zu, erhöhte sogar die Geschwindigkeit.

Zum Ausweichen war die Straße zu schmal. Verzweifelt versuchte Branagh, den Transporter in eine Parklücke zu manövrieren, aber die Lücke war viel zu klein.

Wie eine schwarze Kanonenkugel schoss der Grand Cherokee mit aufgeblendeten Scheinwerfern jetzt auf sie zu. Verzweifelt trat Dave Branagh in die Eisen und brachte den Transporter zum Stehen. Dann legte er den Rückwärtsgang ein.

Trotzdem flog der SUV mit unverändertem Tempo auf sie zu. Kurz bevor er den Transporter erreichte, lenkte Branagh ihn rückwärts in eine enge Toreinfahrt.

Im selben Moment krachte der Jeep in die Fahrerkabine und drückte den Transporter gegen einen dahinter geparkten Pick-up.