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In Kalifornien gab es die urbane Legende vom Yucca Man. Wie Bigfoot im Wald oder der Yeti im Eis zog diese riesige, gefährliche Kreatur einsam durch die Wüste und wurde dabei immer wieder gesichtet. Seine Heimat sollte der Joshua Tree Nationalpark sein, wo er erstmals in den Siebzigern einem Soldaten der dort stationierten Marines über den Weg gelaufen war. Phil und ich verschlug es wegen eines Entführungsfalls in die Gegend, als wir auf den Yucca Man stießen. Er hinterließ eine Leiche nach der nächsten, sodass wir uns an seine Fersen hefteten ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Wir jagten den Yucca Man
Vorschau
Impressum
Wir jagten den Yucca Man
Als Ryan Wood die Augen aufschlug, drohte sein Schädel zu platzen. Übelkeit stieg in ihm auf, die sich durch heftigen Schwindel verstärkte. Zum Glück saß er. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, und etwas stach in seine Arme. Der raue Stamm einer Palme, stellte er verwirrt fest, war sein unfreiwilliger Anker.
Im nächsten Moment musste er sich übergeben. Er gab ein erbärmliches Bild ab, als er den Mund an der Schulter abwischte. Wo, zum Teufel, bin ich?, fragte er sich und ließ den Blick schweifen.
Es war Nacht, der Vollmond und der klare Sternenhimmel erhellten das Gebiet. Wüste ... Wood erkannte sie wieder. Mojave. Joshua Tree Park. Kalifornien.
Dann sah er es. Er hatte das Ding für einen der Joshua Trees gehalten. Doch nun fixierten ihn rote Augen. Das Ding begann sich zu bewegen. Und es kam direkt auf ihn zu ...
Ryan Wood durchfuhr ein Schauer, der die Härchen an seinem ganzen Körper aufstellte. Er riss verzweifelt an den Fesseln, sodass das Seil schmerzhaft in seine Handgelenke schnitt. Dabei ließ er das Ungeheuer, das nur noch etwa dreißig Yards entfernt war, nicht aus den Augen.
Die Kreatur war sechs oder sieben Fuß groß. Je mehr sie sich in ihrer unheimlichen Langsamkeit näherte, desto deutlicher konnte Wood ihre abscheulichen Details erkennen. Sie sah aus, als wäre sie einem Albtraum entsprungen, mit einer furchterregenden Fratze und großen Reißzähnen. Rot leuchtende Augen fixierten ihn, als ob sie ihn mit ihrem finsteren Blick festnageln wollte. Die Kreatur lief aufrecht auf zwei Beinen, und mächtige Pranken, zu Fäusten geballt, hingen von ihrem haarigen Körper herab.
Wood versuchte hektisch sich zu befreien. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. In was für einen beschissenen Horrorfilm bin ich geraten?, schoss es ihm durch den Kopf.
Konnte das alles echt sein? Gerade eben war er noch in seinem Apartment in New York gewesen – und nun das! Wie war er hierhergekommen? Alles erschien ihm wie ein böser Fiebertraum.
Das Monstrum hatte die Hälfte des Wegs zurückgelegt und war nur noch knapp fünfzehn Yards von ihm entfernt. Erst jetzt bemerkte er die ungewöhnliche Beschaffenheit der Gliedmaßen. Die Beine der Kreatur bestanden aus groben, faserigen Palmenstämmen, deren rhythmisches Knarzen mit dem Knirschen des Sandes verschmolz. Die dicken Arme mussten hingegen aus dem Fleisch von Kakteen geformt sein. Die Stacheln und Dornen standen in alle Richtungen ab und reflektierten an ihren Spitzen das Mondlicht.
Wood rieb das Seil am Baum, in der Hoffnung, dass es sich irgendwie löste. Schwindel und Übelkeit waren wie weggeblasen. Stattdessen hatten Adrenalin, Instinkt und Überlebenswille die Kontrolle übernommen. Denn eines war sicher: Diese Kreatur war ihm alles andere als friedlich gesinnt, und die Situation würde sich nicht als Scherz einer billigen Fernsehsendung entpuppen. Oder doch? Letzteres wäre ihm die liebste Erklärung gewesen.
Das Monster atmete schwer und gab ein grollendes Knurren von sich. Die Augen funkelten Wood boshaft an.
»Was willst du von mir?«, schrie er dem Ungeheuer entgegen und zog noch panischer an den Fesseln, als es unbeeindruckt seinen Weg fortsetzte. »Verdammt! Es reicht! Schluss damit! Du hattest deinen Spaß! Wer bist du?«
Das Monster verharrte. Endlich ... Wer immer seine bösartigen Scherze mit ihm trieb, hatte wohl eingesehen, dass er es zu weit getrieben hatte. Gleich würde er seine Maske abnehmen und die Situation auflösen. Er oder sie sollte froh sein, wenn er den Verantwortlichen im Nachhinein nicht verklagen würde.
Doch die Bestie mit den pflanzlichen Gliedmaßen knurrte nach der vermeintlichen Denkpause und kam weiter auf Wood zu. Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag in die Magengrube, die sich erneut zusammenzog. Das war kein Prank, kein Scherz, kein Test. Er schwebte in Lebensgefahr!
Mit aller Kraft zog er an dem Seil. Es hatte sich inzwischen ein Stück weit gelockert. Von den Handgelenken floss etwas Warmes seine Arme hinab. Er schrie vor Schmerz, während er den gesamten Körper anspannte und sich die Fesseln in seine Haut gruben. Die Anstrengungen wurden belohnt. Mit einem Ruck löste sich der Knoten. Er war frei.
Seine Knie waren zittrig, als er sich aufrappelte, seine Füße durch die vorherige Haltung eingeschlafen. Wood riskierte einen letzten Blick auf das Monster. Es war stehen geblieben und belauerte ihn. Fünf Yards trennten sie voneinander. Wood nahm die Beine in die Hand und lief, so schnell er konnte, in die weite Landschaft hinein. Er musste sich nicht umdrehen. Er hörte das Knistern des Sandes, das von den Schritten der Kreatur herrührte. Das Ungeheuer hatte die Verfolgung aufgenommen.
Ein Gedanke kam ihm in den Sinn: Das Monster hatte diese Hetzjagd von Anfang an gewollt und war deshalb so zögerlich gewesen. Gab es nicht Tiere, die mit ihrer Beute spielten, bevor sie sie töteten?
Wood folgte einem ausgetrockneten Flusslauf. Trotz der Dunkelheit erkannte er die kleinen gestapelten Steinhaufen, die wohl als Wegmarkierungen für Parkbesucher dienten. Das Ungeheuer war ihm dicht auf den Fersen. Also sprang er über die Steinhaufen und kletterte über einen mannshohen Fels aus braunem Granit, der den Weg versperrte. Hindernisse verschafften ihm Zeit.
Hinter Wood gab es einen Schlag. Das Monster stolperte über die Steintürme, verlor das Gleichgewicht und sank schwerfällig auf ein Knie.
Hinter dem Felsen sprang Wood hinab. Seine Lungen brannten, der Schwindel kehrte zurück. Er musste den gesamten Weg von New York nach Kalifornien betäubt gehalten worden sein. Das forderte jetzt seinen Tribut.
Ich muss weiter, ermahnte er sich. Als er wieder losjoggen wollte, traf ihn etwas am Rücken und riss ihn zu Boden. Stacheln drangen in seine Haut ein. Keuchend drehte er sich um. Das Monster stand über ihm, grinste sardonisch und schlug mit einem gewaltigen Stein zu.
Wood schaffte es gerade noch, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Ein benommenes Kribbeln breitete sich in ihm aus. Das Monster hatte ihn mitten auf die Stirn getroffen. Er versuchte, sich wieder aufzuraffen, doch das Ungetüm kniete sich auf seine Brust und schlug noch einmal mit dem Stein zu.
Wood blieb liegen. Er ergab sich. Seinem Schicksal. Dem Monster. Das Letzte, was er sah, waren die silbrigen Krallen, die sich in seinen Bauch versenkten und klaffende Wunden rissen. Er spürte den Schmerz nicht mehr, nur das Blut, das ihn langsam und wohlig warm einhüllte. Dann wurde es schwarz um Ryan Wood.
New York City litt unter einer noch nie dagewesenen Hitzewelle. Eigentlich betraf sie fast ganz Nordamerika. Zwei riesige Heat Domes setzten im Osten und Westen Mensch und Natur zu. Eines dieser Wetterphänomene war eine Woche zuvor aus Richtung Florida heraufgezogen und legte sich großzügig über die Region wie eine Cloche, die in einem noblen Restaurant das Essen abdeckte. Auf diese Weise umschloss die Hitze die Stadt. Kein Luftzug, kein Regen, es gab nichts, das Abkühlung versprach.
Es war zehn Uhr an diesem Junimorgen, als ich Phil an der gewohnten Ecke zum Dienst abholte. Wegen eines langen Einsatzes am Vortag hatten wir beschlossen, den Arbeitstag etwas später zu beginnen, was ich nun bereute. Das Thermometer zeigte bereits neunzig Grad Fahrenheit an, für den Nachmittag waren hundertacht vorausgesagt. Phils Hemd klebte ihm an Brust und Rücken, als er zu mir in den klimatisierten Jaguar stieg.
»Ich wusste nicht, dass du heute an einem Wet T-Shirt Contest teilnehmen möchtest«, begrüßte ich meinen Partner grinsend.
Mein bester Freund und Dienstpartner schnaubte und schüttelte den Kopf, als er sich auf dem Beifahrersitz niederließ. Er richtete den Lüftungsschlitz auf sein Gesicht und stellte das Gebläse auf volle Stärke.
»Sehr witzig. Fahr einfach los, ich möchte den Tag hinter mir haben, bevor mich ein Hitzschlag trifft. Ich hoffe, Helen hat wie versprochen etwas kaltgestellt«, erwiderte Phil und krempelte die nassen Ärmel seines Hemds hoch. »An Kaffee ist heute jedenfalls nicht zu denken.«
Als wir im dreiundzwanzigsten Stock des Jacob K. Javits Federal Building ankamen, wurden wir von einer Wand aus schwüler, heißer Luft empfangen. Zahlreiche gequälte Gesichter saßen vor ihren Computern, die Fenster und Bürotüren weit aufgerissen, um wenigstens ein bisschen Durchzug zu haben, der sich jedoch nicht einstellte. Die Klimaanlage hatte unter der Dauerbelastung ihren Dienst quittiert.
»Guten Morgen, ihr zwei. Der Chef wartet schon auf euch«, sagte Helen, die Sekretärin von Mr High. »Aber nehmt die hier mit. Ich glaube, damit arbeitet es sich heute leichter.« Sie drückte mir ein Tablett in die Hände, auf dem fünf Eiskaffee standen.
Phil strahlte sie ungläubig an. »Helen, du bist ein Schatz. Lass mich dich heiraten.«
Die dunkelhaarige Vorzimmerdame lächelte und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Tut mir leid, Phil. Ich stehe auf Männer, die nicht gleich schmelzen, wenn es mal heiß wird.«
Ich brach in lautes Gelächter aus, auch mein Freund grinste anerkennend über so viel Schlagfertigkeit.
Im Büro saßen bereits unsere Kollegen Joe Brandenburg und Les Bedell sowie unser Vorgesetzter Mr High.
»Ein neuer Fall, Sir?«, wollte ich wissen, nachdem wir Platz genommen und die Runde begrüßt hatten.
Mr High nickte und durchsuchte mit den feingliedrigen Händen eines Pianisten den Papierstapel vor ihm auf dem Besprechungstisch.
»In der Tat«, sagte er und zog ein Bild hervor.
Darauf war ein junger Mann zu sehen, der direkt in die Kamera schaute. Er hatte seine langen hellbraunen Haare zu einem Man Bun am Hinterkopf geknotet und trug ein T-Shirt mit dem Logo der New York University. Unregelmäßiger Bartwuchs kräuselte sich an Kinn und Wangen. Trotz der schlechten Rasur wirkte er freundlich und aufgeschlossen.
»Ryan Wood. Siebenundzwanzig Jahre alt«, setzte unser Vorgesetzter fort und gab das Bild in die Runde. »Wohnte in East Village, studierte Botanik an der NYU.«
Joe betrachtete das Bild nachdenklich und strich dabei über sein dunkelblondes Haar. »Sie sprechen in der Vergangenheit, Sir. Dann ist Wood tot?«
»So ist es leider«, bestätigte Mr High. »Vor drei Tagen wurde er von seiner Mutter als vermisst gemeldet. Sie hatten sich verabredet, er ist allerdings nicht aufgetaucht. Wood lebte allein, die Eltern zahlten für sein Apartment. Seine Mutter hatte daraufhin bei ihm vorbeigeschaut und festgestellt, dass sein Apartment aufgebrochen war. Es fehlte jede Spur von ihm. Alles deutete laut NYPD auf eine Entführung hin.« Mr High zog ein weiteres Foto aus einem Hefter. »Seine Leiche ist in Kalifornien aufgetaucht, genauer gesagt, im Joshua Tree Park.«
Das Bild zeigte Wood, wie er leblos auf rot verfärbtem Untergrund lag. Der Wüstensand hatte sein Blut gierig aufgesogen. Seine Augen starrten leer gen Himmel, auf der Stirn hatte er eine große Platzwunde. Das T-Shirt über seinem Bauch war aufgerissen und gab einen Blick auf tiefe Wunden frei.
Les zog die Stirn kraus. »Meine Güte, der ist übel zugerichtet worden. Kann das ein Unfall oder ein wildes Tier gewesen sein?«
»Dann wäre das aufgebrochene Schloss seines Apartments einem Einbruch zuzuordnen. Das wäre für meinen Geschmack zu viel Zufall«, sagte ich.
»Wir gehen besser von einem Verbrechen aus«, stimmte Mr High mir zu. »Ich schlage vor, dass wir an beiden Fronten ermitteln. New York und Twentynine Palms. Wir können der Arbeit des NYPD grundsätzlich vertrauen, aber es ist besser, wenn wir uns ein eigenes Bild von Woods Verschwinden machen. Joe, Les, Sie übernehmen New York.«
Phil blickte mit weit aufgerissenen Augen zwischen mir und unserem Vorgesetzten hin und her. Sein Hemd war noch durchgeschwitzt. »Soll heißen, für uns geht es in die Wüste, Sir? Großartig ... vom Topf in die Pfanne.« Er kippte den Rest des Eiskaffees herunter und seufzte.
»Vergiss die Sonnencreme nicht, Kollege«, neckte Joe ihn.
Nach dem Meeting vereinbarten wir für den nächsten Tag ein Treffen mit Peter Sanders, dem County Sheriff von San Bernardino. Anschließend fuhren wir zur Upper West Side, packten unsere Sachen und teilten uns ein Yellow Cab zum JFK. Der Flug nach Los Angeles dauerte rund sechs Stunden, durch die Zeitverschiebung waren für uns nur drei Stunden vergangen. Die erste Nacht verbrachten wir in einem günstigen Hotel in Flughafennähe.
Am frühen Morgen machten wir uns mit einem gemieteten GMC Yukon auf den Weg nach Osten, folgten der Interstate 10 in die zunehmend trockenere und kargere Landschaft. Als die California State Route 62 nach Norden abging, wechselten wir die Straße und erreichten die Mojave-Wüste.
Auch an der Westküste hatte sich ein Heat Dome gebildet, der Kalifornien, Arizona, Nevada und Utah fest im Schwitzkasten hielt. Das Thermometer des Yukon zeigte hundertzehn Grad Fahrenheit. Die Luft flimmerte vor uns auf der Fahrbahn. Wir hätten ohne Probleme Speck und Eier auf der Motorhaube zum Frühstück braten können.
»Ich bin gerne hier«, stellte ich fest, kurz nachdem wir Yucca Valley hinter uns gelassen hatten. »Man fühlt sich frei. Überall sieht man den Horizont, keine Häuser blockieren die Sicht, und es wirkt alles so friedlich.«
»So ein Unsinn«, erwiderte mein Partner kopfschüttelnd. »Du bewegst dich hier von Klimaanlage zu Klimaanlage, tolle Freiheit. Nichts hält mich länger als nötig in dieser Einöde.«
Phil schienen die Temperaturen aufs Gemüt zu schlagen. Er war seit ein paar Tagen reizbarer als gewöhnlich. Es zeigte sich mal wieder, dass er der größere Hitzkopf von uns beiden war.
Peter Sanders, der Sheriff des County San Bernardino, empfing uns wie abgesprochen in der Morongo Basin Station in Joshua Tree. Er war ein Mann Ende fünfzig mit taubengrauer Kurzhaarfrisur. Über seinem Gürtel zeichnete sich ein Bauchansatz ab. Mir fiel sofort sein üppiger Bartwuchs auf, der ihm vermutlich aufgrund einer darunterliegenden Neurodermitis genehmigt worden war. Seine Augen waren klein und von schuppigen Fältchen umgeben.
»Special Agent Cotton, Special Agent Decker, herzlich willkommen in unserer wunderschönen Heimat, dem Tor zur Wüste«, begrüßte er uns und reichte uns eine raue, verschwitzte Hand. »Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise.«
Wir führten ein wenig Small Talk, unterhielten uns über vergangene Fälle, die uns bereits in die Mojave geführt hatten, und planten schließlich das weitere Vorgehen.
»Ich schlage vor, dass ich Ihnen zunächst den Tat- und Fundort der Leiche im Nationalpark zeige. Heute Morgen ist es noch nicht allzu heiß«, sagte Sanders. »Die Obduktion findet derzeit im Department in San Bernardino statt. Mit etwas Glück kann ich Ihnen später direkt die Ergebnisse mitteilen.«
Das klang nach einem guten Plan, und so setzten wir uns mit Sanders in einen Ford F-150.
»Was glauben Sie?«, fragte ich von der Rückbank aus, als wir den staubigen Straßen zum Joshua Tree Park folgten. »Haben Sie schon eine Theorie, was vorgefallen sein könnte?«
Sanders ließ die Hand schwer auf das Lenkrad fallen und schüttelte langsam den Kopf. »Wissen Sie, zwischen Hitze und Wahnsinn verläuft die Grenze oft fließend. Manchmal drehen die Leute hier durch. Erst letzte Woche jagte jemand im Auto sitzend seinen Hund durch die Stadt und schoss auf ihn, weil er nicht gehorchen wollte. So wie Wood hingerichtet wurde, würde es mich nicht wundern, wenn der Täter nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.«
Ich ließ die Worte auf mich wirken und dachte nach. Nein, diese Theorie konnten wir zum jetzigen Zeitpunkt ausschließen.
Auch Phil kratzte sich an der Stirn, sagte aber nichts – vermutlich aus Höflichkeit. Wenn man jemanden in New York aus seinem Apartment entführte, um ihn in der Wüste zu töten, mussten definitiv andere Motive im Spiel sein.
Am Eingang standen bereits zahlreiche Fahrzeuge, um in den Park zu gelangen. Wir fuhren auf der Gegenfahrbahn an ihnen vorbei und folgten dem Park Boulevard. Nach einer Weile parkte Sanders den Ford am Skull Rock. Der Fels hatte seinen Namen verdient, denn wir blickten auf einen spitzen Schädel mit leeren Augenhöhlen, was den Anlass unserer Anwesenheit makaber unterstrich.
»Ab jetzt müssen wir zu Fuß weiter«, sagte der Sheriff und warf Phil und mir eine Flasche Wasser zu.
Wir passierten ein Schild mit der Aufschrift: Do not die today! Immer wieder kam es in der Mojave zu tödlichen Zwischenfällen. Selbst für erfahrene Wanderer konnten zu wenig Wasser oder fehlende Orientierung den Tod bedeuten. Und zur Monsunzeit kam die Gefahr von Sturmfluten hinzu.
Sanders führte uns auf einen schmalen Sandpfad, der zu beiden Seiten von vertrocknetem Buschwerk gesäumt war. Hin und wieder ragten ein paar Yuccas empor, oder einer der ikonischen Joshua Trees schraubte sich in verdrehter Form in den wolkenlosen Himmel. Die beigefarbenen und rostroten Felsen wurden immer höher. Im Schatten einer mächtigen Felskette gelangten wir zu einem ausgetrockneten Flussbett.
»Da wären wir«, sagte Sanders schwer atmend und deutete auf die Stelle am Boden. »Hier wurde Ryan Wood tot aufgefunden.«
Dankbar für die Ankunft, wischten wir uns den Schweiß von der Stirn. Phil und ich hatten uns am Parkplatz zwar Wanderschuhe angezogen, aber Anzugshose und Hemd waren definitiv die falsche Kleidung.
Wortlos ließen wir den Ort auf uns wirken. Wir waren mitten im Nirgendwo. Aus einiger Entfernung war das Rasseln einer Klapperschlange zu hören. Der Fundort der Leiche war noch gut zu erkennen. Der rötliche Blutfleck lag im Flussbett, eine Ameisenstraße führte darüber hinweg.
Sanders zog ein paar Fotos aus dem Rucksack. »Hier hat man Wood gefunden. Neben ihm lag ein Stein, vermutlich eine der Tatwaffen. Die Spurensicherung hat ihn sichergestellt.«
Er reichte uns das Bild eines ovalen und zu einer Seite blutigen Gesteinsbrockens, der zwölf Inches breit war, wie das Maßband auf dem Beweismitteltisch angab.
Phil deutete auf Pflanzenfasern und Kakteennadeln am Boden. »Was hat es damit auf sich?«
»Das ist ein Rätsel. Wood hatte Verletzungen von Kakteen am Körper. Vielleicht von seiner Flucht querfeldein. Wird aktuell untersucht.«