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In kurzen Abständen wurden in den Parks von New York Menschen aus nächster Nähe durch einen Stich in den Bauch getötet. Die Taten fanden allesamt vor Einbruch der Dämmerung statt. Mr High übertrug uns die Ermittlungen. Wir befragten die ersten Zeugen und konnten kaum glauben, dass es sich bei dem Mörder um ein Kind handeln sollte. Doch das blieb nicht die einzige Überraschung in diesem mysteriösen Fall ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Der Tod kommt in Rot
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Lieber Gott, das könnte ich in der schmalen Kiste sein, die von den vier missmutigen Männern über den Friedhof getragen wird, dachte sie.
Nur vier. Mehr brauchte es nicht, um den Körper ihrer Schwester zu tragen. Sie war ein Leichtgewicht gewesen, wahrscheinlich hatte sie am Ende nichts mehr gegessen, so wie auch sie oft vergaß, dass sie Nahrung zu sich nehmen sollte.
Sie ließ den Blick über die wenigen Gäste schweifen. Mary war da. Lisa nicht. Connie war schon lange nicht mehr im Land. Europa, munkelte man. Es hätten sich alle hier versammeln müssen, um Abschied zu nehmen. Obwohl es Danielle dort, wo sie nun war, egal sein konnte, wer anwesend war und wer nicht.
Jetzt folgte der schlimmste Moment. Die schlecht gelaunten Männer ließen den Sarg an Seilen nach unten in die Grube. Sie warf eine der bereitgestellten Blumen hinterher. Zusammen mit dem Schwur, dass sie ihre Schwester rächen würde.
Du bist nicht lieb, Gott.
Es war ein vielversprechender Morgen, an dem ich Phil an unserer gewohnten Ecke abholte. Die Sonne schien, wie es sich für einen Frühsommertag gehörte, und ein frisches Lüftchen wehte vom Hudson River her.
Mein Partner pfiff vor sich hin, während er auf dem Tablet des Jaguar nach Musik suchte, die ihm gefiel.
»An einem Montag bist du so guter Laune?«, fragte ich.
Phil gab sich bedeckt und ließ nur ein sphinxhaftes Lächeln sehen. »Kommt ja darauf an, wie der Sonntagabend verlaufen ist.«
»Melissa?«, wollte ich wissen.
Phils Sphinxlächeln wurde breiter.
Das Klingeln des Autotelefons rettete ihn davor, sich näher erklären zu müssen.
Der Anrufer war Mr High, der uns mitteilte, dass am Abend zuvor in einem New Yorker Park ein Toter gefunden worden war, wahrscheinlich das weitere Opfer einer Mordserie, und dass er uns und einige Kollegen gerne zu einem Meeting sehen würde, sobald alle im Büro seien. Da das Telefon laut gestellt war, konnten wir beide den Ausführungen des Chefs lauschen.
»Da hast du ja noch mal Glück gehabt«, sagte ich, als ich den Jaguar in der Tiefgarage parkte.
Phil grinste.
Im dreiundzwanzigsten Stock des Jacob K. Javits Federal Building angekommen, versorgten wir uns mit Kaffee und begaben uns zum großen Meetingraum, an den Mr Highs Sekretärin Helen uns verwiesen hatte.
Dort erwarteten uns bereits einige Kollegen. Joe Brandenburg und Les Bedell waren in eine leise Diskussion vertieft, bei der es sich allem Anschein nach um verschiedene Waffentypen drehte. Steve Dillaggio lümmelte breitbeinig auf seinem Sitz und fingerte auf seinem Handy herum, während Zeerookah mit nebeneinandergestellten Füßen in glänzenden Schuhen, einer handgemalten Krawatte und stoischer Miene der Dinge harrte, die da kommen würden.
Am Ende des Raums saß unser IT-Genie Dr Ben Bruckner, der ausnahmsweise mal pünktlich und in ein Gespräch mit einer jungen Frau vertieft war, die ich erst ein paarmal im Field Office gesehen hatte. Ich erinnerte mich dunkel an ihren Namen: Sunny Baker, ihres Zeichens taufrische Absolventin der FBI-Akademie in Quantico, die momentan bei uns hospitierte.
Als Mr High eintrat, steckte Steve sein Handy weg, Joe und Les beendeten ihre Diskussion. Alle schauten den Chef erwartungsvoll an. Dieser begrüßte uns freundlich und begann, uns ins Boot zu holen.
»Lady, Gentlemen, Sie kennen alle die Mordserie, die unsere Stadt seit ein paar Wochen erschüttert. In diversen Parks wurde bisher rund ein Dutzend männliche als auch weibliche Opfer gefunden, die durch einen Stich in den Bauch ums Leben gekommen sind. Leider hört das Morden nicht auf. Gestern Abend wurde ein weiteres Opfer gefunden, dessen Auffindesituation zu dieser Serie passt.«
»Auch in einem Park?«, fragte Joe.
Mr High nickte. »So ist es. Im Central Park. Gegen elf Uhr nachts. Das Gute im Schlechten ist, dass wir diesmal zwei Zeugen haben. Was diese aussagen, ist allerdings erschreckend. Sie behaupten, ein etwa neun- bis zehnjähriges Kind gesehen zu haben, das das Opfer erstochen hat.«
Aus den Augenwinkeln sah ich den entsetzten Blick von Sunny Baker, die Kollegen wirkten bedrückt.
Mr High legte die Fingerspitzen aneinander und blickte in die Runde.
»Ich weiß, dass Sie, Joe und Les, noch bis zum Ende des Monats im Piccione-Fall tätig sind, auf den Kronzeugen aufpassen und weitere Untersuchungen anstellen. Das ist ausgesprochen wichtig, damit uns dieser Pate nicht wieder durch die Lappen geht. Der Mann ist brandgefährlich. Ihre Ressourcen sind also für den Moment gebunden.« Der Chef wandte sich Steve und Zeerookah zu. »Sie haben alle Hände damit zu tun, den Brandstifter dingfest zu machen, der die Leute seit einigen Wochen in Angst und Schrecken versetzt. Bleiben Sie bitte dran. Es dürfen nicht noch mehr Menschen im Feuer umkommen.«
Was nun folgte, war klar, da Kristen Steele und Dionne Jackson wegen einer großen Sache in Mexiko ermittelten und Dr Iris McLane mal wieder auf einer Vortragsreise war. Mr High nickte mir freundlich zu und bezog Phil in diese Geste mit ein.
»Die Serienmorde in den Parks werden Jerry und Phil übernehmen. Bitte konzentrieren Sie sich voll auf diesen Fall. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, geben Sie Bescheid.«
Wie immer vergaß der Chef niemanden der Anwesenden.
»Ben, stehen Sie bitte den Kollegen mit Ihrer wertvollen Expertise zur Seite. Und Sie, New Agent Baker, halten bitte Augen und Ohren offen und unterstützen das Team in allen Belangen.«
Während sich auf Bens Wangen rote Flecke zeigten und Sunny Baker große Augen machte, verabschiedete sich Mr High.
Phil und ich wussten, dass eine gewaltige Aufgabe vor uns lag. Wir mussten die Mordserie so schnell wie möglich stoppen.
Um Zeit zu gewinnen, beschlossen wir, die Befragung der Zeugen getrennt voneinander vorzunehmen. Mich verschlug es nach Harlem, wo mir an der vom NYPD angegebenen Adresse ein jugendlicher Schwarzer öffnete, der sich als Maynard Jones vorstellte und reichlich zugedröhnt wirkte. Ich hielt ihm meine Dienstmarke unter die Nase. Er stöhnte, hob die Unterarme und hielt mir die geöffneten Hände entgegen, zum Zeichen, dass sie leer waren.
Ich machte eine abwiegelnde Geste. »Ich bin nicht hier, um über Ihre Verfehlungen zu reden. Es geht mir vielmehr darum, dass Sie gestern im Central Park Zeuge eines Mordes waren.«
Der junge Mann verdrehte die Augen. »Saublöd von mir, dass ich das nicht für mich behalten habe.«
»Können wir drinnen weiterreden?«
Der Junge ließ mich hinein und führte mich in ein Wohnzimmer, das diesen Namen nicht verdiente, wo ich mich vorsichtig auf ein zerschlissenes Sofa setzte.
»Warum haben Sie es denn nicht für sich behalten?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Bin so erzogen. Bestimmte Dinge gehen durch. Jemanden umzubringen, geht gar nicht.«
»Und Sie sind sich sicher, dass Sie einen Mord beobachtet haben? Und dass dieser Mord von einem Kind begangen wurde?«
Maynard Jones fixierte mich. »Meinen Sie, jemand wie ich geht zum Spaß mit einer erfundenen Geschichte zu den Cops?«
Da hatte er auch wieder recht. »In Ordnung, dann erzählen Sie mir mal, was Sie beobachtet haben.«
Jones rollte mit den Augen. »Das hab ich doch schon den Cops erzählt. Ich gehe da lang in dem Park, ein Stück weit entfernt vorbei an der Bank, auf der diese Frau sitzt, und plötzlich sehe ich, wie ein Kind auf die Frau zurennt, ihr mit einem Messer in den Bauch sticht und das Weite sucht.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Nichts.«
»Sie haben also nicht versucht, der Frau, die von dem Messer getroffen wurde, zu helfen?«
Jones wand sich sichtlich. »Äh, da war überall Blut, viel Blut. Ich dachte, die Frau wäre schon tot. Außerdem kamen andere Leute. Die haben einen Krankenwagen gerufen und so.«
»Was haben Sie überhaupt gemacht abends im Park?«
Jones wand sich weiter. Ich ließ es gut sein. Was sollte in Drogenabhängiger schon abends machen in einem Park in New York?
»Wie sah dieses Kind denn aus, das auf die Frau eingestochen hat? Und wie alt war es ungefähr?«
Jones zündete sich eine übelriechende Zigarette an. »So neun bis zehn Jahre alt war das Balg, schätze ich. Und es hatte eine rote Strickjacke an und eine rote Baseballcap auf dem Kopf.«
»Und Sie sind sich absolut sicher, dass dieses Kind die Frau erstochen hat?«
Jones nickte.
»Keine Möglichkeit, dass Sie vielleicht einen Joint zu viel hatten und sich das Kind nur eingebildet haben?«
Jones' Augen formten sich zu Schlitzen. »Wenn Sie nicht vom FBI wären, würde ich Ihnen jetzt mächtig eins auf die Mütze geben.«
»Aber Ihre gute Erziehung hindert Sie daran.«
»So ist es.«
Nachdem ich den freundlichen jungen Mann verlassen hatte, rief ich Phil an. Das Timing war perfekt, denn auch er hatte gerade eine Zeugenbefragung abgeschlossen. Also verabredeten wir uns für einen schnellen Lunch in der Canal Street, um unsere ersten Ergebnisse auszutauschen.
Als ich in dem mexikanischen Restaurant eintraf, saß Phil bereits an einem der Tische und studierte die Speisekarte.
»Was hältst du von Chimichanga?«, fragte er.
»Viel«, sagte ich, woraufhin wir das Chimichanga-Mittagsmenü bestellten.
»Wie war es bei dir?«, fragte Phil, während wir auf das Essen warteten.
»Fantastisch.« Ich fasste zusammen, was ich erfahren hatte.
»Du glaubst dem jungen Mann nicht?«
»Das will ich so nicht sagen. Doch wer weiß, ob der Junge zu dem Zeitpunkt nicht stoned war und sich Sachen einbildet?«
»Da kann ich dich beruhigen«, sagte Phil, während er seinen frittierten Burrito in Empfang nahm. »Ich hatte das Vergnügen mit einem pensionierten Lehrerehepaar, das auf dem Rückweg von einem Kinobesuch Zeuge dieses Mordes wurde. Die waren garantiert nicht stoned. Beobachtet haben sie ein neun- bis zehnjähriges Kind, das zustach, unter anderem bekleidet mit einer roten Strickjacke und einem roten Baseballcap.«
»Dann scheint an der Sache wohl etwas dran zu sein«, sagte ich.
Nach dem Lunch begaben wir uns ins Field Office und trafen uns mit Ben, der bereits nach dem gemeinsamen Meeting am Morgen angefangen hatte, nach auffälligen Kindern zu recherchieren.
Als wir das Büro des jungen Kollegen betraten, wirkte er angestrengt.
»Was ist los?«, wollte Phil wissen.
»Nichts«, antwortete Ben und zerrte an seiner Krawatte. »Ach, was soll's? Ich finde es einfach ziemlich unerträglich, sich Kinder als Mörder vorstellen zu müssen.«
»Das verstehe ich«, sagte Phil. »Geht mir genauso. Hast du inzwischen etwas über Kinder herausgefunden, die in der Lage wären, solche Morde zu begehen? Jerry und ich haben von den Zeugen Aussagen erhalten, die eindeutig in diese Richtung weisen.«
Ben blickte traurig. »Ich bin da sehr in die Tiefe gegangen, weil der Ausgangspunkt unglaublich erschütternd ist. Herausgefunden habe ich, dass sich die wenigen Kinder aus der relevanten Altersstufe, die bekanntermaßen gewalttätig sind, entweder in der geschlossenen Psychiatrie oder in einer Jugendstrafanstalt befinden.«
»Das mordende Kind muss ja nicht vom System erfasst sein«, wandte Phil ein.
»Genauso ist es«, sagte Ben.
»Danke für deine gute Arbeit«, sagte ich. »Leider haben wir jetzt trotzdem nichts, wo wir weiter andocken könnten.«
Ben wiegte den Kopf hin und her. »Vielleicht doch, ich weiß nicht. Ich bin auf die Spur eines Mädchens gestoßen, das aus einer Einrichtung geflohen ist und ein paar Wochen lang vermisst war. June March, zehn Jahre alt.«
»Wo ist das Kind jetzt?«, wollte Phil wissen.
»In der Psychiatrie in White Plains«, antwortete Ben.
Phil und ich brauchten uns nicht einmal anzuschauen. Ich holte den Jaguar aus der Tiefgarage.
Das Calm Cove wirkte auf den ersten Blick wie ein Feenhaus – filigrane Fassade, pastellfarbener Anstrich, Blumen überall. Der Eindruck bröckelte allerdings, sobald man das Innere des Gebäudes betrat. Das gelang uns nur durch das Vorzeigen unserer Dienstausweise, da zwei Riesen in Uniform die Tür zum vermeintlichen Feenland bewachten.
An der Rezeption saß eine Schwester, die aussah, als würde sie in der nächsten Sekunde eine Maschinengewehrsalve abfeuern. Für den Moment begnügte sie sich glücklicherweise mit der Frage, was denn das FBI hier wollte.
Ich bat darum, June March sprechen zu dürfen, woraufhin die Schwester lachte und abwinkte.
Es gibt nicht viele Momente, in denen mein Partner Phil seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Dieser war so einer.
»Wenn Sie uns nicht auf der Stelle zu June March lassen«, sagte er, »mache ich diese Einrichtung platt. Ich bin Special Agent vom FBI und kenne die entsprechenden Leute. Ein Anruf von mir genügt, und das war es hier. Sie können sich dann schon einmal bei der Sozialfürsorge vorstellen.«
Vielleicht war es nicht ganz fair, was Phil da abzog, aber es zeigte Wirkung. Die Schwester griff zum Telefon und bedeutete uns zu warten. Nach nicht allzu langer Zeit tauchte ein viereckiger, grimmig dreinschauender Pfleger auf und forderte uns auf, ihm zu folgen.
Über kahle Gänge, auf denen sich verzweifelte Kreaturen stehend oder sitzend vor- und zurückwiegten, gingen wir dem Mann nach, bis er auf die Tür zu einem Zimmer deutete.
»Zehn Minuten«, sagte er und entblößte dabei sein schadhaftes Gebiss.
Ich gab Phil ein Zeichen, woraufhin er hinter mir blieb, und öffnete die Tür zu dem abgedunkelten Raum. Mit der Taschenlampe meines Handys machte ich etwas Licht. Eine kleine zusammengekauerte Gestalt lag auf einem Bett.
»Hallo, June«, sagte ich, »ich bin Special Agent Cotton vom FBI. Ich habe zwei bis drei Fragen an dich. Dafür würde ich gerne das große Licht anmachen. Darf ich?«
Die Antwort war ein wimmernder Laut, den ich als Zustimmung wertete. Daraufhin schaltete ich das Licht an.
Das Kind stöhnte und kniff die Augen zusammen. Mit den Händen konnte es sich die Augen nicht zuhalten, da diese mit Handschellen an das Bett gekettet waren.
Phil lief Amok.
Ich löschte das Licht und informierte das Kind darüber, dass wir gleich zurückkehren würden, dann folgte ich meinem Partner, der zur Rezeption stürmte und dort verlangte, die Leiterin oder den Leiter des Hauses zu sprechen.
Die Rezeptionistin mit dem imaginären Maschinengewehr informierte uns süffisant darüber, dass das nicht möglich sei, weil Mrs Sherbet auf einer Tagung in Alabama sei.
»Ist vielleicht auch besser für sie, dass wir uns nicht begegnen«, sagte Phil. »Dann kann sich Mrs Sherbet das, was ich gegen sie vorbringen werde, erst einmal in Ruhe durchlesen. Da oben liegt ein angekettetes Kind im Dunkeln, ich weiß nicht, wie lange schon. Ich werde Anzeige erstatten wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung.«
Die Rezeptionsschwester lachte höhnisch auf. Phil spannte sich an, ich spürte, was er am liebsten tun würde. Ich wusste aber auch, dass seine gute Kinderstube es ihm verbieten würde.
»Sie können froh sein, wenn ich mir nicht überlege, welchen Anteil Sie an der Sache haben«, sagte er. »Und jetzt holen Sie mir auf der Stelle jemanden, der die Schlüssel zu den Handschellen des Mädchens hat, und schicken die Person unverzüglich hinauf. Und verständigen Sie den Arzt, der für June March zuständig ist. Wenn der nicht da ist, einen anderen, der hier tätig ist und einigermaßen Ahnung hat. Wen auch immer Sie auftreiben, der Doktor soll auf uns warten. Wir gehen noch einmal nach oben.«
Die Rezeptionsschwester gab keinen Ton mehr von sich und griff zum Telefon. Phil und ich stiegen erneut die Treppen zu June Marchs Zimmer hinauf.
»June«, sagte ich, als wir im Türrahmen standen. »Wir sind wieder da. Jerry und Phil. Wir sind beide Agents vom FBI und möchten dich gerne ein paar Dinge fragen. Zunächst einmal möchten wir dich von den Handschellen befreien. Ist es in Ordnung, wenn ich das Licht wieder anmache?«
Ein zaghaftes »Okay« kam aus der Richtung, in der die kleine June in ihrem Bett kauerte. Als die Deckenbeleuchtung anging, kniff sie die Augen zusammen.
Hinter uns auf dem Gang erschien ein vierschrötiger Schwarzer in Pflegebekleidung. Er hielt einen kleinen Schlüssel in die Höhe. »Soll ich sie losmachen?«
»Ja bitte«, sagte Phil.
Der Pfleger tat wie ihm geheißen, ging auf Phil zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Mein Partner nickte und wandte sich an mich. »Fangt schon mal an, euch zu unterhalten, ich muss kurz was besorgen.«
June March starrte mich an. Ihr Blick hatte etwas Unheimliches.
»Warum bist du hier?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ach komm«, sagte ich. »Du bist zehn Jahre alt und kein kleines Kind mehr. Du wirst sehr wohl wissen, worum es geht.«
»Ich habe einen kleinen Jungen umgebracht«, sagte June.
Mir sträubten sich die Nackenhaare. Da saß dieses Mädchen mit kindlich glatten Zügen und gab solch einen Satz von sich.
»Warum hast du das getan?«
»Ich weiß es nicht.«
»Doch, du weißt es, June. Sag es mir.«
»Ich wollte sehen, wie das Leben aus ihm weicht.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Phil im Türrahmen stand. Er hielt ein Tablett in den Händen und verhielt sich mucksmäuschenstill.
»Und hat dir gefallen, was du gesehen hast?«, fragte ich.
»Nicht besonders.«
»Und beim zweiten Mal?«
June schaute mich irritiert an.
»Wir wissen, dass es ein zweites Mal gab. Unser IT-Spezialist ist einsame Spitze. Er kriegt einfach alles heraus.«