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Eine Serie von Truckstop-Morden erschütterte das Land. Entlang der Interstate 95 waren in den letzten fünf Jahren neun junge Frauen, in den meisten Fällen Prostituierte, einem brutalen Serienkiller zum Opfer gefallen. Phil und ich übernahmen den Fall und überprüften unzählige Fernfahrer, die regelmäßig auf diesem Highway unterwegs waren. Dabei näherten wir uns dem Täter Schritt für Schritt - und hatten es schon bald mit einer handfesten Geiselnahme zu tun!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Tod am Truckstop
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Um halb fünf früh war er losgefahren, vor mehr als dreizehn Stunden. Jetzt war er kurz hinter Baltimore. Und bis zu Hause hatte er noch fast drei Stunden vor sich.
Er drehte das Radio aus, griff hinter sich nach der Thermoskanne. Der Kaffee war lauwarm und schmeckte nach altem Maschinenöl.
»Hey, Baby, bist du immer so stumm?«, murmelte er und strich durch die blondierten Locken neben sich, die im Schein der untergehenden Sonne ihre ganze Armseligkeit preisgaben.
Plötzlich flammten die Bremslichter des Trucks vor ihm grellrot auf. Fluchend stieg er in die Eisen.
Mit einem Ruck kollerte der Kopf vom Beifahrersitz und plumpste mit einem dumpfen Knall in den Fußraum.
Schon beim Frühstück hatte Sergeant Cary Morgan so ein merkwürdiges Gefühl gehabt. Als sollte das kein Tag wie jeder andere werden.
Das heißt, ein richtiges Frühstück war es eigentlich gar nicht. Er hatte den Wecker nicht gehört und musste sich beeilen, um den Bus noch zu erreichen.
Unterwegs besorgte er sich in einer Bäckerei noch schnell zwei Donuts und einen Becher Kaffee, die er sich dann auf der Fahrt nach New Haven einverleibte.
Die ersten beiden Stunden wäre er heute allein im Revier. Sein Kollege war krank, und der Captain war außer Haus.
Mit anderen Worten, er, Detective Sergeant Cary Morgan, vierundzwanzig Jahre alt, der seine Ausbildung erst vor sechs Monaten erfolgreich abgeschlossen hatte, hatte zwei Stunden lang die alleinige Verantwortung dafür, dass auf den Straßen und in den Häusern von New Haven, Connecticut, das Böse besiegt und der Gerechtigkeit zu ihrem Recht verholfen wurde.
Ein unglaubliches Gefühl, das ihm eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ.
Er trank den letzten Schluck Kaffee und lehnte sich zurück in seinen Sitz. Hinter dem Schleier eines feinen, aber stetigen Sommerregens glitten die hübschen Häuser der Davenport Avenue vorüber.
»Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen«, hatte Captain Haggard ihm eingeschärft. »Wenn Sie sich unsicher sind, wie Sie sich in einer kritischen Situation verhalten sollen, rufen Sie mich lieber an, bevor Sie einen Fehler begehen.«
Eher würde er sich die Zunge abbeißen, als seinen Chef um Hilfe zu bitten. Er würde es ihnen schon zeigen, dem ganzen Revier, dass er längst kein Rookie mehr war, sondern ein vollwertiger Cop, der seiner Aufgabe hundertprozentig gewachsen war.
»Soll das heißen, du bist ganz allein?«, begrüßte ihn der Kollege von der Nachtschicht und starrte ihn skeptisch an. »Wo ist denn der Chef?«
»Beim Zahnarzt.«
»Na, wenn das mal gut geht.«
Sergeant Morgan atmete auf, als der Kollege das Polizeirevier verließ, nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, dass er notfalls die Kollegen aus Milford um Unterstützung bitten könne.
Er schaltete seinen PC ein und warf einen Blick auf das Protokoll, das sein Kollege über die Ereignisse der vergangenen Nacht angefertigt hatte.
Bevor er sich eingehend damit beschäftigte, verschwand er in der winzigen Küche und ließ sich von der lärmenden Kaffeemaschine einen duftenden Cappuccino zubereiten.
Zurück an seinem Platz vertiefte er sich in das Protokoll. Offenbar war die Nacht weitgehend ruhig verlaufen. Zwei Ruhestörungen, einmal häusliche Gewalt, ein Verkehrsunfall in East Rock, der glimpflich verlaufen war, und zweimal Alkohol am Steuer. Das war alles.
Eine ganz normale Nacht in New Haven. Er wollte sich gerade ein Schachproblem hochladen, als er ein leises Husten hörte. Irritiert blickte er auf.
Auf der Besucherbank saß eine junge Frau. Offenbar war sie in den Regen geraten, denn ihre glatten schwarzen Haare waren nass, auch von dem pinkfarbenen Kunstledermantel tropfte es.
»Sitzen Sie schon lange da?«, fragte Sergeant Morgan verwirrt.
Statt zu antworten, hob die Frau stumm ihre Schultern.
»Warum haben Sie nichts gesagt?«
Erneutes Schulterzucken. Seufzend klickte er das Schachproblem weg und deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
»Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Die junge Frau kam zögernd näher und nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Sie sah müde aus, der schwarze Kajalstrich unter ihrem rechten Auge war vom Regen verschmiert.
»Wollen Sie den Mantel nicht ausziehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Er musterte sie eindringlich.
»Was kann ich für Sie tun?«
Zum ersten Mal hob sie den Blick und sah ihm direkt in die Augen. »Meine Freundin ist verschwunden.«
Sergeant Morgan zog die Stirn in Falten. »Seit wann ist sie verschwunden? Oder anders gefragt, wann haben Sie Ihre Freundin zum letzten Mal gesehen?«
»Vor drei Tagen.« Offenbar hatte sie die Frage erwartet, denn sie musste nicht nachdenken. »Besser gesagt, vor drei Nächten«, schob sie unsicher hinterher.
»Vor drei Nächten?«, wiederholte Morgan gedehnt.
»Wir arbeiten nachts«, erklärte sie.
»Aha. Gastronomie?«
»Im weitesten Sinne, ja«, sagte die junge Frau ausweichend.
»Und zur Arbeit ist Ihre Freundin in diesen drei Tagen, pardon, Nächten nicht erschienen?«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Wie alt ist Ihre Freundin?«
»Zweiundzwanzig.«
»Also volljährig. Kann es nicht sein, dass ihr Verschwinden einen ganz harmlosen Grund hat? Vielleicht will sie sich einfach mal eine Auszeit nehmen. Oder eine Freundin besuchen. Oder einen Freund. Wäre das möglich?«
»Das hätte sie mir gesagt«, antwortete sie bestimmt. »Wir sagen uns immer alles. Außerdem ...« Sie brach ab.
Sergeant Morgan runzelte die Stirn. »Außerdem?«
»Außerdem wohnen wir zusammen. Seit drei Tagen versuche ich vergeblich, sie zu erreichen. Sie hat ihr Handy ausgeschaltet. Seit drei Tagen! Das macht sie nie. Ihr muss was passiert sein. Ganz sicher. Ich kenne Vera fast zwei Jahre. So was hat sie noch nie gemacht!«
Plötzlich sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus.
Sergeant Morgan nickte und rief das entsprechende Formular auf. »Ich verstehe. Dann nehmen wir eine Vermisstenanzeige auf. Ihr Name?«
»Kim Simmons. Kimberley.«
Er gab den Namen ein. »Wohnhaft in?«
»1139 Captain Thomas Boulevard, West Haven.«
»Und das ist auch die Wohnanschrift Ihrer vermissten Freundin?«
Kim Simmons nickte.
»Ihr Name?«
»Den hab ich Ihnen doch schon gesagt.«
»Ich meine, der Name Ihrer Freundin?«
»Vera O'Brien.«
»Name und Anschrift Ihres Arbeitgebers?«
Kim Simmons schluckte.
»Haben wir nicht«, erklärte sie zögernd, »ich meine, einen Arbeitgeber. Wir arbeiten ... selbstständig.«
Morgan sah sie fragend an. »Als was? Ich meine, in welcher Branche sind Sie tätig?«
»Wir arbeiten hauptsächlich an Truckstops«, antwortete Kim Simmons vage, »an der Rest Area in Milford. Oder am Travel Stop in New Haven.«
»Okay. Und was tun Sie da? Womit genau verdienen Sie Ihr Geld?«
»Mein Gott, jetzt tun Sie nicht dümmer, als Sie sind! Wir schaffen an! Wir schenken müden Truckern eine glückliche halbe Stunde! Wir sind Strichmädchen! Prostituierte! Straßennutten! Schon mal gehört, Herzchen?«
Sergeant Cary Morgan spürte förmlich, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Bevor er im Boden versinken konnte, meldete sich ein anderer Gedanke.
»Moment mal, Sie sagten eben, dass Sie ab und zu an der Rest Area in Milford und am Travel Stop in New Haven arbeiten, richtig?«
»Richtig, Schätzchen.«
Die anfangs so schüchterne Kim Simmons hatte plötzlich Oberwasser und schien jeden Respekt vor seiner Uniform verloren zu haben.
Das störte Sergeant Morgan in diesem Moment herzlich wenig. Er witterte etwas anderes. Etwas Größeres. Etwas, um das ihn alle anderen Kollegen beneiden würden.
»Dabei handelt es sich in beiden Fällen um gut besuchte Truckstops an der Interstate 95.«
»Sie überraschen mich mit Ihrer präzisen Ortskenntnis, Sergeant.«
Er überhörte großzügig den ironischen Unterton. Denn inzwischen war ihm klar, dass es sich hier keineswegs um einen alltäglichen Vermisstenfall handelte.
Ohne Zweifel hatte er es hier mit dem jüngsten Opfer des spektakulären I-95-Killers zu tun!
Obwohl das Lüftungssystem auf Hochtouren arbeitete, war der beißende Geruch von Chlor und Formaldehyd atemberaubend. Wir saßen im Vorraum des gerichtsmedizinischen Instituts von Providence und lauschten den Ausführungen von Dr Eric Newton.
»Der Tod trat bereits vor etwa zehn Tagen ein. Morgen kann ich den Zeitpunkt präziser eingrenzen.«
»Die Frau wurde erwürgt?«, hakte Phil nach.
»Richtig. Wir haben die charakteristischen Hautabschürfungen und Strangulationsmarken im Halsbereich. Das Zungenbein wurde gebrochen, der Schildknorpel massiv gequetscht. Die Frau wurde erwürgt, daran gibt es keinen Zweifel.«
»Wurde sie vergewaltigt?«, wollte Iris McLane wissen.
»Eindeutig ja. Und zwar äußerst brutal. Wir haben großflächige Hämatome und tiefe Risse im Genitalbereich. Etwas Vergleichbares habe ich in meiner fast dreißigjährigen Laufbahn als Gerichtsmediziner noch nicht gesehen.«
Im Hintergrund schob ein Mitarbeiter eine Bahre aus Edelstahl vorbei, auf der ein mit einem Tuch abgedeckter Körper lag.
»Stand die Frau unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen?«, fragte ich.
»Keine Drogen, aber ein Alkoholwert von 1,2 Promille.«
Ich nickte nachdenklich. Bisher hatten wir eine vollkommene Übereinstimmung mit den anderen sieben Opfern des Täters, den die Medien zum I-95-Killer gestempelt hatten, weil er seine Verbrechen ausschließlich an Raststätten und Truckstops entlang der Interstate 95 verübt hatte.
»Wie sieht es mit Abwehrverletzungen aus?«, fragte Phil.
»Sie hat sich gewehrt wie eine Löwin«, bestätigte Dr Newton. »An beiden Armen und Händen haben wir Kratzspuren und Blutergüsse gefunden. Es muss ein heftiger Kampf vorangegangen sein.«
Auch das passte zu der Vorgehensweise des Killers. Erst setzte er die Frauen unter Alkohol, um sie gefügig zu machen, dann brach er ihren Widerstand und vergewaltigte sie, um sie anschließend zu erwürgen.
»Wissen wir schon, mit wem wir es zu tun haben?«, erkundigte ich mich.
Der Arzt runzelte irritiert die Stirn.
»Die Identität des Opfers«, präzisierte ich, »wissen wir schon, wer die Frau war?«
»Ach so, ja richtig. Heute Morgen war ihre jüngere Schwester hier und hat sie identifiziert.« Er warf einen Blick in seine Unterlagen. »Bei der Toten handelt es sich um Cecilia Crawford, zwanzig Jahre alt, wohnhaft hier in Providence.«
»Und ich tippe mal, dass sie beim hiesigen Gesundheitsamt als Prostituierte registriert war«, sagte Phil.
Dr Newton sah ihn überrascht an. »Da wissen Sie mehr als ich.«
Es war zu diesem Zeitpunkt natürlich nur eine Vermutung. Allerdings eine Vermutung, die sich auf belastbare Fakten stützte, denn bisher waren alle bisherigen Opfer des Killers dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen.
»Wir werden das überprüfen«, fügte Dr Iris McLane hinzu und wandte sich an Dr Newton. »Sind Sie fertig, oder gibt es noch etwas, das wir wissen sollten?«
Der Arzt schob seine Unterlagen zusammen und sah uns der Reihe nach an. »Da gibt es tatsächlich noch etwas. Wie soll ich sagen, etwas Ungewöhnliches. Etwas, das man in einem solchen Fall nicht unbedingt erwartet.«
Spätestens jetzt hatte er unsere volle Aufmerksamkeit.
»Der Toten fehlt ein Fuß.«
Wir blickten ihn konsterniert an.
»Ein Fuß?«, fragte mein Partner ungläubig.
»Ein Fuß«, bestätigte Dr Newton, »genauer gesagt, der rechte Fuß. Sauber abgetrennt, vermutlich mithilfe einer handelsüblichen feinzahnigen Stichsäge.«
Als wir uns kurze Zeit später mit einem Becher Automatenkaffee an einen Tisch der institutseigenen Cafeteria setzten, konnten wir uns noch immer keinen Reim auf dieses bizarre Detail machen.
»Ein Fuß. Ein fehlender Fuß. Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?«, wunderte sich Phil.
»Das ist eine Botschaft«, sagte Iris versonnen, »irgendwas will uns der Kerl damit sagen.«
»Fragt sich nur, was«, bemerkte Phil trocken.
Ein junger Mann, wahrscheinlich ein Medizinstudent, sah vom Nachbartisch zu uns herüber. Daraufhin senkten wir unsere Stimmen.
»Der Fuß ist verschwunden«, stellte Iris fest. »Laut Polizeibericht wurde er im Bereich des Fundorts der Leiche nicht gefunden.«
»Mit anderen Worten, der Killer stellt uns vor ein Rätsel«, spann ich ihren Gedanken weiter, »er gibt uns quasi eine Nuss zu knacken. Wir sollen diesen verdammten Fuß finden.«
Unsere promovierte Profilerin nickte nachdenklich.
»Er spielt mit uns. Er hält uns zum Narren.« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Diesem brutalen, kaltblütigen, gnadenlosen Killer reicht es nicht mehr, unschuldige Frauen zu quälen und zu erwürgen. Er will uns auch noch seine Überlegenheit demonstrieren.«
»Der Kaffee schmeckt scheußlich«, beschwerte sich Phil und schob seinen Becher fort.
»Dafür ist die Luft hier eindeutig besser«, sagte ich.
»Er scheint sich für unangreifbar zu halten«, fuhr Iris unbeirrt fort. »Nachdem er sieben Frauen, sorry, acht Frauen unbehelligt umbringen konnte, ohne dass ihn jemand daran hindern konnte, denkt er jetzt, er kann immer so weitermachen.«
»Du meinst also, er wird weitermorden?«, fragte ich.
»Unbedingt. Ich gehe sogar davon aus, dass die Abstände zwischen den Taten immer kürzer werden.«
»Sicher?«
»Ziemlich sicher. Als er anfing, vor fünf Jahren, lagen viele Monate zwischen seinen Taten. Zwischen Nummer zwei und Nummer drei war es sogar mehr als ein Jahr. Und wie viel Zeit ist zwischen Nummer sieben und Nummer acht vergangen?«
Sie warf Phil einen auffordernden Blick zu, der daraufhin nach den entsprechenden Angaben in der Fallakte blätterte.
»Sechs Wochen und zwei Tage«, verkündete er schließlich.
»Dann werden wir auf den nächsten Mord weniger als drei Wochen warten müssen. Vielleicht nicht mal zwei.«
»Schöne Aussichten«, murmelte Phil.
In den vergangenen fünf Jahren hatten wir verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den I-95-Killer zu schnappen.
Eine Zeit lang kontrollierten Cops in Zivil die größeren Truckstops. Bei etwa zweihundert Rest Areas beziehungsweise Truckstops entlang der Fernstraße erwies sich dieses Konzept auf die Dauer als zu personalintensiv. Und, Zufall oder nicht, die Verbrechen geschahen immer an den Stops, die gerade nicht kontrolliert wurden.
In einem nächsten Schritt informierten wir sämtliche bei den Gesundheitsämtern entlang der I-95 registrierten Prostituierten und warnten sie eindringlich vor dem unbekannten Killer. Auch diese Maßnahme brachte nicht den Erfolg, den wir uns erhofft hatten.
Schließlich forderten wir alle Servicemitarbeiter der infrage kommenden Raststätten auf, uns jedes auffällige Verhalten ihrer Kunden unverzüglich zu melden. Auf diese Weise gingen uns eine Reihe von Taschendieben und Trickbetrügern ins Netz, aber nicht der Mann, den wir suchten.
»Es kann natürlich auch noch einen anderen Grund für den veränderten Modus Operandi unseres Killers geben«, gab Iris McLane zu bedenken.
Phil und ich warteten gespannt auf die nächste Schlussfolgerung unserer erfahrenen Profilerin.
»Möglicherweise ist der Druck für ihn zuletzt schlicht zu groß geworden.«
»Du meinst, er wittert überall Cops und hat keine Lust mehr, sich ständig zu verstecken?«
»So könnte man es ausdrücken, Jerry«, stimmte Iris zu.
»Mit anderen Worten, er legt es unbewusst darauf an, geschnappt zu werden«, hakte ich nach, »damit er endlich seine Ruhe hat?«
Iris nickte. »Möglicherweise ist das sein uneingestandener Wunsch.«
»Na, was meint ihr?« Phil lächelte und erhob sich entschlossen von seinem Stuhl. »Dann sollten wir ihm seinen Wunsch so schnell wie möglich erfüllen!«
Das Firmengelände der Wright Transportation Inc. am Rand von Newark hatte die Größe einer mittleren Kleinstadt. Jedenfalls kam es uns so vor, nachdem der uniformierte Pförtner uns durch die Schranke gewunken hatte und wir uns über die Main Street auf den Weg zu den Verwaltungsgebäuden machten.
»Für ein familiengeführtes Unternehmen ziemlich beeindruckend«, stellte Phil fest, während er den Blick über die unzähligen Trucks, Lieferfahrzeuge und Trailer gleiten ließ, die auf den Parkplätzen links und rechts der Straße abgestellt waren.
»Und dabei ist das nicht mal die Zentrale«, pflichtete ich ihm bei, »die liegt unten in Florida.«
Denn so hatte ich es im Firmenprospekt gelesen.
Im Lauf der letzten Monate hatten wir eine ganze Reihe ähnlicher Transportfirmen kennengelernt. Anhand einer Liste, die unser junger Kollege Dr Ben Bruckner zusammengestellt hatte, überprüften wir die ELDs von Fernfahrern, die in den vergangenen fünf Jahren vorwiegend auf der Interstate 95 unterwegs gewesen waren.
Diese elektronischen Geräte dokumentierten nicht nur die gefahrenen Strecken, sondern auch die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer. In einem nächsten Schritt glichen wir diese Daten mit den Zeitpunkten ab, an denen der I-95-Killer seine Verbrechen verübt hatte.
Eine einigermaßen sichere, gleichzeitig aber auch sehr zeitaufwendige Methode, den Kreis der Verdächtigen nach und nach einzugrenzen. Denn die berühmte Fernstraße erstreckte sich über fast zweitausend Meilen und durchquerte dabei immerhin fünfzehn Bundesstaaten.
Ich steuerte den Jaguar auf einen der großzügig geschnittenen Parkplätze vor Gebäude A. Laut der blitzblanken Aluminiumtafel neben dem Eingang waren hier die Disponentenabteilung, der Logistik- und der Flottenmanager sowie die Personalabteilung, die Buchhaltung und die IT untergebracht.
Wir wollten zu Alfred W. Wright.
Ich winkte dem Fahrer eines Gabelstaplers zu, der einen dunkelgrünen Werkzeugkasten von der Größe eines Kleinwagens transportierte. Er stoppte kurz und schob die Schutzbrille hoch.
»Wo finde ich den Chef?«
»Gebäude C, erste Etage. Nächste Straße rechts, gleich hinter dem Logistikzentrum.«
Auch dort war der umtriebige Unternehmer nicht.
»Mister Wright ist in der Werkstatt«, erklärte uns seine Assistentin Penelope Meier. »Wenn Sie rauskommen, rechts, dann die zweite links.«
»Entschuldigung«, unterbrach ich ihre gut gemeinte Wegbeschreibung und zeigte ihr meine ID Card, »vielleicht können Sie ihn einfach bitten, sich hierher zu bemühen. FBI, mein Name ist Cotton. Wir haben ein paar Fragen an ihn. Es ist dringend.«
Knapp acht Minuten später erschien ein dynamischer Endfünfziger im Büro und nickte uns aufgeräumt zu.
»Ich leite die Firma jetzt seit fast fünfundzwanzig Jahren, das FBI hatte ich noch nie zu Gast«, sagte er. »Ich hoffe, es gibt keine Schwierigkeiten?«
Wright hatte einen kugelrunden Kopf, und es war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, ob man die Vorder- oder Rückseite vor sich hatte.
»Bitte nehmen Sie Platz«, lud er uns ein. »Kaffee? Wasser? Alkoholfreies Bier? Was darf ich Ihnen anbieten?«
»Danke, wir möchten Sie gar nicht lange aufhalten«, sagte ich.
Wright machte es sich in seinem Chefsessel bequem und musterte uns neugierig. »Wie kann ich Ihnen helfen, Agents?«
Ich nickte meinem Partner zu, daraufhin erklärte Phil ihm unser Anliegen.
»Ich verstehe«, sagte er nachdenklich, »es gibt natürlich eine ganze Reihe Fahrer, die regelmäßig auf der Interstate 95 unterwegs sind. Können wir uns auf bestimmte Abschnitte konzentrieren, oder haben Sie die kompletten zweitausend Meilen im Blick?«
»Ich fürchte, wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Schwerpunkte setzen«, erklärte Phil. »Anders ausgedrückt, wir brauchen Angaben zu allen Mitarbeitern, die immer wieder auf dieser Straße fahren.«
»Also schön«, stimmte er zu, »aber machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie eine lange Liste bekommen.«