Jerry Cotton 3560 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3560 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Jason C. Muller, ehemaliger Leiter der Townsend Harris High School in Queens, wurde in seinem Apartment ermordet. Mr High beauftragte Phil und mich, den Fall zu übernehmen. Zwar fiel ein gewöhnlicher Mord normalerweise nicht in die Zuständigkeit des FBI. Doch erst drei Tage zuvor war ein Mann namens Charles Baker an seinem Wohnort in New Jersey getötet worden. Die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Taten: Auch Baker war an der Townsend Harris High School beschäftigt gewesen. Die Spuren führten uns tief in die Vergangenheit - und brachten ein weiteres grausames Verbrechen zutage!

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Der Sarah-Winter-Mord

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Der Sarah-Winter-Mord

Er starrte auf den Grabstein und las wieder und wieder den Namen, als könnte er ihn auf diese Weise verschwinden lassen. Doch der Name verschwand nicht und würde es niemals tun. Der einzige Mensch, der ihm etwas bedeutet hatte, war tot und begraben. Er selbst hatte die Leiche gefunden. Und das Erbe, das ihm hinterlassen worden war und aus einer ebenso schrecklichen wie verwirrenden Wahrheit bestand. Es war, als hätte jemand einen Vorhang zur Seite gezogen und ihm damit einen klaren und unverstellten Blick auf das so lange verhüllte Bild dahinter gewährt.

Sie würden dafür bezahlen müssen.

»Gefällt dir das, Kleiner?«

Er nickte und zwang sich zu einem Lächeln. Die beiden Männer auf der Ledercouch ihm gegenüber nannten ihn ständig Kleiner. Das gefiel ihm nicht, doch es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Wenn er sich beschwerte, schlossen sie ihn vielleicht aus ihrem Kreis des Vertrauens aus, was ihm noch weniger gefallen hätte. Obwohl er ein bisschen Angst vor ihnen hatte – was er natürlich nie zugeben würde –, fühlte er sich geschmeichelt, zu ihnen zu gehören. Schließlich waren sie Erwachsene, und Erwachsene gaben sich normalerweise nicht mit Jungs wie ihm ab.

Bei ihnen durfte er sogar Bier trinken. Bevor er nach Hause ging, steckte er sich deshalb stets einen Kaugummi mit Pfefferminzgeschmack in den Mund und kaute, bis er vor der elterlichen Tür stand. Damit seine Mutter das Bier nicht roch und ihm die Hölle heißmachte.

Die Luft im Wohnzimmer war erfüllt von Rauchschwaden, die wie Nebel an einem grauen Herbsttag durch den Raum waberten. Die beiden Männer rauchten oft, wobei der ältere Pfeife bevorzugte. Der Tabak roch stark und intensiv, aber wenigstens nach Apfel oder Vanille. Der jüngere paffte Zigaretten, die wie heißer Teer stanken.

Sein Blick war auf die Frau geheftet, die auf dem braunen Teppich zu einer stummen Musik tanzte, wobei sie sich eigentlich nur vor- und zurückbewegte und dabei ihre Hüften wiegte. Sie war kaum größer als er und wirkte vollkommen unscheinbar. Man konnte sie glatt übersehen, selbst wenn man direkt vor ihr stand. Auf ihrer schmalen Nase saß eine Brille mit einem dicken hellbraunen Gestell. Das dunkle, leicht gewellte Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Wie meistens trug sie eine helle Bluse, einen grauen Rock, dunkle Strumpfhosen und flache weiße Schuhe.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie als sonderlich attraktiv zu bezeichnen. Langweilig war der passende Ausdruck für sie. Und doch konnte er seine Augen nicht von ihr abwenden, denn sie tanzte für ihn. Weil Pfeife und Zigarette sie darum gebeten hatten.

Langsam knöpfte sie ihre Bluse auf, ohne aus dem Takt zu geraten. Einen Schritt vor und einen zurück, mit wiegenden Hüften. Dabei sah sie ihn an. Nicht aufreizend oder bloß interessiert, eher teilnahmslos, was ihn nur kurz irritierte, als sein Blick ihr Gesicht streifte.

Sie ließ die Bluse von den Schultern gleiten und zu Boden sinken. Mit einem beiläufigen Tritt beförderte sie das Kleidungsstück in die Ecke. Darunter trug sie einen hautfarbenen, passend zu ihrer Erscheinung langweiligen Büstenhalter, der jedoch erfreulich prall gefüllt war. Mit beiden Händen griff sie hinter sich und tastete nach dem Verschluss. In seiner Hose wurde es schmerzhaft eng. Unruhig rutschte er auf dem Sessel herum.

Selbstverständlich hatte er schon weibliche Brüste gesehen. Allerdings nur in den Playboy-Ausgaben, die sein Vater im Keller versteckte. Bei den Mädchen war er etwa so beliebt wie Altmännerschweiß, was auch daran lag, dass er seine Absichten ihnen gegenüber nicht zu verschleiern vermochte. Die anderen Jungs luden ihre Angebeteten zu Pizza und Vanilla Coke bei Joe's Famous Pizza ein und raspelten ordentlich Süßholz, um ans Ziel zu gelangen. Das bedeutete, ihnen an die Wäsche gehen zu dürfen.

Ihm dagegen stand es förmlich ins Gesicht geschrieben, dass er sie flachlegen wollte, scheiß auf Pizza und Vanilla Coke. Er war unfähig sich zu verstellen. Die Tatsache, dass er nicht eben der hübscheste junge Bursche auf Erden war, machte es keinen Deut besser. Seine Chancen standen also ziemlich mies, was das anging.

Die Frau öffnete den BH und ließ ihn wie zuvor die Bluse achtlos zu Boden fallen. Sein Blickfeld verengte sich, war nun völlig ausgefüllt von ihren großen Brüsten, die sanft vor ihm hin und her schaukelten. Ob sie ihm erlauben würde, sie anzufassen? Sie sahen faszinierend weich aus, und er war begierig herauszufinden, ob sie sich auch so anfühlten.

»Baby, wie wäre es, wenn du dem Kleinen einen bläst?«, meldete sich Pfeife zu Wort.

Bis eben war die Spannung im Raum schier mit Händen zu greifen gewesen, jetzt löste sie sich mit einem Schlag auf. Als würde ein Orchester unvermittelt aufhören zu spielen. Die Frau wirbelte herum, sodass er nur noch ihren nackten Rücken sah.

»Das mache ich nicht«, fuhr sie Pfeife an, wobei ihre Stimme leicht zitterte. »Du hast gesagt, ich soll ihm meine Kissen zeigen. Von mehr war nicht die Rede.«

Pfeife richtete sich auf dem Sofa auf.

»Mach kein Theater«, sagte er in einem ruhigen Ton, der nicht recht zu seinem verärgerten Gesichtsausdruck passte. »Schau ihn dir an. Gleich platzt ihm die Hose. Komm schon, verschaff ihm Erleichterung.«

Irgendwie war er froh, dass sie sich nicht umdrehte, um Pfeifes Hinweis zu überprüfen. Gleichzeitig war es ihm peinlich, dass es der Mann bemerkt hatte, auch wenn nur ein Blinder das Zelt auf seinem Schoß hätte übersehen können. Warum hatte er heute Morgen bloß diese beschissenen Stoffhosen angezogen statt seiner Jeans?

»Soll er sich einen runterholen. Ich mach das nicht.«

Pfeife stand auf. Zigarette beobachtete die Szene. Irritierenderweise umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen. Er dachte, dass er einfach aufstehen und verschwinden sollte. Seine Erektion fiel in sich zusammen wie ein Ballon, dem man die Luft abgelassen hatte. Mit einem Mal war ihm die Situation nur noch unangenehm.

Das Problem war, dass ihn Pfeife nicht gehen lassen würde, bis die Sache geklärt war. Um das zu wissen, kannte er ihn gut genug.

Die Frau bückte sich, griff nach ihrem Büstenhalter und zog ihn an. Dabei wandte sie den Blick nicht von Pfeife ab, der ihr missbilligend zusah.

»Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du dich so aufführst«, sagte er, machte aber keine Anstalten, sie daran zu hindern, ihre Bluse aufzuheben und überzustreifen, sodass sie wieder vollständig angezogen im Zimmer stand.

»Das kann ich nicht leiden«, wiederholte Pfeife. »Ganz und gar nicht.«

Zweiunddreißig Jahre später

Detective Jericho Piccono vom Miami Police Department fluchte leise vor sich hin, während er die Stufen in den fünften Stock hinaufstapfte. Ein in krakeliger Schrift beschriebenes Schild im Erdgeschoss wies darauf hin, dass der Fahrstuhl defekt war. Er hasste Treppensteigen, und als ob das nicht der Zumutung genug wäre, war es hier drin heiß wie in der Sahara. Sein blütenweißes Hemd unter dem hellgrauen Jackett saugte sich mit Schweiß voll. Die Luft roch abgestanden und nach Urin.

Ein erleichtertes Seufzen entrang sich seiner Brust, als er sein Ziel erreichte. Nackte Glühbirnen an der Decke erhellten den schmalen Korridor, von dem auf beiden Seiten mehrere Türen abgingen. Der Boden war mit fahlgelbem Linoleum ausgelegt.

Am Ende des Flurs stand ein uniformierter Cop vor einer offenen Tür und winkte ihm zu. Piccono gönnte sich einen Moment des Durchatmens, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Die Haut des Cops hatte einen dunklen Teint, das Namensschild auf seiner Hemdbrust wies ihn als Officer Ramirez aus. Piccono nickte ihm zu und stellte sich vor.

»Wo ist sie?«, fragte er dann.

»Gehen Sie einfach rein, Sie können sie unmöglich verfehlen«, lautete die Antwort. »Meinen Kollegen und die Zeugin finden Sie in der Küche. Die Lady ist ganz schön durch den Wind.«

»Die Spurensicherung sollte demnächst auftauchen«, erwiderte er und betrat das Apartment.

Als Erstes fiel ihm die Unordnung auf. Überall lagen und standen leere Coladosen herum sowie einige Aluminiumschalen, in denen Essensreste klebten. Das spärliche Mobiliar bestand aus einem mannshohen schmalen Schrank, einem alten Fernseher auf einer Anrichte und einer himbeerfarbenen Couch. Darauf lag die Tote, eine fleckige Decke bis zur Hüfte hochgezogen, das Gesicht mit den geschlossenen Augen ihm zugewandt. Es sah aus, als schliefe sie. Die Nadel der Spritze steckte noch in ihrem linken Arm.

Piccono trat näher heran. Es handelte sich um eine Weiße, was in Liberty City eine Besonderheit darstellte. Über neunzig Prozent der gut vierzigtausend Bewohner dieses Stadtteils waren Afroamerikaner. Er schätzte sie auf Mitte dreißig. Dunkles Haar umrahmte ein schmales blasses Gesicht. Unter dem linken Auge hatte sie ein sternförmiges Muttermal von der Größe einer Vierteldollarmünze.

Im Laufe seiner knapp zwanzig Dienstjahre hatte er eine Menge Leichen gesehen, und ein guter Teil davon waren Drogentote. Ihn beschlich das Gefühl, dass diese Frau nicht aus Versehen gestorben war, sondern sich bewusst eine Überdosis verpasst hatte. So etwas kam hin und wieder vor.

Hinter einer angelehnten Tür neben dem Schrank drang leises Schluchzen. Piccono wandte den Blick von der toten Frau ab und steuerte auf die Tür zu. In einer winzigen Küche saß eine schwarze Lady in einem blauen Kleid auf dem einzigen Stuhl und wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen auf ihren faltigen Wangen ab. Sie mochte an die siebzig Jahre alt sein, ihr krauses Haar hatte die Farbe von kalter Asche.

An der Küchenzeile lehnte der Kollege von Officer Ramirez und sah ihr teilnahmslos beim Weinen zu. Als Piccono in die Küche trat, hob er den Kopf.

»Hallo, Detective«, begrüßte er ihn. »Das ist Mrs Barrows. Sie hat die Leiche gefunden und uns angerufen.«

Mrs Barrows hob ebenfalls den Kopf und schniefte. Sie hatte ein rundliches, gutmütiges Gesicht, ihre Augen schimmerten feucht.

»Cheyenne war ein nettes Mädchen«, erklärte sie mit brüchiger Stimme.

Piccono zog sein Notizbuch und einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts.

»War das ihr Name?«, fragte er. »Cheyenne?«

Sie nickte und schnäuzte in ihr Taschentuch. Er wartete, bis sie fertig war.

»Wie lautete der Nachname?«, erkundigte er sich.

Die Antwort bestand aus einem Schulterzucken.

»Sie haben sich um sie gekümmert?«

Abermals nickte sie. »Seit sie hier vor einem halben Jahr eingezogen ist. Ich wohne gleich nebenan. Als ich ihr das erste Mal auf dem Flur begegnete, fiel mir auf, wie verloren sie wirkte. Sie war so abgemagert, als hätte sie kürzlich eine Hungersnot überstanden. Ich beschloss, mich ihrer anzunehmen. Ich hatte eine Tochter, wissen Sie? Vor vierzig Jahren kam Mary bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Fahrer war betrunken und schmort inzwischen hoffentlich in der Hölle. Auf irgendeine Weise erinnerte Cheyenne mich an sie.«

Picconos Stift schwebte über der fast jungfräulichen Seite des Notizbuchs. Bis auf den Namen hatte er nichts erfahren, was sich aufzuschreiben lohnte.

»Sie hatten vor, ihr heute einen Besuch abzustatten?«

»Gestern hatte ich ihr etwas zu essen bringen wollen, aber sie machte nicht auf. Sie ernährte sich ja fast nur von diesen schrecklichen Fertiggerichten und brauchte hin und wieder was Ordentliches. Vor einer Stunde etwa habe ich's noch mal versucht. Als sich auf mein Klopfen hin abermals nichts rührte, habe ich ihren Zweitschlüssel aus meinem Apartment geholt. Den hat sie mir mal gegeben, für alle Fälle. Ich schloss also die Tür auf, und da lag sie. Mir war sofort klar, dass sie tot ist. Keine Ahnung, wieso ich nicht in meine Wohnung zurückgekehrt, sondern stattdessen in ihre Küche gegangen bin. War wohl der erste Schock. Von dort aus habe ich die Polizei angerufen und bin einfach sitzen geblieben.«

»Sieht aus, als wäre sie an einer Überdosis gestorben«, sagte er. »Wussten Sie von ihrer Drogensucht?«

Mrs Barrows' Mund verzog sich zu einem freudlosen Lächeln. »Selbstverständlich wusste ich davon. Glauben Sie aber nicht, dass ich mir die Mühe gemacht hätte, sie davon abzubringen, das wäre vergeudete Energie gewesen. Sie hatte einen inneren Schmerz, den sie mit den Drogen betäubte. Das habe ich in ihren Augen gesehen.«

»Verstehe. Wissen Sie, wie Cheyenne das Geld für die Drogen und die Miete verdiente?«

»Sie ging auf den Straßenstrich. Meistens schlief sie tagsüber und zog abends los.«

Picconos Stift glitt über das Papier. »Hatte sie Freunde oder Verwandte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal kam ein Mann zu Besuch, das war alles. Sie hat nicht viel über sich gesprochen.«

»Sie kennen nicht zufällig seinen Namen oder können ihn beschreiben?«

»Ich hörte nur seine Stimme, wenn sie sich unterhielten. Die Wände in diesem Haus sind dünn wie Papier. Einmal habe ich ihn auf dem Hausflur von hinten gesehen.«

»Gibt es sonst etwas, das uns interessieren könnte?«

Mrs Barrows sah ihm direkt in die Augen. Ihr Blick war fest. »Cheyenne kam nicht von hier, und sie gehörte nicht hierher.«

Piccono bedankte sich und entließ sie. Officer Ramirez' Kollege fasste sie behutsam am Arm und führte sie aus dem Apartment. Auf dem Weg zur Tür warf sie einen letzten Blick auf die Tote und brach erneut in Tränen aus. Kaum hatte sie die Wohnung verlassen, trafen die Beamten von der Spurensicherung ein.

Bei der Durchsuchung von Cheyennes Apartment wurden keine Papiere oder sonstige Hinweise auf ihre Identität gefunden, auch kein Mobiltelefon oder ein Laptop oder Tablet. Sie hatte weder das eine noch das andere besessen, wie Mrs Barrows auf Picconos spätere telefonische Nachfrage versicherte. Auch ein Abgleich ihrer Fingerabdrücke brachte keine Erkenntnisse. Offenbar war sie nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Obduktion ergab, dass sie wie von ihm vermutet einer Überdosis Heroin zum Opfer gefallen war.

Piccono bat Mrs Barrows, ihn zu informieren, falls der Besucher noch einmal auftauchte, doch er erhielt nie einen Anruf. Entweder hatte es die alte Frau vergessen, oder der Unbekannte hatte von Cheyennes Ableben erfahren und seine Besuche entsprechend eingestellt.

Jericho Piccono war der einzige Gast bei ihrer Beerdigung, die er aus sicherer Entfernung beobachtete. Seine Hoffnung, dass ihr der geheimnisvolle Unbekannte die letzte Ehre erweisen würde, wurde enttäuscht.

Einen Monat später schloss er die Akte.

Missmutig klappte Jason C. Muller den Laptop zu. Das Angebot auf Hotchat wurde von Woche zu Woche dürftiger. In dem Onlineportal entblätterten sich Frauen oder Paare – und Männer, was Muller weniger interessierte – für Geld, das sie von den Usern in Form von sogenannten Medaillen erhielten. Eine Medaille hatte den Gegenwert von einem Dollar. Hatten sich die Broadcaster ihrer Kleidung entledigt, taten sie alles Mögliche, wofür die User zu zahlen bereit waren. Die Kommunikation erfolgte über ein Chatprogramm.

Mullers Medaillenkonto war stets prall gefüllt und sein Ideenreichtum unerschöpflich. Manchmal kam es vor, dass Broadcaster seine Wünsche ablehnten. In einem solchen Fall blockierte er ihren Kanal. Diejenigen, die zu allem bereit waren, fügte er seiner Favoritenliste hinzu.

In jüngster Zeit waren seine Favoritinnen kaum noch online, und Nachschub war nicht in Sicht. Mit dem Portal schien es allmählich bergab zu gehen. Schon vor einigen Jahren war es ohne Vorwarnung abgeschaltet worden, zu seiner großen Freude aber nach ein paar Monaten wieder online gegangen. Muller bevorzugte junge Frauen mit langen blonden Haaren und dicken Brüsten. Von dieser Sorte tauchten immer weniger auf. Dafür wimmelte es in jüngster Zeit von breitärschigen Latinas, Asiatinnen mit winzigen Titten und – Gott stehe uns bei – sogar Afrikanerinnen. Mit all denen konnte er nichts anfangen.

Unzufrieden stand er auf, verließ das Arbeitszimmer und warf einen Blick in den Spiegel im Flur. Sein Spiegelbild zeigte ihm einen fast kahlköpfigen Mann Ende siebzig, dem das Leben tiefe Falten ins Gesicht gezeichnet hatte. Unter buschigen Brauen blickten ihm große dunkle Augen entgegen. Graue Bartstoppeln sprenkelten seine blasse Haut.

Für sein Alter war Muller noch fit, er konnte problemlos für sich selbst sorgen und war auf keine Haushaltshilfe angewiesen. Trotzdem hatte er vor zwei Jahren eine entsprechende Stellenanzeige aufgegeben, in der Hoffnung, dass sich ein paar reizende junge Ladys bewarben. Stattdessen hatten sich ausschließlich Frauen in den mittleren Jahren gemeldet, allesamt kaum attraktiv bis grottenhässlich. Nach wenigen Wochen hatte er die Sache beerdigt.

Alt zu werden war alles in allem eine unerfreuliche Angelegenheit. Wer etwas anderes behauptete, log sich in die eigene Tasche oder war ein kompletter Idiot.

Er nickte seinem Spiegelbild zu, bevor er sich losriss und die Treppe hinunterstieg. Im Wohnzimmer wartete sein großer brauner Ledersessel auf ihn. Auf dem Tischchen daneben standen ein leeres Glas und eine halb volle Flasche guten amerikanischen Whiskys. Dort lag auch die Fernbedienung für den Fernseher an der Wand gegenüber.

Mit einem zufriedenen Ächzen ließ er sich in den Sessel sinken, schaltete den Apparat ein und füllte sein Glas zu zwei Fingerbreit mit der goldbraunen Flüssigkeit. Auf dem Bildschirm lief MasterChef. Gordon Ramsay machte gerade einen Kandidaten zur Schnecke. Obwohl Muller für Engländer gemeinhin nichts übrighatte, was auch für alle anderen Nationalitäten galt, liebte er diesen großen blonden Kerl, der so herrlich fluchen konnte.

Er nahm einen großzügigen Schluck Whisky und genoss das warme Gefühl, mit dem der Alkohol seine Kehle hinabrann. Der Kandidat, ein bebrillter Bursche mit abstehenden Ohren, schaute betreten zu Boden und wünschte sich vermutlich, ganz weit weg zu sein.

Ein knackendes Geräusch ließ Muller aufhorchen. Stirnrunzelnd beugte er sich vor und lauschte. Sein Häuschen befand sich in einer ruhigen Gegend in Queens. Hier lebten keine reichen Leute. Ihre Eigenheime waren das Wertvollste, was sie besaßen. Entsprechend gab es kaum etwas, was sich für Einbrecher und Diebe lohnte.

Andererseits konnte man nie wissen. Vielleicht versuchte sich irgendein verdammter Drogensüchtiger auf der Suche nach Bargeld Einlass zu verschaffen.

Ohne hinzusehen, fand er den Knopf auf der Fernbedienung, der den Ton abstellte. Ramsays wütende Tirade verstummte. Gerade rechtzeitig, damit Muller das zweite Knacken hören konnte.

Jemand war an der Hintertür.