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Wir jagten den Eiskiller
Es war der schlimmste Winter seit Jahrzehnten. Bereits zum dritten Mal in diesem schrecklichen Winter standen Phil und ich vor der Leiche einer jungen Frau, die jämmerlich erfroren war. Der Killer hatte ihr noch nicht einmal Gewalt antun müssen, er hatte sie nur gezwungen, sich auszuziehen und dann zugesehen, wie sie in der eisigen Kälte erfror...
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Wir jagten den Eiskiller
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Johnny Cris
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1318-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Wir jagten den Eiskiller
New York, Winter 1971
Es war kalt. Verdammt kalt. Der kälteste Winter seit Jahren.
Eisiger Wind fegte durch die Häuserschluchten von Manhattan, trieb flirrende Schneeflocken durch die Straßen. Sie schienen die Stadt am Hudson River begraben zu wollen.
Nur mehr langsam kam der Verkehr voran. Mit hochgeschlagenen Mantelkragen eilten die Passanten über die schneeverwehten Bürgersteige, hatten kein Auge für jene, die auch jetzt, zur kältesten Zeit des Jahres, am Straßenrand kauerten und um eine milde Gabe flehten …
Ihren Namen hatte sie vergessen, ebenso ihre Herkunft.
Dort, wo sie jetzt war, spielte beides auch keine Rolle mehr. Sie war eine Ausgestoßene und lebte am Rande der Gesellschaft.
Es war ein verdammt hartes Leben. Ihre Glieder schmerzten, jeder einzelne Knochen tat weh, und obwohl sie noch jung war, fühlte sie sich wie eine alte Frau.
Leer. Verbraucht. Abgeschoben.
Niemand wollte sie mehr, die Gesellschaft hatte sie aufgegeben. Alles, was sie tun konnte, war, am Leben zu bleiben. Nicht um ihretwillen. Sondern um des kleinen Jungen willen, der bei ihr war und neben ihr auf der zerschlissenen, von der Kälte steif gefrorenen Decke kauerte.
»Ich habe Hunger, Mama«, sagte er und blickte zu ihr auf. Seine großen, braunen Augen schauten sie erwartungsvoll an.
»Ich weiß, mein Schatz …«
Sie hasste sich dafür, dass sie ihn nicht ernähren konnte, dass sie nicht einmal ein Stückchen Brot in der Tasche hatte, um seinen knurrenden Magen auch nur halbwegs zu füllen.
Die Taschen ihres Mantels waren gefüllt mit all jenen Dingen, von denen man nicht abbeißen konnte und die nicht satt machten.
Mit Angst, Verzweiflung und Trauer.
Der einzige Gegenstand darin, den man wirklich greifen konnte, war eine Fotografie.
Ein altes, zerknittertes Foto, das sie immer dann herausnahm und betrachtete, wenn die Zeiten schlimm waren und sie dabei war, alle Hoffnung zu verlieren.
So wie jetzt.
Seufzend kramte sie das Bild hervor, das eine Familie zeigte. Eine glückliche Familie. Eine Familie, die es in dieser Form längst nicht mehr gab.
Die Frau konnte nicht länger an sich halten.
Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und rann ihr über die Wange, drohte in der Kälte sofort zu gefrieren.
»Du weinst ja, Mama …«
»Nein, mein Schatz.« Sie schüttelte den Kopf, wischte sich die Augen. »Das ist nur der Wind.«
Heulend strich der Wind um die Hausecke, an der sie ihr karges Lager bezogen hatte, und sie nahm ihren Jungen und zog ihn an sich, um ihm von der wenigen Wärme zu spenden, die sie noch in sich hatte.
Ihre Kraft näherte sich dem Ende.
Sie konnte es fühlen.
Seit Tagen hatte sie kaum was gegessen, weil sie das meiste dem Jungen gegeben hatte, und sie merkte, wie die Kälte in ihr immer weiter um sich griff. Wenn sich nicht jemand ihrer erbarmte, würde es bald mit ihr vorbei sein, und wer würde sich dann um den Jungen kümmern?
»Bitte, Sir«, sagte sie, als erneut ein Passant mit ausgreifenden Schritten an ihr vorüber ging. »Eine milde Gabe! Für den Jungen und mich …«
Der Mann schaute sie nicht an, starrte weiter stur geradeaus – und war im nächsten Moment um die Ecke verschwunden.
So war es immer.
Sie sahen sie nicht einmal.
Vielleicht, dachte die Frau schulterzuckend, waren sie schon gar nicht mehr hier. Vielleicht waren sie schon längst erfroren, hatten es nur nicht gemerkt …
Zwei gesetzte Damen kamen den Bürgersteig herab, beide in langen Kaschmirmänteln mit pelzbesetzten Kragen.
»Ach bitte«, hauchte sie, als die beiden an ihrem kargen Lager vorüberschritten, dabei jedoch einen großen Bogen machten, »hätten Sie nicht vielleicht eine kleine Gabe für mich und den Jungen? Wir haben Hunger …«
»Dann gehen Sie arbeiten!«, versetzte die eine Frau.
»Und verschwinden Sie von hier!«, fügte die andere hinzu. »Leute wie Sie sind ein öffentliches Ärgernis!«
Dann waren sie weg.
Und da war noch immer der Hunger.
Und die schreckliche Kälte, die an ihnen nagte und sie aufzufressen drohte.
***
Es war spät, als der Junge plötzlich aus dem Schlaf schreckte.
Inzwischen war es dunkel geworden.
Der Schneefall hatte nachgelassen, dafür war es noch kälter geworden, zäher Nebel hing jetzt in den Straßen.
Der Junge rieb sich die Augen. Irgendwann war er vor Erschöpfung eingeschlafen, selbst das bohrende Gefühl von Hunger in seinem Magen hatte ihn nicht mehr wach halten können.
»Mama«, sagte er leise. »Wann kriegen wir was zu essen?«
Er erhielt keine Antwort.
Der Junge wandte sich um, blickte an seiner Mutter empor, an die er sich im Schlaf gelehnt hatte.
Sie rührte sich nicht.
Starr saß sie an die Hauswand gelehnt, ihre Züge waren blass und genauso starr wie das Eis, das die Straßen und Bürgersteige überzog.
»Mom …?«
Er stieß sie an und rüttelte sie, doch sie bewegte sich nicht.
Ihr Mund stand halb offen, als wollte sie noch etwas sagen, ihre Augen waren leer und trüb. Eiskristalle hingen in ihrem Haar und glitzerten, ließen sie wie eine Statue aus Eis erscheinen.
Der Junge begriff nicht, und selbst wenn er begriffen hätte, er hätte sich geweigert, es als Realität anzuerkennen.
»Mom! Bitte wach auf!«
Wieder stieß er sie an und rüttelte sie, während der Schlag seines kleinen Herzens sich beschleunigte und Tränen der Angst und der Verzweiflung in seine Augen schossen.
»Mom …?«
Sie rührte sich nicht mehr.
Der Körper unter dem dicken, schmutzigen Wollmantel war starr und kalt, und ohne dass der Junge gewusst hätte, weshalb und wieso, war ihm klar, dass er Hilfe brauchte.
Wie in Trance erhob er sich, bewegte seine von der Kälte steifen Glieder. Dann griff er nach dem Gegenstand, den die Erfrorene in ihrer behandschuhten Rechten hielt.
Es war das Foto.
Das Foto, das ihn zusammen mit seiner Mom und seinem Dad zeigte.
Dann ging er weg, gedankenlos und ohne Ziel, wie in einem Traum, den man hatte und von dem man nicht wusste, ob er real war oder nicht.
Immer einen Fuß vor den anderen setzend, irrte der Junge durch die verschneiten Straßen, eine unendliche Odyssee durch eine Welt eisiger Kälte. Durch die Fenster der Häuser sah er warmes Licht nach draußen leuchten, sah die Silhouetten von Menschen, hörte ihr Lachen.
Licht und Wärme, die nicht für ihn bestimmt waren. Nirgendwo fand er Hilfe, nirgendwo ein freundliches Gesicht. Immer weiter irrte er, das Foto seiner Eltern in den Händen.
Bis seine Odyssee schließlich doch ein Ende fand.
Vor einem großen Mann, der eine schwarze Uniform und eine Mütze trug und vorwurfsvoll auf ihn herabblickte.
»Bitte, Sir«, sagte der kleine Junge und zeigte dem Polizisten das Foto in seiner Hand. »Helfen Sie meiner Mom …«
***
New York im Winter – heute …
Charles Gerry war eine Putzfrau.
Zumindest war das die Arbeit, für die er angestellt worden war. In regelmäßigen Abständen tauchte er den Wischmopp in den Eimer mit dem schmutzigen Wasser, ließ ihn dann über den spiegelglatten Marmorboden von Sam’s Deli in der 44. Straße gleiten.
Es machte ihm nichts aus, den Dreck und den Matsch, den andere Leute haufenweise vom verschneiten Bürgersteig hereintrugen, aufzuwischen. Im Gegenteil. Es gab ihm das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, etwas für die Gemeinschaft, in der er lebte und die gut zu ihm gewesen war. Immerhin gaben sie ihm Arbeit und Lohn und ein Dach über dem Kopf, und Charles wusste all das sehr wohl zu schätzen.
Natürlich gab es bessere Jobs als diesen. Vor zwei Jahren hatte er oben in der 48. bei Joey’s Salad Bar gearbeitet und den ganzen Tag Gemüse geschält. Das hatte mehr Spaß gemacht. Aber den Boden zu wischen war immer noch besser, als drüben auf dem Fischmarkt den ganzen Morgen Krabben zu pulen, bis die Finger davon schrumpelig wurden.
Charles Gerry hatte schon viele Jobs gehabt, hatte alles Mögliche getan, um sich über Wasser zu halten.
Denn darum ging es.
Man musste etwas tun, sonst durfte man sich nicht beschweren. Niemals …
Während er weiter den Boden des Lokals wischte, das um diese Zeit nur spärlich besetzt war – die Gäste, die auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit noch zum Essen kamen, waren bereits gegangen –, blickte Charles durch die gläserne Front des Restaurants hinaus auf die Straße.
Es war bereits dunkel draußen.
Die Laternen verbreiteten fahlen Lichtschein, in dem lautlos Schneeflocken zu Boden fielen, um sich am Boden zu einer weißen Decke zu sammeln.
In geschäftiger Eile passierten Passanten den Bürgersteig, schienen alle noch etwas zu erledigen zu haben oder nach Hause zu wollen. Charles sah Männer und Frauen, kleine Menschen und große, Weiße und Schwarze.
Seine besondere Aufmerksamkeit jedoch erregte ein kleiner Junge.
Ein Junge von vielleicht sechs Jahren, der an der Hand seiner Mutter ging, die ihn energisch hinter sich her durch die Menschenmenge zog.
Dieser Anblick brachte etwas in ihm zum Klingen.
Etwas, dessen er sich nur undeutlich entsinnen konnte, eine Erinnerung, die …
»Hey, Gerry!«, scholl die Stimme von Samuel Barsteen herüber, dem Besitzer des Lokals. »Wisch gefälligst den Boden, okay? Ich bezahle dich nicht dafür, dass du zum Fenster hinausstarrst und den Leuten zusiehst!«
»Natürlich, Sir«, versicherte Charles eingeschüchtert, der jäh aus seinen Gedanken gerissen worden war.
Sofort tauchte er den Mob wieder ein und wischte weiter – schließlich wollte er den Job, den man ihm gegeben hatte, nicht gleich wieder verlieren.
Er wollte ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft sein, wollte dazugehören.
Nichts anderes.
***
Es war ein eiskalter Morgen – und wenn ich eiskalt sage, dann meine ich eiskalt.
Wenn man den Wetterfröschen im Radio glaubte, war es einer der kältesten Winter, die New York City je erlebt hatte. Zuletzt hatte es 1971 einen Winter wie diesen gegeben, in dem das Quecksilber in bodenlose Tiefen fiel. Die Feuerwehr von Brooklyn hatte schon mehrfach ausrücken müssen, um gefrorene Wasserleitungen wieder aufzutauen.
Dass ich an diesem Morgen einen Anruf von meinem Chef und Mentor Mr. High erhalten hatte, passte irgendwie.
Die Leiche einer Frau war am frühen Morgen in Midtown gefunden worden, und die Umstände des Fundes verlangten offenbar nach der Anwesenheit des FBI.
Ich muss zugeben, dass ich einigermaßen verwundert war. Normalerweise werden Mordfälle, die sich im Stadtgebiet ereignen, vom Homicide Squad des NYPD bearbeitet. Es sei denn, die Beamten ersuchten ausdrücklich um Hilfe …
Nachdem ich mir ein karges Frühstück aus halb trockenen Donuts und immerhin frischem Kaffee genehmigt hatte, hatte ich meinen Freund und Partner Phil Decker an unserer Ecke abgeholt. Gemeinsam fuhren wir zum Tatort.
Der morgendliche Berufsverkehr schleppte sich zäh durch die verschneiten Straßen, die Räumdienste der Stadtverwaltung wurden kaum mehr mit den Schneemassen fertig, die aus dem Himmel stürzten.
Seit Tagen schneite es tagsüber, während es nachts geradezu unheimlich kalt wurde. Einen Winter wie diesen hatte die Stadt lange nicht mehr erlebt, und auch Phil, dessen Nase beinahe so rot war wie die Cola-Werbung auf dem Times Square, machte das Wetter zu schaffen.
»Haaatschi!«, ließ sich mein Partner auf dem Beifahrersitz lautstark vernehmen und zog ein riesiges Taschentuch aus seiner Manteltasche, in das er sein halbes Gesicht versenkte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich.
»Geht so«, erwiderte mein Partner näselnd. »Wenn man mal davon absieht, dass sich mein Kopf anfühlt wie ein umgestülpter Kaktus, und dass ich die Nacht über kaum geschlafen habe, geht’s mir blendend.«
»So muss es sein«, feixte ich. »Einen G-man, der nicht auf dem Damm ist, können wir nicht brauchen.«
»Was du nicht sagst«, keuchte Phil – um sich gleich darauf wieder geräuschvoll zu schneuzen.
Endlich erreichten wir den Tatort – eine schmale, verschneite Gasse, die von der 45. Straße in einen schäbigen Hinterhof führte.
Mehrere Einsatzwagen des NYPD waren bereits vor Ort, darunter erkannte ich den braunen Lincoln, den Charles Dennison vom Homicide Squad gewöhnlich benutzte.
Captain Dennison und sein Partner Lieutenant Haggerty waren hart gesottene, routinierte Ermittler, die im FBI meist nicht mehr als einen lästigen Konkurrenten sahen. Wenn sie beim Bureau um Hilfe ersucht hatten, musste es sich um einen äußerst schwerwiegenden Fall handeln.
Ich rangierte den Jaguar in eine Parklücke am Straßenrand, dann stiegen wir aus und überquerten die Straße, durch die eisig kalter Wind pfiff. Die Kollegen vom NYPD hatten eine Absperrung errichtet, sodass der ganze Block für den Durchgangsverkehr unpassierbar war. So hatten wir wenigstens unsere Ruhe.
Wir ließen die in schwarze Regenmäntel gekleideten Uniformierten, die die Absperrung säumten, unsere Marken und Ausweise sehen und wurden durchgelassen. Wir traten in die Gasse, wo wir Captain Dennison und Haggerty erblickten, die beide ihre Mantelkragen hochgeschlagen hatten und ziemlich ratlos aussahen.
»Ah, da kommt ja die Kavallerie«, meinte Dennison mit unüberhörbarem Spott in seiner Stimme, als er uns kommen sah.
»Moment«, sagte Phil sofort, dem die arrogante Art des Polizisten stets ein Dorn im Auge war. »Wenn ich mich richtig entsinne, haben Sie den FBI um Unterstützung gebeten, Captain. Wenn es nicht so ist, können wir auch gerne wieder gehen. Ich für meinen Teil würde mich lieber ins Bett legen und meine Erkältung auskurieren als …«
»Schon gut«, erwiderte Dennison und hob abwehrend die Hände. »Sie haben Ihren Standpunkt klargemacht, Decker. Ich entschuldige mich, okay?«
Phil und ich tauschten einen verblüfften Blick.
Captain Charles Dennison entschuldigte sich bei uns?
»Sagen Sie, Dennison«, fragte Phil unverblümt, »geht es Ihnen auch gut? Ich meine …«
»Sparen Sie sich das und kommen Sie mit«, knurrte der Mann von der Mordkommission und bedeutete uns, ihm zum Ende der Gasse zu folgen.
Dort waren mehrere Forensiker damit beschäftigt, den Leichnam einer Frau zu untersuchen, die reglos im schmutzigen Schnee lag.
Ich schätzte ihr Alter auf Anfang 40. Ihr rotes Haar war starr vor Kälte, ihre Haut war fahl und wirkte wie Wachs. Und was am sonderbarsten war: Die Frau war fast nackt, trug nur ihre Unterwäsche am Leib.
»Wissen Sie, was ich zuerst gedacht habe, als ich sie so liegen sah?«, fragte Dennison mit freudlosem Grinsen. »Ich dachte mir, entweder die Obdachlosen tragen jetzt Dessous, oder die oberen Zehntausend feiern ihre Drogenpartys jetzt schon in der Gosse.«
Ich konnte darüber beim besten Willen nicht lachen. Zu grässlich war der Anblick, der sich uns bot.
»Was war die Todesursache?«, wollte ich wissen.
»Wissen Sie, Cotton, das ist das Seltsame. Unsere Forensiker konnten bislang keine Spuren äußerlicher Gewalteinwirkung feststellen. Sieht ganz so aus, als ob die Frau erfroren wäre. Aber wer, frage ich Sie, zieht denn seine Klamotten aus bei dieser Kälte?«
»Niemand«, gestand ich ein. »Es sei denn, er steht unter Drogeneinfluss.«
»Das wird bereits überprüft«, mischte sich Lieutenant Haggerty ein. »Eine Blutprobe befindet sich bereits auf dem Weg zum gerichtsmedizinischen Institut. Das Ergebnis wird in ein paar Stunden vorliegen.«
»Na schön.« Ich nickte. »Kennt man schon den Namen der Toten?«
»Ihr Name ist Gladys Sterning«, las Haggerty aus einem Notizblock. »Sie war Immobilienmaklerin, hatte ein Büro hier in der 45. Straße.«
Phil nickte. »Da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht.«
»Das war nicht weiter schwierig«, schnaubte Dennison. »Wir haben die Handtasche der Toten in der Mülltonne dort drüben gefunden, zusammen mit ihren Schuhen und ihren Kleidern. Es waren noch alle Papiere drin.«
»Was ist mit Geld?«, fragte ich.
»War noch in der Brieftasche. 365 Dollar und ein paar Cent. Wer immer das getan hat, hatte es weder auf ihr Bargeld abgesehen noch auf ihren Schmuck.«
»Na gut«, konstatierte Phil näselnd, »ein Raubmord dürfte also ausgeschlossen sein.«
»Hm«, machte ich. »Und Sie sind sicher, dass die Frau erfroren ist?«
»So sicher wir bisher sein können«, gab der Leiter des forensischen Teams zurück. »Gewissheit werden wir erst haben, wenn die pathologische Untersuchung abgeschlossen ist.«
»Okay. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir die Obduktion gerne von unserem Spezialisten durchführen lassen.«
»Sicher haben wir nichts dagegen, Agent Cotton«, versetzte Dennison spitz. »Jeder weiß doch, dass die Creme der Kriminalistik an der Federal Plaza arbeitet.«
Ich bedachte den Captain mit einem tadelnden Blick. Für Sticheleien war dies weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt. Aber mir begann zu dämmern, weshalb Dennison den Fall so bereitwillig an uns abgetreten hatte.
Das Ding roch nach einer Sackgasse, einem dieser Fälle, bei denen sich alle Spuren in einem Labyrinth aus Fragen und Rätseln verlieren und die irgendwann in den Sammelordner mit dem Vermerk »ungelöst« wandern.
Das alles passte nicht zusammen.
Eine erfolgreiche Maklerin, die halb nackt und erfroren in der Gosse aufgefunden wurde, ohne dass offenbar eine Gewalttat stattgefunden hatte.
»Sicher haben Sie sich gefragt, weshalb ich über meinen Schatten gesprungen bin und diesen Fall an Sie abgetreten habe«, bemerkte Dennison mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Jetzt wissen Sie’s. Dieser Fall braucht Spezialisten wie Sie.«
Ich merkte, wie Phil neben mir die Hände zu Fäusten ballte, aber mein Partner beherrschte sich.
Es war offensichtlich, dass Dennison es nur darauf anlegte, uns blass aussehen zu lassen, indem er diesen Fall dem FBI übertrug. Und uns im Gegenzug blieb nichts, als ihn anzunehmen, denn es gab niemanden, an den wir ihn weiterdelegieren konnten. Dieser Fall würde so lange auf unserem Schreibtisch liegen, bis wir ihn entweder lösten oder eingestanden, dass wir nicht von der Stelle kamen.
In beiden Fällen hatte Dennison ein Problem weniger.
Doch der Police Captain irrte sich.
Denn dieser Fall sollte weitergehen – und mit ihm die Kälte, die nach uns allen griff.
***
Knapp drei Stunden später saßen Phil und ich in Mr. Highs Büro, um ihn über den Fall zu informieren.